Читать книгу Exel - Regina + Giuseppe De Facendis - Страница 12
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Als die ersten elektrischen Impulse der Neuronen über die Nervenstränge zu den Synapsen und dann weiter zu den Muskeln geleitet wurden, kehrte Leben in Pauls Körper zurück. Nach ein paar kurzen Zuckungen begann sein Herz wieder zu schlagen und pumpte die neue Körperflüssigkeit über die großen Gefäße bis hin zu den weitverzweigten Kapillaren. Die Organe nahmen ihre gewohnte Arbeit auf, so wie sie es, bis auf diese kurze Unterbrechung, viele Jahre lang getan hatten. Nur taten sie es diesmal unter völlig neuen Voraussetzungen.
Die Behandlung von vierundzwanzig Stunden war beendet und die beiden Ärzte beobachteten angespannt das Erwachen ihres dreißigjährigen Patienten. Paul besaß die typischen Merkmale eines Mannes, der niemals in seinem Leben körperlich gearbeitet hatte. Sein feingliedriger Körper war von einer glatten Haut, weiß wie Porzellan überzogen, die Hände, die auf der Bettdecke lagen, endeten in zehn langen schmalen Fingern. Er besaß das faltenlose Gesicht eines Jugendlichen und seine dunkelbraunen Haare, die sich in leichten Locken eigenwillig ihren Weg suchten, stachen gegen die zarte helle Haut ab. Die Augäpfel zuckten zunächst unruhig unter den geschlossenen Lidern, bis die Augen sich schließlich öffneten. Die Pupillen inmitten der tiefbraunen Augen weiteten sich zunächst einige Sekunden, um dann zu ihrer normalen Größe zurückzukehren und die weiße Decke über ihnen zu fixieren. Dann suchten seine Augen neue Anhaltspunkte und blieben schließlich verständnislos auf den beiden Ärzten liegen, die neben dem Bett standen.
„ Hallo Paul, wie fühlst du dich? Alles in Ordnung?“ fragte die Ärztin, die sich über den erwachten Körper beugte und mit einer kleinen Lichtquelle die natürlichen Reflexe der Pupillen prüfte.
Der Patient namens Paul antwortete nicht. Er schien abwesend zu sein, verwirrt und ohne jegliche Orientierung. Die Ärztin legte eine Hand auf Pauls Arm, der bei der Berührung leicht zusammenzuckte. Pauls Augen betrachteten die Hand, die auf seinem Arm ruhte und wanderten dann über den Ellenbogen und die Schulter bis hin zum Gesicht ihrer Besitzerin. Einen Augenblick später huschte der Hauch eines Lächelns über Pauls Mund und er begann zu sprechen:
„ Hallo Doktor Smith, was ist mit mir los, wo bin ich?“
„ Du hattest einen kleinen Arbeitsunfall, Paul, aber nichts Dramatisches, Gott sei Dank!“ erwiderte die Ärztin und lächelte ihr medizinisches Kunstwerk zufrieden an.
„ Du bist von einem zwei Meter hohen Gerüst herunter gefallen und hattest das Bewusstsein verloren“, fuhr ihr männlicher Kollege und Ehemann fort.
„ Wir haben dich vorsichtshalber für einen kurzen Check ins Krankenhaus gebracht. Aber es scheint alles in Ordnung zu sein. Keine Fraktur, keine Gehirnerschütterung. Wir können dich heute noch entlassen.“
Die beiden Ärzte gingen zur Tür.
„ Ach Paul. Kannst du dich bitte ankleiden. In ein paar Minuten kommen zwei Pflegern und holen dich ab, um zur Sicherheit noch einige Test durchführen. Sie bringen dich danach auf den Stützpunkt zurück.“
Sie nickten Paul ein letztes Mal zuversichtlich zu und verließen das Zimmer.
„ Hoffentlich hat es diesmal geklappt! Wir müssen ihn noch ein paar Stunden unter Beobachtung halten“, sagte Herr Smith, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. „ Es ist unglaublich, was wir in den letzten Monaten erreicht haben, Amely. Nie hätte ich geglaubt, dass wir es wirklich schaffen. Dies ist ein riesiger Schritt in der Entwicklung der Menschheit, eine der bedeutendsten Entdeckungen der modernen Medizin. Das Einzige, was mich belastet, ist die Tatsache, dass wir mehrere namenlose Körper für unsere Experimente benutzt haben. Aber bei jeder großen wissenschaftlichen Errungenschaft mussten Opfer gebracht werden“, fuhr er fort und legte einen Arm um die Schulter seiner Partnerin. „ In ein paar Tagen ist das Projekt beendet. Nach einem Jahr ununterbrochener Arbeit ist es uns gelungen, die Menschheit einen Schritt weiter zu bringen.“
„ Du hast Recht, Frank, wir können stolz auf unsere Arbeit sein,“ sagte die Ärztin und legte den Kopf zärtlich an seine Schulter. „ Aber nun lass uns weitermachen. Viel Zeit steht uns nicht mehr zur Verfügung und es fehlen noch etliche Exemplare!“ Sie befreite sie sich aus der Umarmung und dann betraten beide das nächste Zimmer.
Paul war in der Zwischenzeit aufgestanden und kleidete sich langsam an: zunächst die Unterwäsche, dann die Strümpfe, das T-Shirt und zuletzt das graue Overall. Während er ein Kleidungsstück nach dem anderen anlegte, versuchte er sich auf die Geschehnisse der letzten Stunden zu konzentrieren, aber es gelang ihm nur schwer, sie ins Gedächtnis zurückzurufen, so als habe sich eine dicke Nebelschicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit geschoben. Das Overall erinnerte ihn an seinen momentanen Arbeitsplatz, wo er als Elektriker arbeitete. Ja, als Elektriker! Aber woran arbeitete er? Ach ja, an einem Ufo! Wieso an einem Ufo? Um den Grauen zu helfen! Wer sind die Grauen? Fragen und Antworten folgten einander in kurzem Schlagabtausch und ergaben bald eine zusammenhängende, plausible Geschichte. Das Puzzle war komplett!
Als er vor dreißig Jahren das Licht der Welt erblickte, arbeitete sein Vater als Elektrotechniker in der Area 51, und zwar im Geheimtrakt des Militärstützpunktes, in dem die grauen außerirdischen Wesen versuchten, mit Hilfe der Menschen ihren Flugkörper funktionstüchtig zu machen, um den Rückweg zu ihrem Heimatplaneten anzutreten. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt an einer inneren Blutung, was angesichts des Wissensstandes der Medizin Anfang der achtziger Jahre eigentlich unvorstellbar war, aber Paul hatte beschlossen, am Heiligen Abend zur Welt zu kommen und nach einigen Komplikationen zwar seinen Kopf durchgesetzt, seiner Mutter dabei jedoch eine innere Blutung verursacht, die weder Arzt noch Hebamme bemerkten und ihr zwei Tage später das Leben kostete. Als er drei Jahre alt war, bat sein Vater den leitenden General um die Aufnahme seines Sohnes in den Kindergarten des Stützpunktes. Dieser willigte ein und so begann Pauls Leben in der Area 51. Sein Vater starb kurze Zeit später und so wuchs Paul als Waise unter der Obhut der Grauen und der Marins im Geheimtrakt der Area 51 auf. Nach Beendigung seiner Ausbildung bot ihm der General an, als Elektrotechniker den Platz seines Vaters einzunehmen, um in engster Zusammenarbeit mit den Grauen den Wiederaufbau des beschädigten Raumschiffes zu vollenden.
In seine Erinnerungen versunken schnürte Paul gerade den letzten der beiden Schuhe zu, als plötzlich die Tür aufging und zwei Pfleger ins Zimmer traten.
„ Hallo Paul, hoffentlich geht es dir wieder besser. Wir sollen sicherheitshalber noch einige Tests durchführen, bevor wir dich auf den Stützpunkt zurückbringen“.
Sie nahmen Paul in die Mitte, gingen die Treppe hinunter und betraten das Fitnesscenter der Klinik, in dem die modernsten Geräte zur Überprüfung der Patienten aufgebaut waren. In den nächsten zwei Stunden wurden Maximalkraft, Schnellkraft, Ausdauer, Reaktionsgeschwindigkeit und Gleichgewichtssinn getestet. Die Ergebnisse waren ausgezeichnet und so starteten die drei am späten Nachmittag in einem Krankenwagen Richtung Süden, um den ersten Klon der neuen Serie an seinen Arbeitsplatz zu bringen.
„ Die Fahrt wird zirka eine Stunde dauern, Paul! Ruh dich noch ein bisschen aus, morgen musst du wieder fit sein“, sagte einer der beiden Pfleger. Den Rest der Fahrt sprachen sie nicht viel. Man hörte ab und zu das Rauschen des Funkgerätes, einmal klingelte das Handy und der Fahrer bestätigte dem Anrufer ihre Ankunftszeit. Nachdem sie die Stadt auf der Bundesstraße verlassen hatten, fuhren sie zunächst durch einige kleinere Ortschaften. Der Verkehr wurde schwächer, die bebauten Landstriche immer seltener, bis der Wagen schließlich zwischen felsigen Hügeln durch karge, einsame Täler rollte, wo sich dem menschlichen Auge nichts anderes als Felsen, Sand und Gestrüpp bot. Nach fünfzig Minuten näherten sie sich ihrem Ziel, einem militärischen Sperrgebiet, auf das in immer kürzer werdenden Abständen Warnschilder mit absolutem Zutrittsverbot hinwiesen. Als der Krankenwagen an der Schranke des Haupteinganges zum Stehen kam, wurden sie von zwei bewaffneten Wachposten empfangen.
„ Hallo Robert, hi Michael, habt ihr heute den Spätdienst übernommen?“ eröffnete der Fahrer des Krankenwagens die Unterhaltung.
„ Ja Joe, heute mussten wir dran glauben. Aber ihr beide seid auch noch spät im Einsatz?“ sagte der ältere der beiden Wachposten und begrüßte lächelnd die Krankenpfleger der Klinik Salus. Während sein Blick auf den Rücksitz des Krankenwagens wanderte, um den Fahrgast zu mustern, zog der Fahrer ein Dokument aus der Brusttasche und hielt es der Wache entgegen.
„ Das ist Paul Stjepanovic. Er hatte gestern einen Arbeitsunfall. Dexter hielt es für besser, ihn einen Tag unter Beobachtung zu halten und zur Sicherheit einigen Tests zu unterziehen. Aber es ist alles in Ordnung!“
Die Wache hörte aufmerksam zu und musterte das Dokument, das Robert ihm übergeben hatte..
„ Und warum haben wir euch gestern nicht raus fahren sehen?“ fragte er skeptisch, „ wir hatten den ganzen Tag Dienst am Hauptausgang.“
„ Weil Paul nach dem Sturz mit dem Helikopter in die Klinik gebracht worden ist!“ antwortete Joe. „General Willis ist informiert, wie du dem Dokument entnehmen kannst. Es ist alles in Ordnung, Robert, mach bitte keinen Stress und lass uns passieren, sonst wird es Nacht, bis wir nachhause kommen.“
„ Ich funke nur schnell die Zentrale an und melde, dass ihr angekommen seid. Sie sollen Paul gleich am Auto abholen, damit ihr schneller wieder weg kommt.“
Er ging ins Wärterhäuschen und sprach kurz mit seinen Kollegen in der Zentrale. Er nickte einige Male, beendete dann das Gespräch und kam zum Auto zurück.
„ Okey, alles klar, Dexters Leute erwarten euch bereits! Wir sehen uns in ein paar Minuten wieder. Bis gleich!“
Der Pfleger hob dankend die Hand und gab Gas. Eine dicke Staubwolke erhob sich hinter dem anfahrenden Wagen und die beiden Soldaten flüchteten in ihr Häuschen zurück, um dem aufgewirbelten, feinen Sand zu entkommen.
Der Krankenwagen rollte langsam über die breite Hauptstraße an symmetrisch rechts und links des Zufahrtsweges erbauten Gebäuden vorbei, in denen sich die Büroräume der Verwaltung und einige Ausbildungsstätten für die Soldaten befanden. Es folgten die Truppenübungsplätze und dahinter die Wohnungen und Schlafräume der Angehörigen des Militärstützpunktes. Der Wagen kam schließlich am anderen Ende des Geländes vor einem Hügel zum Stehen, an dessen Vorderseite das Erdreich vertikal abgetragen worden war, um einem riesigen Doppeltor mit Nebeneingang Platz zu machen. Zwei Soldaten traten durch die Seitentür ins Freie und kamen auf den Wagen zu. Sie grüßten die beiden Krankenpfleger, nahmen Paul in die Mitte und verschwanden ein paar Sekunden später im Inneren des Hügels.
Die beiden Mitarbeiter der Klinik Salus kehrten zum Wagen zurück und starteten die Rückfahrt in den Feierabend.
„ Ich bin wirklich gespannt, ob diese dritte Serie ohne Komplikationen zum Einsatz kommt “, sagte Joe zu seinem Begleiter. „ Ist schon verrückt, was die beiden Ärzte da vollbracht haben. Pauls Reflexe waren optimal, die Reaktionszeiten sogar besser als die eines Sprinters. Hoffentlich übernimmt sein Gehirn die Neuprogrammierung diesmal fehlerfrei, ohne die Ausfallerscheinungen seiner Vorgänger aufzuweisen.“
Dann näherten sie sich dem Haupteingang, winkten den beiden wachhabenden Soldaten freundschaftlich zu und rollten in ihrem verstaubten Krankenwagen dem hereinbrechenden Abend entgegen, der mit seinen dicken schwarzen Wolkenbänken und dem aufkommenden Sturm nicht Gutes zu verheißen schien.