Читать книгу Exel - Regina + Giuseppe De Facendis - Страница 5

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Es war eine ungewöhnlich warme Sommernacht. Der Vollmond und ein strahlender Sternenhimmel nahmen der Dunkelheit jegliche Beklommenheit und aus den Bäumen ertönte das durchdringende Geräusch zirpender Grillen. Obwohl die entfernten Kirchturmglocken schon vor einer Weile das letzte Mal an diesem Abend geschlagen hatten, war die Temperatur immer noch angenehm, eigentlich eine Nacht zum Wohlfühlen. Aber nur eigentlich, denn es gab jemanden, der all diese angenehmen, positiven Eindrücke der herrlichen Sommernacht nicht wahrnehmen konnte, jemanden, der in diesem Moment nur eines empfinden konnte: und zwar Hass, Hass in höchster Konzentration und ohne jegliche Verunreinigung. Dieses Gefühl war irgendwann in den tiefsten Abgründen seines Ichs entstanden, irgendwann nachdem sie geflohen waren, irgendwann nachdem sie sich getrennt hatten, um ihren Verfolgern zu entkommen. Es waren Tage - oder waren es Wochen? - vergangen seit der Flucht und dieser Hass hatte sich langsam, aber unaufhaltsam an die Oberfläche vorgekämpft. Was konnte der Grund dafür sein? überlegte er anfangs. War etwas Außergewöhnliches geschehen? Aber er suchte nicht wirklich nach einer Antwort auf seine Fragen. Die Intensität des Gefühls war weiter gewachsen, ununterbrochen, von Tag zu Tag, bis hin zur Unerträglichkeit. Seit einiger Zeit fragte er sich nicht mehr, woher dieser unbeschreibliche Hass rührte, er wusste nur mit Bestimmtheit, dass er ihn nicht mehr ertragen konnte, und zwar jetzt, in diesem Moment! Er musste handeln, er musste endlich etwas tun, um sich dieses schrecklichen Gefühls zu entledigen.

Die rechte Hand fest um den Griff einer Axt geschlossen, kauerte er seit geraumer Zeit versteckt im Schatten einer Baumgruppe und beobachtete das Innere eines geparkten Wagens, das durch das einfallende Licht des Mondes beleuchtet wurde. Im Halbdunkel bewegten sich zwei nackte Körper und durch das geöffnete Fenster hörte man die erregten Stimmen der beiden Insassen.

Im Kopf des Beobachters hallte unentwegt der gleiche Refrain wider: schlechte, verdorbene Menschen! Schlechte, verbotene Dinge! Gleich werdet ihr die gerechte Strafe erhalten!

Er kroch aus dem Gebüsch hervor und schlich mit der Axt bewaffnet in gebückter Haltung am Fahrzeug entlang. Dann riss er blitzschnell die Seitentür auf, packte den völlig überraschten nackten Mann am Arm und trennte ihn mit einem Ruck von seiner Partnerin.

„ Hallo, mein Junge! Ich muss euer Stelldichein kurz unterbrechen. Denn heute ist dein Glückstag! Bald wirst du dank meiner Tat in einer besseren Welt, einer Welt ohne Schmutz und Gewalt sein!“

Und während er die Worte aussprach, sauste der tödliche Hieb auch schon auf sein Opfer nieder. Ein Schrei des Entsetzens durchbrach die abendliche Stille. Die Frau versuchte, von panischer Angst getrieben, durch die Tür auf der anderen Seite des Wagens zu entkommen, aber die Hand des Mörders hatte sich bereits wie ein Schraubstock um den Fuß der Flüchtenden gelegt.

Der Angreifer atmete einen Moment tief durch und hielt inne. Ich fühle mich schon besser, irgendwie erleichtert, schoss es ihm durch den Kopf. Jetzt noch die Kleine und mein Problem ist gelöst!

Er schleifte die nackte, um Hilfe rufende Frau aus dem Wageninneren und hielt sie auf dem weichen, mit Moos durchsetzten Rasen des Parks gefangen.

„ Kannst du dir ein bequemeres Plätzchen vorstellen, um deinen Freund ins Jenseits zu begleiten“, sagte er mit erregter Stimme. „ Dankbar solltest du mir sein, meine Liebe! Ich erspare dir Jahre des Leidens, Jahre voller Schmerz und Qual … und bedenke, ich erspare dir den Anblick deines alternden, langsam zerfallenden Körpers.“

Die Frau schlug wild um sich und schrie verzweifelt um Hilfe, aber wer sollte ihr zu dieser nächtlichen Stunde im letzten versteckten Winkel der Parkanlage schon helfen? Warum war sie mit Tommy gerade hierhergekommen? Warum hatten sie den Wagen in diesem verlassenen Punkt des Parks geparkt? Warum waren sie nicht ins Motel am Ende der Stadt gegangen? Die falsche Entscheidung im falschen Moment! Oder Schicksal?

Entsetzt blickte sie ins Antlitz des Mörders. Die zottigen, verschmutzen Haare fielen ungekämmt in sein Gesicht, das durch die langen Bartstoppeln noch ungepflegter wirkte. Dieser abstoßende Mann sollte also ihrem kurzen Leben ein Ende setzen! Das sollte ihr Schicksal sein? Hingemetzelt von einem Kerl, der mit seiner verschlissenen Kleidung und den abgelaufenen Schuhen eher einem armseligen Clochard als einem furchteinflößenden Monster glich? Wie konnte er es wagen, von Glück zu sprechen?

„ Schau dir diese Nacht an ...“, sprach der Mörder grinsend weiter, „ … wie zum Sterben geschaffen: eine warme Sommernacht mit strahlendem Vollmond und traumhaftem Sternenhimmel. Ein echter Sommernachtstraum! Viel zu schön für ein verdorbenes Menschenkind wie dich!“

Die Frau schlug mit letzter Kraft um sich und ihr Schreien wurde immer schwächer. Irgendjemand musste ihr doch zu Hilfe eilen, um sie aus dieser völlig absurden, sinnlosen und irrealen Situation zu befreien!

„ Hör auf zu jammern“, hörte sie ihn sagen. „ Du wirst sehen, gleich geht es dir besser! Oder kennst du einen einzigen Menschen, der aus dem Jenseits zurückgekommen ist, um sich zu beschweren“, wobei er ja nicht ganz unrecht hatte!

Dann sah sie ihn die Axt erheben und zum tödlichen Schlag ausholen. Das war es dann wohl, so half ihr heute Abend doch niemand aus dieser absurden, sinnlosen und irrealen Situation! Gott sei mir gnädig! Sie schloss die Augen und wartete auf den Aufprall der scharfen Klinge und den schrecklichen Schmerz … aber der Schmerz blieb aus.

Als sie nach einigen Sekunden vorsichtig die Augen öffnete, war sie nicht sicher, ob die Todesangst ihr einen Scherz spielte … oder ob Gott ihr wirklich gnädig gewesen war? Die mit der Axt bewaffnete Hand des Mörders war immer noch erhoben, bereit zum tödlichen Schlag, aber sie lag fest in der Hand eines anderen Mannes, eines sehr seltsamen Mannes. Wie Gott sah er eigentlich nicht aus ... na ja, eher göttlich …! Der Retter war zirka zwei Meter groß, hatte einen ausgesprochen athletischen Körper mit breiten Schultern und schmaler Taille. Das mittellange tiefschwarze Haar, dem das einfallende Mondlicht einen fast bläulichen Schimmer verlieh, umspielte die akzentuierten Backenknochen. Seine großen tiefblauen Augen waren von schwarzen Schatten umgeben, die die traurig wirkenden Augen noch melancholischer erscheinen ließen. Der volle Mund und die gerade wohlgeformte Nase rundeten die äußere Erscheinung des Helfers ab und machten ihn zweifellos zu einem schönen, attraktiven Wesen. Wirklich göttlich! Er trug ein anliegendes dunkles Hemd über der engen schwarzen Hose, wodurch die Linien seines muskulösen, jedoch gleichzeitig eleganten Körpers noch mehr zum Vorschein kamen. Die breiten Schultern wurden von einem Umhang bedeckt, der den Oberkörper in lockeren Falten umspielte, wobei die langen athletischen Beine mitsamt der Hose in flachen Stiefeletten endeten, die scheinbar die Form seiner Füße angenommen hatten, so weich und anschmiegsam wirkte ihr Leder.

Überwältigend! schoss es der Dame trotz ihrer nicht gerade angenehmen Lage durch den Kopf. Einen attraktiveren Retter hätte sich nicht wünschen können! Aber warum war er so seltsam gekleidet? Er erinnerte sie an einen … einen? …. ja, jetzt fiel es ihr ein … an einen Balletttänzer, der noch vor wenigen Minuten die Zuschauer mit einem hinreißenden Solo auf der Bühne begeistert hatte. Aber es gab doch gar kein Theater in der Nähe!?!

Als gäbe es nicht wichtigere Dinge, auf die sie sich momentan konzentrieren sollte! Und so kehrte sie, wenn auch ungern, in die weiterhin irreal wirkende Realität zurück.

„ Kann man denn abends nicht mehr in Ruhe im Park spazieren gehen, ohne gleich auf einen Verrückten zu stoßen?“ ertönte die ruhige Bariton Stimme des Hünen. “ Einen Verrückten, der nichts Besseres zu tun hat, als junge Pärchen niederzumetzeln … und dann auch noch als Landstreicher verkleidet! Lieber Himmel, welche Geschmacklosigkeit!“ fügte der Retter mit trockenem Humor hinzu. Dann lockerte er seinen Griff und stieß den Mörder unsanft von sich. Dieser strauchelte und schnappte gierig nach Luft, um seine leeren Lungen erneut mit Sauerstoff zu füllen. Kaum war er zu Atem gekommen, drehte er sich seinem Angreifer zu und erwiderte spöttisch:

„ Unglaublich! Du wagst es, mein Aussehen zu kritisieren? Hast du dich einmal im Spiegel betrachtet?“ krächzte der Mann und tastete mit der Hand nach seinem malträtierten Kehlkopf. „ Was willst du denn verkörpern, mit diesen schwarzen Strumpfhosen und dem hübschen Mäntelchen, etwa den Helden einer tragischen Oper? Wie kann jemand wie du es wagen, von Geschmacklosigkeit zu reden?“

Die nackte Frau, das fast Opfer, hatte die Szene zunächst freudig überrascht und dann mit wachsender Unruhe beobachtet und sah nun völlig verwirrt abwechselnd von einem zum anderen der beiden Männer. Sollte denn diese absurde Situation gar kein Ende finden? Für einen Augenblick hatte sie sich in Sicherheit gewiegt, hatte gehofft, dass der aus dem Nichts aufgetauchte Riese den Mörder bezwingen würde, um sie dann auf seinen kräftigen Armen an einen geschützten Ort zu bringen. Aber nach dem eben vernommenen Wortgefecht wollte sie nur noch fliehen, weg von diesen beiden Verrückten! Irgendwo auf dieser Erde musste doch trotz der späten Abendstunde noch ein normaler Mensch zu finden sein! Sie raffte sich auf und rannte einfach los, nackt und ohne sich noch einmal umzublicken.

„ Mach dich bitte nicht über meinen Umhang lustig!“ nahm der Riese den Wortwechsel auf, nachdem die Frau in der Dunkelheit verschwunden war. „Dieser Umhang unterscheidet uns Gute von den Bösen. Oder hast du jemals einen wahren Helden ohne Umhang gesehen? Und da du selbst, wie ich sehe, keinen Umhang trägst, musst du wohl zu den Bösen gehören, was deine grausame Tat auch bezeugt. Und weißt du, was ich in der Regel mit den Bösen mache? Ich breche ihnen das Genick und zwar im wahrsten Sinne des Wortes“, sprach er und ging langsam auf seinen Gegner zu.

„ Halt, halt!“ unterbrach ihn der am Boden Liegende und hob abwehrend die Hand. „ Sei doch nicht so gemein zu den Bösen. Wenn du es dir richtig überlegst, könntest du ohne uns Böse kein Guter sein und dürftest den Umhang der Guten nicht tragen. Um gut zu sein, brauchst du einen Bösen! Und daher ist die einzig mögliche Schlussfolgerung: ihr Gute könntet ohne uns Böse gar nicht existieren!“

„ Das hast du schön gesagt, Kompliment! Aber was erwartest du nun von mir?“ fragte der seltsame Retter. „ Doch etwa nicht, dass ich dich laufen lasse? Tut mir leid, das geht auf keinen Fall. Du weißt sicher, dass die Guten die Bösen niemals entkommen lassen!“

„ Tja, da muss ich dir leider Recht geben“, bestätigte sein Gegenüber, „ aber du hast bestimmt schon gesehen, dass Gute und Böse sich in den entscheidenden Szenen bis auf den letzten Atemzug bekämpfen“, erwiderte der Mörder und tastete mit einer Hand nach der Axt hinter seinem Rücken. Dann sprang er blitzschnell auf die Beine und begann, in leicht gebückter Angriffsstellung auf seinen Gegner zuzugehen.

„ Komm schon, mein Lieber, wehre dich nicht allzu lange, ich muss mich noch etwas abreagieren, da du mir den Spaß mit der Dame verdorben hast. Lass dir doch ein Bein abhacken, ich verspreche dir auch, dass es bei einem einzigen bleiben wird“, sagte er und holte zum Schlag aus.

„ Ein Bein willst du? Wenn das alles ist … das kannst du gerne haben!“ erwiderte der vermeintliche Balletttänzer und setzte zum Sprung an. Explosiv, aber gleichzeitig mit unglaublicher Eleganz hob er nach einer Pirouette vom Boden ab und traf den bewaffneten Arm des Angreifers mit dem gestreckten Bein. Die im Ansatz geschmeidig und spielerisch wirkende Bewegung machte im nächsten Moment absoluter Präzision und geballter Kraft Platz. Der Mann strauchelte, getroffen von der Gewalt des Aufpralls, verlor die Waffe, überschlug sich auf dem Boden und lag einige Sekunden später bäuchlings unter dem Riesen, der ihn mit dem Gewicht seines Körpers gefangen hielt.

„Weißt du, mein Lieber, vielleicht bin ich doch nicht so gut, wie ich aussehe!“ murmelte der Sieger des Zweikampfes mit einem traurigen Lächeln.

„ … und dein Umhang?“ fügte der am Boden Liegende mit einem letzten Rest an Galgenhumor hinzu.

„ Manchmal trügt der Schein! Vielleicht hatte ich nur etwas Stoff übrig und dachte, dass ein Umhang mich gut kleiden würde“, erhielt der Mörder zur Antwort. „ Aber nun genug geplaudert, nun muss ich als Guter meine Pflicht erfüllen. Niemand soll mir nachsagen, dass ich meine Versprechen nicht einhalte. Du erinnerst dich doch, was ich vorhin über dein Genick gesagt habe?“ fuhr der seltsam gekleidete Mann fort. „ Bevor ich dich, wie du sagtest, von dieser Welt voller Schmutz und Gewalt erlöse, erlaube mir, dass ich mich vorstelle: mein Name ist Exel!“

Dann nahm er den Kopf des unter ihm liegenden Mannes in beide Hände und löste sein Versprechen ein! Gerne tat er dies nicht, aber es war die einzige Möglichkeit, um diese Wesen definitiv unschädlich zu machen.


Kurze Zeit später beobachtete Exel, versteckt im Gipfel eines nahestehenden Baumes, den Schauplatz, auf dem er kurz zuvor selbst die Hauptrolle gespielt hatte. Die Scheinwerfer mehrerer Streifenwagen erleuchteten den Tatort, an dem die beiden leblosen Körper in geringem Abstand voneinander auf dem Boden lagen. Der Pathologe war bereits vor Ort und der Polizeifotograph hatte begonnen, Routine gemäß seine Aufnahmen zu machen. Um der Spurensicherung die Arbeit zu erleichtern, war das gesamte Gelände abgesperrt worden, damit die trotz der späten Stunde eintreffenden Schaulustigen nicht eventuelle Spuren oder Fingerabdrücke verwischen konnten. Der Tod schien auf gewisse Menschen eine Art Faszination auszuüben, besonders wenn er in gewaltsamer Form hervorgerufen wurde, vorausgesetzt, dass die Neugierigen nicht als Akteure, sondern nur als Zuschauer beteiligt waren!

Die nackte Frau stand eingehüllt in einer Decke zwischen den Streifenwagen und sprach mit einem Officer.

„ Ja, das ist der Verbrecher, der uns angegriffen hat“, sagte sie schluchzend und zeigte auf einen der beiden Toten. „ Dann ist ein zweiter seltsam gekleideter Mann aufgetaucht, der mich gerettet hat. Aber für Tommy, ach mein armer Tommy … “, und erneut wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Der Officer stellte noch einige Fragen, protokollierte die Aussagen der Zeugin und wandte sich dann seinen Kollegen zu.

„ Das ist nun schon der sechste in diesem Monat!“ sagte der Pathologe etwas später zum Officer „ Da wird sich dein Chef freuen!“

Es war die sechste Leiche, die er in den letzten Wochen am Tatort untersucht hatte und dessen Genick ohne weitere Gewalteinwirkung gebrochen war. Wären die sechs Opfer nicht jedes Mal während der Ausübung einer Gewalttat getötet worden, nämlich als sie im Begriff waren, junge Pärchen niederzumetzeln, hätte er von einem Serienmörder gesprochen. Aber da dies nicht der Fall war, konnte er nur eine vage Vermutung äußern.

„ Vielleicht handelt es sich um den Kampf zweier verfeindeter Banden!“

„ Du hast es fast erfasst, aber nur fast ….“ dachte Exel versteckt im dichten Blätterwerk des nahestehenden Baumes.

Exel

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