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Kapitel III

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Er suchte in seinem Chaos die Wedekind-Ausgabe. Die hatte er als Student in einer Frankfurter Buchhandlung geklaut. Und wie sie jetzt so vor ihm lag, hatte er immer noch ein schlechtes Gewissen. Er steckte das Buch in die Tasche und fuhr zu Anja. Die war beschwipst, hatte drei Prosecco getrunken. Björn war das unangenehm. Wenn jetzt was passieren würde, und sie in diesem Zustand. Aber es war ja schon was passiert. Also... Er setzte sich auf die Couch und berichtete von seinem Date mit der Seibold. Anja schwang sich auf seinen Schoß: „Du bist ja ein richtiger Frauenheld. Nicht, dass die Alte dich mir ausspannt!“ Sie lachte und küsste Björn. „So, und jetzt spielen wir Frühlings Erwachen. Das blöde Buch von dem Wedebim brauchen wir nicht. Das krieg ich schon so hin!“ Als Björn sich verabschiedete, war es schon zwei Uhr in der Früh. Um acht begann die erste Unterrichtsstunde, noch einmal Deutsch in der 12b! Björn legte sich, so wie er war, ins Bett und schlief sofort ein. Kurz vor halb acht wachte er auf, duschte schnell und machte sich auf den kurzen Weg zur Schule. Frühstück gab's heute nicht. Als er vor der Klasse stand, fiel ihm ein, dass sie heute wieder über Wedekinds „Frühlings Erwachen“ sprechen wollten. Aber wo war das Buch? Er hatte es bei Anja liegen lassen. Jetzt wurde es stressig. Anja grinste frech aus der ersten Reihe. Björn wollte sich setzen. Aber was lag da auf seinem Stuhl? Das Wedekind-Buch. Björn schaute zu Anjarüber, die siegessicher grinste.

Dagmar Seibold wohnte in einem schmucken Appartement mit Blick ins Grüne. Sie war Oberstudienrätin, Geografie und Französisch, seit sechs Jahren leitete sie das Gymnasium. Sie kam aus Straßburg, war aber in Wolfsburg aufgewachsen. Neun Jahre war sie mit einem Rechtskundler verheiratet gewesen. Kinder hatte sie keine. Sie lebte eher zurückgezogen, hatte auch keinen Partner. Sie traf sich zweimal im Monat mit ein paar Freundinnen zum Bridge-Abend, manchmal gingen sie nachher in die Kneipe. Und sie hatte ein Theater-Abo. Als Björn vor fünf Jahren an das Gymnasium kam, hatte er sofort gespürt, dass sich Dagmar Seibold für ihn interessierte. Aber er war nicht darauf eingegangen. Seitdem neigte Frau Seibold dazu, ihn zu mobben. Und dieser Termin jetzt hatte von beidem etwas: Ihn als Koordinator für das Schulfest einzusetzen, war Mobbing, denn sie wusste genau, das Björn solche offiziellen Sonderaufgaben hasste. Und die andere Seite war der Versuch, Björn doch noch einzufangen. Entsprechend lustlos fand sich Björn bei ihr ein. Dagmar Seibold hatte sich herausgeputzt, trug einen schicken schwarzen Hosenanzug, war stark, aber nicht zu grell geschminkt. Björn dachte: „Wenn ich zwanzig Jahre älter wäre, könnte sie mir schon gefallen.“ Frau Seibold servierte Rotwein, einen teuflisch guten Rotwein, und legte eine Celentano-CD auf. „Ich hoffe Sie mögen Celentano und italienische Musik. Ich bin eine große Italien-Verehrerin. Rom, Florenz, Venedig... In den letzten Jahren bin ich leider nicht mehr dort gewesen. Kennen Sie Italien?“ Björn nahm einen Schluck Wein: „Nicht so richtig. Ich war mal zwei Wochen am Gardasee, von dort bin ich nach Venedig und Verona. Und ich war zwei Wochen an der Adria, Lido di Pomposa. In der Nähe liegt Ravenna.“ Sie setzte sich in einen der klobigen Ledersessel: „Ich war ja neun Jahre verheiratet. Mein Mann war Jura-Prof an der Bonner Uni und auch ein Italien-Liebhaber. Aber jetzt, allein...“ Und sie schaute Björn mit einem, wie er fand, flehenden Blick an. Nein, er würde jederzeit mit Anja nach Italien fahren, aber nicht mit der Seibold. „Wir wollten doch über das Schulfest sprechen“, versuchte er dem Gespräch eine Wende zu geben. Frau Seibold lächelte: „Wollten wir das? Ja, die Schule. Mein Leben besteht inzwischen nur noch aus Schule. Ich bin dabei, eine schrullige, vertrocknete Direktorin zu werden.“ Das konnte und wollte Björn jetzt nicht so stehen lassen: „Sie sind doch eine attraktive Frau.“ Dagmar Seibold hatte offensichtlich das richtige Register gezogen. „Aber Herr Aumann...Sie schmeicheln mir. Ein solches Kompliment habe ich schon lange nicht mehr zu hören bekommen. Aber wir sollten nicht so förmlich sein. Ich heiße Dagmar und Sie Björn, also auf gute Zusammenarbeit.“ Diese Runde ging glatt an Dagmar. Sie unterhielten sich über Politik, über das Schulsystem und übers Theater, nur nicht über das Schulfest. Inzwischen waren sie bei der zweiten Flasche Wein angelangt und von der CD kam jetzt Umberto Tozzi. Dagmar hatte plötzlich auch ein Tablett mit Schinken- und Salami-Häppchene zur Hand, dazu Oliven und marinierte Pilze. Björn begann sich wohl zu fühlen, und der Wein... Er war auf direktem Weg in ein weiteres Liebesabenteuer. Er war offensichtlich zum Frauenhelden mutiert, dabei fing doch einmal alles damit an, dass er über Frauenmörder nachgedacht hatte. Auch die zweite Runde ging an Dagmar. Dann der K.o.! Dagmar setzte sich zu ihm auf die Couch und gestand augenzwinkernd, dass sie beschwipst sei, und legte die Hand auf seinen Oberschenkel. Sie rückte näher, die Hand glitt nach oben und sie hauchte: „Komm, küss mich!“ Am nächsten Morgen geriet in der Schule alles in Unordnung. Der Lehrer Björn Aumann erschien nicht. Und Direktorin Seibold auch nicht! Die Seibold meldete sich um zehn: Sie sei erkrankt. Wäre aber morgen wieder an Bord. Um halb elf rief Björn an: Er hätte Magen-Probleme, wäre aber morgen wieder in Einsatz. Nur Anja ahnte, was wirklich passiert war.

Als Björn am späten Mittag nach Hause kam, fühlte er sich unwohl. Was sollte er mit diesem seltsamen Doppelverhältnis? Er war doch ein Typ, der seine Ruhe haben wollte, auch wenn ihn schon mal die Langeweile plagte. Gegen sechs rief Anja an: „Na, wie ist die alte Seibold im Bett? Ihr müsst es ja heiß getrieben haben, dass ihr beide krank geworden seid.“ Björn war das peinlich. „Wer sagt denn...“ Anja unterbrach ihn: „Jetzt spiel nicht das Unschuldslamm. Wie wär's mit ein bisschen Wedekind-Nachhilfe bei mir, in einer Stunde? Oder kriegst du das körperlich nicht mehr hin?“ Björn versprach, vorbei zu kommen. Obwohl: Lust verspürte er keine. Anja war gut drauf, servierte eisgekühlten Prosecco. „Los, erzähl mal, wie ihr es gemacht habt... vaginal, oral oder von hinten? Zier dich nicht, raus mit der Sprache!“ Björn verschluckte sich: „Nicht... Stell dir mal vor, ich würde ihr alles von uns erzählen.“ Aber damit hatte Anja kein Problem: „Mach doch! Ich bin auf jeden Fall französisch besser als sie, obwohl ich nur eine vier habe und sie Französisch-Lehrerin ist. Das kannst du doch bestätigen. Oder?“ Björn dachte: „Bin ich denn in einem Porno gelandet?“ Er versuchte, das Thema zu wechseln. „Sie steht auf Italien.“ Anja überraschte dieser abrupte Themenwechsel: „Wie kommst du jetzt auf Italien? Macht sie es etwa italienisch? Da weiß ich aber gar nicht, wie das geht.“ Björn war ratlos: „Denkst du eigentlich immer nur an Sex?“ Anja knöpfte sich etwas pickiert die Bluse bis zum Hals zu: „Nein, nicht immer!“ Jetzt musste Björn lachen: „Weiß du, warum ich dich mag? Du bist so unberechenbar, direkt – und ein bisschen verrückt.“ Anja schnitt eine Grimasse: „Nicht, dass der Herr sich noch in mich verliebt!“ Björn schenkte Prosecco nach: „Wer weiß?“ Eine Äußerung, die ihn allerdings erschreckte. Sie sprachen nicht mehr über die Seibold, aber über Italien. Und Anja hatte eine Idee: „Bald sind Herbstferien. Wir könnten eine Woche nach Italien fahren. Finanziell ist das kein Problem. Mama gibt mir gern das Geld, wenn sie weiß, dass sie dann erst mal wieder Ruhe hat vor mir. Wir fahren aber nicht mit deinem mickrigen Punto. Wir fliegen einfach nach Rom und nehmen uns dort einen Leihwagen. Ich ruf gleich morgen Mama an.“ Björn ging das alles zu schnell: „Gut ,Italien, aber...“ Anja war beleidigt: „Ich weiß schon, was du denkst. Ich bin zu jung, oder du bist zu alt... Ich geh aber glatt für 20 durch und kann mich auch entsprechend benehmen – wenn ich will. Ich bin gut erzogen und weiß genau, wie man damenhaft die Suppe löffelt.“ Ja, genau diese Unbekümmertheit und Schlagfertigkeit... Er würde gern mit Anja nach Italien fahren. Anja hatte noch eine Idee: „Ich möchte mal wieder ins Kino. Morgen läuft in der Spätvorstellung ein schon etwas älterer, aber sicher interessanter Film über den Frauenmörder von Paris. 22.45 Uhr im 'Cinema'. Und anschließend gehen wir dann zu dir. Du wohnst doch da in der Gegend.“ Björn fühlte sich plötzlich verunsichert. „Der Frauenmörder von Paris“, es gab doch unzählige spannende Filme. Warum musste es gerade ein Film über den Frauenmörder von Paris sein? „Tut mir leid. Morgen kann ich nicht“, erklärte er. „Hast du Termin bei der Seibold?“ fragte Anja und lachte. Björn schüttelte den Kopf. Björn blieb diesmal nicht allzu lange bei Anja. Um halb eins zog er sich wieder an und machte sich auf den Heimweg. „Der Frauenmörder von Paris“ ging ihm nicht aus dem Kopf. Zu Hause schaltete er den Computer ein und schaute bei Google unter „Frauenmörder“ nach. Und er fand den Spielfilm über den Frauenmörder von Paris, Regie: Claude Chabrol. Es ist die Geschichte des Henri Désiré Landru, der zehn betuchte Frauen umgebracht haben soll, 1922 verhaftet und 1924 hingerichtet wurde. Gestanden hatte er allerdings nicht. „Interessant“, dachte Björn. Vielleicht sollte er sich doch diesen Film ansehen – mit Anja. Aber, dass sie nachher mit zu ihm nach Hause wollte, behagte ihm gar nicht. Das war ihm zu intim! Seine Junggesellen-Bude gehörte ihm ganz allein. Doch der Film... Aber er könnte doch versuchen, sich mit Dagmar Seibold den Film anzusehen. Ein Chabrol-Film wäre doch ein gutes Argument für eine Verabredung. Oder er ginge allein ins Kino. Nein, diesen Frauenmörder-Film musste man sich in weiblicher Gesellschaft ansehen! In der Pause fragte er Dagmar Seibold, lud sie ein. Sie war hocherfreut, mit solch einer Einladung hatte sie nicht gerechnet, dass Björn jetzt so initiativ wurde, machte sie glücklich. Und dann auch noch ein Chabrol-Film...

Und so saßen die beiden in der Spätvorstellung und sahen sich den „Frauenmörder von Paris“ an. Der Film war indes ganz anders, als von Björn erwartet. Es war kein Thriller, sondern ein chabrol-ironisches Werk mit Doko-Szenen aus dem Ersten Weltkrieg. Dennoch faszinierte ihn dieser Mörder. Auch Dagmar war beeindruckt, so sehr, dass sie nach dem Kino meinte: „Der Film hat mich ganz schön aufgeregt. Du wohnst doch hier zwei Straßen weiter und hast bestimmt auch einen guten Rotwein.“ Es stimmte ja, auch das mit dem Rotwein. „Bei mir herrscht aber absolutes Chaos!“ versuchte er sich noch zu retten. Dagmar lachte aber: „Das stört mich nicht. Wir dürfen uns morgen nur nicht wieder verschlafen!“

Am Frühstückstisch hatte dann auch Dagmar eine Idee: „Demnächst sind doch Herbstferien. Wir könnten zusammen nach Italien fahren. Wie wär's?“ Das zweite Reiseangebot! Björn dachte: „Ich könnte ja mit beiden nach Italien fahren – oder ich fahre einfach allein an die Nordsee.“ Dagmar erwartete eine Antwort: „Sag schon...“ Björn stand auf: „Mal sehen. An sich wollte ich meinen Bruder in Saarbrücken besuchen!“ In der Schule blieb Anjas Platz leer. Björn machte sich Sorgen. Und er war ungehalten, weil er sich jetzt schon um Anja sorgte. In der Pause rief er sie an. Sie war noch ganz verschlafen: „Ich hab's heute leider nicht geschafft. Du wolltest ja gestern nicht mit mir in den Frauenmörder-Film. Da musste ich mich anderswo vergnügen. Und das war ganz schön anstrengend. Gleich fahre ich aber zu meiner Mama wegen unserer Reise. Am besten finanziert sie dich gleich mit. Ich sag ihr, du wärst ein armer Student. Das klappt schon!“ Björn hätte jetzt gern dagegen gesprochen. Es fiel ihm aber nichts ein. Nur: „Ich muss Schluss machen. Bis dann!“ Auf dem Nachhauseweg am frühen Nachmittag fühlte sich Björn sehr belastet. Anja ging davon aus, dass er mit ihr verreise – und Dagmar auch. In beiden Fällen hatte er nicht zugesagt, aber auch nicht „nein“ gesagt. Er war ein Feigling. Das stand fest!i An der Ecke spielte ein Straßenmusikant auf dem Akkordeon die „Caprifischer“. Ja, Italien..... Als am Abend das Telefon klingelte, wusste Björn sofort, dass er sich nun entscheiden müsse. War es Anja oder Dagmar? Es war Anja, und es gab an sich gar nichts mehr zu entscheiden: „Wir fliegen am 7. um 10.30 Uhr nach Rom. Einen Leihwagen habe ich auch sofort gebucht!“ Das bedeutete: Er musste Dagmar Seibold einen Korb geben – weil er als „armer Student“ mit Anja nach Italien fuhr. Den Korb gab es am nächsten Morgen im Büro. „Es tut mir leid, aber ich muss mit meinem Bruder in Saarbrücken etwas Familiäres regeln!“ Dagmar war enttäuscht: „Ich soll einfach nicht mehr nach Italien kommen!“

Der 7. war ein Samstag. Freitag letzter Schultag. Am Abend fuhr Bjön mit seiner Reisetasche zu Anja, die sich gut gelaunt zeigte. „Morgen um diese Zeit sitzen wir schon irgendwo am Meer. Mama meinte, wir sollten unbedingt nach Capri fahren.“ Björn wollte sein Flugticket bezahlen. Aber Anja lachte: „Alles erledigt. Du bist ein mittelloser Student. Und ich lade dich ein.“ Er sollte sich von einer 18-jährigen Schülerin aushalten lassen? Das bereitete ihm Bauchschmerzen. Und überhaupt: So richtig freuen konnte er sich nicht auf diese Reise. Aber Anja hatte noch etwas anderes vor: „Wir müssen heute mit dem Frühlingserwachen früher anfangen. Sonst verpennen wir uns morgen.“

Frauenmörder

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