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Kapitel IV

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Sie trafen rechtzeitig am Flughafen ein. Es regnete. Die Maschine startete pünktlich. Zweieinhalb Stunden später landeten sie in Rom-Fiumicino und wurden von goldenem Herbstwetter und 25 Grad Wärme empfangen. Die Sache mit dem Leihwagen war schnell geregelt. Sie fuhren auf die Autobahn Richtung Süden, Richtung Napoli. „Die fahren hier ja wie die Verrückten“, stellte Anja fest. Dem konnte Björn nur zustimmen. Überall Gedränge, Gehupe, Ausflugshektik – und über allem lagen die neuesten italienischen Hits aus dem Radio, das Anja bis zum Anschlag aufgedreht hatte. Das Navi funktionierte nicht. Aber Anja fand im Handschuhfach eine Straßenkarte. „Wir sind jetzt auf der Autobahn nach Neapel. Die führt aber nicht direkt ans Meer. Lass uns abfahren. Ich will endlich das Meer sehen.“ So gelangten sie in das malerische Hafenstädtchen Gaeta. Sie gingen zum Strand und setzten sich in eine der zahlreichen Bars. Anja zog die Macho-Blicke der ragazzi auf sich – und genoss sie. „Die gucken ja ganz schön dreist“, bemerkte sie. „Aber keine Angst. Die sind chancenlos.“ Sie streichelte zärtlich Björns Arm: „Ich hab ja meinen Lehrer!“ Björn machte das stolz. Aber er fragte sich auch, was diese attraktive 18-Jährige eigentlich an ihm finde. Er war nicht jung, nicht schön und auch nicht wohlhabend. Hotels gab es reichlich in Gaeta. Anjas Wahl fiel zielsicher auf das beste Haus am Platze. Nun musste Björn nach einem Doppelzimmer fragen, eine peinliche Situation, wie er fand, zumal der Mann an der Rezeption die ganze Zeit Anja anschaute und zuckersüß lächelte. Sie bekamen ein schönes Zimmer im ersten Stock. Gediegene Ausstattung, Meerblick. Anja warf sich aufs Bett: „Hier lässt es sich leben. Komm her! Mal sehen, ob sich Amore anders anfühlt als die gute alte deutsche Liebe.“


Sie saßen im Restaurant. Anja hatte sich schick gemacht, trug keine Jeans mehr, sondern einen kastanienfarbenen knielangen Rock. Gerade war der zweite Gang serviert worden, als zwei kräftig gebaute Männer das Restaurant betraten und zum Tisch gegenüber gingen, an dem ein unscheinbarer Mann mittleren Alters saß. Er erschrak, als ihm der eine Mann seinen Ausweis zeigte und der andere ihn am Oberarm packte. Jetzt standen auch zwei uniformierte Polizisten in der Tür. Der Festgenommene wehrte sich nicht, schaute zu Boden und wurde abgeführt. Anja fand das ausgesprochen spannend. „Das ist ja wie im Film hier!“ Als der Kellner abräumte, fragte ihn Björn, was denn passiert sei. Der Kellner faltete die Hände: „Finalmente, endlich! Er in Roma zwei donne kaputt gemacht. Zuerst amore, dann zack!“ Seine Handbewegung sagte alles. Der Mann hatte die Frauen umgebracht. Ein Frauenmörder! Björn bestellte einen doppelten Grappa! In der Nacht träumte er, dass er auf dem großen Platz am Hafen öffentlich hingerichtet werden sollte. Bevor der Henker kam, wurde das Urteil verlesen: „Björn Aumann wird wegen zweifachen Frauenmordes zum Tode durch den Strang verurteilt.“ Die Menge johlte. Anja, sie stand vorn in der ersten Reihe, johlte kräftig mit, schrie: „Den kenn ich aus der Schule.“ Dann kam der Henker auf ihn zu, nein es war eine Frau, Dagmar Seibold... Bjön wachte schweißgebadet auf und holte sich aus der Zimmerbar ein Mineralwasser. Anja bekam davon nichts mit. Sie schlief tief und fest.

Am Frühstückstisch brachte Anja das Gespräch noch mal auf die Verhaftung des Frauenmörders:„Ganz schön gruselig. Dabei sah der Mann absolut harmlos aus. So wie du! Vielleicht bist du ja auch ein Frauenmörder!“ Anja lachte, Björn blieb der Toast im Halte stecken. Sie entschlossen sich, nach Neapel zu fahren und dann mit dem Schiff nach Capri. Ein Entschluss, den Björn fluchend bereute, als sie im napoletanischen Verkehrschaos den Weg zum Hafen suchten. Anja war begeistert: „Hier ist ja echt was los. Ganz anders als bei uns auf der Berliner Allee oder der Kö.“ Für Björn war es Stress pur. „Nur gut, dass wir das Auto nicht mit nach Capri nehmen können“, versuchte er sich zu beruhigen. Im Hafen war das Chaos noch größer. Sie suchten verzweifelt einen bewachten Parkplatz, dann den Fahrkatenschalter, den es gar nicht gab. Dafür wurden ihnen preiswerte Luxus-Uhren angeboten. Die „Rolex“ für 50 Euro, ein echtes Plagiat, hergestellt in Asien, in Napoli zollfrei an Land gespült. Schließlich saßen sie im Schnellboot nach Capri, und der ganze Stress war vergessen. Sie fanden ein malerisches Hotel unweit des Hafens, das an einem Felsen zu kleben schien. Vom Zimmer aus blickte man auf das azzurblaue Meer, die Fenster waren geöffnet, ein leichter Wind bewegte die zurückgezogenen Vorhänge im Takt des späten Nachmittags. „Meine Mama hatte schon Recht: Capri ist wunderschön“, stellte Anja fest. Im Restaurant hatten sie freie Tischwahl, sie waren die einzigen Gäste. Sie nahmen einen Tisch am Fenster, das jetzt geschlossen war, denn im Oktober sind auch auf Capri die Abende schon kühl. Sie aßen Spaghetti mit Polyp und eine mächtige „Frittura del Golfo“, frittierten Fisch, und tranken Weißwein von der Nachbarinsel Ischia. Plötzlich stutzte Anja und wurde kreidebleich: „Ich glaub es nicht! Dreh dich jetzt nur nicht um. Da hinten hat sich eine Frau an den Tisch gesetzt. Nicht irgendeine Frau, sondern unsere Frau Seibold!“ Björn legte die Gabel aus der Hand und grinste: „Ein Scherz! Ich muss sagen: ein dummer Scherz!“ Aber Anjas Gesicht zeigte unmissverständlich, dass sie nicht scherzte. „Die Seibold wollte nach Italien, mit mir nach Italien...“, erklärte er. Jetzt grinste Anja: „Das ist ihr ja irgendwie geglückt!“ Ob sie denn in Begleitung sei, wollte Björn wissen. „Nein! Sie sitzt da ganz allein an ihrem Tisch. Wir können sie zu uns rüber bitten.“ Björn wusste nicht, ob das ernst gemeint sei. „Nur nicht! Sie darf uns hier nicht sehen.“ Die Chance nicht gesehen zu werden, war allerdings gering. „Was sollen wir machen?“ fragte Anja schon etwas aufgeregt. „Wenn wir jetzt raus gehen, muss sie uns sehen.“ Sie bestellten noch eine Flasche Wein und versuchten, sich so klein wie möglich zu machen. Zum Glück hatte Dagmar Seibold keinen großen Appetit. Sie aß eine kleine Portion von den Hummer-Ravioli, trank ein Mineralwasser und verschwand wieder. Geschafft! Björn und Anja waren unerkannt geblieben, aber sie hatten das Gefühl, nun zu dritt unterwegs zu sein. Björn hatte wieder eine unruhige Nacht. Dass Frau Seibold aufgetaucht war.... Schicksal? Diese Frage stellte er sich immer wieder.


Ein leerer Frühstücksraum. Aber schräg gegenüber standen auf einem Tisch noch Tasse und Teller. Wahrscheinlich hatte Frau Seibold schon gefrühstückt. „Was sollen wir sagen, wenn wir sie gleich irgendwo treffen?“ fragte Anja. „Die Insel ist klein. Da läuft man sich zwangsläufig über den Weg.“ Björn nahm sich noch ein cremegefülltes Frühstückshörnchen: „Ich versinke im Erdboden, wenn wir sie treffen. Ich habe ihr gesagt, ich würde meinen Bruder in Saarbrücken besuchen“, erklärte Björn. Anja lachte: „Nach Saarbrücken sieht das hier aber nicht aus. Und als dein Bruder gehe ich auch nicht durch.“


Sie fuhren mit der Zahnradbahn rauf ins Zentrum von Capri. Das Wetter war umgeschlagen. Der Himmel hatte ein dunkles Blaugrau angenommen, und es ging ein starker Wind. Die Schnellboote hatten bereits ihren Dienst eingestellt. Nur noch ein alter Dampfer fuhr rüber nach Napoli. Sie schlenderten durch die engen Gassen, nahmen den Wetterumschwung gelassen hin. Frau Seibold hatten sie fast schon vergessen. Doch dann zupfte Anja plötzlich an Björns Arm: „Achtung, da ist sie! Drüben an der Nobel-Boutique. Jetzt geht sie rein. Weißt du was? Ich gehe jetzt rüber – und spreche mit ihr von Frau zu Frau!“ Und schon war sie weg. Björn war vollkommen verunsichert und rettete sich in die Bar ein paar Häuser weiter, bestellte einen doppelten Brandy.


„Das ist ja ein Ding! Frau Seibold hier auf Capri. Ich halte es nicht für möglich!“. Dagmar Seibold drehte sich ganz cool um: „Frau Olsen, wo haben Sie denn Ihren Freund gelassen?“ Mit dieser Kaltblütigkeit und Frage hatte Anja nicht gerechnet. „Welcher Freund?“ Frau Seibold lachte, und auch Anja musste jetzt lachen: „Sie meinen Björn Aumann! Der müsste draußen irgendwo im Erdboden versunken sein.“ Die Verkäuferin unterbrach das Gespräch, das Thema Björn war erst mal beiseite gelegt. Jetzt ging es um was Schickes für Herbst und Winter. Draußen verabschiedete sich Anja mit der Einladung: „Wir können ja heute Abend zusammen im Hotel essen. Sagen wir, gegen acht.“ Dagmar Seibold schien sich über die Einladung zu freuen: „Gern! Aber bringen Sie Ihren Freund mit.“ Als Björn Anja sah, winkte er, sie kam in die Bar, bestellte einen Espresso und erzählte, was gerade passiert war. „Ich finde, die Seibold ist gar nicht so übel.“ Als Anja dann das gemeinsame Abendessen ankündigte, brauchte Björn noch einen doppelten Brandy. Anja hatte sich in der Boutique nicht nur mit Frau Seibold unterhalten, sondern auch einen schönen Missoni-Pullover gekauft – für 300 Euro! „Gut, dass ich seit meinem Geburtstag eine eigene Kreditkarte habe“, freute sich Anja. „Ich denke mal, Papa wird mein Konto schon wieder auffüllen.“ Björn hatte das Gefühl, ihm wachse alles über den Kopf.


Sie waren wieder im Hotel. Anja präsentierte ihren neuen Pullover – und das Gespräch kam auf Frau Seibold. „Mir ist das peinlich. Ich hab sie doch angelogen. Das verzeiht die mir nie“, stelle Björn fest. „Und wenn ich an meinen Job denke. Mit 'ner Schülerin auf Capri, das gibt doch Ärger!“ Anja sah kein Problem: „Warte es doch mal ab. Es lässt sich ohnehin nicht mehr ändern. Und jetzt schauen wir, was sie macht. Zur Not bringst du sie einfach um, du alter Frauenmörder!“ Sie stürzte sich lachend auf Björn, der sich abgelegt hatte, und ließ ihm keine Möglichkeit, noch etwas zu sagen. Gern wäre Björn auf dem Zimmer geblieben, hätte das Abendessen einfach ausfallen lassen. Aber das hätte Anja niemals zugelassen. Als sie ins Restaurant kamen, saß dort schon Frau Seibold: „Herr Aumann, pardon, Björn... Was macht eigentlich dein Bruder in Saarbrücken?“ Genau so hatte sich Björn das vorgestellt: Sie würde ihn mobben, versuchen, lächerlich zu machen. Aber da war ja noch Anja: „Er hat mich seinem Bruder vorgezogen. Ist doch verständlich. Oder?“ Das saß und schaffte ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte und Zeit, die Karte zu studieren. „Mein Mann hat in Italien immer spada, Schwertfisch gegessen. Sehr zu empfehlen“, erklärte Dagmar Seibold. Leider stand kein Schwertfisch auf der Karte. Sie nahmen Thunfisch. „ Ich bin am Sonntag nach Neapel geflogen“ , erzählte Frau Seibold. „Capri ist für mich etwas ganz Besonderes. Hier waren wir in den Flitterwochen.“ Anja stellte fest: „Ich finde, man sollte Lehrerinnen und Lehrer immer auch privat kennen lernen. Die sind dann ganz anders, netter und ungezwungener als in der Schule.“ Björn fragte sich: „Was mag sie jetzt denken, die Seibold?“ Privat kennen lernen... Mit Anja, das war schon sehr privat! „Seid Ihr eigentlich schon lange zusammen?“ wollte Dagmar Seibold wissen. Anja schaltete schnell: „Erst drei Wochen. Ich bin ja schon eine alte Frau. Im Mai bin ich 18 geworden.“ Wieder ein Volltreffer. Björn bekam feuchte Hände. Er versuchte, das Gespräch auf eine ungefährlichere Ebene zu lenken: „Morgen fahren wir rüber nach Neapel und weiter nach Pompeji“. Frau Seibold lächelte: „Aber ihr kommt wieder zurück.“ Anja antwortete mit besonderer Betonung: „Aber natürlich, Dagmar!“ Sie setzten sich in die Hotelbar. Es waren einige Gäste hinzu gekommen, Italiener, Schweden. Dagmar bestellte eine Flasche Prosecco. „Wenn uns unsere Schüler so sehen würden...“, bemerkte sie und kam in Stimmung. „Aber wir haben ja eine Schülerin unter uns. Anja, du musst mir versprechen, dass du in Düsseldorf nichts erzählst. Dann lass ich dir auch den Björn für die restlichen Ferien. Aber zu Hause werden die Karten neu gemischt.“ Björn fühlte sich verhökert. „Abgemacht, Frau Direktor“, ging Anja den Deal ein und lachte frech. Schließlich waren drei Flaschen Prosecco getrunken. Dagmar, Anja und Björn wollten noch etwas nächtliche Hafenluft schnuppern. Die beiden Damen hatten sich bei Björn eingehängt, er mittendrin, wenn er nicht etwas unsicher ausgesehen hätte, wäre es ein echtes Macho-Bild geworden. Sie setzten sich auf eine Bank ins grelle Hafen-Flutlicht. Dagmar kippte zu ihm rüber und wollte ihn küssen. Anjas Hand tastete Björns Hosenbein entlang... Ein alter Mann auf einem klapprigen Fahrrad kam vorbei und murmelte: „Schifo“, widerlich! Mit letzter Kraft stand Björn auf und lallte: „So nicht, meine Damen. So nicht!“


Frauenmörder

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