Читать книгу Der Schatz vom Ulmenhof - Reinhard Heilmann - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеDas änderte sich dann irgendwann wieder als der Junge inzwischen dreizehn Jahre alt war und durch irgendeinen Zufall
- oder war es gar kein Zufall? -,
wieder mal dort hinauf musste. Jan-Moritz hatte ein paar Spielsachen aussortiert, die er in eine Kiste gepackt hatte, um so mehr Platz in seinem Zimmer für anderes zu haben.
Außerdem: Diese Holzeisenbahn war ja ganz schön und gut, aber schließlich war er kein Baby mehr, brummelte er sich in den noch nicht vorhandenen Bart, und so räumte er sie zusammen und trug die Kiste auf den Dachboden.
Wie es geschah, wusste er später gar nicht mehr zu sagen, jedenfalls war ihm, als er die Tür geöffnet hatte, als wenn ihn von fern hinten aus der Ecke des Dachbodens jemand zurief, ja richtig flehte: “Jan-Moritz, Du musst mir helfen, ich muss hier raus! Komm und befreie mich!“ - Es schauderte den Jungen als er die nur leicht und ganz leise dahingesäuselten Worte hörte, es war beinahe wie das Säuseln des Windes, der sich in irgendeiner Hausecke verfing oder war es tatsächlich nur der Wind?
Jan-Moritz fasste all‘ seinen Mut, stellte seine Kiste irgendwo beiseite und ging auf die Suche. Die Funzeln hier oben spendeten sowieso kaum genügend Licht und durch die vergilbten und verstaubten Fensterrosetten an den Giebelseiten drang auch nicht viel Helligkeit, so dass Jan-Moritz gleich seine kleine Taschenlampe anknipste, die er meistens bei sich trug. - Da war es wieder, dieses Säuseln
und mit jedem Schritt, den der Junge in die Richtung tat, aus der das Geräusch kam, wurde es ein wenig lauter. Jetzt stand er neben einem Sofa, einer Art Kanapee mit einer abgebrochenen Lehne, das er aus seinen früheren Besuchen hier oben gar nicht kannte. Und neben diesem Sofa eine alte Truhe etwa so hoch, dass sie dem Jungen bis zum Bauchnabel reichte. Ein schwerer Deckel versperrte die Truhe, doch als Jan-Moritz ihn anhob, ging es ganz leicht und er konnte den Deckel mühelos zurückklappen. Der Truheninhalt war durch ein altes besticktes Tuch verdeckt, das Jan-Moritz vorsichtig anhob und beiseite legte.
Und dann war da plötzlich wieder dieses Säuseln! Aber nun erkannte der Junge, das es tatsächlich von draußen irgendwo an der Hausecke kam, wo der Wind, der hier an der See immer mehr oder weniger wehte, sich wohl verfangen hatte und dieses merkwürdige Geräusch verursachte, das den Jungen hierher gelockt hatte. War das alles nur Zufall?
Jedenfalls begannen mit diesem Tage, zu dieser Stunde eine Reihe von sonderbaren Erlebnissen und Träumen, die den Jungen beinahe ein ganzes Jahr lang in ihren Bann zogen und ihn nicht mehr losließen.
Immer wieder musste Jan-Moritz hier hoch auf den Dachboden kommen, ging wieder zu seiner „Schatztruhe“, wie er sie nannte, öffnete den schweren Deckel, nahm einen der zahllosen Gegenstände heraus und machte es sich auf dem kaputten Sofa bequem. Nicht, dass er wieder seinen Lieblingsteddybären dabei hatte, nein, der saß unten in
Jan-Moritz‘ Zimmer in einer Ecke des Bettes und bewachte den Jungen, sobald der in sein Bett gekrochen war.
Also konnte er dem auch keine Geschichten mehr erzählen, während er so herumsaß und sich den Gegenstand anschaute, den er aus der Truhe genommen hatte.
Und plötzlich war auch alles anders geworden, gegenüber früher, als er dem Teddybären seine Geschichten erzählt hatte. Denn jedes Mal, wenn der Junge den Gegenstand aus der Truhe in die Hand nahm und seinen Kopf am Sofarand anlehnte, wurde er ganz schläfrig, dämmerte müde vor sich hin und schlief schließlich ein.
Es waren wilde Träume, die Jan-Moritz erlebte, Abenteuer,
Reisen in ferne Länder, aufregende Geschichten und Erlebnisse und jedes Mal erlebte der Junge alles so, als wenn er mittendrin gewesen wäre. Er erlebte alles so hautnah mit, als wenn er Teil dieser Zeitdokumente gewesen wäre, als wenn er in dieser Zeit, in der der Traum spielte, tatsächlich gelebt hätte: dann hätte er allerdings schon uralt sein müssen, dachte der Junge, denn manche Geschichten handelten von der Entstehung des Hauses, auf dessen Dachboden er jetzt saß und manche von Menschen, die vor mehr als hundert Jahren ausgewandert waren.
Andere Träume entführten ihn in ferne asiatische Regionen, wie die fein geschnitzte indonesische Tanzmaske. Oder er erlebte ein Märchen aus einer früheren Zeit, in dem ein Käuzchen den Menschen half, indem es sich verwandeln und mit den Menschen reden konnte. Ein anderes mal verschlug es ihn im Traum auf eine Insel mit einer großen Höhle und in der Höhle lebten noch Dinosaurier, die schon lange ausgestorben waren …
Und wenn der Junge dann wieder erwachte, sich ganz verstört die Augen rieb und auf seine Armbanduhr schaute, waren vielleicht gerade mal ein oder zwei Stunden vergangen … und er hatte alles so tief miterlebt, als wenn es seine eigene Vergangenheit gewesen wäre.
Das ist jetzt schon beinahe ein Jahr her, seit er den ersten Traum hier oben geträumt hatte. Und, wie gesagt, so oft es seine Zeit zuließ und so oft er sicher sein konnte, dass niemand sein Geheimnis entdecken konnte, verschwand Jan-Moritz hinter der inzwischen auch gar nicht mehr knarrenden Dachbodentür. Da ihn das Knarren, auch der dreizehn Stufen, hätte verraten können, hatte Jan-Moritz schon bald heimlich das Ölkännchen aus der Werkstatt „entwendet“ und hatte alles sorgsam eingeölt. Das Ölkännchen war seitdem nie wieder aufgetaucht und oft hatte sein Vater danach gesucht. Aber Jan-Moritz behielt es sicherheitshalber dort oben auf dem Dachboden, falls doch mal nachgeölt werden musste …