Читать книгу Der Schatz vom Ulmenhof - Reinhard Heilmann - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеViel los war an dem Nachmittag nicht mehr unten im Haus,
seine Mama hatte mit Vorbereitungen für eine Wochenendeinladung zu tun und kochte Verschiedenes, was dann Salate werden sollten und Häppchen und ähnliche Kleinigkeiten, die ihr immer prima gelingen.
„Da gibt’s wieder heimlich was zu Naschen,“ freute sich Jan-Moritz schon, „und wenn ich die Lücken auf den Anrichteplatten dann immer wieder geschickt mit Petersilie oder Salat oder irgendwelchen anderen Dekorationen schließe, merkt Mama das garnicht, sonst wird sie immer so ärgerlich.“
Da Mama also damit beschäftigt war und Papa draußen am Schuppen beim Holzhacken, konnte sich Jan-Moritz in Ruhe in der Werkstatt ein geeignetes Messer aussuchen und einen Korkenzieher aus der unteren Schublade im Esszimmerbuffet. Beides trug er vorsichtig und heimlich in sein Zimmer und verwahrte sie dort bis zum nächsten Morgen hinter seiner Modellautosammlung, damit nicht vielleicht sein Schwesterchen darüber 'stolperte' und meinte, damit spielen zu können.
Im gleichen Moment klopfte es hart ans Fenster. Jan-Moritz erschrak heftig und zuckte zusammen! Im nächsten Moment dann allerdings, als es zum zweiten Mal klopfte, wunderte er sich mehr als er Angst hatte, wer da überhaupt klopfen konnte, denn sein Zimmer lag doch im ersten Stock und einen Balkon davor, auf dem jemand stehen konnte, gab es nicht. Jan-Moritz ging vorsichtig zum Fenster und spähte ebenso vorsichtig hinaus. Da sah er dann, wer am Fenster 'klopfte': es waren Fritz und Henriette, die unten vorm Haus standen und Stöckchen gegen die Scheibe warfen. Jan-Moritz winkte ihnen zu und war auch schon aus dem Zimmer, die Treppe runter und Sekunden später stand er bei den beiden. “Was macht ihr denn hier?” wollte Jan-Moritz wissen.
“Du, Jan-Moritz, hast Du nicht Lust, mit zum Wasser zu kommen?“, fragte Henriette voller Vorfreude, „da soll heute Nachmittag ein großer Segler vorbeikommen, Fritz meint, es sei die Gorch Fock, das Segelschulschiff. Wenn wir so nahe wie möglich bis ans Wasser gehen, können wir das ganz groß sehen und brauchen nicht einmal ein Fernglas!” - “Klar komme ich mit!” war Jan-Moritz’ knappe Antwort und mit einem kurzen Zuruf an seine Mutter, dass er bald wieder zurück sei, waren die Drei auch schon verschwunden und im Trab unterwegs zum Deich. Von dort ging’s über die Wiesen der Elbauen und über den kleinen Sommerdeich hinweg. Einige Zäune mussten die Drei überklettern, die die Bauern dort aufgestellt hatten, damit sich ihre Kühe nicht verirrten und aus Versehen zum Nachbarbauern liefen, und dann ging das letzte Stück noch durchs dichte Schilf.
Schließlich mussten sich Henriette, Fritz und Jan-Moritz die Holzschuhe ausziehen und die Hosenbeine hochkrempeln, damit sie durch das flache Wasser waten konnten, das hier beinahe das ganze Jahr über stand. Heute hatten sie Glück,
denn es war Ebbe und sie konnten über den schlickigen Boden bis ganz dicht ans Fahrwasser der großen Ozeanriesen herangehen.
Sogar die großen Steine, die hier verstreut 'rumlagen und nur bei Ebbe zu sehen waren, schauten jetzt aus dem Wasser. Die Freunde suchten sich drei passende Steine aus, die nahe beieinander lagen und setzten sich jeder auf seinen Stein. Vom Wasser hin und wieder mal mehr, mal weniger leicht umspült, fühlten sie sich wie auf einer einsamen Robinson-Insel und kamen sich vor wie große Seefahrer oder wie Piraten.
Dabei fiel Jan-Moritz wieder die Flasche ein, die in der Holzkiste in der Truhe; was dort wohl für ein Papier drinsteckt, fragte er sich und wäre am liebsten beinahe sofort wieder nach Hause gelaufen, weil die Neugierde ihn doch schon ganz schön plagte. Aber das ging ja jetzt nicht, schließlich waren Fritz und Henriette seine besten Freunde, die auch noch extra seinetwegen hergekommen waren. Die Schatzkiste musste also warten.
“Du, Fritz, hast Du schon einmal so eine richtige Schatzkiste gefunden und eine geheime Schatzkarte?” stumpte Jan-Moritz seinen Freund an, der neben ihm auf einem Felsbrocken saß und gerade so was wie eine Flaschenpost aus dem Wasser fischte. “Nö“, meinte Fritz, “aber schau mal hier! Mensch, vielleicht ist hier in der Limo-Flasche eine geheime Nachricht drin und eine Schatzkarte.” Fritz war ganz aufgeregt, als er den Schraubverschluss aufdrehte und mit einem Stückchen Schilfrohr einen Zettel aus der Flasche fischte. Leider Fehlanzeige! Was in der Flasche steckte, entpuppte sich als blöder Scherz. Da hatte jemand auf einen Zettel geschrieben “Reingelegt, dies ist keine Flaschenpost und kein Hilferuf eines Verschollenen, dies ist Henry aus Cuxhaven, der sich mit Dir einen Scherz gemacht hat, Hahaha.“
“Idiot”, meinte Fritz enttäuscht und warf die Flasche verärgert ins Wasser zurück. “Schade”, meinte Jan-Moritz, “aber mal angenommen, du findest so eine Karte oder irgendeine Nachricht, wie würdest du denn dann vorgehen? Ich meine, was macht man da wohl am besten?”
“Ganz wichtig ist“, antwortete Fritz etwas großspurig und so, als hätte er mit Schatztruhen und geheimen Schatzkarten jeden Tag zu tun, “dass man die Anweisungen in der Karte genauestens befolgt, sonst findet man den Schatz nie! Es gibt da nämlich auch ein paar Tricks in so einer Karte, denn derjenige, der den Schatz vergraben hat, will nicht, dass er von Leuten gefunden wird, die nicht einmal in der Lage waren, die Schatzkarte richtig zu lesen und mehr oder weniger nur durch Zufall darauf kamen.
Und deswegen ist oberstes Gebot: alles genau beachten.”
“Klar, das hatte ich mir auch schon gedacht”, meinte Jan-Moritz, “aber nun mal etwas genauer: wie ist es denn, wenn dich der Kartenschreiber reinlegen will und dir eine Falle stellt; kann man so etwas überhaupt erkennen?” - “Klar” meinte Fritz wieder, “es gibt da ein paar ganz sichere Hinweise, wenn dich der Kartenschreiber reinlegen will und die musst du natürlich zuerst erkennen, sonst verdirbst du alles und findest den Schatz nie!”
“Wenn da also, nur mal so zum Beispiel, steht, wende dich nach rechts, gehe einhundert Meter geradeaus und gehe dann auf keinen Fall nach links: muss ich dann annehmen, ich soll reingelegt werden und soll doch nach links gehen?”
fragte Jan-Moritz nach.
“Nö, so einfach ist das nicht, aber wieso fragst du überhaupt, du hast doch sowieso keine Schatzkarte und überhaupt, wenn ich dir alle Tricks verrate, findest du am Ende den Schatz und behältst ihn alleine.”
“Welchen Schatz?” fragte Jan-Moritz scheinheilig, “ich meinte ja nur mal so und im allgemeinen und weil du doch immer alles so genau weißt, sagst du jedenfalls.”
„Da kommt die Gorch Fock”, rief Henriette und sprang ganz aufgeregt von ihrem Stein auf und wäre beinahe ins Wasser gefallen, wenn Jan-Moritz sie nicht aufgefangen hätte. Tatsächlich, ganz weit hinten noch, vielleicht auf der Höhe vom Nord-Ostsee-Kanal, kam ein großer Segler angeschippert mit allen Segeln gesetzt und leicht nach Backbord geneigt, wegen der Brise die heute etwas mehr aus Nord als aus Nordnordwest wehte.
„Da müsste man mal mitfahren“, dachte Jan-Moritz „und die ganze Welt erobern und in die Südsee, zu den Insulanern, bei denen auf fast jeder Insel irgendwo ein Schatz versteckt ist.
Die Gorch Fock kam schnell näher und segelte heute tatsächlich so nahe bei den Dreien vorbei, dass sie die an der Reling und auf den Rahen stehenden Seekadetten winken sehen konnten und sogar ihre Rufe hörten wie „Ahoi, Ihr Wasserratten!“ und “Fallt nicht ins Wasser!”
Wenn wir das zu Hause erzählen, die Leute von der Gorch Fock haben uns zugerufen, uns, Fritz, Henriette und Jan-Moritz, das glaubt uns keiner.
Die Freunde schauten dem Schiff noch lange hinterher, auch als es etwa auf der Höhe von Cuxhaven an der Alten Liebe beinahe schon nicht mehr zu sehen war.
Schweigend gingen die Drei nach Hause, jeder in seine eigenen Gedanken und Träume versunken.
Jan-Moritz dachte an die Schatzkarte oder was auch immer dort versteckt sein mochte unter der Stoffverkleidung in der Flaschenkiste;
Fritz träumte von einer großen Fahrt bei Sturm auf so einem Segler und er natürlich als Kapitän. Henriette dachte da etwas praktischer und sie träumte davon, dass sie endlich richtig schwimmen lernen wollte, damit ihr nichts passieren konnte, auch wenn sie mal ins Wasser fiel und sie wollte diese Neuigkeit gleich ihren Eltern mitteilen, die sich sicher freuen würden, wenn sie Henriette zum nächsten Schwimmkurs anmelden durften.
Die Drei trennten sich, als sie hinter dem großen Deich zurückwaren, denn es war Zeit, sich mal wieder zurückzumelden, nicht, dass die Eltern sich Sorgen machten. Sie waren zwar keine ‚Kleinkinder’ mehr, wie Jan-Moritz ab und zu meinte bemerken zu müssen, denn Mama und Papa hatten das wohl noch nicht so recht mitgekriegt, dachte Jan-Moritz. Der Junge war der Ansicht, er müsste eben auch manchmal für die Eltern mitdenken und berücksichtigen, dass sie noch garnicht entdeckt hatten, welche großen Tiefen in Jan-Moritz steckten und welche große Erfahrung er bereits hatte.
Wenn er wollte, dachte Jan-Moritz etwas überheblich, könnte er sich auch schon ganz allein in der Welt zurechtfinden.
In seinen Gedanken ließ er allerdings auch nicht außer acht, dass es natürlich auch nicht schlecht war, wenn einem jemand das Essen zubereitete oder ein warmer Kakao immer fertig bereitstand, eben diese kleinen Annehmlichkeiten des Lebens.