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Kapitel 6
ОглавлениеDer auflandige Wind blähte das Focksegel wie einen vollen Mehlsack. Im nächsten Moment rasselten Steuerbord- und Backbordanker durch die Klüsen des Stahlrumpfes und klatschten auf die spritzenden Wogen.
Die Dreimastbark warf ihre Anker knapp außerhalb des markierten Fahrwassers etwa eine Seemeile östlich von Otterndorf querab des ’Hohen Sandes’ in der Niederelbe. Beinahe zeitgleich mit dem Werfen der Anker wurde ein Davit ausgeschwenkt und eines der Steuerbordrettungsboote sachte zu Wasser gelassen.
Die Matrosen waren angewiesen, möglichst leise zu Werke zu gehen, um zu dieser nachtschlafenden Zeit gegen
2:30 Uhr in aller Herrgottsfrühe möglichst wenige Geräusche zu verursachen, die das `Husarenstück’ verraten oder gar vereiteln könnten.
An Bord des Rettungsbootes, das inzwischen unter dem Kommando eines Kapitäns zur See der Deutschen Kriegsmarine mit zwölf kräftigen Matrosenarmen dem Ufer zugepullt wurde, befand sich wohl versteckt unter einer Persenning und einem Haufen darüber geworfenem Tauwerk eine schwere Kiste mit Eisenbeschlägen. In der Kiste, die zusätzlich mit Ketten und Schlössern gesichert war, kleine Säckchen mit Goldmünzen; einige goldene Pokale, wie sie in den Kirchen bei feierlichen Weihen Verwendung finden und schwere goldene Kerzenleuchter; wertvolle Prunkdegen mit Edelsteinen besetzt; weniges vergoldetes Tafelgeschirr und einige in Leder gebundene Bücher, Sonderdrucke und seltene Erstausgaben, teilweise Handschriften die kaum mit Gold aufzuwiegen waren. Das alles war die letzte wertvolle Habe, waren die letzten wertvollen Familienerbstücke, die der Offizier vor feindlichem Zugriff und nicht zuletzt vor dem Zugriff der Behörden retten wollte. Denn er hatte so eine Ahnung, als wenn dieser Krieg nicht gewonnen werden kann und noch in diesem Jahr ein Ende nehmen würde, ein Ende, das Deutschland sich nicht wünschen konnte. Ein Ende, das das ganze Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins drängen würde: wir befinden uns in der letzten Septemberwoche des Jahres 1918.
* * *
Die Ruderer im Boot waren ausgesuchte Kameraden, auf deren Verschwiegenheit der Kapitän zur See rechnen konnte. Allein deshalb konnte er es wagen, seine ‚Schätze’ der Reichsregierung zu entziehen und im Schutz dieser als geheimes Kommandounternehmen getarnten Aktion in Sicherheit zu bringen. Denn die Regierung hatte dem Volk auferlegt, jedes wertvolle Gut, Edelmetalle und ähnliches dem Vaterland zur Finanzierung der Kriegsführung zur Verfügung zu stellen. Daher mussten alle entsprechenden Güter und Wertgegenstände abgeliefert werden, nach dem Motto ‚Gold gebe ich für Eisen’, um damit Kanonen zu gießen und Munition zu finanzieren. Mit schwerer Bestrafung musste dagegen rechnen, wer diese Anordnungen versuchte zu umgehen.
Am nahen Ufer angekommen, sprangen vier der Matrosen
in den Schlick des Elbstrandes und übernahmen die ihnen von den anderen über den Dollbord zugereichte Kiste. Der Kapitän ging durch das Schilf voraus. Er kannte den Weg sehr genau, den er einschlagen musste, auch in dieser mondlosen Nacht. Schließlich war er nicht weit von diesem Strandabschnitt schon als kleiner Junge oft entlanggesträunt, hatte hier in der Elbe seine ersten Schwimmversuche unternommen und hatte an diesem Küstenstrich viele seiner Jugendabenteuer erlebt. Nicht weit von diesem Ort lag das Hofgut seines Großvaters, den er nicht nur in den Ferien oft besucht hatte.
Schnellen Schrittes bewegte sich die Gruppe durch hohes Schilfgras, die vier Matrosen trugen die Truhe auf zwei Rudern, die sie als Tragholme benutzten. Dadurch wurde das Gewicht besser verteilt und sie konnten schneller vorankommen. Es war eine beinahe unwirkliche Stille um sie herum, noch waren die Tiere in der Natur nicht auf den Beinen, oder schon wieder zurück in ihren Verstecken. Und die, die jetzt auf Beutejagd unterwegs waren, verursachten ohnehin keine Geräusche. Auch die Vögel, bis auf die Eulen und Fledermäuse, schliefen jetzt oder saßen mucksmäuschenstill in ihren Verstecken.
Es ging weiter durch Gräben und Priele, über einen alten teilweise zerstörten Deich hinweg, über ausgedehnte Wiesen, auf denen kein einziges Stück Vieh mehr graste. Schließlich kam die kleine Gruppe an einem Zaungatter an, von dem aus es auf einem befestigten Feldweg weiterging, bis in einiger Entfernung durch den leichten Bodennebel ausgedehnte Gebäudeanlagen schemenhaft zu erkennen waren. Ein großes Herrenhaus und rechts und links angrenzende Stallungen, Remisen und Lagerscheunen. Am Rande des Gebäudekomplexes war eine Dung- und Jauchegrube angelegt, deren strenger Geruch schon von weitem den Weg zu ihr wies. Nirgendwo brannte ein Licht oder eine Laterne. In diesen Kriegszeiten war es ratsam, auch auf dem Lande und gerade nahe am Wasser abends bei Zeiten die Lichter zu löschen. Sonst wäre jedes Gebäude auf dem flachen Lande schon von weitem zu sehen und konnte allzu leicht Ziel eines feindlichen Angriffes werden.
Die Grube, die im Schatten eines größeren Stallgebäudes lag, war beinahe leer. Aus dem Stall drang nur vereinzeltes Schnauben und Schmatzen von schlafendem Vieh.
Die Männer trugen die schwere Kiste eine Treppe hinab in die Grube. In einer Ecke, die durch eine kleine Umfriedung vom Rest des Jauchereservoirs abgetrennt war, gab es eine Vertiefung, in die ein Stahldeckel eingelassen war. Zwei der Matrosen hievten den wuchtigen Deckel an einer Seite hoch, während die anderen beiden und der Kapitän die Kiste in den darunter liegenden Verschlag schoben, der von innen mit dicken Eichenbohlen ausgekleidet war. Der Deckel wurde mit einem dumpfen Geräusch auf den Verschlag wieder aufgelegt. Es ließ sich nicht vermeiden, beim Zudecken des Versteckes etwas Lärm zu verursachen, da der wuchtige Deckel, der ebenfalls innen mit Eichenbohlen ausgekleidet war, leicht an die vier Zentner wog.
Die Männer stiegen wieder aus der Grube. Der Kapitän schaute sich sichernd nach allen Seiten um. Alles blieb still, nirgendwo rührte sich auch nur ein Schatten. Er griff nach einer Mistgabel und warf einige Fuder Mist aus einem zum Entladen bereitstehenden Mistwagen auf den Deckel des Versteckes. Als er fertig war, sah alles völlig normal aus: eine Dung- und Jauchegrube mit etwas Jauche darin und in einer Ecke ein kleiner Misthaufen.
Es war keine Stunde vergangen, als die kleine Gruppe von fünf Leuten wieder zurück war beim Rettungsboot, die Riemen eingelegt wurden und es rasch zurückging zu dem vor Anker liegenden Segler.