Читать книгу Lew Kopelew - Reinhard Meier - Страница 17

„Mein zärtliches Kiew“

Оглавление

Im Spätherbst 1926 zog die Familie Kopelew von Kiew nach Charkow (heute ukrainisch Charkiw) im Osten der Ukraine. Der Umzug hing damit zusammen, dass Sinowij Kopelew als Agronom in der für die ukrainische Zuckerindustrie zuständigen Verwaltungsbehörde angestellt war und diese Behörde damals ihren Sitz in Charkow hatte.

Lew war also gut 14-jährig, als er Kiew verließ. Zeitlebens haben ihn mit der alten Stadt am Dnjepr, der Wiege der slawisch-orthodoxen Kirche, zärtliche Erinnerungen an die Jugend, später aber auch bittere familiäre und politische Erfahrungen verbunden – zu den Letzteren zählen die Ermordung seiner Großeltern und seiner Lieblingstante Ronja in Babij Jar und die Eroberung Kiews durch die deutsche Wehrmacht im September 1941. „Für mich gibt es keine schönere und liebenswertere Stadt auf der Welt“, schreibt er im ersten Teil seiner Memoiren, um dann mit Blick auf die nach der Konsolidierung von Stalins Diktatur immer rücksichtslosere Russifizierungspolitik hinzuzufügen: „wenn sie mir auch heute fremd geworden ist.“51

Als Häftling im Gulag-Sonderlager Scharaschka schrieb er ein Gedicht auf die Stadt seiner Kindheit, in dem die folgenden Zeilen stehen:52

„Mein zärtliches Kiew

Im Rauschen der Kastanienbäume

Die weiße Sophia …

Viele vertraute Stätte

Gibt es in meinem Vaterland,

Aber am nächsten ist für mich

Die Stadt meiner Kindheit.

Es gibt schmuckere Städte

In andern Ländern,

Aber für Kiew hat mein Bruder

Sein Leben im Gefecht geopfert …

Der Erstling von Russland,

Der ältere Bruder des Kremls

Sei ewig Kiew,

Ewig wie die Erde.“

Mit Kiew und Charkow sind auch die tiefen, unauslöschlichen Bindungen an die ukrainische Sprache verbunden. „Bis heute haben nicht einmal meine Lieblingssymphonien jene Macht über mich, wie sie die alten ukrainischen Volkslieder haben. Als Kind hörte ich sie und weinte. Und auch jetzt bekomme ich manchmal noch feuchte Augen“, gesteht Kopelew in seinen Erinnerungen.53 Das Ukrainische war ihm in den Jugendjahren so geläufig wie das Russische, das im Elternhaus gesprochen wurde. Er war fest überzeugt, dass im Vielvölkerstaat Sowjetunion die sozialistische Kultur in der Sprache der verschiedenen Nationalitäten gepflegt werden sollte. Allerdings fügt er hinzu, dass er ungeachtet seiner engen Affinität zum Ukrainischen immer auf Russisch gedacht habe. Auch sein russisches Selbstverständnis sah er durch seine ukrainischen Bindungen nicht infrage gestellt. „Meine Ukraine habe ich immer geliebt und werde sie lieben bis zum Ende. Niemals jedoch habe ich mich als Ukrainer gefühlt oder bezeichnet.“54

Lew Kopelew

Подняться наверх