Читать книгу Was uns den Schlaf raubt - Reinhard Pietrowsky - Страница 10

1.2 Wie werden Albträume psychologisch definiert?

Оглавление

In der Klinischen Psychologie gibt es zwei Klassifikationssysteme für psychische Störungen, in denen sämtliche psychische Störungen (man spricht von Störungen anstelle von Krankheiten) aufgeführt und anhand bestimmter Symptome definiert sind. Diese Klassifikationssysteme sind die „Internationale Klassifikation von Krankheiten“ (International Classification of Diseases, ICD), das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben wird und gegenwärtig in der 10. Version vorliegt (ICD-10; deutsche Ausgabe von Dilling, Mombour und Schmidt, 1991) und das „Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen“ (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM), das von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (American Psychiatric Association) herausgegeben wird und gegenwärtig in der 5. Version vorliegt (DSM-5). Albträume werden in beiden Klassifikationssystemen als psychische Störung aufgeführt und die Diagnosekriterien ähneln sich in beiden Systemen.

Im ICD-10 werden die Albträume den nicht organischen Schlafstörungen zugerechnet. Die Definitionskriterien für Albträume gemäß ICD-10 sind:

1. das Aufwachen aus dem Nachtschlaf oder nach kurzem Schlafen mit detaillierter und lebhafter Erinnerung an heftige Angstträume, meistens mit Bedrohung des Lebens, der Sicherheit oder des Selbstwertgefühls. Das Aufwachen erfolgt dazu zeitunabhängig, typischerweise aber während der zweiten Hälfte des Nachtschlafs.

2. nach dem Aufwachen aus ängstigenden Träumen ist die betroffene Person rasch orientiert und munter.

3. das Traumerlebnis und die Schlafstörung, die aus dem Aufwachen in Verbindung mit diesen Episoden resultiert, verursachen einen deutlichen Leidensdruck.

Nach dem DSM-5 werden die Albträume den sogenannten Parasomnien zugerechnet. Parasomnien sind Störungen, die durch abweichende Verhaltens- oder physiologische Ereignisse während des Schlafs gekennzeichnet sind. Das entsprechende Störungsbild heißt im DSM-5 „Schlafstörung mit Albträumen“ und wird durch folgende Kriterien definiert:

1. Wiederholtes Auftreten von ausgedehnten extrem furchterregenden und gut erinnerbaren Träumen, die üblicherweise eine Bedrohung des Überlebens, der Sicherheit oder der körperlichen Integrität beinhalten und die gewöhnlich in der zweiten Hälfte der Hauptschlafperiode auftreten.

2. Die Person ist beim Erwachen aus dem furchterregenden Traum rasch orientiert und wach.

3. Die Schlafstörung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

4. Die Albtraumsymptome sind nicht auf die physiologischen Wirkungen einer Substanz (z.B. Drogenmissbrauch oder Medikamente) zurückzuführen.

5. Gleichzeitig bestehende psychische oder medizinische Erkrankungen können nicht angemessen die vorherrschenden Beschwerden durch die furchterregenden Träume erklären.

Es ist ersichtlich, dass die wesentlichen Kennzeichen der Albträume (als klinische Störung) in den beiden Klassifikationssystemen ICD und DSM recht ähnlich sind. Dazu gehört die lebhafte Erinnerung an heftige angsterfüllte Träume, die Träume treten typischerweise in der zweiten Nachthälfte auf, die betroffene Person ist nach dem Aufwachen rasch orientiert und es entsteht durch die Albträume ein wesentliches Leiden. Während im ICD-10 das Erwachen aus den Albträumen ebenfalls als ein wesentliches Kriterium aufgeführt ist und dies im DSM-IV (der Vorgängerversion des DSM-5, die bis vor kurzem galt, auch noch aufgeführt war), ist dies in der 2013 veröffentlichten Fassung des DSM-5 nicht mehr genannt. Darin spiegelt sich die in den letzten Jahren zunehmend verbreitete Erkenntnis wider, dass Albträume nicht notwendigerweise zum Erwachen führen müssen, sondern schlimme, furchterregende Träume, von denen man nicht erwachen muss, auch als Albträume gelten, sofern nach dem Erwachen eine deutliche Traumerinnerung besteht und die anderen Kriterien erfüllt sind.

Die hier definierten Albträume werden auch als idiopathische Albträume bezeichnet, was meint, dass diese Albträume eine eigenständige Störung sind und nicht auf andere Störungen oder Ursachen zurückgeführt werden können. Entsprechend verweisen die im DSM-5 genannten Kriterien darauf, dass die Albträume nicht ausschließlich im Verlauf von anderen psychischen Störungen auftreten oder nicht die Folge z.B. eines Drogen- oder Medikamentenkonsums sein dürfen. Es ist aber durchaus möglich, dass Albträume auch bei anderen psychischen Störungen (zum Beispiel bei der Posttraumatischen Belastungsstörung, der Depression oder bei Angststörungen) auftreten oder durch Drogen und auch bestimmte Medikamente hervorgerufen werden können. Damit werden wir uns in Kapitel 6 näher befassen. In diesen Fällen würde man aber nicht von idiopathischen Albträumen sprechen und diese Albträume würden nicht als eigene Störung diagnostiziert werden. Vor allem bei der Posttraumatischen Belastungsstörung treten regelmäßig Albträume auf, die dann als posttraumatische Wiederholungen bezeichnet werden und ein wesentliches Merkmal dieses Störungsbildes sind. Albträume bei Posttraumatischen Belastungsstörungen werden ausführlich in Kapitel 7 beschrieben.

Das Auftreten von Albträumen lässt sich ferner nach deren Häufigkeit, Schwere und Chronifizierung einordnen. So spricht man von häufigen Albträumen, wenn die betroffene Person mehr als 12 Albträume pro Jahr (also im Durchschnitt mindestens einen Albtraum pro Monat) hat. Treten Albträume seltener auf, spricht man von gelegentlichen Albträumen. Häufige Albträume, also mindestens ein Albtraum pro Monat, gilt auch als ein wichtiges Kriterium für die Belastung durch Albträume, da vor allem Personen mit häufigen Albträumen unter diesen leiden und durch diese beeinträchtigt sind. Sie erfüllen damit oft die oben genannten ICD- oder DSM-Kriterien für eine Störung.

Die Albtraumschwere wird nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, an der Grauenhaftigkeit der Albtrauminhalte festgemacht, sondern an der Häufigkeit der Albträume und dem Leiden und der Beeinträchtigung, die die betroffene Person durch die Albträume erlebt. So spricht man von einer milden Albtraumschwere, wenn weniger als ein Albtraum pro Woche vorkommt und keine psychosozialen Beeinträchtigungen auftreten. Eine moderate Albtraumschwere liegt vor, wenn mehr als ein Albtraum pro Woche auftritt und geringe psychosoziale Beeinträchtigungen vorliegen. Eine ausgeprägte Albträumschwere liegt vor, wenn Albträume fast täglich auftreten und mittlere bis starke psychosoziale Beeinträchtigungen gegeben sind. Unter psychosozialen Beeinträchtigungen wird hier verstanden, dass die betroffenen Personen aufgrund der Albträume beispielsweise am nächsten Tag unausgeschlafen, unkonzentriert, verängstigt und besorgt sind und deshalb ihren beruflichen oder sozialen Anforderungen nicht oder nicht in vollem Umfang nachkommen können. Nicht selten führen wiederholte Albträume auch dazu, dass die Personen an sich zweifeln, sich fragen, ob mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist, ob sie massive (ungelöste) Probleme haben oder – im extremen Fall – ob sie verrückt oder Psychopathen sind, wenn sie so grausame Dinge träumen. Es ist nachvollziehbar, dass solche Beeinträchtigungen durch die Albträume auch dazu führen können, dass sich die Betroffenen sozial zurückziehen und aus Angst und Scham nicht über ihre Albträume reden (die Folgen von Albträumen werden ausführlicher in Kapitel 10 dargestellt).

Unter der Albtraumchronifizerung versteht man, wie lange das wiederholte Auftreten der Albträume schon besteht. Hier spricht man von akuten Albträumen, wenn wiederholte Albträume seit weniger als einem Monat auftreten. Ein einzelner Albtraum entspricht somit keiner akuten Albtraumstörung. Subchronisch (oder subakut) werden Albträume genannt, die seit mehr als einem Monat auftreten, aber noch nicht länger als sechs Monate. Treten Albträume wiederkehrend seit mehr als sechs Monaten auf, spricht man von chronischen oder persistierenden Albträumen.

Was uns den Schlaf raubt

Подняться наверх