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Einige Beispiele für typische Albträume
ОглавлениеEs gibt typische Albträume und weniger typische Albträume. Typische Albträume sind solche, die in ähnlicher Form von vielen Menschen geträumt werden. Das sind Träume von Verfolgung oder Tötung der eigenen Person oder von anderen, schwerer Krankheit oder Fallen ins Bodenlose (Schredl, 2008). Andererseits haben manche Menschen Albträume, die in dieser Art sehr selten auftreten oder ungewöhnlich sind, sodass sie vom Inhalt oder vom Thema her eher untypisch sind. Grundsätzlich gilt aber, dass es nichts Schlimmes oder Grausames gibt, was nicht auch in einem Albtraum vorkommen könnte.
Ein typischer Verfolgungsalbtraum (von einer 39-jährigen Angestellten) war dergestalt, dass sie träumte, sie würde in einem Parkhaus zu ihrem Wagen gehen. Als sie in dem dunklen und schlecht beleuchteten Parkdeck auf dem Weg zu ihrem Auto ist, hört sie Schritte, erst noch weiter weg, dann aber immer schneller näherkommend. Sie dreht sich um und sieht einen Mann schnurstracks auf sich zukommen. Er blickt finster drein und in seiner Hand meint sie, ein Messer zu erkennen. Sie geht schneller, merkt aber, dass der Mann auch schneller geht, dann wechselt sie die Richtung und stellt fest, dass der Mann das auch tut. Dann beginnt sie zu laufen und hört, wie der Mann auch läuft und ihr immer näherkommt. Sie möchte schreien, bringt aber keinen Ton heraus. Als sie den Mann schon ganz dicht hinter sich hört, wacht sie auf.
In dem Albtraum eines 46-jährigen Architekten geht er mit seinen zwei kleinen Kindern durch den Wald. Erst ist alles schön und sie genießen die Natur und das Wandern. Plötzlich aber tauchen Wölfe auf und es wird dunkel und kalt. Die Wölfe kommen immer näher und kreisen ihn und seine Kinder immer mehr ein. Er bekommt Angst um seine Kinder und will sie schützend in die Arme nehmen. Da merkt er, wie er plötzlich schrumpft und kleiner wird als seine Kinder, sodass er sie nicht einmal mehr umarmen kann. Er weiß, dass er seine Kinder nun nicht mehr beschützen und retten kann. Die Wölfe fallen dann über ihn und seine Kinder her, beißen ihn in die Arme und tragen ihn weg und werfen ihn einen Abhang hinunter. Am Grund dieses Abhangs ist ein morastiger Teich, in den er fällt. Dort ist es noch grässlicher. Tote Tiere und tote Menschen liegen in diesem Morast. Er denkt, das sind alles die Opfer der Wölfe. Er liegt mit Schlamm und Leichenteilen in dem Morast und kann sich nicht mehr richtig bewegen. Dann wacht er voller Grauen und Abscheu auf.
In diesem Albtraum kommt das Motiv des Angegriffenwerdens vor, die Szene ist aber komplexer, denn seine Kinder und er sind nicht nur von den Wölfen angegriffen werden, sondern der Träumende schrumpft. Zudem taucht das Motiv der Leichen und Leichenteile auf. Es wird auch deutlich, dass die Albträume – wie andere Träume auch – nicht logisch oder vernünftig sein müssen, dass es also plötzlich dunkel und kalt werden kann und der Träumende schrumpfen kann, was es für ihn und seine Kinder so gefährlich macht.
Die Bedrohung wird auch in einem Traum einer 24-jährigen Erzieherin deutlich. Sie träumt wiederholt davon, dass in ihre Wohnung eingebrochen wird und der Einbrecher sie bedroht, während sie allein zu Hause ist. Ihr typischer Traum sieht so aus, dass sie träumt, dass ihr Freund morgens aufgestanden sei, um zur Arbeit zu gehen, während sie noch im Bett liegt. Sie hört, wie ihr Freund die Wohnungstür zuzieht und wenige Sekunden später fällt auch die Haustür ins Schloss, als der Freund das Haus verlassen hat. Kurze Zeit später hört sie, wie die Haustür aufgeht. Sie denkt im Traum noch, ihr Freund habe etwas vergessen und sei deshalb wieder zurückgekommen. Dann aber hört sie, wie ihre Wohnungstür aufgeht und plötzlich steht ein fremder Mann in ihrem Schlafzimmer. Der bedroht sie mit einer Pistole und zwingt sie, ihm alles Geld und die Wertsachen, die sie zu Hause hat, auszuhändigen. Dann nimmt er ihr Handy und schließt die Wohnungstür von außen zu, sodass sie keine Hilfe holen kann. Nachdem er weg ist, kann sie zuerst vor Angst nicht klar denken, dann allerdings fällt ihr ein, dass sie in irgendeiner Schublade noch ein altes Handy hat. Dieses holt sie und ruft damit ihren Freund an. Der kommt auch gleich von der Arbeit nach Hause und zusammen gehen sie dann zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Als sie zu dem Beamten in das Zimmer kommt, der die Anzeige aufnehmen soll, erkennt sie voller Entsetzen, dass das der Einbrecher ist. Aus Angst vor ihm und seiner Rache beschreibt sie dann eine ganz andere Person. Der Polizist grinst sie die ganze Zeit an. Als die Aufnahme des Protokolls fertig ist, zischt er ihr zu „ich kriege dich noch“. Dann wacht sie voller Angst und Entsetzen auf.
An diesem sehr komplexen Albtraum ist interessant, dass der Schrecken kein Ende nehmen will, dass nach der Rettung aus einer Notlage das nächste Unheil kommt und es nicht klar ist, ob die Träumerin aus der Gefahr überhaupt herauskommt, ob die Gefahr ein Ende hat. Dieser Moment der Albträume, dass nach vermeintlicher Rettung eine neue, noch schlimmere Situation entsteht, aus der ein Entkommen immer schwieriger wird, ist es, den wir im Alltag als albtraumartig beschreiben und der den gruseligen Reiz vieler Thriller und Horrorfilme ausmacht.
Andere Albträume sind auf eine abstraktere Weise schrecklich, ohne dass ein direkter Angriff oder eine direkte Verfolgung geschieht. Eine 24-jährige Studentin träumte: Sie sah eine Frau nackt auf einem Obduktionstisch liegen. Es gab ein weißes, störendes Licht in dem Raum. Als sie sich der Frau näherte, wachte diese auf und fragte die Patientin, wo ihr Baby sei. Die Patientin war schockiert und konnte nicht mehr reden. Die Frau stand auf und zeigte ihr eine Babyleiche. Sie hatte ein sehr böses Gesicht und machte ihr Vorwürfe, dass sie ihr Baby absichtlich getötet habe. Zum Schluss hörte sie Babyschreie. Dann wachte sie auf.
Ein anderer Traum dieser Studentin war: Sie befand sich auf einem Spaziergang. Auf einem Hügel sah sie ein schönes altes Haus und lief dorthin. Am Fenster sah sie ein süßes Mädchen, das mit einer Puppe spielte. Als sie näherkam, bemerkte das Mädchen sie und rief ihr zu, um mit ihr zu spielen. Sie suchte die Tür des Hauses und konnte sie nicht finden. Auf einmal fing das Haus an zu brennen und sie musste mit ansehen, wie das Mädchen darin verbrannte.
In diesen beiden Albträumen geht es um den Tod anderer Menschen (die Babyleiche, das verbrennende Kind) und das Schreckliche ist, dass die Träumerin diesen Ereignissen hilflos ausgesetzt ist. Sie kann das Mädchen nicht vor dem Verbrennen retten und wird der absichtlichen Tötung eines Babys beschuldigt. Aber auch hier, wie in den anderen Traumbeispielen, besteht eine extreme Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein in eine schreckliche Situation, die die Träumende nicht beeinflussen oder gar beenden kann.
Es gibt auch Albträume, die kaum eine Handlung haben. Typisch sind hierfür die Träume des Fallens, z.B. des Fallens in ein tiefes Loch oder in ein schwarzes Nichts, das bodenlos erscheint. Ein weiterer Traum, der kaum eine Handlung hat, aber trotzdem sehr beängstigend für die Träumerin war, ist folgender Traum einer 23-jährigen Studentin: „Es ist dunkel und feucht und kalt. Ich liege auf dem Boden. Ich kann nichts sehen, ich weiß nicht, wo ich bin, ich fühle mich eingeschlossen und ganz allein. Ich habe furchtbare Angst. Dann wache ich auf.“
Ein Beispiel für einen eher untypischen Traum ist der Traum eines 54-jährigen Bestattungsunternehmers. Dieser Mann hat durch seine Berufstätigkeit schon viele Leichen gesehen, neben den „gewöhnlichen“ Leichen, also Entschlafenen oder an Krankheiten verstorbenen Menschen, auch grausam anzusehende Leichen, wie Wasserleichen, verbrannte Leichen oder durch Unfälle übel zugerichtete Leichen. Ihm träumte regelmäßig von diesen grässlich aussehenden und anzusehenden Leichen. Dabei bestand der Albtraum, der keine Handlung hatte, aus einer bloßen Abfolge von Bildern dieser Leichen. Immer und immer wieder tauchten die Bilder dieser Leichen im Traum auf, verschwanden wieder und wurden durch neue Bilder von grässlich anzuschauenden Leichen gefolgt.
Dieser Traum hat neben der Tatsache, dass er keine Handlung hat, auch die Besonderheit, dass er von realen Ereignissen handelt. Die im Traum auftretenden Leichen hat der Träumer in dieser oder ähnlicher Gestalt bereits tatsächlich gesehen. Der Traum schlägt damit eine Brücke zu den posttraumatischen Albträumen, in denen im Traum eine tatsächlich stattgefundene traumatische Situation nochmals geträumt wird. (Es handelt sich bei diesem Albtraum aber nicht um einen posttraumatischen Albtraum, weil kein traumatisierendes Ereignis geträumt wird, außer man würde den Anblick der Leichen als Trauma ansehen. Zudem litt der Bestattungsunternehmer nicht unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.)
Ein besonderes Motiv der Albträume stellen die Täteralbträume dar. In diesen zum Glück seltenen Albträumen erlebt sich der Träumende nicht als Opfer (z.B. einer Verfolgung, eines Angriffs oder einer Krankheit), sondern er wird selbst zum Täter, indem er andere Personen angreift oder gar tötet. Hier der Täteralbtraum eines 51-jährigen Verkaufsleiters: „Ich bin in einem orientalischen Land, die Menschen tragen alle orientalische Kleidung, außer mir. Ich bin mit einem Schwert bewaffnet und gehe durch die Straßen und Gassen einer orientalischen Stadt. Alle Menschen, denen ich begegne, Männer wie Frauen, sogar Kinder, schlage ich mit einem Schwert nieder, enthaupte sie. Alles ist blutig, meine ganze Kleidung ist blutbespritzt, es riecht nach Blut, ich schmecke das Blut. Ich fühle mich selbst wie in einem Blutrausch, ich kann nicht aufhören mit dem Abschlachten. Immer wieder kommen Menschen mir entgegen, denen ich den Kopf abschlage oder die ich ersteche. Ich will aufhören, kann es aber nicht, im Traum muss ich immer weiter töten. Schließlich erwache ich, voller Abscheu und Ekel vor mir selbst und bin fassungslos, dass ich so etwas Grausames träumen konnte, dass ich im Traum zum Massenmörder wurde.“
Nicht immer sind in den Täteralbträumen Menschen die Opfer des Träumers. Der Albtraum eines 37-jährigen Verwaltungsangestellten war wie folgt: „Ich spiele mit meiner Katze, ich weiß gar nicht mehr, wo das war, ob in unserer Wohnung oder im Freien. Es ist sehr schön und sie hat geschmust und ich habe sie gestreichelt und sie hat vor Wonne geschnurrt. Plötzlich kommt eine andere Katze, eine getigerte Katze hinzu und will sich auf meine Katze stürzen. Da habe ich die andere Katze genommen und ihr den Kopf abgebissen. Es war schrecklich. Ich sehe den abgebissenen Kopf auf dem Boden liegen und aus dem Hals rinnt Blut. Ein großer Blutfleck ist auf dem Boden, dann wache ich vor Ekel und Abscheu auf.“
Es ist leicht vorstellbar, dass Albträume den Träumer am nächsten Tag noch sehr beschäftigen und oft verwirrt und fragend zurücklassen. Noch schlimmer ist das natürlich bei den Täteralbträumen, da sich hier der Träumer immer die Frage stellt, warum er im Traum zum Täter wird, warum er im Traum so schlimme Sachen macht. Daher verwundert es nicht, dass sich Menschen nach einem Täteralbtraum fragen, ob sie in Wirklichkeit ein bösartiger Mensch, ein Verbrecher oder gar ein Monster seien. Aus diesem Grund ist es nicht weiter verwunderlich, dass über Täteralbträume kaum berichtet wird.
Eine Besonderheit stellen die posttraumatischen Albträume dar. Diese geben ja ein tatsächlich stattgefundenes Ereignis wieder. Auch hier finden sich typische Traummotive, weil leider bestimmte Traumata gehäuft auftreten (auch wenn natürlich das jeweilige traumatische Ereignis individuell immer unterschiedlich ist) und weniger typische posttraumatische Albträume, bei einem eher ungewöhnlichen traumatischen Ereignis. Ein leider häufig vorkommender typischer posttraumatischer Albtraum ist der einer Vergewaltigung.
Eine 28-jährige Patientin, die als Schülerin von ihrem Lehrer sexuell missbraucht wurde, träumt regelmäßig: „Ich bin in der Schule, in der 7. Klasse. Es ist große Pause und alle anderen sind draußen. Nur ich und der Lehrer sind noch im Klassenzimmer. Die Tische im Klassenzimmer stehen in U-Form. Er (der Lehrer) sagt, ich solle doch noch kurz hier bleiben, er will noch etwas mit mir besprechen. Dann zieht er die Vorhänge zu. Ich sehe noch genau, es ist ein schöner Frühlingstag. Draußen scheint die Sonne von einem blauen Himmel. Dann kommt er auf mich zu und fängt an mich auszuziehen und mich zu missbrauchen … und dann … dann stehe ich nackt im Klassenzimmer. Dann wache ich auf.“
Ein weiterer posttraumatischer Albtraum ist der einer 23-jährigen Heilerziehungspflegerin. Sie erlebte, dass in dem Wohnheim, in dem sie arbeitete, ein Bewohner einen anderen Mitbewohner mit dem Messer angegriffen und lebensbedrohlich verletzt hat. Sie hat zwar den Angriff selbst nicht gesehen, kam aber hinzu, als der schwer verletzte Bewohner blutend auf dem Boden lag und Blut aus einer aufgeschnittenen Arterie spritzte. In der Folge träumte sie immer wieder in einem posttraumatischen Albtraum davon, wie sie in das Zimmer kommt und das blutverschmierte Opfer und die große Blutlache auf dem Boden sieht. Sie hatte aber auch andere Albträume, in denen sie davon träumte, dass ihr Kopf und ihr Hals blutverschmiert sind, dass Blut an ihr herunterläuft und in diesen Träumen kann sie auch immer einen sehr deutlichen Blutgeschmack in ihrem Mund wahrnehmen.
Neben den genannten Albträumen, die ja meistens eine gewisse Handlung haben, gibt es häufig auch Träume vom Fallen oder vom Gelähmtsein, die ebenfalls sehr angstvoll erlebt werden können. Hierbei handelt es sich um typische und bei vielen Menschen vorkommende Traummotive. Sie können Bestandteil eines umfangreicheren Albtraums sein, solche Träume können aber auch allein, also isoliert von einer Traumhandlung, auftreten (Schönhammer, 2012). In Träumen vom Fallen oder Abstürzen wird das Fallen oft als ein Fallen in einen dunklen Schacht oder Tunnel erlebt. Es ist oft ein endloses Fallen, bis zum Erwachen. Eher selten wird der Aufschlag geträumt. Fallträume kommen überdurchschnittlich häufig bei Personen mit Migräne oder Epilepsie vor, was die Vermutung nahelegt, dass bestimmte Aktivierungsmuster des Gehirns, die für diese beiden Störungsbilder charakteristisch sind, auch zu den Fallträumen führen können. Isolierte Träume vom Fallen scheinen bei Kindern auch häufig vorzukommen.
Träume vom Gelähmtsein treten ebenfalls häufig und vielgestaltig auf. Das Gelähmtsein kann sich äußern in Träumen vom nicht Vorwärtskommen, von gummiartigen Gliedern, über die man keine Kontrolle hat, einem vor Angst Gelähmtsein, gefesselt oder in engen Räumen eingeklemmt zu sein. Solche Träume können Teil eines größeren Albtraums sein, z.B. eines Verfolgungstraums, wo man dann nicht mehr von der Stelle kommt, sie können aber auch isoliert auftreten. Dann wird also nur davon geträumt, dass man sich beispielsweise nicht mehr bewegen kann oder irgendwo gefesselt ist. Das Gefühl des Gelähmtseins im Traum hat vermutlich eine relativ einfache Erklärung und ist die Folge der Hemmung der Muskulatur im sogenannten Rapid-Eye-Movement-Schlaf (REM-Schlaf, siehe Kapitel 5). Aus bestimmten Gründen kann diese Hemmung im Traum erlebt werden und führt dann zu den entsprechenden Träumen vom Gelähmtsein.