Читать книгу Zur Sache, Schätzchen - Reinhold Keiner - Страница 9
ОглавлениеZur Entstehungsgeschichte von ‚Zur Sache, Schätzchen’
Eine Filmemacherin unter lauter Filmemachern, das war Mitte der 1960er Jahre noch etwas Besonderes. Die Regisseurin May Spils, die wie ein Fotomodell aussah, „… überschlank, apartes, schmales Gesicht, ausdrucksvolle dunkle Augen und eine langmähnige Ponyfrisur“1, hatte aber die Chuzpe und den Mumm, sich zu sagen, das, was die Männer können, das kann ich auch. Damit meinte sie die Regisseure der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’, deren Arbeiten sie aus nächster Nähe mitverfolgte.
May Spils
May Spils wurde am 29. Juli 1941 in Twistringen bei Bremen als Maria-Elisabeth Meyer-Spils geboren. Nach dem Abitur besuchte sie die ‚Berlitz-Sprachschule’, an der sie Englisch lernte; danach hielt sie sich eine Zeitlang als Au-Pair-Mädchen in Paris auf, um Französisch zu lernen. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland arbeitete sie bei einer Werbefirma in Hamburg als Auslandskorrespondentin und nahm Schauspielunterricht in Bremen, wo sie auch eine Studio-Bühne gründete, die allerdings bereits nach zwei Aufführungen wieder einging. Sie versuchte sich auch im schriftstellerischen Bereich, verfasste einen Roman, ein Theaterstück und mehrere Kurzgeschichten, die jedoch nicht publiziert wurden.
1962 kam May Spils nach München und arbeitete hier zunächst als Mannequin und Fotomodell; außerdem spielte sie kleinere Rollen in Filmen, z. B. in ‚Holiday in St. Tropez’ (1964) und der internationalen Produktion ‚Dschingis Khan’ (1965).
1963 lernte sie durch ihre Arbeit beim Film ihren späteren Lebensgefährten Werner Enke und auch den Regisseur Klaus Lemke kennen. Ein Jahr später war sie mit beiden in München geschäftlich in einer Werbefirma verbunden, die aber keinen langen Bestand hatte.
1966 drehte May Spils ihren ersten Kurzfilm ‚Das Portrait’, den sie selbst produzierte, selber schrieb und in dem sie auch die Hauptrolle spielte, ein junges Mädchen, eine Künstlerin, die nach der Gebrauchsanweisung des Henri Matisse-Buches ‚Farbe und Gleichnis’ ein Kunstwerk zu schaffen versucht. Sie bringt aber nichts zustande, klebt zum Schluss ein Foto von sich auf die Leinwand und signiert das ‚Gemälde’. May Spils über ihren ersten Film:
Der Film soll sein eine versuchte Komposition von Farben, Geräuschen, Musik, Stille und Text, die rhythmisch angeordnet sind. Ein ernster Film sozusagen in bunter Bonbonverpackung. 2
Der zehn Minuten lange Farbfilm, mit schnellen Schnitten und ungewöhnlichen Kameraeinstellungen, gefiel im selben Jahr auf der ‚Internationale(n) Filmwoche Mannheim’ der Jury und erhielt eine Auszeichnung. ‚Das Portrait’ fiel auf. Zunächst lief er als Vorfilm in den Kinos und dann im nächsten Jahr in allen deutschen Botschaften. Man war stolz, dass man endlich nach dem Krieg eine deutsche Frau vorzeigen konnte, die was Ungewöhnliches machte, dabei noch jung war und obendrein gut anzusehen.
Ebenfalls 1966 realisierte May Spils mit Werner Enke und sich selbst in den Hauptrollen den zehn Minuten langen Kurzfilm ‚Manöver’, den sie wiederum selbst produzierte und schrieb. Der Film zeigt ein junges Ehepaar, das an einem Montagmorgen im Urlaub ‚Frühaufstehen’ probt, sich akribisch auf einen anscheinend wichtigen Termin vorbereitet: Badewanne, Kosmetik, Maniküre, die Auswahl der richtigen Kleidung. Das Tempo des Films wird von der Uhr bestimmt. Beide verlassen zwar pünktlich um 8 Uhr die Wohnung, kehren aber zurück und kuscheln sich wieder gemeinsam ins Bett – Fazit: Manöver gelungen, ‚Ernstfall’ geprobt!
‚Manöver’ wurde 1967 ein Publikumserfolg bei den ‚XIII. Westdeutsche(n) Kurzfilmtage(n) Oberhausen’, wo er allerdings nicht im Wettbewerb des Festivals, sondern nur in der so genannten Informationsschau lief. May Spils erinnert sich:
Es war schon weit nach Mitternacht. Die ausgepumpten Journalisten hatten sich den ganzen Tag zig Kurzfilme hintereinander ansehen müssen. Sie waren total fertig, trotzdem saßen sie versammelt im Kinoraum und taten sich diesen ‚Zusatzfilm’ auch noch an. Ich glaube, einige waren schon am Einschlafen. Dann kam unser Film und explodierte wie eine Bombe. Es war das erste Mal, dass Enke und ich den Film mit Publikum sahen. Jede kleinste Pointe saß haargenau, die Stimmung im Saal stieg von Null auf Hundert, und als die Sache nach 10 Minuten zu Ende war, waren Enke und ich die glücklichsten Menschen der Welt. Wir hatten so eben gesehen, dass wir in der Lage waren, einen ganzen Kinosaal mit Filmkritikern positiv anzuzünden! In unserer kleinen Absteige in Duisburg feierten wir zwei in der Nacht noch mit etlichen Flaschen Bier und schworen uns: Jetzt haben wir diese Kurzfilme geschafft, jetzt schaffen wir auch einen Langfilm! Das war die Geburtsstunde von ‚Zur Sache, Schätzchen’! Später bei den Dreharbeiten von ‚Zur Sache, Schätzchen’, wenn manchmal alles drunter und drüber ging, wenn wir manchmal nicht weiter wußten oder von Selbstzweifeln geplagt wurden, haben wir immer wieder an diese Kinonacht in Oberhausen gedacht und haben daraus die Kraft zum Weitermachen getankt. 3
Die Presse bescheinigte der Regisseurin „… Sinn für Tempo und komische Situationen …“4, sah in dem Film „… ihr Talent für Komik, ihre vergnügte Selbstironie …“5 bestätigt. In den Kinos lief ‚Manöver’ als Vorfilm wochenlang und machte May Spils und Werner Enke – nach ‚Das Portrait’ – noch bekannter und beliebter.
In diese Zeit fällt auch May Spils Bekanntschaft mit dem Produzenten und Regisseur Peter Schamoni. 1967, mit erst 26 Jahren, beschloss sie, eine Hypothek auf den vom Großvater geerbten Bauernhof in Twistringen aufzunehmen, um ihren ersten Spielfilm ‚Zur Sache, Schätzchen’ finanzieren zu können.
Werner Enke, May Spils und Peter Schamoni 1967
May Spils gehörte sicherlich nicht – wie auch die meisten Mitglieder der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ – zu den politisch motivierten Filmemachern des ‚Jungen Deutschen Films’; sie wollte stattdessen endlich die Langeweile aus den Kinos vertreiben, was die Regisseure des ‚Jungen Deutschen Films’ ihrer Meinung nach bisher nicht geschafft hatten.6
May Spils war allerdings auch nicht daran interessiert, das Kino der 1950er Jahre fortzusetzen bzw. wiederzubeleben. Ihr filmischer Ansatz war, die gesellschaftliche Realität als thematische Ausgangsbasis zu benutzen, da es sie reizte, die Beobachtungen, die sie in der sie unmittelbar umgebenden Realität machte, an Milieus, an Freunden, in filmische Sprache, in bewegte Bilder umzusetzen.7 In der deutschen ‚Jungfilmer-Bewegung’, die sich ab Anfang der 1960er Jahre formierte, war May Spils die erste Regisseurin; sie war, wie man damals in der Tageszeitung ‚Die Welt’ lesen konnte, „die erste unübersehbare Regisseurin des deutschen Films seit Leni Riefenstahl, […].“ 8 Im europäischen Ausland machten in dieser Zeit die Französin Agnes Varda und die Schwedin Mai Zetterling auf sich aufmerksam.
Die Story für ‚Zur Sache, Schätzchen’ nannte May Spils selbst eine der Wirklichkeit entnommene Geschichte aus dem damaligen Schwabinger Milieu in München9, das unter anderem aus Gammlern, Trinkern, miniberockten Mädchen, maxiverkorksten Revoluzzern und mehr kleinen als großen Genies bestand.10
In den 1960er Jahren entstand in München-Schwabing eine eigenständige – überregional beachtete – Kulturszene. Schwabing wurde auch ein beliebter Drehort des ‚Jungen Deutschen Films’ und es kam immer wieder vor, dass fast zeitgleich in den Straßen Schwabings Filmproduktionen realisiert wurden. Der ‚Englische Garten’ war ein beliebter Treffpunkt der Gammler und Hippies, die Schwabinger ‚Leopoldstraße’ entlang gab es zahlreiche Lokale, in denen sich Künstler, Schauspieler und Musiker trafen. Im damaligen Vergleich konnte sich München-Schwabing selbst mit Kulturmetropolen wie Paris, London oder Amsterdam messen. Gerade junge Filmemacher ließen sich von der Atmosphäre in Schwabing inspirieren und versuchten, das aufregende und zugleich entspannte Leben filmisch darzustellen. May Spils selbst beschrieb Schwabing – durchaus nicht unkritisch – als eine Welt
[…] deren Charme so viele junge Leute erliegen, ohne recht zu begreifen, dass hinter der dünnen Oberfläche dieses Zaubers nichts oder allenfalls der große Spiegel steht, in dem man plötzlich nur sich selbst gegenübersteht. Schwabing ist keine Philosophie mehr, sondern nur noch eine ganz reizvolle Durchgangsstation für junge Leute zwischen 17 und 30 Jahren. 11
Die Münchener ‚Leopoldstraße’ in den 1960er Jahren
Die Grundidee für ‚Zur Sache, Schätzchen’ lieferten ihr zwei Freunde, die späteren Darsteller Werner Enke und Henry van Lyck, die sie monatelang beobachtete, „junge Schauspieler, in ihren alltäglichen Gewohnheiten, stellte ihre spezifischen kleinen Eigenarten fest, achtete darauf, wie sie Mädchen nachsehen, sie ansprechen, sich ihnen gegenüber verhalten.“12 Genauso wie die späteren Filmfiguren Martin und Henry lebten die beiden in den Tag hinein und hielten nicht viel vom Geldverdienen, doch
[…] bewahren sie sich im Rahmen dieses ‚Allgemeinguts’ spezifische individuelle Eigenarten, hat der eine oft ein bisschen mehr Vernunft als der andere, so dass sie sich merkwürdigerweise ganz gut ergänzen 13
so noch einmal May Spils.
May Spils führt Regie, mit Kameramann Klaus König, 1967
Trotz ihrer detaillierten Alltagsbeobachtungen hielt May Spils selbst den Film nicht für einen realistischen Film, da ihr die Situationen, in die sich die Hauptfigur Martin im Laufe der Filmhandlung begibt, viel zu absurd-grotesk erschienen; die Realität betrachtete sie nur als spielerische Ausgangsbasis für ihre skurrile Komödie – mit einem allerdings nachdenklich stimmendem Hintergrund.14 May Spils hatte nicht die Absicht, in ihre erste größere filmische Arbeit revolutionär-ideologische Vorstellungen im Sinne des ‚Oberhausener Manifests’ zu legen. Sie wollte nur kein ‚verstaubtes’ Kino im Sinne von ‚Papas Kino’ machen.
Das gelang ihr nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem Produzenten des Films, mit Peter Schamoni. Dieser ermöglichte die letztendliche Finanzierung von ‚Zur Sache, Schätzchen’, indem er seinen finanziellen Betrag aus dem Bundesfilmpreis für den von ihm produzierten und von seinem Bruder Ulrich inszenierten Film ‚Alle Jahre wieder’ in die Finanzierung einbrachte. ‚Zur Sache, Schätzchen’ entstand ohne staatliche Projekt-Förderung, ohne Fernseh-Beteiligung und ohne eine Verleihgarantie, er entwickelte sich aber, von Peter Schamoni lediglich als lockere Sommerkomödie geplant, zum bis dahin größten Kassenerfolg des deutschen Films.15
Werner Enke, May Spils und Uschi Glas