Читать книгу NOLA Knights: His to Defend - Rhenna Morgan - Страница 10

Kapitel 6

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Er sollte arbeiten, sollte auf der Straße präsent sein und die Geschäfte, die er am Laufen hatte, mit allen Mitteln durchziehen. Und das würde er auch tun.

Irgendwann.

Aber im Moment war die Videoüberwachung der Küche, die gerade auf Sergeis Monitor zu sehen war, einfach zu unterhaltsam, um sich davon abzuwenden. Er drehte die Lautstärke an seinem Computer ein wenig höher.

„Echt jetzt?“ Evette blickte von der Einkaufsliste auf, die Olga ihr nur ein paar Sekunden zuvor hingeschoben hatte, und sah verblüfft zu der stämmigen Köchin. „Sie erwarten allen Ernstes von mir, dass ich in das teuerste Lebensmittelgeschäft der Stadt gehe, um Sachen zu besorgen, die ich woanders billiger einkaufen könnte?“

Olga wirkte nicht im Geringsten eingeschüchtert. Sie sah nicht mal vom Herd auf, während sie weiter im Topf herumrührte. Und angesichts des Mangels an Leidenschaft in ihrem schweren russischen Akzent war sie nicht annähernd gewillt, Evettes Argumentation zu folgen. „Es ist da, wo die besten Zutaten zu finden sind, also ist es da, wo ich sie herhaben will.“

„Allerdings ist es Geldverschwendung.“

Olga hob die Schultern. „Es ist nicht mein Geld, aber es ist mein Essen.“

Evette richtete sich zu ihrer vollen Körpergröße von eins fünfzig auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Nein, es ist Sergeis Geld, und es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sein Haushalt effizient geführt wird. Dazu gehört auch, wie sein Geld ausgegeben wird.“

Olga erstarrte und wartete einen Herzschlag lang, bevor sie den Löffel am Rand des Kochtopfes abklopfte und ihn sanft beiseitelegte. Sie drehte sich langsam zu Evette um und eine unerschütterliche Entschlossenheit lag auf ihren harten faltigen Gesichtszügen. Da sie fast ein Meter zweiundachtzig groß und ihr Körper so stämmig wie ein Fass Scotch war, hätten die Bewegungen und ihr Gesichtsausdruck so manchen Mann dazu gebracht, einen vorsichtigen Schritt zurückzuweichen.

Doch nicht Evette.

Sie stand einfach da, entschlossen wie immer, und zeigte dieselbe finstere Mimik wie die Köchin.

„Mein pakhan wird kein billiges Essen essen“, sagte Olga.

„Und das werde ich auch nicht von ihm verlangen. Das alles bekommt man auf dem Bauernmarkt am Donnerstag für fast die Hälfte des Preises.“

„Ich brauche die Zutaten nicht am Donnerstag. Ich brauche sie heute.“

„Dann ändern Sie Ihr Menü.“

„Nein.“ Olga gab ein missbilligendes Geräusch von sich und wandte sich wieder dem Herd zu. „Sie besorgen die Zutaten oder Sie reden mit dem pakhan. Ich werde es nicht tun.“

Gut gekontert, alte Freundin. Mit diesem einen Satz hatte sich die listige Frau durchgesetzt, denn wenn die letzten Wochen ein Indiz waren, würde eher die Hölle zufrieren, als dass Evette ihn freiwillig aufsuchen würde.

Er wusste allerdings nicht, ob er erleichtert oder irritiert darüber sein sollte, dass nicht nur ihm aufgefallen war, dass sie ihm auswich.

Offensichtlich war Evette mit dem Ergebnis ihrer Auseinandersetzung mit Olga nicht zufrieden, weil sie ihre Hände an den Hüften zu Fäusten ballte, bevor sie aus der Küche marschierte.

Lachend drehte Sergei die Lautstärke wieder herunter und lehnte sich in seinem Bürosessel zurück, um entspannt ihren Weg durch das Haus über die Kameras zu verfolgen. Von allen Menschen, die auf seinem Anwesen arbeiteten, seine Soldaten eingeschlossen, war Olga die Einzige, die nicht nach Evettes Pfeife tanzte. Anderseits war er der Einzige, der nicht ihre Aufmerksamkeit gewinnen konnte.

Vielleicht hatte er sie an Emersons erstem Schultag zu weit getrieben, hatte sie mit seiner Berührung erschreckt. Schließlich war sie ein Engel und er war der Teufel. Die zwei Seiten eines Spektrums waren dazu bestimmt, sich nie zu begegnen.

Aber ein Mann kann träumen.

Beladen mit einer Kiste voller Reinigungsutensilien knallte Evette die Tür zum Lagerraum neben der Küche etwas fester zu als normal, eilte den Hauptflur entlang und die Haupttreppe hinauf, hielt sich dann rechts, um direkt auf das Büro zuzusteuern.

Er hatte kaum Zeit, sich von seiner entspannten Beobachtung aufzurichten und die Tastatur in die Hände zu bekommen, bevor sie in seine Sichtweite stürmte.

Sie blieb auf der Stelle stehen und taumelte dann zwei Schritte rückwärts. „Oh. Entschuldigung. Ich dachte, Sie wären mit Ihren Jungs unterwegs. Ich komme später wieder.“

Sein Puls stieg und klopfte kräftiger in seiner Kehle. Eine irritierende Reaktion, die ihn beinahe dazu brachte, sein Schweigen zu bewahren. Stattdessen schlüpfte ihm eine herausfordernde Bemerkung über die Lippen. „Und warum sollten Sie das tun?“

Ah, das war es wieder. Seine hartnäckige feya blieb stur und nahm sich zusammen, um sich selbst zu beweisen. Diese Frau hatte wirklich einen unbezähmbaren Geist. Das zog ihn an, forderte ihn geradezu heraus, sie noch ein wenig mehr zu drängen.

„Ich bin hier. Sie sind hier.“ Er zeigte in dem weiten Raum umher, wo Ledersofas und Stühle zu einer bequemen Sitzmöglichkeit angeordnet waren. „Es gibt nichts, was Sie davon abhält. Oder doch?“

Eine Sekunde. Ein wertvolles Stückchen Zeit, das er verpasst hätte, wenn er geblinzelt hätte.

Aber das hatte er nicht getan. Und in diesem kleinen Moment erhaschte er einen Blick auf das Unerwartete.

Hunger.

Vielleicht nicht die rohe, animalische Art von Hunger, die ihn mehr als einmal abends hinaus auf die Terrasse gelockt hatte, von wo aus er auf die Fenster des Kutscherhauses gestarrt hatte. Wo er sich an das Gefühl ihres Körpers an seinem erinnert hatte, als er sie an sich gezogen hatte. An den Duft von exotischen Blumen auf ihrer Haut, als er ihr ins Ohr geflüstert hatte, und wie sie deswegen erschaudert war.

Aber da war etwas.

Vielleicht war sie nicht ängstlich.

Vielleicht wollte sein Engel mit dem Teufel tanzen.

Sein Puls beschleunigte sich noch mehr, mit der gleichen entschlossenen Erwartung, die einer Konfrontation vorausging. „Ms. Labadie?“

Sie räusperte sich, ging zu einem der Regale voller klassischer Bücher, die bis zur Decke reichten, und stellte ihre Kiste mit Putzutensilien auf dem Boden neben dem Couchtisch ab. „Ich wollte Sie nicht stören, aber wenn es Ihnen recht ist, dass ich hier bin, dann werde ich mich meiner Aufgabe widmen.“

Es war gut, dass sie zu sehr darauf bedacht war, ihre Gleichgültigkeit zu demonstrieren, indem sie die Regale abstaubte, sonst hätte sie womöglich sein Lächeln bemerkt.

Noch bevor er sie jemals zu Gesicht bekommen hatte, hatte Dorothy sie bereits eine Rakete genannt. Im vergangenen Jahr hatte er sich persönlich davon überzeugen können, als er sie im Diner beim Rein- und Rausgehen beobachtet hatte, doch in den letzten drei Wochen, seit sie angefangen hatte, für ihn zu arbeiten, hatte er eine Menge von diesem Temperament mitbekommen.

Er zwang sich dazu, sich wieder auf den Bildschirm zu konzentrieren. Es gelang ihm sogar, die ersten Zeilen eines Geschäftsvertrages zu lesen. Und dann schweifte sein Blick erneut über den Rand des Monitors hinweg.

Evette stand noch immer mit dem Rücken zu ihm. Ihre Jeans war schlicht – ohne auffällige Applikationen, so wie einige Frauen sie gern trugen, aber der Saum war an den Knöcheln etwas emporgerollt. Der Schnitt betonte ihren Hintern und ihre Hüften besonders gut. Das blassrosa Tanktop unterstrich die leichte Bräune auf ihren Armen, die körperliche Arbeit gewohnt waren. Ihre kurzen Haare offenbarten einen freien Blick auf ihren Nacken, eine köstliche Körperpartie. Er hatte geträumt, daran zu naschen.

Sie hielt inne, nahm das Handy aus ihrer Gesäßtasche und blickte auf den kleinen Bildschirm. Sergei konzentrierte sich wieder auf den Monitor vor ihm, ertappte sie jedoch dabei, wie sie ihm einen kurzen Blick zuwarf.

Sie schrieb eine SMS, schob das Handy zurück in die Tasche und fuhr mit ihrer Arbeit fort.

Einige Minuten später wiederholte sich dieser Vorgang. Und dann erneut. Und jedes Mal, bevor sie eine weitere Nachricht tippte, prüfte sie zuerst kurz, was er tat.

Es wäre clever gewesen, es einfach zu ignorieren und der Versuchung gänzlich auszuweichen. Allerdings mochte er es, sich mit Evette anzulegen. Sogar mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. „Stimmt etwas nicht, Ms. Labadie?“

Sie sah vom Sofatisch auf, den sie gerade mit einer nach Zitrusfrüchten duftenden Lösung eingesprüht hatte. „Wie bitte?“

„Ihr Handy. Sie haben es jetzt dreimal überprüft. Gibt es etwas, um das Sie sich kümmern müssen?“

Ein zurückhaltendender Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus, bevor sie ihren Blick schnell von ihm abwandte und begann, die Oberfläche abzuwischen. „Es ist nichts.“

Bullshit. Wäre nichts gewesen, hätte sie die Textnachrichten vollkommen ignoriert und garantiert nicht so schnell weggeguckt, als er nachgefragt hatte. Sie schien zwar nicht annähernd so besorgt zu sein wie vor zwei Wochen, als sie die SMS im Wagen erhalten hatte, sie wirkte allerdings immer noch beunruhigt. Und obwohl er keine Ahnung hatte, wer ihr an diesem Tag die Nachricht geschickt hatte, hatte er flüchtig, aber deutlich genug den Satz ‚Wo steckst du?‘ lesen können. Wenn seine feya einen Grund hatte, warum sie nicht gefunden werden wollte, dann musste er das wissen. „Ich habe bei zwei Gelegenheiten klargestellt, dass ich es nicht mag, wenn diejenigen, die unter meinem Schutz stehen, Sorgen irgendwelcher Art haben. Sind Sie sicher, dass es nichts gibt, was Sie mir mitteilen möchten?“

Sie warf den Lappen auf den Tisch, stemmte die Hände in die Hüften, genauso wie sie es zuvor bei Olga in der Küche getan hatte. „Nein, Mr. Petrovyh. Das möchte ich nicht. Nur wenn Sie planen, mein Kind oder die Lehrer wegen der Hausaufgaben zu terrorisieren.“

Normalerweise schockte ihn nichts, aber das überraschende Thema traf ihn völlig unvorbereitet, und er war sicher, dass sich das auch in seinem Gesicht widerspiegelte. „Hausaufgaben?“

„Ja, sie wissen schon. Dieses lästige Zeug, von dem jeder Mensch glaubt, er hätte es hinter sich gelassen, als er die Schule abgeschlossen hat, nur um dann festzustellen, dass er den ganzen Kram noch einmal durchmachen muss, sobald er Kinder hat.“ Sie runzelte die Stirn, griff nach dem Spray, das sie bereits zuvor benutzt hatte, und begann damit, die Beistelltische neben der schönen gepolsterten Flügelrückenlehne einzustäuben. „Diese Schule mag ja die beste Erfindung seit geschnitten Brot sein, aber bei den Hausaufgaben wird echt nicht gespart.“

So verführerisch es auch war, über den Anblick ihres Hinterns zu schmunzeln, riss er sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf seinen Computer. „Nein. Ich kann mir vorstellen, dass sie das nicht machen.“

Stille legte sich über den Raum, die nur durch Evettes zügige Reinigung und sein sporadisches Tippen auf der Tastatur unterbrochen wurde. Ihr Handy blieb in ihrer Hosentasche, doch angesichts ihrer finsteren Mimik hätte er wetten können, dass Emerson mit seinen SMS-Nachrichten nicht langsamer geworden war.

Es ergab eigentlich Sinn. Der Junge mochte für sein Alter recht reif sein, aber bei einem Siebenjährigen war Geduld nicht gerade die Norm.

Sergei schloss das Dokument, loggte sich aus dem Computer aus und erhob sich. „Ich muss mich um etwas kümmern.“

Evette nickte nur, statt zu antworten, wich seinem Blick aus und machte weiter.

Er lief die Treppe hinunter, durch den Flur und die Küche, nahm den direkten Weg über das hintere Grundstück und war schließlich dort, wo er sein musste. Sergei klopfte an die Eingangstür des Kutscherhauses.

Nur zehn Sekunden später öffnete sie sich, und nach der Überraschung auf Emersons Gesicht zu urteilen, war Sergei wohl der letzte Mensch, mit dem er gerechnet hatte.

„Hey“, sagte Emerson, schüttelte sich dann und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Ich meine, hallo, Mr. Petrovyh.“

„Du machst Hausaufgaben?“

Emersons Augenbrauen schossen in die Höhe und formten auf seiner Stirn ein V. „Ja, Sir.“

„Was für welche?“

„Mathe.“

„Und das fällt dir schwer?“

Der Junge verzog seine Lippen, als hätte er etwas Ungenießbares probiert. „Die Lehrer sagen, dass meine Klasse wahrscheinlich ein oder zwei Stufen weiter ist als die an meiner alten Schule. Ich habe einiges nachzuholen.“

Kein Beschweren. Kein Jammern. Nur eine simple Feststellung von Tatsachen. Sergei trat einen Schritt zurück und winkte Emerson ins Haupthaus. „Komm mit. Du wirst mir zeigen, woran du gerade arbeitest, und ich werde dir helfen, bis deine Mutter mit ihren Aufgaben fertig ist.“

Emersons Augen, die genau die gleiche Farbe wie die seiner Mutter hatten, verengten sich und eine gewisse Vorsicht tanzte darin. „Wirklich?“

Sergei nickte. Und wartete.

Der Junge sah zu dem Küchentisch, auf dem sein Buch aufgeschlagen neben seinem Ordner lag, und wieder zurück zum Haupthaus. „Haben Sie Kekse?“

„Olga hat immer Teegebäck da.“

„Teegebäck?“

„Ein russischer Favorit und besser als Kekse. Viel Zucker und Walnüsse.“

Emerson sah aus, als würde er es ihm nicht abkaufen, doch er nahm sich wenigstens die Zeit, seine Optionen abzuwägen. „Mom hat mich bisher nicht mit zum großen Haus genommen. Sie sagt, es sei der Ort, an dem sie arbeitet, und keiner, um sich umzuschauen.“

„Ja, aber das große Haus gehört mir, und wenn ich dich einlade, bist du mein Gast.“

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Emerson die Schultern hob, seine Bücher einsammelte und die Haustür hinter sich zuzog. „Okay, los geht’s.“

Sergei hatte gedacht, dass es unangenehm sein könnte, mit einem Kind zu arbeiten, doch mit Emerson zusammen zu sein, war ebenso einfach, wie sich auf ihn einzulassen. Vor allem, als Olga ihn zu Gesicht bekam und anfing, ihn mit russischen Süßigkeiten zu überhäufen.

Die Hausaufgaben waren in unter fünfundvierzig Minuten erledigt.

„Also“, sagte Sergei und wischte sich den Puderzucker von seinen Fingern. „Wie läuft es in der Schule?“

„Gut“, antwortete Emerson, der gerade einen Bissen vom Teegebäck genommen hatte. „Habe bisher noch nicht wirklich Freunde gefunden. Bis auf einen Jungen. Er geht in meine Klasse. Ziemlich schüchtern und ruhig, aber nett. Ansonsten bin ich nur damit beschäftigt, mitzukommen.“

„Das wird sich ändern.“ Jedenfalls hoffte Sergei darauf. Als er so jung gewesen, war, hatte er selbst nicht gerade viele Freunde gehabt. Die meisten der Jungs um ihn herum hatten ihn entweder geärgert oder ihm vorgeworfen, dass er wegen Anton bevorzugt behandelt würde. Andere hatte ihm wegen seiner Beziehung zu Anton eine Freundschaft vorgetäuscht. Nur wenige hatte er als echte Verbündete angesehen. „Mit der Zeit wirst du dich eingewöhnen und neue Leute kennenlernen.“

Schnelle Schritte von weichen Sohlen auf dem Parkettboden waren zu hören, kurz bevor Evette in die Küche schneite. Ihr Kopf war gesenkt, die Kiste mit Putzutensilien hing an ihrem Unterarm und ihre Daumen schienen im Dauerfeuermodus eine Textnachricht zu schreiben. So vertieft, bemerkte sie zuerst nicht, dass sie nicht allein in der Küche war.

Ihr Kopf schnellte empor.

Ein Blick auf Emerson und sie blieb wie versteinert stehen. „Baby, du hast nicht auf meine Textnachrichten geantwortet.“ Sie runzelte die Stirn und sah von Sergei zu Olga. „Und wieso bist du überhaupt hier? Hatte ich dir nicht gesagt, dass dies hier das Haus von Mr. Petrovyh ist?“

„Er hat mich eingeladen.“

Ihr Kopf flog zurück, als hätte man sie gerade geohrfeigt, und sie blinzelte wie jemand, der nach Tagen in der Dunkelheit zum ersten Mal wieder das Tageslicht sehen konnte. „Hat er das?“

„Hmm, hmm.“

Sie sah Sergei an. „Das haben Sie?“

„In der Tat.“

„Warum?“

„Er hat mir mit den Hausaufgaben geholfen.“ Emerson schob seinen Ordner auf die leere Stelle neben ihm auf dem Tisch. „Schau es dir an. Der Russe kennt sich in Mathe aus.“

Olga kicherte und murmelte auf Russisch: „Der Russe. Ich mag das. Der Junge hat Eier, genau wie seine Mutter.“

Sergei hielt sein Lächeln zurück, allerdings nur knapp. Er hatte schon die Vermutung gehabt, dass Olgas Sturheit Evette gegenüber eher Show als tatsächlich ein territoriales Verhalten gewesen war, und mit dieser kleinen Bemerkung hatte sie ihn darin bestätigt.

Evette ging zu dem Hochtisch und prüfte die Aufgaben ihres Jungen. Sobald sie zufrieden war, schloss sie die Mappe und begegnete Sergeis Blick. „Danke.“

„Das habe ich gerne gemacht.“

Sie nahm den Ordner auf und wollte ihn gerade an Emerson zurückgeben, als sie ein gefaltetes goldenes Blatt Papier zwischen den Seiten entdeckte. Sie zupfte es hervor und öffnete es. „Was ist das?“

Emerson schnappte es ihr weg. „Es ist nichts.“

„Es ist nicht nichts, wenn ich es nicht lesen kann.“ Evette nahm es wieder zurück, faltete es auseinander und überflog die Zeilen, die darauf standen. Eine Sekunde später wurde ihr Gesichtsausdruck ganz weich und sie hob ihren Blick zu Emerson. „Ein Vater- und Freunde-Frühstück?“

„Die sind doof.“ Emerson zog das Papier aus Evettes lockeren Fingern und legte es beiseite. „Es geht sowieso kaum jemand da hin. Ist keine große Sache.“

Aber es war eine große Sache. Und nach Evettes Gesichtsausdruck zu urteilen, war es das auch schon bei vielen anderen Gelegenheiten gewesen. „Du könntest deinen Onkel Carl bitten, mitzugehen.“

„Nein.“ Emerson stapelte sein Lehrbuch auf seinen Ordner und hüpfte vom Hochstuhl. „Das letzte Mal, als wir das versucht haben, konnte ich für Wochen keinem mehr ins Gesicht sehen.“

„Wer ist Onkel Carl?“, frage Sergei.

„Der Bruder meines Vaters“, antwortete Evette mit einem verzweifelten Seufzen. Sie folgte Emerson, der bereits zur Hintertür gegangen war. Die Tür führte zum Hinterhof und zum Kutscherhaus dahinter. „Emerson, achte auf deine Manieren und sag Mr. Petrovyh Gute Nacht.“

Emerson blieb an der Hintertür stehen und sah Sergei mit einem Stirnrunzeln an, das seine Züge noch mehr trübte. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Und für die Kekse. Beziehungsweise das Teegebäck. Oder wie auch immer die genannt werden. Tut mir leid, dass ich übellaunig geworden bin.“

„Mathe kann das bei Menschen bewirken“, sagte Sergei. Er nickte ihm zum Abschied zu und konzentrierte sich dann auf Evette. „Das nächste Mal, wenn Ihr Sohn Hilfe braucht, kann mein Haus warten.“

Es war das erste offene Lächeln, das sie ihm schenkte, seit – nun ja, vielleicht seit dem Tag, an dem sie sich an seinen Tisch bei Dorothy‘s gesetzt hatte. „Danke schön.“ Sie schubste Emerson nach draußen und winkte Olga zum Abschied. „Ich sehe Sie beide dann morgen früh.“

Und mit diesen Worten waren die zwei verschwunden und hinterließen eine unangenehme Stille in der Küche.

Olga legte ihre gefaltete Schütze auf der Kücheninsel ab und schlenderte zur Tür, die zu ihren Privaträumen führte. „Ich ruhe mich aus. Das Abendessen wird in einer Stunde fertig sein.“

Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern ließ Sergei einfach mit seinen Gedanken und der nachklingenden Energie des Jungen und seiner Feenmutter allein.

Fast mittig auf dem Tisch lag das zusammengefaltete goldene Blatt Papier.

Sergei hob es auf und las es.

Väter- und Freunde-Frühstück

8:00 Uhr, 26. Oktober

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund holte ihn erneut die Erinnerung ein an Evettes offenes Lächeln, bevor sie durch die Hintertür verschwunden war, gefolgt von der schieren Verwunderung auf ihrem Gesicht, als sie erfahren hatte, dass er Emerson bei den Matheaufgaben geholfen hatte.

Endlich hatte auch er einen Vorgeschmack, allerdings nur einen kleinen, auf die Leichtigkeit und Zärtlichkeit bekommen, die sich alle anderen in seinem Haushalt bis auf Olga verdient hatten.

Er mochte es.

Sehr sogar.

Er faltete das Papier einmal der Länge nach, steckte es in die Brusttasche seiner Anzugjacke und schlenderte zurück zu seinem Büro. Auf die eine oder andere Weise würde er einen Weg finden, noch mehr als dieses Lächeln zu verdienen.

NOLA Knights: His to Defend

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