Читать книгу NOLA Knights: His to Defend - Rhenna Morgan - Страница 9
Kapitel 5
ОглавлениеEvette drehte den schicken Wasserhahn aus Edelstahl an der Spüle ab, starrte ihn an und wartete.
Er tropfte nicht.
Ebenso war keiner der Badewannenstöpsel undicht, eine Tatsache, an die sie sich selbst nach einer Woche in Sergeis Kutscherhaus kaum gewöhnen konnte. Genauso genial war der Fakt, dass Emerson und sie jeweils ein eigenes Badezimmer zur Verfügung hatten. In ihrem Bad stand eine dieser riesigen Badewannen mit Düsen, die nach einem langen Arbeitstag einfach der Himmel auf Erden waren und in denen das Wasser warm gehalten wurde.
Es waren zwei kleine zusätzliche Vergünstigungen zu all dem anderen Luxus, der eigentlich nicht so viel bedeuten sollte, wie er es tat, sich aber dennoch wie ein Lottogewinn anfühlte. Und von heute an würde Emerson nicht mehr durch gefährliche Gegenden laufen müssen, wenn er zu Schule ging. Die Frage, die sich ihr stellte, war, ob der Preis für so viel Segen es wert war. Sicher, die Unterkunft war jenseits von allem, was sie bisher gehabt hatte, aber mit ihr kamen auch Wachen. Viele von ihnen. Einige waren um das Anwesen herum positioniert, und mindestens ein oder zwei davon folgten Emerson und ihr, wenn sie irgendwohin gingen. Und das, obwohl Evie versucht hatte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie hielten sich stets im Hintergrund, aber sie waren eine ständige Präsenz und erinnerten Evette an die Welt, in der sie sich nun bewegte.
Die Aussicht vom Küchenfenster aus war nicht überwältigend. Nur ein kleiner Hinterhof, der von italienischen Zypressen eingerahmt wurde, mit gepflegten Hibiskusbüschen dazwischen, die ohne Zweifel im Spätfrühling und Sommer wunderschön waren. Doch es war verdammt schön, in den angenehmen Nächten rausgehen und sich in einen der gemütlichen Liegestühle setzen zu können. Einen solchen Luxus hatte sie noch nie in ihrem Leben gehabt. Und da die frühe Morgensonne sich gerade am Himmel zeigte, war es verlockend, sich ein wenig Ruhe für sich selbst zu gönnen. Allerdings war es Emersons erster Tag an der neuen Schule, und sie wollte nicht riskieren, dass sie zu spät kamen.
Sie trocknete sich die Hände mit einem der Küchenhandtücher ab, die einen Tag nach ihrem Einzug zusammen mit anderen Küchenutensilien und -geräten geliefert worden waren, und rief die Treppe hinauf: „Emerson, bist du wach?“
„Ja.“
Oh je. Nur ein Wort, aber der Tonfall zeigte, dass er immer noch schlechte Laune hatte. Nachdem Emerson von ihrer neuen Arbeit und den damit verbundenen Wohnräumen erfahren hatte, war er neugierig – und sogar ein wenig hoffnungsvoll – gewesen. Doch in der Sekunde, als er mitbekommen hatte, dass er auf eine andere Schule gehen würde, hatte er dichtgemacht wie eine von Liebeskummer geplagte Frau, die ihren Schwarm an die beste Freundin verloren hatte.
Vielleicht könnte sie ihn mit Essen bestechen, um ihn in gute Laune zu versetzen. „Möchtest du etwas Besonderes für deinen großen Tag?“
„Ja. Wie wäre es, wenn ich wieder an meine alte Schule gehen könnte?“
„Das wird nicht passieren, Großer. Die Lehrer waren sich alle einig, dass diese Schule perfekt für dich ist.“
Er kam in Sichtweite. Die für alle männlichen Schüler vorgeschriebenen braunen Hosen und rotbraunen Hemden ließen ihn noch mehr wie einen Erwachsenen gefangen in einem Kinderkörper wirken. Emerson warf sich den Rucksack über eine Schulter und stampfte die Treppe hinunter. „Die haben leicht reden. Die sind ja auch nicht diejenigen, die wieder von vorne anfangen und neue Freunde finden müssen.“
Allerdings hatte Emerson gar keine Freunde. Er hatte nie über jemanden erzählt, war nie zu jemandem nach Hause gegangen oder hatte jemanden eingeladen. Das war eine weitere Sache, die seinen Lehrern aufgefallen war. Normalerweise neigte er eher dazu, sich mit den Lehrern zu unterhalten.
„Wenn jemand neu anfangen und es richtig machen kann, dann du.“ Sie wartete, bis er das Ende der Treppe erreicht hatte, legte den Arm um ihn und zog ihn in einer dieser unbeholfenen Umarmungen an sich, die der Junge zu hassen schien. „Man weiß nie, Kleiner. Dies könnte der Beginn von etwas richtig Großem für dich sein.“
Emersons Blick glitt zu dem Fenster, das zur Haupteinfahrt zeigte, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Neugier und Wachsamkeit lagen darin, und das passte besser zur Mimik eines Siebenjährigen. „Vielleicht für uns beide.“
Hmm.
Interessant.
Ein mürrischer Emerson, daran war sie gewöhnt. Den schlecht gelaunten Emerson konnte sie tolerieren. Aber ein verschmitzter Emerson wäre die reinste Freude.
Sie öffnete die Tür der Speisekammer, die ebenfalls einen Tag nach ihrem Einzug unaufgefordert aufgefüllt worden war, und begutachtete den Inhalt. „Wonach ist dir?“
Emerson richtete seine Aufmerksamkeit auf sie und sein unergründlicher Gesichtsausdruck war wieder zurückgekehrt. „Nach gar nichts.“
Lüge.
Sie senkte ihr Kinn und sah ihn mit diesem typischen „Mach-jetzt-keine-Faxen“-Blick an, den ihre Momma früher stets bei ihr eingesetzt hatte. „Du weißt, dass es eine eingebaute Lügendetektorfunktion bei jeder Frau gibt, die in der Minute, in der sie entbindet, ausgelöst wird. Egal, wie sehr das Kind versucht, sie zu überlisten, wir wissen immer die Wahrheit.“
Emersons Augenwinkel kräuselten sich. Mutter Gottes, war das etwa ein Lächeln? Nicht breit genug, dass dabei Zähne zu sehen wären, aber eindeutig ein Heben der Lippen mit einer gewissen Frechheit.
Sie packte den Griff der Speisekammer fester, sog den Moment in sich auf und ließ sich darauf ein. „Also, bist du jetzt damit fertig, mich auf den Arm zu nehmen? Wir müssen nämlich noch frühstücken, bevor wir zur Schule aufbrechen.“
„Ich bin fertig.“ Er senkte den Kopf und tat so, als ob er etwas in seinem Rucksack suchen würde, aber das Grinsen war nach wie vor da.
„Gut. Was möchtest du denn jetzt haben? Lucky Charms, Pop-Tarts oder Froot Loops?“
„Mom, du weißt doch, dass die Unmengen von Zucker enthalten.“
Gott steh ihr bei. Wie viele Mütter mussten ihre Kids dazu überreden, Junkfood zu essen? „Natürlich weiß ich das. Ebenso weiß ich auch, dass du, wenn du es jetzt nicht genießt, puren Zucker zu essen, absolut etwas verpasst. Also? Was darf es nun sein?“
Emerson zuckte mit den Schultern. „Vermutlich Lucky Charms.“
Evette schnappte sich die XL-Packung und fing an, eine Schüssel zu füllen. „Gute Wahl. Schließlich sind sie auf magische Weise köstlich.“
Das Glucksen, das vom Landhaustisch ertönte, brachte sie fast dazu, die Milch über der gesamten Arbeitsplatte zu verschütten.
Ein Lächeln und ein Lachen?
Beides nicht übertrieben ausgelassen, aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Und die Antwort auf die Frage, die sie in der letzten Woche jede Nacht zu lang wachgehalten hatte. Das Glücksspiel mit Sergei Petrovyh lohnte sich absolut. Vor allem, wenn es bedeutete, ihren Jungen aus dem dunklen Loch herauszuholen, in dem er gesessen hatte.
Das Frühstück war erledigt und das Geschirr in die Spülmaschine geräumt – ein Gerät, das nicht nur neuwertig war, sondern auch erstaunlich leise lief. Evette schnappte sich ihre Handtasche und zog sich einen leichten Pullover über, weil es morgens inzwischen recht frisch draußen war. „Komm schon, Champ. Lass uns dieses neue Abenteuer beginnen.“
Er schaute finster drein und murmelte etwas vor sich hin. Sie wusste, dass es sie verärgern würde, wenn sie nachhaken würde, was er gesagt hatte, also ignorierte sie es und wartete an der Haustür auf ihn.
Die drei Männer, die Emerson und sie in der letzten Woche abwechselnd überall hin begleitet hatten, standen etwa drei Meter entfernt von ihrer Tür. Sie würde sich wohl daran gewöhnen müssen, dass ihr immer jemand auf Schritt und Tritt folgte, aber angesichts der Tatsache, für wen sie arbeitete, hatte sie es akzeptiert und die Sicherheitsvorkehrungen sogar zu schätzen gelernt. Was sie allerdings nicht erwartet hatte, war, dass Sergei neben seinem hammergeilen BMW stand und sich mit Kir und Roman unterhielt. Er sah genauso gut aus wie immer. Heute trug er zu seinem grauen Anzug ein weißes Hemd und hatte sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er wirkte damit halb wie ein Biker, halb wie ein Geschäftsmann, alles mit der Ausstrahlung eines mörderischen Mafiabosses.
Sie spürte, wie Emerson neben ihr stehen blieb. „Dir ist schon klar, dass er es merkt, wenn du ihn beobachtest?“
Für sein Alter war er viel zu scharfsinnig. Es wäre klüger, das nicht zu vergessen und ihre gaffenden Blicke besser für sich zu behalten. „Man kann keiner Frau einen Vorwurf machen, wenn sie den Anblick eines gut aussehenden Mannes zu schätzen weiß. Eines Tages, wenn du erwachsen bist und voller Selbstbewusstsein umherstolzierst, wird dich eine Frau ebenso bewundern, und du wirst mir zustimmen.“
„Pffff.“
„Pffff“, machte sie ihn nach und öffnete die Tür. „Lass uns gehen.“
Während sie Sergei gänzlich ignorierte, schwebte sie förmlich an ihren Wachen vorbei. „Heute ist nur der erste Tag an einer neuen Schule, Jungs. Alles friedlich zwischen hier und dem Schulkomplex. Also kein Grund zur Sorge.“
Nachdem die Männer ihr in der letzten Woche wiederholt die gleichen Argumente entgegengebracht hatten, hatte sie wenigstens eine kleine Diskussion erwartet, doch die Wachen blieben stumm und standen einfach nur da.
„Wir sehen uns, Tony. Tschüss, Reggie. Tschüss, Mikey“, rief Emerson ihnen zu.
Beim Klang seines vertrauten, nahezu gut gelaunt klingenden Abschieds wäre Evette fast gestolpert, als sie zu ihrem Sohn zurückblickte.
Emerson schob seinen Rucksack höher auf die Schulter. „Was denn?“
Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um, um zu sehen, wohin sie lief, und blieb einen Schritt weiter stehen, kurz bevor sie mit Sergei zusammenstieß. „Oh, hey.“ Sie sah zu Kir und Roman, die etwas versetzt hinter ihm standen. „Wir sind gerade auf dem Weg zur Schule.“
„In der Tat.“ Sergei bewegte sich auf die Hintertür des BMW zu. „Aber ihr werdet nicht zu Fuß gehen.“
Schweigsam wie immer bewegte sich Mikey hinter ihr und öffnete die Autotür für sie.
Evette hatte zwar viele Gelegenheiten gehabt, das Äußere der teuren Limousine zu bewundern – Emerson hatte sich bemüht, ihr zu erklären, dass es sich dabei um einen Alpina und damit um die prestigeträchtigste BMW-Linie handelte –, aber sie hatte sie nie von innen gesehen, und das war genauso beeindruckend. Hellbraunes Leder, das über weich gepolsterte Sitze gespannt war und durch glänzendes dunkles Holz hervorgehoben wurde. In den beiden Rückenlehnen der Frontsitze waren Bildschirme eingebaut und jeder Zentimeter des Innenlebens war ausstellungsreif.
Sie hörte auf, den Wagen zu bewundern, und drehte sich zu Sergei um. „Wir müssen nicht fahren. Es ist eine gute Gegend und es ist schönes Wetter. Wir können laufen.“
„Sie werden fahren.“
„Mr. Petrovyh, das ist nicht notwendig.“
Sergei hob eine Augenbraue.
„Sergei“, korrigierte Evette sich selbst. „Wir können wirklich zu Fuß gehen. Das ist gesund.“
„Vielleicht an einem anderen Tag.“ Er kam näher und senkte seine Stimme. „Mein Gebiet, Ms. Labadie. Meine Regeln.“
Am liebsten hätte sie ihm ihre Meinung über eigenmächtiges Handeln gegeigt, aber die Vernunft riet ihr, ihre Kämpfe besser auszuwählen. Es würde in Gegenwart von Emerson nicht gut aussehen. Also gab sie nach und bedeutete Emerson, auf dem Rücksitz Platz zunehmen. Kaum war ihr Sohn in den Wagen geklettert, flüsterte sie über ihre Schulter zu Sergei: „Warum muss ich Sie beim Vornamen nennen, wenn Sie mich immer noch mit meinem Nachnamen ansprechen?“
Evette rechnete nicht wirklich mit einer Antwort darauf und hatte nur etwas entgegnen wollen, ehe sie ihrem Sohn in den Wagen folgte. Sie hätte definitiv nicht damit gerechnet, dass Sergei einen Arm um ihre Taille legen, sie an seinen starken, massiven Körper ziehen würde und, bevor sie einsteigen konnte, mit seiner Stimme und diesem Akzent in ihr Ohr flüstern würde: „Weil ich, malen’kaya feya, den Klang meines Namens auf deinen Lippen mag.“
Seine Berührung war so schnell verschwunden, wie sie passiert war, aber sein hoch aufragender Körper blieb eine stete Präsenz hinter ihr. Und die Wirkung seiner Aktion sowie die geflüsterte Nachricht rasten noch immer durch jede Faser ihres Körpers.
Mit einer Hand stützte sie sich auf dem Autodach ab, unsicher, ob sie ihn ansehen und herausfinden sollte, ob sie sich das gerade nur eingebildet hatte oder ob es besser wäre, sich im Wagen zu verstecken.
Es grenzte schon fast an Masochismus, dass sie es nicht sein lassen konnte, ihren Kopf wenigstens so zu drehen, dass sie sein Gesicht sehen konnte.
Nein. Das hatte sie sich nicht eingebildet. Dieses Grinsen war viel zu auffällig, und er hatte den Gesichtsausdruck eines Mannes, der nicht nur mit seiner Handlung, sondern auch mit der Reaktion, die er damit provoziert hatte, mehr als zufrieden wirkte.
Hitze schoss ihr in die Wangen. Sie duckte sich, um in den Wagen zu steigen, und ihre eigentlich fließenden Bewegungen dabei waren so zittrig, dass sie fast mit dem Kopf an das Autodach prallte. Evette strich sich mit den Händen über die jeansbedeckten Oberschenkel und stieß einen bebenden Atemzug aus.
Er veräppelt dich nur. Es gibt nichts, was man da hineininterpretieren sollte. Lass es hinter dir und mach einfach mit deinem Tag weiter.
Ohne Vorwarnung schob sich Sergei neben sie auf den breiten Rücksitz und zwang sie dazu, in die Mitte zu rutschen.
Die Tür schlug zu und die zwei vorderen öffneten sich. Mikey setzte sich hinter das Lenkrad und Roman nahm auf dem Beifahrersitz Platz, wobei keiner der beiden Männer einen Blick nach hinten riskierte.
„Was machen Sie da?“, schnappte Evette ein wenig zu scharf.
Ungerührt wie immer schlug er ein Bein so über das andere, wie es nur der Rücksitz einer Luxuslimousine erlaubte. „Ich würde wohl annehmen, dass das recht offensichtlich ist, Ms. Labadie. Ich begleite Sie.“
„Ich brauche keine Hilfe dabei, meinen Sohn zur Schule zu bringen.“
„Natürlich nicht. Aber Sie haben erwähnt, dass es sich um eine außergewöhnliche Schule handelt, und ich bin ein großer Befürworter von Bildung. Ebenso ist sie auch ein Teil des Viertels, in dem ich lebe, also möchte ich mich gern selbst dort umsehen.“
Der Wagen verließ die Einfahrt. „Sie sind ein Befürworter von Bildung?“
Seine Lippen zuckten und doch behielt er seinen Blick zur Frontscheibe gerichtet. „Ich habe Englisch und Wirtschaft im Hauptfach studiert. Ebenso habe ich einen Master in Business. Also ja, ich bin ein absoluter Anhänger von Wissenschaften.“
Rechts neben ihr lachte Emerson.
Zweimal Gelächter, ein Lächeln und freches Benehmen ihres Sohnes und etwas, was sie nur als ernsthafte sexuelle Anspielung ihres todbringenden Bosses verstehen konnte – das alles vor acht Uhr morgens. Bei dem Tempo würde sie vor Mittag Wein und ein Nickerchen brauchen.
Emerson beugte sich weit genug vor, um Sergei ansehen zu können. „Wieso Englisch als Hauptfach?“
„Weil ich Literatur mag.“
„Hmm, das macht Sinn.“ Mit einem Nicken lehnte sich ihr Sohn wieder zurück. „Mom mag sie auch. Ganz besonders das Zitat: Die meisten Menschen führen ein Leben in stiller Verzweiflung und sterben mit dem gleichen Lied in ihrem Herzen. Deswegen hat sie mir den Namen Emerson gegeben.“
Sergei hob den Blick, bis er auf die Rückenlehne des Sitzes vor Emerson sah. „Dieses Zitat stammt von Henry David Thoreau.“
„Das stimmt, aber sie sagte, Henry und David wären zu schlicht und Thoreau wäre als Vorname scheußlich, also hat sie den Namen von Thoreaus Mentor Emerson genommen.“
Ein Ausdruck, den sie nie zuvor gesehen hatte, zeigte sich auf Sergeis Gesicht. „Sie sind eine faszinierende Frau, Ms. Labadie.“
„Dorothy sagt immer, sie sei anstrengend“, entgegnete Emerson.
Nun verwandelte sich ihr Sohn auch noch in eine wahre Plaudertasche.
Mit Sergei Petrovyh.
Was zum Geier war hier los?
Sergeis Lippen bewegten sich nicht, aber wie er sie musterte, bevor er seinen Blick wieder zur Windschutzscheibe richtete, zeigte Evie deutlich, dass er innerlich lachte. „Daran zweifle ich keinen Moment.“
Die restliche Fahrt verging in Stille, bis auf das kaum wahrnehmbare Dröhnen der Autoreifen auf der Fahrbahn und das Rattern der vorbeifahrenden Saint-Charles-Straßenbahn.
Es war seltsam, in diesem Teil der Stadt zu leben. Während in den Vierteln, in denen sie aufgewachsen war, immer irgendeine Art von Lärm oder Aktivität herrschte, wirkten die Reihen von Villen aus dem 19. Jahrhundert mit ihren schmiedeeisernen Zäunen und den riesigen Bäumen, die dichte Schatten auf die Straßen warfen, stets friedlich und ruhig. Als würde die Pracht der ehemaligen Plantagen, die sich einst über das gesamte Gebiet erstreckt hatten, die Menschen, die nun auf diesem Grund und Boden lebten, wie in einem sanften Bann halten.
Die prestigeträchtige Fassade von Emersons neuer Schule kam in Sichtweite. Der große Vorhof war von einem drei Meter hohen Eisenzaun umgeben und die davorstehende Reihe Eichen wirkten, als würde sie die Schule vor dem Rest der Welt beschützen. Das breite Flügeltor stand offen und Mikey fuhr in den Kreisverkehr mit seinen perfekt gestutzten Hecken.
Die Architektur war wunderschön, eine Mischung aus altenglischem Charme und Südstaatenflair. Das Erdgeschoss war u-förmig und besaß überdachte Terrassen mit weißen Säulen. Die beiden darüberliegenden Stockwerke waren aus hellen Ziegelsteinen und mit rotbraunen Fensterläden versehen. Sogar Emerson, der an dem Tag, an dem sie ihn eingeschrieben hatte, jedes Details in sich aufgesaugt hatte, schien abermals wie gebannt davon zu sein. Sein Blick klebte förmlich an der Engelsstatue, die mit weit geöffneten Armen einladend über dem Haupteingang thronte.
Bevor Evette etwas sagen konnte, um ihren Sohn aus seiner Faszination für den Engel zu holen, war Roman bereits ausgestiegen und öffnete die Hintertür.
Emersons Blick glitt zu den Schülern, die sich langsam auf den Weg in das Gebäude machten, wobei die große Mehrheit davon eifrig den offensichtlichen Neuankömmling in der ausgefallenen Karre musterten. Bevor Emerson aus seinem Sitz rutschte und zwei Schritte von der Tür weggegangen war, war Sergei bereits ausgestiegen und bot Evie hilfreich seine Hand an.
Evette legte ihre Stirn in Falten und sah ihn an. „Was haben Sie vor?“
Er neigte seinen Kopf leicht zur Seite und tat ganz unschuldig. „Ich fahre meine Angestellte und ihren Sohn an seinem ersten Tag zur Schule und zeige Interesse an meinem Viertel. Was sollte ich sonst tun?“
Sie zeigte ihm ihre eigene Version von einer arrogant hochgezogenen Augenbraue, ignorierte seine ausgestreckte Hand und bahnte sich den Weg aus der Limousine. „Das kaufe ich Ihnen nicht ab.“ Sie richtete sich auf und marschierte zu Emerson, der mit Roman am Rand der Einfahrt stand. „Ein Mann wie sie tut nichts, ohne mehr als einen Grund zu haben. Ich habe nur noch nicht alle davon herausgefunden.“
Sie hatte es eigentlich leise sagen wollen, doch ihre Worte mussten wohl so deutlich gewesen sein, dass sowohl Roman als auch Emerson ihre Gesichter abwandten.
Allerdings erst, nachdem sie deren Grinsen gesehen hatte.
Zu viel Testosteron. Daran musste es wohl liegen.
Notiz an mich: Stell mehr Frauen ein.
Schließlich hatte Sergei gesagt, dass sie jetzt das Sagen hätte. Sie könnte genauso gut den Vorteil nutzen und nur noch weibliches Personal einstellen, um das hormonelle Gleichgewicht herzustellen.
Der Rest der Schule war ebenso fabelhaft wie das Äußere. Marmorböden, gewölbte Kathedralen-Decken in der Kapelle mit außergewöhnlich detaillierten Formen sowie Statuen, die geschmackvoll inmitten einer sorgfältigen Gartengestaltung platziert worden waren. Kurz gesagt – viel Geschichte und ein Haufen alter Reichtum.
Mit Emerson an ihrer Seite ging sie auf den Empfang zu. Während sie versuchte, so zu tun, als ob Sergei und seine Männer gar nicht anwesend wären, musste sie sich eingestehen, dass deren undurchdringliche Anwesenheit ihren Nerven einen Extraschub Mut verlieh. „Hallo, ich bin Evette Labadie und das ist mein Sohn Emerson.“
Eine Frau in einem dunkelblauen klassischen Anzug kam aus ihrem Eckbüro. „Ms. Labadie, wie schön, Sie zu sehen.“
Interessant. Evie hatte diese Frau noch nie zuvor gesehen; sie hätte auf keinen Fall jemanden mit so beneidenswertem erdbeerblondem Haar vergessen. Hätte ihr Haar diese Farbe, hätte sie mit Sicherheit mehr damit gemacht, als es einfach nur hochzustecken. Ja, es wirkte edel, aber die Frisur war eher etwas für Abendkleider und Cocktailpartys.
Evie streckte ihre Hand aus. „Ich glaube, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden.“
Die Frau schüttelte sie – nicht zu lasch und auch nicht zu männlich. Was angenehm war, weil Evie beides hasste. „Ich bin Dekanin Benedict, aber Sie können mich gerne Caroline nennen. Wir sind so froh, dass Emerson unsere Schule besucht.“ Sie blickte auf die Bürotür hinter ihr und ihr Lächeln wurde breiter. „Und das ist Emersons Klassenlehrerin, Maddie Smith.“
In einem Wirbel aus Händeschütteln und Begrüßungen wurden sie und Emerson durch die Tür in Richtung seines Klassenzimmers geschoben. Sergei und seine Männer folgten ihnen nicht, und seltsamerweise war sie davon ein wenig enttäuscht.
Ms. Smith erwies sich als eine kluge, energische Frau, die offensichtlich gern mit Kindern arbeitete.
Emerson war höflich, aber zurückhaltend, und all der lässige Humor, den er auf der Fahrt hierher gezeigt hatte, war nun wieder unter der Maske verborgen, die er in den letzten zwei Jahren aufgehabt hatte.
Mit einem kurzen Winken, von dem sie hoffte, dass es ihn nicht zu sehr in Verlegenheit brachte, verabschiedete sich Evie von der Lehrerin und betrat erneut den ruhig gewordenen Flur. Ihre hellblauen Sneaker quietschten auf dem Marmorboden, als sie zurück zu den Büros ging, und zum ersten Mal, seit Sergei ihr an diesem Morgen über den Weg gelaufen war, beruhigte sich der Rhythmus ihres Herzschlages etwas.
Einstand geschafft.
Wenn sie es jetzt noch hinkriegen würde, ihre Sorgen um ihn auf ein Minimum zu reduzieren, bis sie ihn am Nachmittag wieder abholen würde …
Der Gedanke brach ab, als sie durch die breiten Fenster, die das Hauptbüro umgaben, Sergei erblickte. Die Dekanin, die beiden Damen, die den Empfang besetzten, und ein Mann in Sicherheitsuniform bildeten einen losen Kreis um ihn herum. Die Ladys warfen ihm, was nicht wirklich überraschend war, hingerissene Blicke zu, die typisch für liebestolle Frauen überall waren. Der Mann hingegen hatte seine Daumen in seinen Zubehörgürtel gehakt und die Schultern zurückgenommen.
Er ist nicht an der Schule interessiert. Er ist hier, um einen Standpunkt klarzumachen. Einen sehr starken und unmissverständlichen.
Deswegen war die Dekanin da, um sie zu begrüßen. Das war also der Grund dafür, warum Emersons Unterlagen sofort bearbeitet worden waren und warum seine Lehrerin persönlich gekommen war, um ihn in sein neues Klassenzimmer zu begleiten.
Sie stand verblüfft vor dem Fenster und konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich nun über diese beschützende Geste freuen oder eher wütend über den Ärger sein sollte, den es für ihren Sohn bedeuten könnte, wenn die anderen Kinder davon Wind bekämen.
Vielleicht beides.
Sergei drehte sich um und ihre Blicke kreuzten sich.
Um herauszufinden, weshalb sie seine Aufmerksamkeit verloren hatte, sah Dekanin Benedict in Sergeis Blickrichtung, strahlte Evette mit einem entzückten Lächeln an und eilte schnell auf sie zu.
Die Verabschiedung war kurz und im Wesentlichen eine Wiederholung der Begrüßung, die sie erhalten hatte.
Wir freuen uns, Sie und Ihren Sohn bei uns zu haben.
Wir sind immer für Sie da, wenn Sie etwas brauchen.
Sollten Sie Hilfe benötigen, rufen Sie uns jederzeit an oder kommen Sie vorbei.
Diese Gesprächsfetzen mischten sich mit kräftigem Händeschütteln und einer persönlichen Eskorte zurück zum Kreisel und zu Sergeis wartenden Wagen.
Evette bekam von all dem kaum etwas mit. Sergeis Präsenz in ihrem Rücken war ihr zu sehr bewusst. Ganz besonders, als er besitzergreifend den Arm um Evies Schulter legte und der Dekanin die Hand schüttelte. „Es scheint so, als ob Sie eine sehr gute Schule leiten würden, Ms. Benedict.“ Sein scharfsinniger Blick richtete sich auf den Sicherheitsmann, der mit ihnen nach draußen gegangen war, und kehrte dann zur Dekanin zurück. „Es ist gut, zu wissen, dass Emerson an einem Ort ist, an dem Sicherheit und Bildung im Fokus stehen.“
Dekanin Benedict bemerkte Sergeis Arm um Evies Schulter, und das bereits megawattstarke Lächeln auf ihrem Gesicht strahlte noch heller. „Oh ja. Ein sicheres Umfeld ist entscheidend für eine qualitativ hochwertige Bildung. Ich garantiere Ihnen, dass unsere Schüler hier jederzeit sicher sind.“
„Gut.“ Sergeis Hand glitt an Evies Wirbelsäule hinab, ruhte nun an ihrem unteren Rücken und zerstreute das, was von ihrem Verstand noch übrig geblieben war. „Jetzt lassen wir Sie wieder an Ihre Arbeit gehen. Danke, dass Sie uns heute persönlich hier willkommen geheißen haben.“
„Natürlich, es war uns eine Freude.“
Das Einsteigen in den Wagen geschah wie in Trance. Sergeis verweilende Berührung sickerte bis zum letzten Augenblick so massiv wie ein Opiat in ihren Blutkreislauf ein. Als er auf den Rücksitz neben sie rutschte, war er immer noch so nah bei ihr. So nah, dass ihr Körper regelrecht darum bettelte, ihren Schenkel die wenigen Zentimeter zu seinem überbrücken zu lassen, um Kontakt herzustellen.
Es brauchte ein paar Straßen und einige ruhige Atemzüge, um wieder zu sich zu kommen und ihre Stimme wiederzufinden. „Was ist hier los?“
Ein langes Schweigen herrschte zwischen ihnen, bevor er redete. „Das sagte ich Ihnen bereits, Ms. Labadie. Diejenigen, die sich in meiner Umgebung aufhalten, sind unantastbar. Ich halte es für besser, meine Erwartungen frühzeitig und klar zu kommunizieren, sodass es keine falschen Annahmen oder Möglichkeiten für Fehlinterpretationen geben kann.“
Sie hatte also richtig gelegen. Er hatte eine Botschaft geschickt. Nur wusste sie nicht genau, welche Art von Botschaft es war. „Als ich den Antrag ausgefüllt habe, habe ich der Dekanin mitgeteilt, dass ich für Sie arbeite.“
„Und sie weiß, dass es wahr ist, weil ich es heute bestätigt habe.“ Er hielt lange genug inne, um sie wieder anzusehen. „Ich habe damit aber auch klargestellt, dass ich Sie und Emerson als Familie betrachte und Sie als solche unter meinem Schutz stehen.“
Familie.
Das war es, was die Berührung und das Getue bedeutet hatten. Eine persönliche Darbietung, die für ihre und Emersons Sicherheit sorgen sollte. Nicht mehr und nicht weniger.
Und doch, dieses Wort allein schlug eine mächtige Saite in ihr an. Ein Lied, das mit mehr Nachhall gefüllt war, als sie seit Langem gespürt hatte. Abgesehen von den Gesprächen mit Dorothy und den paar wenigen unerwünschten Besuchen ihres Onkels gab es nur noch Emerson und sie. Zuvor waren es einzig sie und ihre Mutter gewesen, die den Unfalltod ihres Vaters betrauert hatten, als Evie fünfzehn Jahre alt gewesen war.
Sie erwiderte seinen festen Blick. Die Tiefe seiner blauen Iriden war ebenso geheimnisvoll und dekadent wie ein mondheller Mitternachtshimmel. Ja, er war ein Raubtier. Ein Wolf, der kaum von der menschlichen Haut verborgen blieb. Aber sie spürte auch noch etwas anderes darunter.
Eine verlorene Seele.
Eine, die ebenso verletzlich war, wie die jedes anderen.
Das Vibrieren ihres Handys in ihrer Gesäßtasche riss sie aus ihren Gedanken. Sie zuckte mit den Achseln, senkte ihren Blick und gab ihren Pin ein.
Onkel Carl: Wo steckst du? Ich war gerade bei deiner Wohnung und dein Vermieter hat gesagt, ihr seid weggezogen. Du kannst nicht einfach umziehen und deiner Familie nicht sagen, wo du bist.
Ähm, ja, und ob sie das konnte. Und wenn es nach ihr ginge, würde sie die Zeit vor einem Besuch von Onkel Carl hinauszögern, so lange es möglich war. Sie hatte sich in seiner Nähe nie wohlgefühlt. Obwohl Emerson nichts davon gesagt hatte, war sie sich sicher, dass er genauso empfand. Aber ein Zusammentreffen, bei dem Onkel Carl Sergei begegnen könnte?
Sie schauderte und tippte eine Antwort.
Yep. Hatte nur keine Zeit, zu texten. Kann nicht reden. Bin auf der Arbeit. Sende später Informationen.
Das war nicht gerade eine langfristige Lösung, aber sie dachte, sie könnte für ein oder zwei Tage vergessen, nähere Informationen zu schicken. Jedenfalls würde es ihr genug Zeit geben, einen besseren Grund zu finden, um ihn auf Distanz zu halten.
Sie steckte ihr Handy zurück in die Gesäßtasche, sah auf und bemerkte Sergeis missmutigen Blick.
„Alles in Ordnung, feya?“
Nun, es wäre besser, wenn er nicht so nah bei ihr wäre, dass sie ihn hätte berühren können. Wirklich, der Mann hatte echt keine Ahnung wie sich eine raue, tiefe Stimme auf eine Frau auswirken konnte. „Mir geht es gut.“ Sie tat ganz gleichgültig, so, als ob sie die vorbeiziehende Szenerie in sich aufnähme. „Bloß Familienkram.“
Zwar konnte sie ihn während ihrer vorgetäuschten Beobachtung der Nachbarschaft nicht direkt sehen, aber sie spürte seinen Blick.
„Ms. Labadie.“ Er sagte nichts weiter, was bedeutete, dass er darauf wartete, dass sie seinen Blick erwiderte, bevor er fortfahren würde.
Sie atmete tief ein, hob ihr Kinn und gab ihm, was er wollte, sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an.
„Erinnern Sie sich, was ich Ihnen sagte!“, begann er. „Diejenigen, die für mich arbeiten, sind unantastbar. Sollte Ihnen also jemand Sorgen bereiten, erwarte ich, dass Sie diese Sorge sofort mit mir teilen.“
Oh, oh. Es wäre definitiv keine gute Idee, Onkel Carl in nächster Zeit auf Sergei treffen zulassen. Wenn es ihr sogar schwerfiel, zu verbergen, wie unangenehm allein Nachrichten von Onkel Carl waren, wäre es unmöglich, dies zu überspielen, wenn er leibhaftig vor ihr stünde. Und sie wurde das Gefühl nicht los, dass Sergei alles mitbekam, was sich in seiner Umgebung abspielte.
Sie kreuzte die Arme mit so viel Frechheit, wie sie aufbringen konnte – und das war eine Menge – und starrte entschlossen aus dem Fenster. „Glasklar, Mr. Petrovyh. In der Tat, glasklar.“