Читать книгу EIN ZOMBIE KOMMT SELTEN ALLEIN - Rich Restucci - Страница 8
Hungrige Hippos
ОглавлениеWoran es liegt, dass manche von ihnen rennen können und andere nicht, konnte ich bis heute nicht herausfinden. Die Renner lebten irgendwie noch, die anderen nicht. Das ist alles, was ich weiß, oder was überhaupt irgendjemand weiß. Außer natürlich, dass sie schnell sind, das weiß jeder.
Und zwar verdammt schnell.
Hatte ich erwähnt, dass ich der Wagenkolonne hinterher winkte, als sie losfuhren und mich mitten auf der Straße zum Sterben zurückließen? Niemand von ihnen winkte mir zurück.
Mit der Waffe in der Hand folgte ich der Kolonne in einer bescheidenen Geschwindigkeit von etwa viereinhalb Stundenkilometern. Nach gut zwei Stunden schmerzte mein Bein so sehr, dass ich es am liebsten amputiert hätte. Nach weiteren zehn Schritten musste ich mich schließlich hinsetzen.
Es war November und für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm in Neuengland. Auch daran erinnere ich mich noch, ebenso wie an einige Fahrzeuge, die an mir vorbeigefahren sind und von denen natürlich keines anhielt, während ich unter der Sonne New Hampshires saß und quälende Schmerzen durchlitt. Vermutlich war es auch besser für sie, dass sie es nicht taten. Ich fragte mich gerade, wie lange ich das noch durchstehen würde müssen, als ich auf einmal von einer Übelkeit erfasst wurde, wie ich sie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben verspürt hatte, und dann fing ich auch schon an, mich zu übergeben. Es hatte sich nicht langsam angekündigt, sondern packte meine Innereien und drehte sie einfach durch die Mangel, bis mein ganzer Mageninhalt, von Kaffee bis zu Instantnudeln, vor mir auf dem Mittelstreifen des Highways lag. Die Nudeln sahen ein bisschen aus wie Würmer, die sich durch das Erbrochene schlängelten, weshalb ich direkt wieder würgen musste und mich weiter erbrach.
Ungefähr einen Kilometer von mir entfernt, konnte ich jetzt eine Bewegung ausmachen. Definitiv kein Auto, aber da ich aufgrund meiner momentanen Verfassung nur verschwommen sehen konnte, konnte ich leider nicht genau erkennen, worum es sich handelte. Ich dachte noch, es wäre wahrscheinlich gar nicht gut, wenn mich ausgerechnet jetzt ein Schwindelgefühl erfasste, als ich auch schon ohnmächtig wurde.
Man würde denken, dass ich mir vor Angst in die Hosen gemacht hätte, als ich aufwachte und sah, wie ein lebender Toter auf mich zu getaumelt kam, vor allem, da er nur noch etwa zehn Meter von mir entfernt war, aber ich fühlte mich seltsamerweise vollkommen gelassen. Zumindest so gelassen, wie man sein konnte, wenn man bedachte, dass es sich anfühlte, als würde eine Horde Dämonen mein Bein von innen herausreißen und mein T-Shirt von stinkendem und teils verdautem Zeug bedeckt war.
Mit ausgestreckten Armen näherte sich das Ding jetzt meinem nur halb aufgerichteten Körper, während ich mich nach wie vor komplett benommen fühlte. Das Ding hatte offenbar Hunger. Der Blick seiner toten Augen sagte mir, dass ich in etwa so aussah, wie die herrlich lecker zubereiteten Roadrunner, von denen der Kojote in dieser Zeichentrickserie immer fantasierte. Es sabberte und schäumte, überall war Blut, und das Ding war definitiv tot, aber vor allem war es im Moment viel zu nah.
Als es noch etwa drei Meter entfernt war, kam ich endlich wieder richtig zu mir, doch in diesem Moment brach die für Untote in solchen Momenten ganz typische Hektik aus.
Ihr habt das bestimmt schon beobachtet. Hoffentlich nicht von Nahem, aber garantiert habt ihr es schon gesehen. Sie schwanken und taumeln, manchmal stolpern sie auch, aber sie kommen immer wieder hoch. Egal ob sie allein oder in Gruppen unterwegs sind, sie sind stets furchtbar langsam, bis sie nur noch etwa eine Armlänge von euch entfernt sind, dann ist es plötzlich so, als würden sie sich in Geparden verwandeln … als würden sie ihre gesamte Geschwindigkeit nur für dieses letzte Stück aufheben … als wären sie eine Sekunde lang unter Hochspannung. Wahre Überlebende, diejenigen von uns, die die Fähigkeiten und Schwächen der Toten zwar nicht mehr fürchten, aber nach wie vor niemals unterschätzen, haben gelernt auf diesen speziellen Moment zu warten, bevor wir zuschlagen. Der Grund dafür ist, dass währenddessen alle Geschwindigkeit und ihre komplette Balance nur noch in eine Richtung zielt, nämlich auf dich zu.
Was dir natürlich nichts bringt, wenn du gerade in einer Pfütze aus Erbrochenem auf deinem Hintern sitzt.
Es war so, als würde eine formlose Masse aus Tod und Zähnen auf mich herabstürzen. Manche Leute würden vermutlich sagen, dass die Toten auf die Knie sinken, wenn sie etwas angreifen, das sich auf dem Boden befindet, aber das stimmt nicht. Es sind gar nicht ihre Knie, die zuerst aufschlagen. Der offene Mund bewegte sich rasend schnell auf mich zu. Intuitiv hob ich meinen Unterarm, um das Ding aufzuhalten, aber das geschah lediglich aus reiner Panik. Ich meine, versucht das doch mal, legt euch auf den Boden und lasst jemanden auf euch drauf fallen. Am besten ein zehnjähriges Kind, falls ihr eines zur Verfügung habt, und dann haltet euren Unterarm hoch, um den Aufprall abzuwehren.
Als ob das klappen würde.
Klein Billy oder Sara – oder wie auch immer das Kind heißen mag – wird einfach durch die schwächliche Barrikade brechen wie ein Zug auf Volldampf.
Und dieses tote Ding, was wohl einmal eine Dame war, war nicht gerade ein zehnjähriges Kind. Sie war eine beeindruckende Frau und damit meine ich bestimmt nicht ihre Persönlichkeit.
Das Miststück fiel natürlich direkt mit ihren Zähnen auf mich. Wenn ich geglaubt hatte, das Erbrochene würde stinken, dann war das nichts im Vergleich zu dieser Frau. Keine Ahnung, wie sie nach etwas riechen konnte, das wochenlang in der Sonne verrottet war, immerhin war die Seuche zu diesem Zeitpunkt gerade erst ausgebrochen gewesen, aber sie tat es. Sie biss mich unterhalb des Schlüsselbeins und ich schrie erschrocken auf. Dann zog sie ihren Kopf zurück und ich schrie noch lauter, denn jetzt war ihr Mund nicht mehr leer.
Noch etwas, das ihr vermutlich längst wisst, aber hey, diese Aufzeichnung ist schließlich für die Nachwelt gedacht: Sobald sie dich im Griff haben, lassen sie dich nicht mehr los.
Sie riss einen saftigen Happen aus meiner Schulter, garniert mit einem Stück des Gefängnis-T-Shirts. Offenbar war sie multitaskingfähig, denn sie befingerte währenddessen auch noch meine Kleidung. Nachdem sie das Stück meiner Schulter runtergeschluckt hatte, beugte sie sich vor, um einen weiteren Bissen zu nehmen, aber das ließ ich nicht zu.
Obwohl ich ein kräftiger Kerl bin, wog die Frau bestimmt hundert Kilo mehr als ich, und das lag nicht an schweren Knochen. Ich schob sie zur Seite, als ginge es um mein Leben. Was es ja auch tatsächlich tat. Nicht, dass es in diesem speziellen Moment – infiziert und angeknabbert, wie ich schon war – besonders viel wert gewesen wäre, aber hey, es ist nun mal das Einzige, das ich habe.
Als Nächstes hatte sie es offenbar auf meine Nase abgesehen und zog mich an sich heran, während ich verzweifelt versuchte, sie wegzustoßen. Es ist wirklich faszinierend, woran man sich unter speziellen Umständen erinnert und woran nicht. Ich weiß heute weder, welche Haarfarbe sie hatte, noch welche Kleidung sie trug oder wie ihr totes Gesicht überhaupt aussah, aber dass sie fett war, daran erinnere ich mich noch. Fett und stark.
Ich war der Gewinner dieses Tauziehens, das wir noch ein paar Sekunden lang fortführten, bevor ich über unseren Kampf hinweg schlurfende Schritte hörte. Ich erlaubte mir einen flüchtigen Blick in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und siehe da, die Zwillingsschwester der fetten, toten Dame wollte ihr anscheinend einen Besuch zum Brunch abstatten. Natürlich waren sie nicht wirklich Zwillinge, aber was die Größe und den Umfang anging, schenkten sich die beiden nichts.
Jetzt bestand definitiv ein Ungleichgewicht zugunsten der Toten und ich brauchte wirklich dringend eine Waffe, am besten eine Pistole oder so was. Am liebsten hätte ich mir selbst eine verpasst, weil ich die Pistole des Wärters bis jetzt vollkommen vergessen hatte, doch sobald ich die fette Dame losließ, würde sie garantiert die Oberhand gewinnen.
Die Frau, fing nun wieder an, nach mir zu schnappen. Sie machte derart heftige Kaubewegungen, dass einer ihrer Zähne aus ihrem Mund und gegen meine Wange flog. Die andere Tote war nur noch gut fünf Meter entfernt, also egal, was ich jetzt tat, ich musste es schnell tun, sonst würde ich nicht innerhalb der nächsten Stunden qualvoll verenden, sondern innerhalb der nächsten Minuten.
Ich zog diese Option kurz ernsthaft in Erwägung. Sollte ich das Ganze einfach von diesen New Hampshire Rindern zu Ende bringen lassen? Es wäre auf jeden Fall schmerzhaft, eine Höllenqual, deren Ausmaß ich mir nicht einmal vorstellen wollte. Ich musste unweigerlich daran denken, dass ich vor nicht einmal einer Stunde einem Polizisten gesagt hatte, dass ich jede Sekunde, die mir noch blieb, nutzen wollte. Aber das hatte ich schließlich gesagt, bevor ich die Tatsache, infiziert zu sein, vollkommen akzeptiert hatte. Das Erbrechen, die Ohnmacht und die Tatsache, wie die Bisswunde an meinem Bein mittlerweile aussah, waren leider alles unleugbare Indizien für eine Infektion, keine Frage. Wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich es schon vorher gewusst, ich hatte es einfach nur nicht wahrhaben wollen. Also ja, ich war infiziert … und es erholte sich nun mal niemand je davon.
Aber mich deshalb von zwei Schwabbelmonstern in Stücke reißen lassen? Ernsthaft? Immerhin könnte ich mich erschießen, falls die Schmerzen später ganz unerträglich werden würden. Sollte ich anfangen, statt meines Frühstücks irgendwelche wichtigen Organe auszukotzen oder falls mir beim Anblick eines Lebenden plötzlich das Wasser im Mund zusammenlaufen sollte, könnte ich doch immer noch einen Abgang machen. Zusätzlich zu diesen Überlegungen drängte sich plötzlich der Scorpions-Song Wind of change in meine Gedanken. Den ich nebenbei bemerkt, noch nicht mal mochte.
All diese Überlegungen, die in weniger als einer Sekunde durch mein Gehirn rasten, führten zu dem Ergebnis, dass ich alles auf meine eigene Art und Weise zu Ende bringen wollte. Es gelang mir daraufhin irgendwie, übermenschliche Kräfte zu entwickeln, durch die ich mein Anhängsel auf die Straße schubsen konnte. Ihr Kopf knallte auf den Asphalt, was sie irgendwie zu überraschen schien, denn sie blinzelte hektisch. Sie lockerte ihren Griff zwar nicht, aber immerhin hatte sie aufgehört, nach mir zu schnappen und an mir zu zerren. Ich schubste sie noch einmal mit aller Kraft und sah mich nach dem Revolver um, welcher praktischerweise direkt neben ihrem rechten Schwabbelarm lag. Ich ergriff die Waffe und hielt sie ihr seitlich an den Kopf. Das Blinzeln stoppte daraufhin und sie blickte mir mit einem fast schon flehenden Ausdruck in die Augen.
Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie viele Leute es in den ersten Wochen auf genau so eine Art und Weise erwischt hatte … weil sie entweder nicht gewusst hatten, dass ein geliebter Mensch einer von denen geworden war oder weil sie es nicht hatten glauben wollen. Und dann waren sie auf einmal vom eigenen Kind oder der Großmutter angenagt worden. Die tote Frau hier, die immerhin schon ein Stück von mir verspeist hatte, wenn auch nur ein kleines, hob die Augenbrauen, runzelte die Stirn und schob ihre Unterlippe leicht nach vorn. Sie sah irgendwie traurig aus, als ich ihr den Schädel wegpustete. Ich hatte nämlich ganz bestimmt nicht vor, einer dieser dummen Menschen zu sein, von denen ich gerade gesprochen habe. Mich würde keine traurig aussehende, tote, fette Tussi drankriegen.
Allerdings hatte sie mich genau genommen schon drangekriegt, denn immerhin hatte die Schlampe mich gebissen.
Die Untoten können nur ausgeschaltet werden, wenn man ihr Gehirn zerstört. Das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn, denn immerhin ist bei ihnen alles abgesehen vom zentralen Nervensystem abgeschaltet. Sie atmen nicht mehr, es gibt weder einen Herzschlag, noch haben sie Stuhlgang, und sie fühlen auch keinerlei Schmerz. Sie können noch hören und sehen, aber dass sie riechen können, glaube ich nicht, immerhin atmen sie ja nicht, obwohl sie durchaus hörbare Geräusche von sich geben, indem sie Luft einsaugen, die sie an ihren verfaulenden Stimmbändern vorbeidrücken. Falls das der Fall ist, können sie also vielleicht doch riechen. Okay, das mit dem Riechen glaube ich mal. Zumindest fürs Erste.
Also, zum heutigen Zeitpunkt, nicht damals.
Sie hatte mich daraufhin losgelassen, ich rollte über sie hinweg und zielte sofort auf Nummer zwei, die während meines gehetzten Gerangels mit Nummer eins bedrohlich nähergekommen war. Allerdings konnte ich partout nicht scharf sehen, weshalb ich zweimal daneben feuerte. Sagen wir es mal so, ich traf sie durchaus, nur leider eben nicht in den Kopf. Sie stürzte mit dem Gesicht voran auf mich zu, aber dann schaffte ich es, sie mitten in der Bewegung zu treffen. Sie prallte mit vollem Schwung gegen mich, aber mir gelang es, sie von mir zu schieben, bevor sie mich komplett unter sich begraben konnte.
Ich rollte nach links, oder vielleicht auch nach rechts, ist schließlich schon eine Weile her. Sie lag jetzt auf ihrem Gesicht und die Rückseite ihres Schädels hatte sich auf Dickerchen Nummer eins verteilt. Wirklich widerlich, wie sie da lagen mit den Löchern, die ich in sie hineingepustet hatte. Ich hätte sie umdrehen sollen, aber ich stand damals vollkommen neben mir.
Ich hatte nämlich bis dahin noch nie jemanden erschossen, denn diese Sorte Verbrecher war ich nicht.
Ich erinnere mich daran, wie ich mich aufsetzte und sie betrachtete. Sie sahen wirklich mitleiderregend aus. Vermutlich hatten sie vor ein paar Tagen noch (eine doppelte Portion) Kuchen bei einer Kirchenveranstaltung gegessen und jetzt hatte ich sie einfach so abgeknallt. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade einen Wettbewerb im Seehunde erschlagen gewonnen.
In diesem Moment entschied sich dieser kleine Kerl, der im Körper alles am Laufen hält, offenbar dazu, all das freigesetzte Adrenalin von einer Sekunde zur nächsten einfach zu unterbinden. Die Wunden an meinem Bein und an meiner Schulter fanden offenbar, dass dies doch genau der richtige Zeitpunkt wäre, um sich wieder kräftig bemerkbar zu machen. Als Nächstes startete derselbe kleine Typ, der sich wahrscheinlich köstlich amüsierte, auch noch einen vernichtenden Raketenangriff auf meine Schmerzrezeptoren.
Trotz allem stand ich noch. Das Geräusch des letzten Schusses klingelte immer noch in meinen Ohren, als ich mich auf den Weg in Richtung Norden machte. Mein Plan war es, einen hübschen Ort zu finden, an dem ich mir eine Kugel verpassen konnte, da ich weder gefressen noch einer von ihnen werden wollte. Doch auf die ein oder andere Weise würde ich mich schon bald in die Reihen der eher Leblosen eingliedern.