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IV

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Trotz der oben skizzierten unterschiedlichen und wechselnden Diskriminierung legt die Geschichte der gesellschaftlich Ausgegrenzten im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts insgesamt nicht den Schluss nahe, dass die deutsche Gesellschaft besonders hermetisch war oder dass sie größere Gruppen von Menschen ausschloss als andere Gesellschaften oder dass der deutsche Staat Menschen mit abweichendem Verhalten und Ausgestoßene rücksichtsloser behandelte als andere Staaten. Im Allgemeinen und mit einigen Einschränkungen fand die Neudefinition, Überprüfung, Abgrenzung und Stigmatisierung gesellschaftlicher Außenseiter in Deutschland auf dieselben Weisen statt, wie sie der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault für England und Frankreich beschreibt.22 Erst im späten 19. Jahrhundert traten allmählich signifikante Unterschiede zutage. Eugenik, „Rassenhygiene“ sowie die Theorie und Rhetorik der „Degeneration“ waren auch in Italien, Frankreich, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern zunehmend einflussreich, unter deutschen Intellektuellen aber scheinen sie von den 1890er-Jahren an besonders viele Anhänger gefunden zu haben. Sie betrachteten und beschrieben gesellschaftlich Ausgegrenzte am Vorabend des Ersten Weltkriegs zunehmend im Lichte solcher Theorien.23

Was sich darin vor allem widerspiegelte, war der wachsende Einfluss der Ärzteschaft in der deutschen Gesellschaft. Zu einer Zeit, als die medizinische Forschung bis zu den Ursachen von Tuberkulose, Cholera, Diphtherie vordrang und auch über andere große Heimsuchungen des 19. Jahrhunderts triumphierte, erlangte sie gewaltiges Ansehen und auch darüber hinaus weitreichenden Einfluss durch die Schaffung und rasche Ausweitung der Kranken- und Sozialversicherungssysteme. Als Pioniere in diesem Bereich entwickelten deutsche Ärzte nun den Ehrgeiz, ihre Zuständigkeit noch auf weitere gesellschaftliche Gebiete auszuweiten,24 weshalb sie sich dem Verbrechen und der sozialen Devianz zuwandten. Die von Männern wie Franz von Liszt begründete und von Spezialisten wie Gustav Aschaffenburg weiterentwickelte deutsche Schule der Kriminologie nahm das Studium von Verbrechen und Devianz nach und nach Anwälten und Moralisten aus den Händen und übertrug es Psychiatern und Eugenikern. Sie hingen den Vorstellungen des italienischen Kriminologen Cesare Lombroso, selbst ebenfalls Mediziner, an und vertraten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Standpunkt, notorisch rückfällige Verbrecher seien in erster Linie das Produkt einer erblichen Degeneration, die unter besonderen sozialen und ökonomischen Umständen aktiviert werde. Andere Menschen mit abweichendem Verhalten, wie Alkoholiker, Prostituierte, Vagabunden und Landstreicher, wurden in dieselbe Kategorie der erblich Degenerierten und eugenisch Minderwertigen eingeordnet.25

Dahinter stand die weiterreichende Überzeugung, dass sich mit dem allgemeinen Rückgang der deutschen Geburtenrate, der etwa um die Jahrhundertwende einsetzte und in der Ober- und Mittelschicht am ausgeprägtesten war, „minderwertige“ Mitglieder der Gesellschaft schneller fortpflanzten als „vollwertige“. Die Begriffe „Minderwertigkeit“ und „Vollwertigkeit“ wurden allgemein gebräuchlich unter Medizinern und anderen Akademikern, die sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs an Diskussionen über das „soziale Problem“ beteiligten. Wie neutral und „wissenschaftlich“ sie auch wirken mochte, beinhaltete diese Begrifflichkeit doch zwangsläufig das moralische und politische Urteil, einige Menschen seien weniger Mensch als andere. Genau diese Terminologie öffnete der Abschaffung altehrwürdiger liberaler Prinzipen, wie der Gleichheit vor dem Gesetz und der Freiheit des Individuums, Tür und Tor. Natürlich konnte sich die Eugenik positiv auswirken, stand sie doch unter anderem hinter den ärztlichen Bemühungen, die Standards bei Hygiene, Ernährung, Säuglingspflege und allgemeiner Volksgesundheit zu verbessern. Aber je mehr sich das institutionelle Geflecht der Gesundheitsvorsorge in der Bevölkerung verbreitete, desto offensichtlicher erschien es vielen Beteiligten, dass eine Minderheit, welche die Vorzüge eines geregelten, nüchternen, arbeitsamen, gesetzestreuen Lebens weiterhin verschmähte, dies zweifellos wegen irgendeines angeborenen Erbfehlers tat, vergleichbar mit einer Behinderung. Mithin erschien die Verringerung oder Beseitigung „minderwertiger“ Bevölkerungsteile als beinahe logische Konsequenz des Ansinnens, die geistige und körperliche Verfassung der Bevölkerung insgesamt zu verbessern.

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs wurde die Sprache der Eugenik und Rassenhygiene weithin einerseits von Strafrechtlern, Staatsanwälten, Vollzugsbeamten und Journalisten, die sich zu sozialen Fragen äußerten, verwendet, andererseits auch von jenen, die als Verwaltungsbeamte in Deutschlands rasch wachsender Wohlfahrtspflege arbeiteten. Lange vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs sprachen sich Strafrechtsreformer für die unbefristete Haft, Kastration oder gar Hinrichtung von Widerholungstätern aus, deren Verhalten über die Jahre hinweg ihrer Ansicht nach eine erbliche Degeneration sowie die Unfähigkeit bewiesen habe, in menschlicher Gesellschaft zu leben, und die ihre Charakterfehler an die nächste Generation weiterzugeben drohten.26 Auch in anderen Ländern, etwa den Vereinigten Staaten, äußerten Eugeniker ähnliche Ansichten, aber in Deutschland war die Bewegung weit stärker von Medizinern und Psychiatern dominiert, die das Konzept der Degeneration als Diagnoseinstrument auf eine wachsende Vielzahl gesellschaftlicher Außenseiter anwendeten, darunter auch Alkoholiker, Homosexuelle und Prostituierte.27 Solche Deutsche und Österreicher dominierten auch internationale Organisationen, die sich für die Anwendung medizinischer Ideen auf die Kriminal- und Strafrechtspolitik engagierten.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten diese neuen Ideen einen erkennbaren Einfluss auf Einstellungen gegenüber Schwer- und Gewaltverbrechern und wurden in vereinfachter Form von Juristen, Journalisten und Politikern zur Rechtfertigung der Todesstrafe herangezogen. Aber erst in der Weimarer Republik vermengten sie sich mit zwei anderen Ideen auf neue und verhängnisvolle Weise. Erstens übernahmen nach Deutschlands Niederlage im Krieg immer mehr und vor allem jüngere „Rassenhygieniker“ die Vorstellungen von einer nordischen Überlegenheit und im Umkehrschluss von einer Unterlegenheit von Juden, Slawen und anderen Rassen. Jene Eugeniker, die Antisemitismus und Rassismus ablehnten, gerieten ins Hintertreffen. Zweitens fing man an, das medizinische Modell nicht nur auf kriminelle, sondern auch auf politische Devianz anzuwenden. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts hatten viele Kommentatoren revolutionäre Aktivität und revolutionäre Überzeugung für Formen von Kriminalität gehalten. Seit dem Ersten Weltkrieg aber setzte sich allmählich die Vorstellung durch, sie seien das Produkt eines kranken, degenerierten Geistes. Tatsächlich wurden schon in den Jahren 1916 bis 1918 Zeugen Jehovas, die den Militärdienst aus ethischen Gründen verweigerten, in Irrenhäuser gesteckt, nachdem festgestellt worden war, sie litten unter „religiösem Wahn“. Während der Weimarer Republik galten sie bei der politischen Rechten weithin als von Juden manipulierte, verblendete Revolutionäre, mit denen sie, so nahm man an, eine Reihe religiöser Überzeugungen teilten.28 Die Revolution von 1918 selbst wurde von einem führenden Kriminologen als das Produkt einer durch einen kosmischen und klimatischen Wandel ausgelösten psychischen Störung gehalten, der einen Rückfall der Massen in einen atavistischen Zustand primitiver Bestialität bewirkt habe. Ähnliches hatte der italienische Theoretiker Lombroso bei Kriminellen diagnostiziert.29

Die Rassenhygiene avancierte in der Weimarer Republik zu einem anerkannten wissenschaftlichen Fach. Auf die Gründung des ersten Lehrstuhls an der Münchner Universität 1923 folgten in den nächsten neun Jahren deutschlandweit nicht weniger als 40 Seminare zu dem Gegenstand. Eine Vielzahl von Forschungsinstituten öffnete, sogenannte Kriminalbiologische Sammelstellen wurden eingerichtet, um Daten über die Persönlichkeit und die Familien von Tätern zu sammeln, und erste Publikationen erschienen, die sich dafür aussprachen, eugenisch defekte Menschen zu töten, weil sie als „Ballastexistenzen“ der Gesellschaft zu einer Zeit eine finanzielle Last aufbürdeten, da die Wirtschaftskrise schon jenen das Leben erschwere, die maßgeblich zur nationalen Produktion beitrügen. Tatsächlich hatten schon während des Ersten Weltkriegs bewusst vorenthaltene Lieferungen an „Irrenanstalten“ zu einem drastischen Anstieg der Todesrate unter den Insassen geführt. So ist es kaum übertrieben zu behaupten, dass Zehntausende psychisch kranker Patienten vorzeitig den Tod durch Beamte fanden, die recht genau wussten, was sie taten, und wenig Skrupel ob ihres Tuns hatten.30

Der Ausbau der öffentlichen Wohlfahrt und der Aufschwung des Fürsorgeberufs in der Weimarer Republik beförderten dies eher, als dass sie es verhinderten. Worüber sie auch sonst uneins gewesen sein mögen, so waren sich Sozialfürsorger doch zunehmend einig darin, dass der Gesetzgeber veraltete Überwachungsmaßnahmen und überholte Einrichtungen wie das Arbeitshaus oder die Arbeitsanstalt durch moderne Unterbringungsmöglichkeiten ersetzen müsse, in denen Landstreicher, Wohnungslose, Prostituierte und andere „Asoziale“, wie sie nun meist genannt wurden, so lange interniert werden könnten, bis man sie für resozialisierbar hielt. Sämtliche Parteien rechts von den Kommunisten waren sich einig über die Einbringung eines letztlich niemals verabschiedeten „Bewahrungsgesetzes“, das Vergehen wie Landstreicherei und Prostitution entkriminalisierte und stattdessen Maßnahmen vorsah, die für die unbefristete Zwangsunterbringung von „Asozialen“ in unterschiedlichen, vom Wohlfahrtssystem betriebenen „Bewahranstalten“ sorgen sollten.31 Eine parallele Debatte fand zu Gewohnheitsverbrechern und „unverbesserlichen“ Tätern statt, die gegen das Strafrecht verstießen und die, so argumentierten viele Juristen, Kriminologen und Psychiater, ebenfalls zeitlich unbefristet in „Sicherungsverwahrung“ genommen werden sollten.32 Auf diese Weise würden sie daran gehindert, sich fortzupflanzen und die künftige Gesundheit der „deutschen Rasse“ zu gefährden.

Die Ausbreitung von Vorstellungen, die der Eugenik und Rassenhygiene entlehnt waren, betraf auch andere Minderheiten in der Weimarer Republik. Beispielsweise stellten „Zigeuner“ für das Wohlfahrtssystem eine ähnliche Herausforderung dar wie sogenannte „Asoziale“. Sie waren nicht sesshaft, sie umgingen die Gesetze über die Erziehung ihrer Kinder, wurden gemeinhin für kleinkriminell gehalten und hatten einen völlig anderen ethnischen Hintergrund als die Deutschen. Wie bei Wiederholungstätern und „Asozialen“ erschöpfte sich die Strategie in der Weimarer Republik noch immer größtenteils in der Überwachung, aber auch die Expansion des Wohlfahrtssystems hatte insoweit Auswirkungen, als sie den Ausschluss der Sinti und Roma aus der Gesellschaft festigte und Wohlfahrtsämter veranlasste, sich vehementer denn je für ihre Integration auszusprechen. Der Kriminalbiologie fiel es leicht, sie als „primitive“ und niedere Menschen zu beschreiben, die den Deutschen rassisch unterlegen seien. Der Wunsch, sie in die Gesellschaft zu integrieren, machte daher in den Köpfen einer erheblichen Anzahl politischer Entscheidungsträger schließlich dem Gedanken Platz, sie gänzlich von ihr fernzuhalten, um Mischehen zu verhindern, die in der Tat in dieser Zeit häufiger wurden. Ein bayerisches Gesetz von 1926 „zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“ wollte ihre Bewegungsfreiheit auf bestimmte Orte begrenzen, versuchte zu verhindern, dass sie „Banden“ bildeten, und drohte damit, sie „aus Gründen der öffentlichen Sicherheit bis zur Dauer von zwei Jahren in einer Arbeitsanstalt“ unterzubringen, sollten sie „den Nachweis einer geregelten Arbeit nicht […] erbringen“ können. Beamte begannen ein umfassendes Register zusammenzustellen, in der Absicht, „Zigeuner“ in den Kriminal- und Wohlfahrtsakten als gesonderte Gruppe im Auge zu behalten.33

Der Einfluss des medizinischen und rassebiologischen Denkens machte sich in der Weimarer Republik auch in Diskussionen über Homosexualität bemerkbar. Schon Sexualforscher der Jahrhundertwende hatten Homosexualität als psychische Störung klassifiziert. Die sinkende Geburtenrate schürte unter Eugenikern zunehmend Besorgnis über eine mögliche Ausbreitung der Homosexualität. Da die „Störung“ aus naheliegenden Gründen nicht in erster Linie erblich war, könnte laut Kommentaren aus dem medizinischen Umfeld ärztliches Eingreifen, zumindest theoretisch, eine „Heilung“ bewirken, und auch von der Wirksamkeit politischer Maßnahmen war man überzeugt. Auf der äußersten politischen Rechten räumte man daher der Beschränkung und, wenn möglich, Beseitigung der blühenden homosexuellen Subkultur in Großstädten wie Berlin Priorität ein, um zu verhindern, dass junge Männer, die – so glaubte man – ansonsten zur Reproduktion der Rasse beitrügen, verdorben und verführt würden. Auch galten Homosexuelle unter Kriminologen als latent kriminell, ein logischer Zirkelschluss, war doch männliche Homosexualität nach dem Strafgesetzbuch verboten. Schließlich waren auf der politischen Rechten Sorgen wegen der „Verweichlichung“ männlicher Homosexueller und deren Auswirkungen auf die Maskulinität deutscher Männer insgesamt, auf ihre Bereitschaft, in einem künftigen Krieg zu kämpfen, und auf ihre Virilität, die sie an künftige Generationen weitervererben sollten, weit verbreitet. Der Sexualforscher Magnus Hirschfeld, ein bahnbrechender Vorkämpfer für die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen, befeuerte solche irrationalen Ängste womöglich noch, indem er homosexuelle Männer als weder maskulin noch feminin, sondern als „drittes Geschlecht“ irgendwo dazwischen darstellte.34

In der Weimarer Republik wurde die Frage der sozialen Ausgrenzung in hohem Maße politisiert. Auf der einen Seite fassten Gegenrevolutionäre und die politische Rechte alle möglichen sozialen, politischen und religiösen Abweichler zunehmend in einer einzigen Kategorie, den „Subversiven“, zusammen, von denen man annahm, dass sie die „deutsche Rasse“ schwächten. Unterstützt wurden sie darin von zumindest einigen Eugenikern und „Rassenhygienikern“, obwohl andere sich der politischen Instrumentalisierung der Frage durch die rassistischen und antisemitischen Kräfte des extremen Nationalismus widersetzten. Auf der anderen Seite betrat der expandierende Wohlfahrtsapparat der Weimarer Zeit selbst die politische Arena, indem er gesetzgeberische Maßnahmen verlangte, um die unterschiedlichsten Minderheiten – vom psychisch Kranken bis zum Wiederholungstäter, vom Vagabunden und Landstreicher bis zum Alkoholiker und Drogenabhängigen – aus den Systemen der Strafjustiz und des Strafvollzugs herauszulösen und in den Bereich der Zwangseinweisung unter ärztlicher Aufsicht für einen unbestimmten Zeitraum zu überführen.

Auch einige Gruppen von gesellschaftlichen Außenseitern wurden politisiert. Die Zeugen Jehovas erhielten während der 1920er-Jahre in Deutschland gewaltigen neuen Zulauf. 1926 hatte die Religionsgemeinschaft in Dresden mehr Mitglieder als in New York, und diese wurden noch gründlicher und kompromissloser pazifistisch, als sie es während des Ersten Weltkriegs gewesen waren, als noch ein Großteil von ihnen eingewilligt hatte, in den deutschen Streitkräften zu dienen. Ihre unverblümte Opposition gegen die wachsende Gefahr des Antisemitismus brachte die extreme Rechte in Harnisch und festigte die Überzeugung der Ultranationalisten, dass die Zeugen Jehovas Handlanger der Juden seien, versessen darauf, den Wiederaufstieg der „deutschen Rasse“ nach der Katastrophe von 1918 zu verhindern.35 Auch Homosexuelle machten sich energischer und sehr viel öffentlicher als im Wilhelminischen Reich für die Abschaffung des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches und die Legalisierung der Homosexualität stark.36 Anarchisten wie Erich Mühsam und Gregor Gog versuchten, Vagabunden zu politisieren, obwohl Gogs „Vagabundenkongress“ in Stuttgart 1929 nur begrenzten Erfolg hatte, und die Idee, Landstreicher in einer Gewerkschaft zu organisieren, erwies sich erwartungsgemäß als Fehlschlag.37

Gesellschaftliche Außenseiter hatten in der Weimarer Republik am Ende auch eine stark symbolische politische Funktion, als extreme Nationalisten forderten, alle vernünftigen Deutschen sollten den Versailler Vertrag bekämpfen und gegen jene subversiven Kräfte vorgehen, die den nationalen Wiederaufstieg behinderten. Für keine Gruppe galt dies mehr als für die sogenannten „Rheinlandbastarde“. Während der 1920er-Jahre war das linke Rheinufer unter alliierter militärischer Besatzung gewesen, und in der dortigen französischen Zone waren Soldaten aus Senegal, Madagaskar und anderen Teilen des französischen Überseereichs stationiert. Praktisch alle deutschen politischen Parteien einschließlich der Sozialdemokraten protestierten gegen den Einsatz von, wie sie unverhohlen erklärten, „rassisch minderwertigen Soldaten“ als Besatzungstruppen. Insbesondere während des französischen Einmarschs ins Ruhrgebiet 1923 erreichte rassistische Propaganda dieser Art beinahe hysterische Ausmaße, als die schwarzen Soldaten der wiederholten Vergewaltigung deutscher Frauen bezichtigt wurden. In Mein Kampf vermutete Hitler hinter dieser Politik gar eine bewusste jüdische Verschwörung mit dem Ziel, die „deutsche Rasse“ zu demütigen und zu verderben. In Wirklichkeit scheinen sich die Kolonialtruppen höflich und rücksichtsvoll verhalten zu haben, und die „Rheinlandbastarde“ waren das Ergebnis vollkommen einvernehmlicher Beziehungen mit deutschen Frauen. Mit demselben Begriff wurden auch schon vor dem Ersten Weltkrieg geborene Kinder völlig legitimer Beziehungen zwischen deutschen Siedlern in Amerika und afro-amerikanischen Männern oder Frauen belegt ebenso wie die gemeinsamen Nachkommen von weißen Deutschen und Schwarzafrikanern. Doch die Raserei über die französische Besetzung ließ für Differenzierungen keinen Raum, und alle „gemischtrassigen“ Deutschen wurden als „Rheinlandbastarde“ kategorisiert und derart zum Inbegriff der Demütigung, dass Beamte im Bayerischen Ministerium des Innern die Reichsregierung schon 1927 ersuchten, sie zu sterilisieren.38

Das Dritte Reich

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