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„Im Angesicht des Todes“, im Hindu-Sterbehaus in Benares, (Foto von S. Paul) Mein Abzug: 50 x 70 cm

New Delhi ( Neu-Delhi)

Indien gehört zu jenen Ländern, die den Fremden in kürzester Zeit in ihren Bann ziehen können, sofern dieser dazu bereit ist und sich „verindern“13 lässt. Das ist freilich nur möglich, wenn sich der Neuankömmling nicht grundsätzlich dagegen sträubt und eigentlich nur bestrebt ist, das Land auf dem schnellsten Wege wieder zu verlassen. Mit „verindern“ ist allerdings nicht Assimilierung gemeint, sondern Eintritt in eine Resonanz mit der anderen Kultur. Wir entdeckten das an uns selbst, als uns ein sogenannter Perspektivwechsel widerfuhr. Ein gerade eingetroffener deutscher Professor, der zusammen mit seiner Frau im Indus-Tal (dem heutigen Pakistan) mit Ausgrabungen beschäftigt war und auf meine Einladung hin nun im Nationalmuseum Neu-Delhis vor Historikern und Archäologen einen Vortrag über die neuesten Erkenntnisse dazu halten sollte, rief uns abends unter Entschuldigungen mit der Bitte an, ob es möglich wäre, seiner Frau saubere Handtücher zu bringen, weil sie jene des Hotels abstoßend fände. Cora legte mir zwei aus dem Schrank ins Auto und ich brachte sie kurzerhand zum Hotel. Als sie diese in Empfang nahm, konnte sie nicht umhin zu bemerken: „Aber diese sind doch auch grau“. Zum Beweis legte sie ihre blütenweiße Bluse neben die Handtücher – und es war unbestreitbar, die Handtücher waren eindeutig grauer. Uns war dieses nach mehreren Jahren unseres Lebens in Indien nicht mehr aufgefallen. Zwar waren sie sauber, aber eben nicht (mehr) „blütenweiß“, denn aus keiner Leitung fließt dort so klares Wasser, dass Wäsche nach wiederholten Waschgängen immer noch blütenweiß aus der Waschmaschine kommen könnte.

Über die Jahre empfand ich New Delhi als eine Wüstenstadt. Die Metropole liegt am Rande der Rajasthan-Wüste; feinster Staub findet seinen Weg durch noch so kleine Ritzen (und es gibt davon viele) in alle Häuser, aber auch in Schränke und Schubladen, natürlich aber auch in den Wassertank, aus dem das ohnehin nur nachts aus der zentralen Wasserversorgung hineintröpfelnde Wasser stammte. Jeden Morgen wurde es in einen großen Wasserbehälter (einen Plastik- oder gemauerten Tank) auf dem Dach hochgepumpt. Es war kostbar und reichte nur knapp für den Tagesbedarf. Das Wasser, das schließlich aus dem Wasserhahn oder aus der Dusche floss, besaß keinen Druck; es war schlicht das bekannte Newtonsche Gravitationsgesetz, nach welchem das Wasser aufgrund seines Eigengewichts aus dem Tank vom Flachdach in die Leitung und in die Brause der Dusche fiel. Entsprechend kraftlos kam es an. Darüber hinausreichende Ansprüche waren längst unserem Realitätssinn gewichen. Mit diesem Wasser duschten wir, spülten Teller und Gläser und wuschen Wäsche. Lediglich das Trinkwasser musste über mehrere Stunden durch einen hochwertigen Keramikfilter laufen (eigentlich eher tropfen, denn dieser Vorgang dauerte schließlich die ganze Nacht), ein Filterbehälter mit Aktivkohle, den wir von einem Expeditionsausstatter in München mitgebracht hatten.

Betrat man ein fremdes Haus, brachte der Hausgehilfe als erstes „filtered water“ (gefiltertes Trinkwasser) in Metallbechern. Doch mit der Zeit nahm die anfängliche Gewohnheit ab, nachzufragen, ob das Wasser gefiltert sei. Vor allem im Mai und Juni, den heißtesten Monaten des Jahres, wenn (bis zum Eintreffen des Monsuns) der Tag oft mit 40°C begann und das Thermometer bis auf 50°C steigen konnte.

Was für eine großartige Erfindung war da der desert cooler! In unserem rund 60 m2 großen Wohnzimmer mit hohen Decken bedurfte es eines relativ großen Exemplars davon, um die Lufttemperatur herunterzusetzen und vor allem Feuchtigkeit zu spenden und zu verteilen. Ein Kubus von etwa 1 m Seitenlänge bestand aus 5 Grasmatten, die, in Drahtgeflechten zusammengehalten, die Seitenwände und den Deckel bildeten. Auf einem zentralen Sockel auf dem Bodenblech mit handhohen Rändern war ein einfacher Ventilator montiert. Eine kleine Pumpe drückte in einem geschlossenen Kreislauf das Wasser aus dieser Wanne durch dünne Schläuche an das obere Ende der Grasmatten, durch die es wieder in die untere Wanne sickerte und dadurch die Grasmatten ständig feucht hielt. Der sich um seine Achse drehende Ventilator erzeugt den Luftstoß, der von innen durch die Grasmatten einen feinen Wasserdunst rundum in den Raum sprüht. Äußerst billig und preiswert im Betrieb, konnte da keine Klimaanlage mithalten (auch wenn sie gerne zusätzlich eingesetzt wird). Ab und an werden diese Grasmattenwände ausgetauscht und Wasser in der Wanne nachgefüllt.

Tritt man aus dem Haus, schlägt die Hitze mit tausend feinsten Nadelstichen zu (was zuweilen durch den Wüstenwind potenziert wird). Dabei trocknet der Schweiß, den der Körper sofort zum Selbstschutz ausstößt, schlagartig ein, noch bevor er das anliegende Hemd überhaupt erreichen kann. So ist Schwitzen bei diesen Temperaturen und der extremen Trockenheit der Luft im Freien schlicht nicht möglich. Gegen solch eine Hitzewand kann manchmal selbst das Atmen schwerfallen.

13 – Ein deutsches Verb mit der Vorsilbe „ver-“ bedeutet grundsätzlich verändern durch den Inhalt des folgenden Verbs, der folgenden Aktion. In diesem Fall wird aus dem Nomen Indien ein Verb geschaffen: indern. Mit „verindern“ ist also eine Veränderung durch indisch werden gemeint. Das ist für mich an und für sich positiv besetzt, denn wer sich länger in der Fremde aufhält, sollte der alten Empfehlung folgen: „In Rome do as Romans do“ (In Rom verhalte dich wie die Römer), passe dich an!

Indien denkt anders - eine interkulturelle Begegnung

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