Читать книгу Die Kraft der Präsenz - Richard Moss - Страница 35
Beispiel: Nackenschmerzen
ОглавлениеNeulich besuchte mich eine gute Freundin, die unter chronischen Nackenschmerzen leidet. Diese hatten sich mittlerweile so sehr verschlimmert, dass es ihr weder möglich war, am Computer zu sitzen und zu arbeiten, noch konnte sie lesen oder fernsehen. Selbst im Bett zu liegen brachte keine Erleichterung. Im Laufe der Jahre war sie bei vielen verschiedenen Ärzten gewesen, die zahllose Tests und Untersuchungen durchgeführt hatten. Sie wusste, dass sie eine degenerierte Bandscheibe hatte. Einige Ärzte schlugen ihr vor, zu operieren; andere bezweifelten, dass dies helfen würde. Sie durchforstete das gesamte Spektrum der Schul- und Alternativmedizin. Manchmal war sie ein paar Stunden schmerzfrei, manchmal sogar ein paar Tage, aber die Schmerzen kehrten immer wieder zurück und wurden nach und nach schlimmer.
Als wir an diesem Tag beisammensaßen, schlug ich ihr vor, dass sie – anstatt die nächste Behandlungsmöglichkeit zu erörtern oder mir die medizinischen Gründe für ihre Schmerzen darzulegen –, einfach versuchen sollte, sie als Ausgangspunkt für eine Reise in die Gegenwart zu nehmen. Ich bot ihr an, sie intuitiv auf dem Weg in den Schmerz zu begleiten.
Als sie ihre Aufmerksamkeit auf den Schmerz lenkte, bat ich sie, die gesamte Konstellation dessen, was sie in ihrem Kopf, im Nacken und den Schultern spürte, ganz leicht mit einem inneren Blick zu „berühren“ und gleichzeitig einen Teil ihres Gewahrseins auf ihren gesamten Körper und in den Raum hinein auszudehnen. Diese letzte Komponente, das Ausdehnen des Gewahrseins, ist besonders wichtig, denn wenn man sich auf den Schmerz fokussiert, dann neigt er dazu, sich zu verstärken, sofern man nicht gleichzeitig ein Gefühl der Ausdehnung oder Weiträumigkeit hinzunimmt. Als sie den Schmerz fühlte, schlug ich ihr vor, damit so in Kontakt zu gehen, als spüre sie ihn zum ersten Mal und mache somit eine ganz neue Erfahrung.3
Plötzlich hatte meine Freundin eine Vision von einem dichten, dunklen Wald aus „Bäumen“, die aus etwas bestanden, was sie nicht beschreiben konnte. Die ganze Szene spielte sich in einer Unterwasserlandschaft ab und sie empfand an dem Ort eine merkwürdige Kraft. Nach einigen Minuten konnte ich spüren, dass sie nicht mehr in der Gegenwart war. Ich fragte sie, wohin sie abgedriftet sei, und sie erklärte, sie versuche, eine Verbindung zwischen dem Schmerz und der Vision herzustellen. Anders gesagt, sie analysierte und hatte sich damit von der Unmittelbarkeit der Vision entfernt. Außerdem hatte sie sich von ihrem Verstand in die Vergangenheit befördern lassen. Also forderte ich sie auf, zu ihrem Bild und der „seltsamen Kraft“ zurückzukehren. Ich sagte, sie solle jede Erwartung in Bezug darauf, wohin dies führen könne, loslassen und einfach nur bei ihrem inneren Erleben bleiben. Kurz darauf begann sie, leise zu schluchzen. Sie sprach von einem Gefühl der Wärme, das in ihr hochstieg, speziell im Brustraum, und die Vision des Unterwasserwaldes löste sich auf. Gleichzeitig stellte sie fest, dass die Schmerzen komplett verschwunden waren.
Die Schmerzen blieben nahezu eine ganze Woche lang aus und während dieser Zeit fühlte sie sich emotional erstaunlich gut. Es war keine komplette Heilung, aber es macht etwas sehr Wichtiges deutlich: Das grundlegende Glaubenssystem meiner Freundin baute darauf auf, dass sie nur die richtige Ursache für das Problem und die richtige Therapie finden müsse, um wieder gesund zu werden. Dies versetzte sie ständig in eine erdachte Zukunft, in der es ihr nach dem Finden der richtigen Behandlung wieder gut gehen würde. In ihrer Vorstellung würde sie wieder so sein, wie sie sich in Erinnerung hatte, bevor die Schmerzen einsetzten.
Nun jedoch hatte sie gelernt, dass eine Reise in ihr Erleben in vollem Gewahrsein und unter Zurücklassen der Vergangenheit und der Zukunft ebenfalls eine Erleichterung bringen konnte. Ein weiterer interessanter Aspekt war, dass dies auch zu einem besseren emotionalen Gleichgewicht führte. Sie hatte einen neuen Weg eingeschlagen – einen Weg der Nähe zu sich selbst im Jetzt –, bei dem die Ursache ihres Problems unwichtig und das Erzielen eines gewünschten Ergebnisses sogar kontraproduktiv waren.
Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass sich meine Freundin auf einem Weg der emotionalen Befreiung und vielleicht auch der körperlichen Heilung befindet – sofern sie lernt, diese Reise zum Gewahrsein jedes Mal anzutreten, wenn Schmerzen oder andere schwierige Gefühle ihren Verstand dazu bringen, in die Vergangenheit oder Zukunft abzuschweifen.