Читать книгу Der Wachsmann - Richard Rötzer - Страница 5
Prolog
ОглавлениеDem Äußeren, ihrer Herkunft und ihres Standes nach hätten die beiden Männer, die sich kurz vor Mitternacht in dem feuchten, muffigen Kellergewölbe einfanden, kaum verschiedener sein können. Was sie dennoch verband, waren gefährliches Wissen über den jeweils anderen und der Vorsatz, Gottes Gerechtigkeit aus ihrer trägen Duldsamkeit aufzurütteln, indem sie sich anmaßten, an ihrer Statt zu rächen und zu strafen.
Der Größere von beiden wirkte trotz des schweren, pelzbesetzten Mantels hager, und soweit die tief ins Gesicht gezogene Kapuze und das flackernde Licht dreier Kerzenstummel ein Urteil überhaupt zuließen, schien er auch der ältere von beiden und schon ein gutes Stück über der Lebensmitte zu sein. Er wirkte entschlossener und befehlsgewohnt und herrschte seinen unscheinbaren Begleiter an: »Hast du alle Utensilien besorgt, wie ich dir aufgetragen habe?«
Erschreckt vom Widerhall im alten Gewölbe kam die Antwort beinahe flüsternd und mit leicht zittriger Stimme: »Ja, Herr, wie Ihr befohlen habt.«
Der Vornehme verzog angewidert das Gesicht: »Du hast wieder getrunken! Dein Atem übertrifft noch den fauligen Modergeruch dieses Ortes.« Warum nur mußte ich mich dieser Kreatur bedienen. Wie tief bin ich gesunken. Ich muß mich seiner entledigen, sobald diese Sache zu einem Ende gekommen ist.
»O nein! Nein, Herr – das heißt, einen… vielleicht auch zwei Becher Roten zum Nachtmahl, um die Unruhe und das Zucken in meinen Gliedern zu beruhigen. Immerhin mag Euer Vorhaben fürchterliche Folgen haben und ich bin, wie Ihr wohl wißt, nicht für mutige Taten geschaffen.« Dabei sank sein Kopf noch tiefer zwischen die gebeugten Schultern, was ihm irgendwie das Aussehen einer gekränkten Schildkröte verlieh. Gütiger Gott, ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen. Er will nur Rache, und mein Lohn wird ewige Verdammnis sein. Ich muß fort! Doch wohin?
»O ja!« schnaubte der andere verächtlich. »Das weiß ich wohl, daß du nicht den Weltenlauf veränderst. Doch reiß dich zusammen. Es war schließlich deine Idee, und du kannst jetzt nicht mehr zurück. Du steckst zu tief mit in dieser Sache. Und warst nicht du es, der vorgab, das ruchlose Verhalten des Frevlers zutiefst zu verabscheuen und der mich darin bestärkte, den Lauf der Gerechtigkeit zu beschleunigen?«
»Ihr, Ihr habt ja recht«, stammelte die Schildkröte, »es ist nur, ich meine… die Kirche weiß hart zu strafen, insbesondere beim Vorwurf der Zauberei, und ich tauge nun einmal nicht zum Märtyrer.«
»Und ebensowenig zum Heiligen«, spottete sein vornehmes Gegenüber. »Doch zeig nun, was du besorgt hast!«
Ein paar rohe Bretter, die zwei leere Fässer überspannten, bildeten den Tisch, auf dem der ängstliche Gehilfe die Paraphernalien für den teuflischen Plan aufreihte, die er aus der Weite seines groben Wollmantels hervorkramte: Ein Stück Holzkohle und drei eisenschwarze Blutsteine, rechtschaffen angewandt ein probates Mittel gegen Blutungen, doch in der Umkehrung der Schwarzmagie der Blutgerinnung geradewegs abträglich; eine frisch geweihte Osterkerze und eine kleine Phiole geweihten Wassers, versetzt mit ein paar Tropfen Urin eines Gehenkten; drei gekrümmte, rostige Sargnägel vom Kirchhof der Minderbrüder und ein kleines braunes Säckchen, das sich zu bewegen schien.
Als der Meister der bevorstehenden Zeremonie mit spitzen Fingern den Rand des Säckchens etwas lüpfte, glotzte ihn eine fette, giftige Kröte mit großen Kulleraugen an, was er lächelnd und befriedigt zur Kenntnis nahm.
»Wir haben noch zu warten, bis der Türmer Mitternacht kündet«, entschied er. »Nutzen wir die Zeit zu innerer Sammlung, damit wir rechten Geistes sind, auf daß der Zauber seine Wirkung entfalte!«
***
Der Chronist schrieb das Jahr 1319 seit der Geburt unseres Herrn, und die gottgewollte Ordnung des Abendlandes schien in Auflösung begriffen. Wo in früheren, besseren Zeiten ein jeder seinen Platz gekannt und der Bauer durch seiner Hände Arbeit für das Brot gesorgt, der Rittersmann seinen Schutz gewährleistet und der geistliche Stand das Seelenheil aller vermittelt hatte, da schien nunmehr ein jeder eifersüchtig auf seinen eigenen Vorteil bedacht zu sein. Immer mehr Bauern wollten der seit Evas Verderbtheit und Adams Schwäche auferlegten Mühsal entfliehen, verließen ihre Grundherren und Äcker und flohen in die aufstrebenden Städte, um im Schutze deren wehrhafter Mauern nach Jahr und Tag frei zu sein. Zwar blühten dort Handel und Handwerk, mit ihnen aber auch Habgier und Hoffart nebst Armut und bitterer Not. Jetzt kleidete sich der Kaufmann in kostbare Pelze und putzten sich reiche Bürger mit bunten Tuchen wie Pfauen heraus, während sich mancher Adelige unter dem löchrigen Dach seiner kalten Burg in einen schäbigen Mantel hüllte. Der freie Geist an den Schulen und Universitäten Frankreichs, Spaniens und Italiens gebar bislang unerhörte Ideen und säte vielerorts Zweifel. Obwohl tausendfach abgeschlagen oder von läuterndem Feuer vernichtet, erwuchsen der Hydra der Ketzerei unaufhörlich neue Häupter. Und wo schon der Heilige Vater der Zauberei bezichtigt wurde, da wollte auch der gemeine Mann seine Furcht vor Dämonen und seinen Aberglauben nähren. Daneben gab es freilich auch tiefe Frömmigkeit und inbrünstiges Beten, die ihren schönsten und sichtbaren Ausdruck in den hochragenden und lichtdurchfluteten Kathedralen fanden. Aber war dieser neue, so schwerelos erscheinende und in die Ewigkeit weisende Baustil nicht zugleich auch Zeichen einer ganz dem Irdischen verhafteten Maßlosigkeit, wie der Einsturz der Kathedrale von Beauvais und die vielerorts stockende Bautätigkeit befürchten ließen? Und Maßlosigkeit war auch – in krassem Gegensatz zur Armut seines göttlichen Herrn und Meisters – die hervorstechendste Tugend des geistlichen Führers der Christenheit. In einem Alter, in dem der Fromme gemeinhin nur noch in der hoffnungsvollen Erwartung lebt, seinen Herrn und gnädigen Richter bald von Angesicht zu Angesicht zu schauen – in einem Alter von gut siebzig Jahren also –, da hatte der Bischof von Cahors eben erst den Stuhl Petri als Papst Johannes XXII. bestiegen. Und zählten Hochmut und Habgier in den Augen der Kirche zu den größten Lastern, so wußte Johannes diese Tugenden des Teufels aufs schönste in sich zu vereinen. Er war arrogant und unerschütterlich in seinem absoluten Herrschaftsanspruch über den römisch-deutschen König beziehungsweise Kaiser als den Schutzherrn des Reiches und Träger des weltlichen Schwertes. Und er war geldgierig und korrupt bis auf die Knochen und besaß ganz offenbar die Gabe des Midas, denn er wußte selbst Dreck noch zu versilbern. Daneben wähnte sich der Hüter des wahren Glaubens zeitlebens von Magiern und Dämonen umgeben, und er ließ alle, die er des Bildzaubers für schuldig hielt, hinrichten.
Im Buche Genesis steht geschrieben, daß vor Zeiten der Herr sah, wie groß die Bosheit der Menschen war, und er sandte eine gewaltige Flut, um sie mitsamt der Erde zu vernichten. Als sei der Herr in diesen Tagen aufs neue der Ruchlosigkeit der Menschen und insbesondere seiner gesalbten Diener überdrüssig, hatte er es in den Sommern der vergangenen drei Jahre nahezu unaufhörlich regnen lassen, so daß die Ernte vernichtet worden war und die Menschen vielerorts schrecklichen Hunger litten und wie die Fliegen starben. Und es ging das Gerücht von blutigem Regen und hellen Schweifsternen. Wer nur recht die Zeichen zu deuten wußte, sah Joachim von Fiore bestätigt, der das Nahen der Endzeit angekündigt hatte, in der der siebenköpfige Drache sein Haupt erheben und die Herrschaft des Antichrist beginnen werde.
Angesichts der Schrecken der Zeit, in der von den Paulinischen Tugenden der Glaube durch Zweifel ersetzt und die Liebe der Habsucht gewichen war, da blieb den Menschen nur noch wenig Hoffnung: Hoffnung auf ein Plätzchen am Tisch des Herrn in der Ewigkeit und Hoffnung auf Frieden und das täglich Brot, solange der mühselige Kampf im Diesseits währte. Doch danach sah es in diesem Jahr 1319 am allerwenigsten aus. Es roch vielmehr penetrant nach Krieg, und wie meistens, ging es bei den Streitigkeiten um Besitz, Ansehen und Macht.
Im fünften Jahr schon wogte der Kampf um die Krone des römisch-deutschen Königs unentschieden hin und her zwischen den stolzen Habsburgern aus Österreich und dem Hause Wittelsbach, das zudem durch einen unseligen Bruderzwist zerrissen war. Als nämlich 1294 der Bayernherzog Ludwig der Strenge – ein merkwürdiger Beiname für die Ermordung seiner ersten Gattin in eifersüchtiger Raserei – von seiner Residenz zu Heidelberg ins reinigende Fegefeuer übersiedelte, da hinterließ er nebst zwei Töchtern den älteren Sohn Rudolf und dessen minderjährigen Bruder Ludwig sowie die lebenslustige Witwe Mechthild aus dem Hause Habsburg, die mit ihren vierzig Jahren noch keineswegs gewillt war, sich am Stickrahmen vom Herbst des Lebens überraschen zu lassen.
Rudolf, damals gerade neunzehn Jahre alt und volljährig, voller Tatendrang und ehrgeiziger Pläne, machte sich sogleich ans Regieren, beanspruchte die Vormundschaft über Ludwig und versuchte, die rührige Mutter ins höfische Leben abzudrängen. Anfangs regierte er keineswegs ungeschickt, und die ebenfalls noch junge Stadt München verdankte ihm unter anderem ihr ältestes Stadtrecht, das Rudolfinum. Mit den Jahren aber übte er sich in der Kunst, aufs falsche Pferd zu setzen, und brachte es darin zunehmend zur Meisterschaft. So überwarf er sich alsbald mit Mutter, Bruder und Verwandten aus Österreich und verlor dabei beträchtlich an Ansehen und Besitz.
Nachdem Ludwig die Volljährigkeit erlangt hatte, mußte er feststellen, daß der ältere Bruder eine recht eigenwillige Vorstellung vom Teilen hatte, selbstherrlich über das gemeinsame Erbe verfügte und die Regierung weitgehend für sich beanspruchte. Darüber kam es zum offenen Streit, der freilich niemandem zum Nutzen gereichte außer der Zunft der Waffenschmiede. »Der Bruder zog nun das Schwert wider den Bruder«, vermerkte der Chronist bitter. Die feindlichen Parteien überboten sich im Plündern und Brandschatzen als wäre es der Brüder erklärtes Ziel, Könige einer Wüstenei zu werden, und Ludwig tat sich dabei mit jugendlichem Eifer hervor, als gelte es, nach den ritterlichen Lehrjahren die Gesellenprüfung im Mordhandwerk abzulegen. Bald jedoch, ob nun aus Einsicht oder Ermüdung, gesellte sich Besonnenheit zu seinen zahlreichen guten Anlagen, und er verlegte sich aufs Regieren. Er reichte Rudolf die Hand zur Versöhnung und bewies diplomatisches Geschick bei der ihm angetragenen Vormundschaft über die niederbayerischen Vettern. Doch hiermit brachte ungewollt nun er die österreichische Verwandtschaft gegen sich auf, die um ihren Einfluß in Niederbayern fürchtete.
Folgerichtig für die streitlustige Stimmung jener Tage kam es zum Scharmützel bei Gammelsdorf, wo Ludwig obsiegte. Sein Ansehen stieg dadurch in den Augen seiner Zeitgenossen so gewaltig, daß er nach dem unerwarteten Tod des römisch-deutschen Königs plötzlich als aussichtsreicher Kandidat für die Königswürde erschien. Die Habsburger allerdings forderten vehement den Thron für Vetter Friedrich. Die Kurfürsten wiederum, mehr am Erhalt ihrer Macht als an einem starken Königtum interessiert, waren sich zwar einig im Bestreben, ihre Börsen durch Handsalben, das heißt fette Schmiergelder zu füllen, konnten sich aber auf keinen Kandidaten einigen. So erfolgte im Jahre 1314 eine verhängnisvolle Doppelwahl.
Den jungen Friedrich nannte man allgemein den Schönen. Inwieweit dies zutraf und mehr noch, inwieweit der Mensch überhaupt äußerer Schönheit Rechnung tragen soll, wo doch schon der heilige Bernhard schreibt, daß nur innere Schönheit wahren Glanz hervorbringt, das sei hier dahingestellt. Zweifellos aber erfüllte ihn beträchtlicher Ehrgeiz, und so dachte er keinesfalls an Verzicht, sondern suchte seine Wahl mit dem Schwerte zu bekräftigen. Mehrfach lagen sich in der Folgezeit die feindlichen Heere gegenüber, ohne daß es zur entscheidenden Schlacht kam. Doch nun im Jahre 1319, in dem die schrecklichen Ereignisse, von denen wir berichten wollen, sich zutrugen, deutete vieles darauf hin, daß die königlichen Gegner – des abwartenden Taktierens, der Entbehrungen und der finanziellen Aufwendungen müde – endlich die Entscheidung auf dem Schlachtfeld suchten.
Herzog Rudolf, der bei der Königswahl natürlich gegen seinen ungeliebten Bruder gestimmt hatte und damit plötzlich zum Parteigänger der Habsburger geworden war, hatte inzwischen resigniert, weitgehend auf seine Herrschaftsrechte verzichtet und sich kränkelnd und schmollend auf seine Burg zu Wolfratshausen zurückgezogen. Seine ehrgeizige Gemahlin indes wollte sich damit nicht so einfach abfinden, und wie der Waidmann um die Gefährlichkeit einer verletzten Wölfin weiß, so fürchtet der Umsichtige die Rache eines enttäuschten Weibes.
Auch die Münchner Bürgerschaft war unweigerlich in den Konflikt der fürstlichen Streithähne hineingezogen worden, hatte aber letztlich wie der lachende Dritte im gefährlichen Spiel davon profitiert, daß die Brüder mit immer neuen Privilegien um die Zuneigung und Unterstützung der Bürger gebuhlt hatten. Inzwischen waren die Parteiungen in der Stadt aufgelöst, Ludwigs Gegner vertrieben und die Bewohner froh darüber, wieder in Ruhe ihren Geschäften nachgehen zu können.
Dem ahnungslosen Besucher bot sich so ein friedlich erscheinendes Durcheinander von reger Bautätigkeit und lebhaftem Handel. Doch im verborgenen hegte manch enttäuschter Anhänger Rudolfs noch dumpfen Groll und schmiedete finstere Pläne. Und war auch die Frage der Herrschaft im Reich noch nicht entschieden – eines war gewiß: Es regierte der Haß!
***
Obwohl in der Tiefe des Gewölbes nur schwach vernehmbar, riß der Ruf des Turmwächters von St. Peter die beiden Männer aus ihren Gedanken: den einen aus der Erinnerung über das Unrecht und die Demütigung, die man ihm angetan hatte, den anderen mehr aus Befürchtungen über schreckliche Strafen, falls ihr verbotenes Tun offenkundig und vor einen Richter getragen würde.
»Laß uns beginnen!«
Der Ältere entrollte ein Pergament auf der rohen Brettertafel, ergriff die Holzkohle und skizzierte mit festem Strich ein schwarzes Dreieck als Symbol für den Schöpfer. Darüber ein Dreieck, das auf der Spitze stand, Symbol für alles Irdische und damit Unvollkommene, für das Böse und sündhaftes Menschenwerk. Zusammen bildeten sie ein magisches Hexagramm, das Siegel Salomons: Einheit der beiden Prinzipien des Guten und des Bösen, männlich-weibliche Vereinigung und Sinnbild des Kosmos.
Während des Zeichnens rief der Alte dreimal den Höllenfürsten Baal-Beryth an, ehemals mächtiger Fürst der Cherubim, jetzt Großmeister aller infernalischen Zeremonien, der die Pakte zwischen Sterblichen und Dämonen besiegelte. Schließlich umschrieb er das Siegel noch mit einem magischen Kreis als Symbol für den Ring Salomons, mit dem dieser die Dämonen beherrscht hatte. An drei Stellen kritzelte er die Buchstabenfolge AGLA und murmelte jedesmal dazu: »Ata Gibor Leolam Adonai«, was bedeutete: »Deine Macht währt ewig, Herr.« Den oberen drei Spitzen des Hexagramms, Zeichen der Dreieinigkeit, ordnete er die drei Kerzen zu, während er die Blutsteine auf den unteren drei Spitzen verteilte.
Der Gehilfe hielt nun mit zitternden Händen die geweihte Osterkerze über die Flammen, damit das Wachs weich und formbar wurde. Dabei beobachtete er ängstlich die tanzenden Schatten an den Wänden ringsum, die ihm einen höllischen Reigen feixender Dämonen vorgaukelten. Die Schweißperlen auf seiner Stirn flossen zusammen, bildeten kleine salzige Rinnsale und vereinigten sich zu Strömen kalten Schweißes, Sturzbächen der Angst, die sich über Gesicht und Hals ergossen. Er war erleichtert, als ihm sein Gegenüber die Kerze abnahm, sie auf das Hexagramm legte und in frevlerischer Absicht das Wachs zu kneten und zu formen begann. Die ungelenken Finger bildeten eine grobe Puppe, einen Atzmann als Abbild dessen, dem der Schaden zugefügt werden sollte. Es kam nicht darauf an, ein wahres Ebenbild zu schaffen. Entscheidend war vielmehr, daß die Figur durch Zauberspruch und Taufe in eine sympathetische Beziehung trat zu demjenigen, den sie darstellen sollte. So vermochte man Macht über ihn zu gewinnen, sei es, um Liebesglut zu entfachen, sei es, um Tod und Verderben zu bringen.
»Halt die Kröte bereit!«
Die Aufforderung jagte erneut kalte Schauer über den Rücken des unfreiwilligen Zauberlehrlings, während er das Säckchen öffnete, die schleimige Kröte packte und das spitze Messer zückte.
Unter unverständlichem Gemurmel, das sowohl Psalmen als auch Flüche beinhalten konnte, bespuckte der Herr des Unternehmens die Wachsfigur dreimal und entleerte die Phiole mit Weihwasser und Urin über ihr.
»Nun du!«
Mit erstaunlicher Gewandtheit, als hätte er dies schon wiederholt praktiziert, schlitzte der Gehilfe mit dem Dolch Kehle und Bauch der Kröte auf, hielt die verendende Kreatur über den Atzmann und drückte der Kröte Blut darüber aus.
»Ich taufe dich im Namen der Dreieinigkeit und Luzifers auf den Namen Ludwig!«
Zweifellos wäre Menschenblut weit wirkungsvoller gewesen, um Dämonen herbeizulocken, doch auch Krötenblut war dem Zwecke dienlich. Kaum hatte der Gehilfe die Formel beendet, warf er das tote Tier angewidert ins Kellereck, als habe ihm ein leibhaftiger Dämon die Hand versengt. Am liebsten hätte er auch fluchtartig das Gewölbe verlassen, doch der bohrende Blick seines Gegenübers ließ ihn erstarren.
»Gib mir die Nägel!«
Wie in Trance und über den imaginären Feind triumphierend, ritzte die knochige Hand des Hageren ein großes L in den wächsernen Körper und rammte anschließend die drei Sargnägel hinein, während seine eiskalte Stimme das Opfer verfluchte: »Mächte der Finsternis, erhört mein Flehen im Namen Salomons und seiner Heerscharen, seiner Macht und Weisheit. Verflucht sei Ludwig ob seiner frevelhaften Taten. Nehmt ihm Willen und Kraft! Sein Verlangen gebäre ihm Unheil, sein Handeln bringe ihm Tod und Verderben! Amen!«
»Amen!«
»Sprich mir nach: Nostrae mortis hora in et nunc…«
Nachdem sie drei Ave Maria und drei Pater noster rückwärts aufgesagt hatten, war die grausige Zeremonie beendet.
Der Alte lächelte zufrieden in sich hinein. Nun mochte alles so werden wie früher und falls nicht, so würde ihm zumindest Genugtuung widerfahren. Er wickelte den Wachsmann vorsichtig in ein schwarzes Tuch, rollte das Pergament zusammen und drückte zwei der Kerzen aus. Im flackernden Schein der dritten geleitete er den wankenden Gehilfen aus dem Gewölbe, dessen kalte Mauern nun ein schreckliches Geheimnis bargen. Er entließ ihn in das unheimliche Dunkel der schlafenden Stadt mit der scharf gezischten Warnung: »Kein Wort darüber oder ich werde dafür sorgen, daß du baumelst!«
Als hätte es dieses freundlichen Rates bedurft. Eher würde der Gehilfe sich die Zunge abbeißen, als sich selbst an den Galgen liefern wollen. Sich angstvoll immer wieder umblickend, hastete er durch die dunklen Gassen, als sei der Leibhaftige schon jetzt hinter ihm her. Es roch nach Schwefel. Ja, ganz sicher. Oder war es doch nur der gewohnte Gestank der Abfälle und Kloaken, den seine überreizten Sinne als die persönliche Duftnote des Höllenfürsten wahrnahmen? Er stolperte, flog über einen Haufen lebender Lumpen, der sich fluchend bewegte, rappelte sich auf, jagte weiter. Herr im Himmel, vergib mir! Ich wollte doch nur… ich mußte… er hat mich gezwungen. Oh, verflucht, wenn nur eine dieser verdammten Schenken noch offen hätte. Gott sei Dank bin ich gleich zu Hause.
Im gleichen Augenblick, als er mit lähmendem Entsetzen die glühenden Lichter auf dem Holzstoß vor ihm wahrnahm, erfolgte auch schon der Angriff: Ein gräßliches Fauchen… ein Schrei… stechende Schmerzen. Taumelnd fuhr er mit der Hand über die rechte Wange: Blut. Der Hieb war nur um Zentimeter am rechten Auge vorbeigegangen. Die Krallen hatten tiefe Furchen in die Backe gerissen. Er haßte des Nachbarn Katze von jeher. Doch diesmal war sie vom Teufel besessen. Jesus, Maria!… Verfluchtes Biest!… Ich hätte dir schon längst den Hals umdrehen sollen… Herr, gütiger Gott, vergib mir meine Gedanken… ich bin verwirrt… ich steh’ das nicht mehr durch! Gib mir ein Zeichen, wenn du mir den Frevel vergibst!
»Kruzifix, jetzt fällt mir der Schlüssel in den Dreck!«
Am ganzen Leib zitternd, von Schmutz und Angstschweiß verklebt, schleppte sich der Geplagte in seine Kammer, der ewigen Verdammnis gewiß. Er stürzte auf den Tonkrug zu, der den Rest des roten Tirolers barg und ließ das Labsal in großen Schlucken durch seine Kehle rinnen, als vermöchte er damit das bevorstehende Höllenfeuer zu löschen. Erst als die Trunkenheit zunahm, kehrte allmählich trügerische Erleichterung ein, die ihn auf sein Lager und in unruhigen Schlaf fallen ließ.
Die Gerechtigkeit des Herrn aber schlummert nie.