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Ertappt

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Bleich war Meltem im Gesicht. Und bleich war auch die ältere Frau. Beide trugen sie Kopftuch. Meltem am Hinterkopf geknotet und einmal um die Stirn geschlagen. Das Tuch der anderen bedeckte auch Hals und Teile der Schulter, doch eine grauschwarze Tolle ragte über der Stirn heraus und verlieh ihr einen noblen Anstrich. Lächelnd fragte die Ältere die Jüngere, ob der Platz neben ihr noch frei sei. Meltem nickte, laute Musik drang aus ihren Kopfhörern. Als sie erkannte, dass noch zwei Sitzreihen im Bus nicht belegt waren, war es zu spät.

Die ältere Frau lächelte still in sich hinein, während sie Meltem aus den Augenwinkeln fixierte. Alles in Meltem krallte sich zusammen vor Schmerz. Was lächelt die so blöd? Schon draußen in der Station war ihr die schwarz gekleidete Frau mit der kleidsamen grauen Strähne im schwarzen Scheitel aufgefallen. Sie sah gut aus, aber auch unheimlich. Auf ihrem linken Nasenflügel saß wie ein bleicher Käfer, der die Kunst der Mimikry beherrscht, eine Warze. Meltems EDV-Lehrerin hatte so eine Warze gehabt, allerdings über der Lippe. Und Meltems beste Freundin Meral hatte ihr im Unterricht zugesteckt, das sei der verschiebbare Deckel eines USB-Ports, wo man sich die Fantasie dieser Lehrerin runterladen könne. Diese habe in etwa ein Datenvolumen von 2,4 Kilobyte. Dann hatte Meltem, die von Meral geliebt werden wollte und sich deshalb von ihr zu schrägen Meldungen anstacheln ließ, gesagt, wenn die Frau Lehrer vor dem Wichsen an Kenan İmirzalıoğlu denke, steige das Volumen kurz auf 2,7 und falle danach sofort auf 1,8 runter. Und Meral hatte sie zwar mit Lachen belohnt, aber, weil sie immer das letzte Wort haben musste, noch eins draufgesetzt: Vielleicht hat die ja die Klitoris im Gesicht, und unten, wo sie sein sollte, ein blinkendes Kontrolllämpchen. Die beiden hatten so gekichert, dass sie von der Lehrerin mit dem Kontrolllämpchen unter dem braunen Cordrock aus der Klasse geschmissen wurden. Siehst du es blinken?, hatte Meral sie gefragt, und das Kichern hallte noch vom Gang in die Klasse, und die Lehrerin hatte sich vergessen und ihnen hässliche Komplimente nachgeschrien.

Was waren das für schöne und lustige Tage. In welchen Abgrund fiel sie nun. Und was wollte die Alte bloß von ihr? Die Alte ging von kurzen, durchdringenden Seitenblicken zu direktem Anstarren über. Meltem presste ihre Wange fest ans Fenster, doch spürte sie, dass diese seltsame Frau nicht mehr von ihr ließ. Schließlich riss sie sich die Kopfhörer runter und fragte sie:

Warum starren Sie mich so an?

Die ältere Frau fasste nach Meltems Hand. Meltem zog sie zurück.

Wo war es?, fragte Hatice. Gülbahar Caddesi oder bei Dr. Arınç?

Meltems bleiche Wangen füllten sich mit Blut.

Woher wissen Sie …?

Die lächelnde Frau ergriff abermals Meltems Hand. Nun ließ es Meltem zu.

Nenn mich Hatice.

Das klang vertrauensvoll. Wollte diese verrückte Frau sie trösten?

Was wollen Sie?

Gerechtigkeit!

Meltem fasste sich an den Mund. Durch Anspannung der Zungenwurzel gelang es ihr, den Brechreiz zu unterdrücken. Sie war zu schwach für Diskussionen. Die Tränen schossen ihr über die Lider.

Bitte lassen Sie mich in Ruhe! Bitte!

Ich weiß, was du getan hast. Niemand von euch kommt ungestraft davon.

Da sammelte Meltem all ihre Kraft und versuchte, diese Hatice so gehässig und herablassend anzustarren, wie es ihr nur möglich war, doch das Machtspiel verlor sie nach Sekunden, denn schon hatte Hatices Hand nach ihrem Gesicht gepackt und dieses zusammengequetscht.

Wo steigst du aus?

Bingöl.

Gut. Ich auch. Wir werden beide zur Polizei gehen, und du wirst Selbstanzeige erstatten. Das mindert das Strafmaß.

Hatice ließ sie los.

Meltem sprach: Sie können mich nicht einschüchtern, ich war in der siebenten Woche. Ich kenne die Gesetze.

Da packte sie Hatice am Ohr.

So, so, sie kennt die Gesetze. Will mir einen juristischen Vortrag halten. Die Gesetze Gottes scheinst du nicht zu kennen. Was hält eigentlich dein Vater davon?

Mein Vater ist tot.

Schon spürte Meltem einen Streich auf den Kopf.

Lügen kann sie auch, das Miststück. Ich hab doch vorher gesehen, was du deinem Baba geschrieben hast. Morgen um zehn bin ich zu Hause, Baba. İstanbul war sehr schön. Tante Serap lässt dich grüßen. – Weiß Tante Serap davon, deckt sie den Mord? Eine schöne Familie.

Es hatte keinen Sinn, diese fremde Frau, ihre Nemesis, die wie aus dem Nichts erschienen war und plötzlich so viel Macht über sie gewonnen hatte, darauf hinzuweisen, dass sie kein Recht habe, in diesem Ton mit ihr zu sprechen. Meltems Kopf fiel nach vorne und kam mit der Stirn am rauen Kunststofffilz des Vordersitzes zu lehnen. Sie schluchzte.

Wein nur, du kleine Schlampe. Das hättest du dir früher überlegen sollen.

Seien Sie bitte nicht so laut!

Man kennt mich hier im Bus. Ich mache die Tour nicht das erste Mal.

Bus nach Bingöl

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