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Kapitel 6

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Der Straßenmarkt der Rue Cler, Paris, Frankreich, am nächsten Tag

Sowohl Shari als auch Gary behielten ihre beiden Töchter im Auge, gaben ihnen jedoch genug Freiraum, um ihnen das Gefühl zu vermitteln, als könnten sie sich ungehindert auf ihre Einkaufstour begeben.

Die Mädchen kicherten, fühlten sich auf gewisse Art befreit. Zwei Mädchen beim Einkaufsbummel in einem fremden Land, wo man mit Euros bezahlte – all das gab den beiden das Gefühl, schon sehr erwachsen zu sein.

Aber die Eltern waren nicht die Einzigen, welche die beiden Mädchen beobachteten. Božanovićs Mann verfolgte die Familie und behielt sowohl die Eltern als auch die Mädchen im Auge. Das Problem war nur, dass auf dem Markt ein ziemliches Gedränge herrschte und zwischen ihnen ein größerer Abstand lag. Auf diese Weise war es schwer, beide Gruppen im Blick zu behalten.

Der Mann zog ein Handy hervor und wählte eine zuvor gespeicherte Nummer.

»Ja.«

»Wir sind auf dem Markt auf der Rue Cler«, berichtete er Božanović. »Hier sind zu viele Menschen.«

»Ich schicke ein Team und einen Transporter. Wenn die Familie den Markt verlässt, zeigst du den Männern, um wen es sich handelt, und lässt sie ihnen folgen. Sie wissen dann, was zu tun ist.«

»Verstanden, Sir.«

Nachdem er sich das Handy wieder in seine Hemdtasche gesteckt hatte, bummelte der Mann weiter scheinbar ziellos umher und sah sich hier und da die Auslagen an, während er versuchte, die beiden Trophäen im Blick zu behalten.

Die Mädchen waren begeistert und kauften Nippes und französische Christbaumkugeln; eben Dinge, mit denen sie zuhause ihre Regale schmücken konnten.

Drei Stunden später, als sie beinahe ihr ganzes Geld ausgegeben hatten, sahen sie sich nach ihren Eltern um und mussten feststellen, dass diese nur einen Steinwurf von ihnen entfernt liefen.

»Und jetzt?«, wollte Stephanie wissen. »Wir haben kein Geld mehr.«

»Na ja, wir dachten daran, einen Abstecher in den Louvre zu machen, und uns dann noch die Kathedrale von Notre-Dame anzusehen«, erklärte Gary. »Das sind berühmte historische Bauwerke, wisst ihr?«

Steph rollte mit den Augen. Ja, schon klar.

Bei dieser Geste musste Gary schmunzeln. Er konnte nicht anders. Stephanie hatte sichtlich Spaß, aber sie war so bemüht, ihre Attitüde weiter aufrechtzuerhalten, dass es einfach nur köstlich anzusehen war. Er konnte es nicht länger zurückhalten und ließ eine Reihe weißer Zähne aufblitzen.

»Was?«

Er schüttelte den Kopf. »Ach, nichts.«

Kurz darauf stiegen sie in einen Bus, ohne zu ahnen, dass sie verfolgt wurden. Božanovićs Soldat ließ sich im hinteren Teil des Busses auf einen Sitz fallen und behielt sie im Auge.

Am Louvre angekommen, verkündete der Busfahrer ihr Eintreffen in drei unterschiedlichen Sprachen: Französisch, Italienisch und Englisch.

Sie stiegen vor den großen gläsernen Pyramiden aus dem Bus und betraten den Palast durch den Sully-Flügel im Osten.

Božanovićs Soldat blieb dicht hinter ihnen, verschmolz mit der Menschenmenge und kam den beiden Mädchen dabei so nahe, dass er ihr Parfüm riechen konnte.

Dann ließ er sich zurückfallen und wählte Božanovićs Nummer. »Wir sind im Ostflügel des Louvre«, berichtete er ihm. »Ich hörte sie darüber sprechen, dass sie in vier Stunden den Bus vom Cour Carrée nehmen wollen.«

Božanović zögerte einen Moment. »Dort ist zu viel Verkehr«, ließ er sich schließlich vernehmen. »Zu viele Zeugen.«

»Sie erwähnten zudem, danach Notre-Dame besichtigen zu wollen.«

»Das ist besser. Ich werde binnen einer Stunde ein Team zur Cour Carrée schicken, von wo aus sie dem Bus folgen sollen. Wenn sie dort eintreffen, schlagen wir zu. Bleib an ihnen dran, Tolimir. Wenn sie ihre Pläne ändern sollten, bevor das Team bei dir eintrifft, dann gib mir Bescheid.«

»Jawohl, Sir.«

»Sie werden einen schwarzen Transporter fahren, sehr unauffällig. Du kennst den Ablauf.«

»Das tue ich.«

»Sie rufen dich an, wenn sie da sind.«

Bevor Tolimir noch etwas erwidern konnte, hatte Božanović bereits aufgelegt.

Sie konnten nur einen Teil der Kunstwerke genießen, bevor ihnen die Fülle an Gemälden, Statuen und Ausstellungsstücken zu viel wurde. Sie verließen den Louvre eine Stunde vor der eigentlich geplanten Zeit und bummelten durch die Seitenstraßen.

Es war ein sonniger und warmer Tag mit einem blauen Himmel. Doch das Blätterdach der Bäume entlang der Fußwege spendete wundervollen Schatten.

»Hast du ihn bemerkt?«, flüsterte Gary leise.

Sie nickte.

Das erste Mal war ihr der Mann im Inneren des Louvre aufgefallen, vor der Mona Lisa. Er sah furchteinflößend aus, mit einem schroff wirkenden Gesicht voller tiefer Falten und ungekämmten Haaren. Seine Kleidung unterschied sich stark von jener der Touristen oder französischen Besuchern, wie bei jemandem, der aus dem Koffer lebte. Er trug ausgeblichene Jeans, Militärstiefel und eine abgenutzte Jacke – alles andere als die Kleidung eines kunstinteressierten Menschen.

Gary warf einen Blick auf Sharis Handtasche. »Hast du das Geld im Hotelsafe gelassen?«

»Das meiste davon«, sagte sie. »Die Mädchen sollen nicht so weit vorauslaufen.«

»He, Mädels!«

Sie drehten sich zu ihnen um.

»Bleibt in der Nähe«, rief er ihnen zu.

An der nächsten Ecke bogen sie nach rechts ab, um schnell den Häuserblock zu umrunden und zum Bus zurückzukehren.

Der Mann telefonierte gerade, hielt immer den gleichen Abstand zu ihnen, und bog dann wie sie in die gleiche Straße ab.

»Keine Frage, er folgt uns«, wisperte Gary.

»Glaubst du, er trägt eine Waffe?«

Er zuckte mit den Schultern. »Wenn er deine Handtasche haben will, dann gib sie ihm einfach. Ich möchte die Mädchen nicht in Gefahr bringen.«

Sie beschleunigten ihre Schritte.

Tolimir befand sich in ständiger Verbindung mit dem Transporter, der sich rasch ihrer Position näherte. »Wir umrunden gerade den Louvre in einer Seitenstraße, in Richtung Westen. Sie wissen, dass ich ihnen folge, also beeilt euch.«

Der Transporter, der daraufhin um die Ecke gefahren und in Tolimirs Sichtweite kam, sah in der Tat genauso unauffällig aus wie von Božanović angegeben. Im Schritttempo rollte er auf ihn zu. Wie beschrieben war er mattschwarz lackiert, ohne Fenster im hinteren Teil und ohne auffällige Radkappen.

»Seht ihr sie?«

»Ja, wir haben sie.«

»Ihr wisst, was zu tun ist.« Tolimir klappte sein Handy zu und überquerte den Boulevard. Dann bog er in eine Seitenstraße ab, verfiel in ein leichtes Lauftempo und rannte nach Süden.

Gary spürte ein enormes Gefühl der Erleichterung. »Er ist fort«, ließ er Shari wissen.

»Ist mir egal. Wir müssen zurück zum Bus.«

Kaum, dass die Worte ihre Lippen verlassen hatten, kamen neben ihnen quietschend zwei Paar Autoreifen zum Stehen. Eine Schiebetür an der Seite des Transporters glitt zurück und vier Männer stürmten heraus und überwältigten sie. Zwei von ihnen schnappten sich sofort die beiden Mädchen, die anderen beiden hielten Shari und Gary mit harten und gut gezielten Schlägen in Schach.

Gary ging unter den Schlägen zu Boden, sackte auf die Knie und musste mit ansehen, wie seine Töchter in den Transporter gezwängt wurden. Wieder sauste ein Schlag zu ihm hinab, der ihn jedoch nur an der Schulter streifte, weil er ihn kommen sah und nach links auswich. Die Männer trugen Skimasken und waren kräftig, ihre Fausthiebe, die auf ihn einprasselten, schnell und heftig. Shari wurde mit voller Wucht getroffen und fiel zu Boden. Dabei schrie sie aus vollem Hals nach ihren Töchtern. Gary reagierte und trat einem der Angreifer die Beine unter dem Körper weg, woraufhin dieser hart auf dem Boden aufprallte und ihm die Luft wegblieb.

Schnell sprang Gary auf. Der Angreifer war vorerst ausgeschaltet, also stellte er sich dem anderen Mann entgegen.

Shari lag verletzt am Boden, streckte jedoch ihre Hand flehentlich dem Transporter entgegen.

Der Mann drehte sich zu Gary um, kam in geübter Boxerhaltung auf ihn zu und deckte ihn mit einer Reihe von Schlägen ein, denen Gary kaum etwas entgegensetzen konnte. Er wurde von einem rechten Haken getroffen, der ihn Sterne sehen ließ, gefolgt von einer krachenden Linken, die ihn zu Boden schickte und seine Sicht vernebelte.

Der Angreifer half seinem Partner auf die Beine und in den Transporter, schloss die Tür und trat aufs Gas. Die Reifen drehten kreischend durch, bis sie schließlich Haftung fanden.

Shari rappelte sich auf. Ihre Nase und Mundwinkel waren blutig. Sie schrie dem sich entfernenden Transporter so laut und schrill hinterher, dass es sich fast wie das Kreischen einer Todesfee anhörte.

Nachdem der Transporter hinter einer Häuserecke verschwunden war, ließ sie entmutigt ihre Hand sinken. Ihr Rücken schmerzte von ihrem Aufprall, doch viel schlimmer war der unbeschreibliche Schmerz des Verlustes, den sie als Mutter empfand.

Ihre beiden Lieblinge waren entführt worden.

Während Tolimir die Straße entlanglief, klingelte sein Handy. »Ja?«

»Wir haben das Paket.«

»Irgendwelche Schwierigkeiten?«

»Nichts, womit wir nicht fertig geworden wären.«

Das war alles, was Tolimir hören wollte. Er klappte sein Telefon zu und steckte es zurück in seine Tasche.

Am Ende der Straße wartete eine Limousine auf ihn. Er öffnete eine Tür und setzte sich auf die Rückbank. Die beiden Personen im vorderen Teil zeigten keinerlei Regung.

»Das Paket ist in unseren Besitz übergegangen«, erklärte Tolimir, »also wickelt die Sache entsprechend ab. Wenn Ihr euch um alles gekümmert habt, gebt mir Bescheid, dann werdet ihr wie gewohnt bezahlt.«

Fahrer und Beifahrer schwiegen, bewegten sich nicht einmal.

»Wie lange wird es dauern?«

Der Fahrer zögerte einen Moment, als müsste er darüber nachdenken, dann antwortete er: »Zwei, vielleicht drei Stunden.«

Tolimir nickte. »Ruft mich an, wenn alles erledigt ist.« Er lehnte sich zurück. »Und jetzt fahr los«, wies er den Mann an. »Bring mich zum Place de Varsovie.«

Keiner der beiden Männer sprach ein Wort, während sich der Wagen langsam in den Verkehr einfädelte und nach Norden fuhr.

Keiner der Männer hatte eine Ahnung, dass sie von einer Überwachungskamera gefilmt worden waren.

ENTFÜHRT IN PARIS (Die Ritter des Vatikan 5)

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