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Kapitel 7

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Der Verhörraum war klein, schäbig und spartanisch eingerichtet. Von den Wänden blätterte die khakifarbene und mattweiße Farbe ab. Knapp unter dem Dach war ein kleines, mit Maschendraht verkleidetes Fenster eingelassen. Sowohl der Tisch als auch die Stühle wackelten bereits erheblich.

Ein Lieutenant mit drei Tassen Kaffee in den Händen betrat den Raum und verteilte sie auf dem Tisch: Einer für Shari, die ihn weder anrührte, noch überhaupt zur Kenntnis nahm; einer für Gary, der es Shari gleich tat, und einer für sich selbst.

Der Mann war eher hager zu nennen, mit dünnen, zerbrechlich wirkenden Gliedmaßen, Geheimratsecken und einem Schnurrbart, der über eine offensichtliche Hasenscharte wuchs. Seine Augen hingegen waren flaschengrün und funkelten in ehrlicher Anteilnahme. Wenn er sprach, tat er das mit einem singenden französischen Akzent, vermischt mit englischen Worten. Die Art, wie er sprach, hatte etwas beinahe Poetisches an sich – sanft und liebenswürdig.

»Madame Cohen, Monsieur Molin, mein Name ist Lieutenant D’Aubigne. Ich möchte, dass Sie wissen, wie leid es mir tut, was mit Ihren Töchtern geschehen ist.«

Sharis Augen waren von den vielen Tränen gerötet. Gary hatte sie so noch nie zuvor erlebt. Das war eine Seite an ihr, die ihm bislang völlig fremd gewesen war. Sie war stets unerschütterlich gewesen, was ihre Emotionen anbelangte, und behielt selbst in schwierigsten Situationen die Fassung. Aber das war etwas anderes. Das war persönlich.

»Wie viele waren es?«

»Vier«, antwortete sie.

»Und das Fahrzeug?«

»Ein schwarzer Transporter«, erklärte Gary. »Speziell dafür präpariert. Keine Fenster. Keine Radkappen. Keine erkennbaren Dellen oder so. Aber das haben wir Ihnen schon alles erzählt. Wieso sind Sie nicht da draußen und suchen nach unseren Mädchen?«

»Das sind wir«, sagte D’Aubigne. »Aber manchmal wiederholen wir die Fragen, denn mit der Zeit, und wenn sich die Opfer etwas beruhigt haben, fallen ihnen wieder Dinge ein, die sie beim ersten Mal vergessen hatten. Oftmals Dinge, die uns bei unserer Suche helfen können.« D’Aubigne setzte sich. »Wie ich hörte, arbeiten Sie für die Polizei, Madame Cohen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das FBI.«

D’Aubigne schien beeindruckt. »Und Sie, Monsieur Molin?«

»Ich war bei der Regierung angestellt.«

»Ich verstehe.«

»Was genau werden Sie unternehmen, um unsere Töchter zu finden?«, fragte Gary aufbrausend.

Der Lieutenant hob abwehrend die Hände. »Glauben Sie mir, Monsieur Molin, wir haben alle verfügbaren Kräfte mobilisiert. Ich weiß, dass es hart für Sie sein muss. Aber in Fällen wie diesen muss man geduldig sein.«

»In Fällen wie diesen? Heißt das, es ist hier an der Tagesordnung, dass Menschen von der Straße gekidnappt werden?«

»Monsieur Molin, ich weiß, wie schwierig es …«

»Haben Sie Kinder, Lieutenant?«

»Vier.«

»Sind sie zuhause?«

»Zwei von ihnen. Die anderen beiden sind in der Schule.«

»Dann geht es ihnen also gut? Keine Probleme?« Gary wollte ihn aus der Reserve locken, das war D’Aubigne klar. Er konnte es daran erkennen, wie der Mann auf seiner Oberlippe herumnagte, als müsse er sich im Zaum halten. Er war wütend und suchte nach einem Ventil.

Also antwortete D’Aubigne in ruhigem und gleichmäßigen, beinahe unbeeindruckten Tonfall: »Es gibt keine Probleme.«

»Dann wissen Sie nicht, wie schwierig es für uns ist, bevor Sie nicht das Gleiche durchmachen mussten wie meine Frau und ich.«

»Ja, natürlich, Monsieur, Sie haben recht. Aber als Vater kann ich Ihnen versichern, wie sehr es mir für Sie leidtut. Die meisten Väter würden so empfinden. Ich tue mein Möglichstes, zu Ihnen durchzudringen und die Dinge in Ordnung zu bringen. Wir geben unser Bestes.«

Shari legte ihre Hände um die des Lieutenants. »Danke«, sagte sie. Mit dem Ärmel wischte sie sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.

»Vertrauen Sie mir, Madame, wir tun alles, was in unserer Macht steht. Unglücklicherweise gibt es außer Ihnen keine weiteren Zeugen. Und Paris ist eine sehr große Stadt.«

Sie ließ den Kopf sinken und schluchzte. Gary legte einen Arm um sie.

»Wie geht es für gewöhnlich weiter?«, erkundigte sich Gary. »Werden Sie im Hotel anrufen und Lösegeldforderungen stellen?«

Lieutenant D’Aubigne sah zu einer Kamera in der oberen Ecke des Raumes hinauf und machte eine Geste, als würde er jemanden hereinbitten. »Monsieur Molin, Madame Cohen, ich denke, Sie sollten etwas wissen. Etwas, dass Sie wahrscheinlich nicht gern hören werden.«

Die Tür öffnete sich und zwei Männer betraten den Raum, die einander auf frappierende Weise ähnlichsahen. Sie waren elegant gekleidet, trugen die gleichen schwarzen Anzüge und roten Krawatten, und jeder von ihnen besaß den gleichen seltsam wächsernen Gesichtsausdruck und einen identischen konservativen Haarschnitt. Zuerst unterhielten sie sich mit D’Aubigne auf Französisch, der ihnen einen kurzen Abriss über die bisherige Unterhaltung gab. Als er damit fertig war, erhob er sich mit gesenktem Kopf. »Madame Cohen und Monsieur Molin«, begann er und deutete auf die beiden Männer, »diese werten Herren hier werden von jetzt an übernehmen. Lassen Sie mich Ihnen noch einmal versichern, dass ich aufrichtig bedauere, was Ihnen widerfahren ist, und das wir alles Menschenmögliche tun werden, um Ihre Kinder wiederzufinden.« Mit diesen Worten verließ D’Aubigne den Raum und die beiden Männer nahmen an seiner Stelle auf zwei leeren Stühlen Platz.

Einer von ihnen reichte Gary die Hand, die dieser ergriff. Der andere Mann verharrte regungslos.

»Monsieur Molin und Madame Cohen, auch wir möchten uns bei Ihnen entschuldigen. Wir fahnden bereits nach dem Transporter, während wir hier miteinander sprechen«, sagte der Mann, der bisher auffallend ruhig gewesen war. »Ich bin Inspektor Beauchamp, und das hier ist Inspektor Reinard. Wir sind von der Direction Centrale de la Police Judiciaire.«

»Was ist mit Lieutenant D’Aubigne?«

»Lieutenant D’Aubigne wird diesen Fall nicht länger betreuen«, erklärte er ihnen. »Das werden wir von jetzt an.«

»Wieso der Wechsel?«

»Kidnapping fällt in unser Resort, Monsieur Molin. Es ist der Hauptschwerpunkt unserer Ermittlungsarbeit.«

»Wir haben bereits der Polizei vor Ort und Lieutenant D’Aubigne alles erzählt, was wir wissen.«

»Ja, das ist uns bewusst.«

Fragend wandte sich Shari den beiden Ermittlern zu, obwohl ihre Augen und besonders ihr Herz die Antwort bereits kannten. »Wir werden sie nie wieder sehen, nicht wahr?«

Inspektor Beauchamp sah sie ernst an. »Madame Cohen …« Er unterbrach sich, weil es ihm doch schwerer fiel als gedacht, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber es musste gesagt werden. »Madame Cohen, wie ich hörte, arbeiten Sie beim FBI. Ist das richtig?«

Sie nickte.

»Dann wissen Sie sicher, dass Entführungen wie diese in den meisten Fällen mit Kartellen in Verbindung stehen, die sich auf Menschenhandel spezialisiert haben. Es werden längst keine Profite mehr damit erzielt, die Angehörigen wegen Lösegeldforderungen zu kontaktieren. Mittlerweile liegt das große Geld darin, die Opfer auf Auktionen an Kreise zu verkaufen, die gewisse Dienstleistungen suchen. Das ist ein Erfolgsgeschäft.«

Gary beugte sich nach vorn. »Wollen Sie damit sagen, dass unsere Mädchen von einem Menschenhändlerring verschleppt wurden?«

»Was ich damit sagen will, Monsieur, ist, dass die Möglichkeit … nun, es ist das wahrscheinlichste Szenario.«

Shari begrub ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzte. Sie hat es die ganze Zeit gewusst, dachte Gary. Deshalb ist sie so aufgelöst.

»Ihre Frau arbeitet beim FBI. Deshalb kennt sie die Realitäten, mit denen wir heutzutage konfrontiert sind, und die Statistiken in diesen Fällen.«

»Welche Statistiken?«

Inspektor Beauchamp blickte zu Shari. »Dass wir Ihre Kinder innerhalb der nächsten sechsundneunzig Stunden finden müssen.«

Gary hob die Schultern. »Und was dann?«

Sharis Schluchzen wurde lauter.

Sie weiß es, schoss es Gary durch den Kopf. Aber er musste es selbst hören. »Was geschieht nach sechsundneunzig Stunden?«

»Nach sechsundneunzig Stunden, Monsieur Molin, wird sich die Spur nach ihrem Verbleib verlieren und sie werden komplett von der Bildfläche verschwunden sein.«

»Was meinen Sie damit, komplett?«

»Man wird sie nie mehr finden.«

Shari brach in unkontrolliertes Weinen aus.

»Wollen Sie damit sagen, dass uns nur vier Tage bleiben, um sie zu finden?«

»Wir suchen bereits nach dem Transporter«, beschwichtigte der Mann.

»Das ist zu wenig. Sie müssen doch eine Ahnung haben, wer hinter diesen Entführungen steckt?«

»Monsieur Molin, Paris ist eine große Stadt mit vielen Orten, an denen man sich verstecken kann. Die Kriminalitätsrate hier bei uns unterscheidet sich kaum von der in den Vereinigten Staaten. Wie in Ihrem Land sind die Delikte zahlreich und unsere Ressourcen begrenzt. Aber wir suchen nach ihnen.«

Gary klang erschöpft. »Begrenzte Ressourcen. Was genau bedeutet das?«

»Es bedeutet, dass wir nur mit dem arbeiten können, was uns zur Verfügung steht.« Der Inspektor zuckte auf eine Weise mit den Schultern, mit der er andeuten wollte: Ist es denn nicht offensichtlich, was das bedeutet?

Gary wurde zunehmend unruhig, wedelte mit den Händen hin und her. »Soll das heißen, dass Ihre Mittel derart begrenzt sind, dass Sie einfach nur Dienst nach Vorschrift tun werden? Wollen Sie mir das damit sagen? Uns?«

Beauchamp schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, Monsieur Molin, im Gegenteil. Was ich damit sagen will, ist, dass wir nur mit dem arbeiten können, was wir haben. Und im Moment haben wir nicht viel mehr als eine vage Beschreibung des Transporters und von vier Männern, die Skimasken trugen.«

Jetzt stiegen auch Gary Tränen in die Augen. »Wir reden hier über meine Kinder.«

»Das verstehe ich, Monsieur Molin. Und es tut mir sehr leid.«

»Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?«

»Monsieur Molin, es verschwinden täglich mehr als fünfhundert Kinder von den Pariser Straßen. Jeden … einzelnen … Tag. Was Ihrer Familie widerfahren ist, tut mir leid. Aber Sie müssen verstehen, dass sich all diese Eltern genauso wie Sie fühlen und ihnen die gleiche exklusive Unterstützung zustehen würde. Und so gern mein Departement diese auch geben würde, können wir jedoch nur das leisten, was uns möglich ist. Wir geben uns Mühe. Das tun wir wirklich. Aber das Einzige, was ich Ihnen und Ihrer Frau garantieren kann, ist das, was ich auch allen anderen in Ihrer Position garantieren kann: Dass wir unser Bestes tun werden, um Ihre Kinder zu finden. Das kann ich Ihnen versprechen.«

Beauchamp erhob sich, und das war auch für Reinard das Stichwort. Es war Zeit zu gehen.

»Kehren Sie in Ihr Hotel zurück«, bat Beauchamp. Dann überreichte er ihnen eine Visitenkarte. »Rufen Sie in meinem Departement an, falls Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte. Egal, was. Ich bin sicher, Lieutenant D’Aubigne wird Sie gern in Ihr Hotel bringen lassen.«

Beauchamp machte kehrt und verließ den Raum. Reinard folgte ihm. Mit dem gleichen Schritt und Habitus wie Beauchamp.

Gary sah ihnen nach. Dann zog er seine Frau fest an sich.

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