Читать книгу ENTFÜHRT IN PARIS (Die Ritter des Vatikan 5) - Rick Jones - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеDas Büro des Monsignore, Vatikan
»Ich töte Menschen. Das ist es, was ich tue. Worin ich gut bin.«
Monsignore Dom Giammacio war der vatikanische Berater für Geistliche, die mit Selbstzweifeln und schwindender Überzeugung zu kämpfen hatten. Aber an diesem Tag lauschte er nicht den Worten eines Priesters. Er hörte einem Soldaten des Vatikan zu, einem erfahrenen Kämpfer, der dafür gefochten hatte, die Souveränität der Kirche, deren Interessen und den Wohlstand seiner Bürger zu bewahren.
An diesem Morgen widmete er sich jemandem, der schlicht bekannt war als der Priester, der kein Priester ist.
Er befand sich in einer Sitzung mit Kimball Hayden, dem Teamleiter der Ritter des Vatikan, der stets nach seiner eigenen Erlösung und Vergebung für seine dunkle Vergangenheit suchte, die wie ein Krebsgeschwür in ihm wucherte.
»Kimball, was Sie mir da erzählen, hört sich immer mehr wie ein inhaltsloses Mantra an. Wir haben schon so oft darüber gesprochen.«
Kimball ließ sich in einen Sessel sinken. Seine hellblauen Augen musterten die kupferfarbenen Augen des Monsignore. »Worüber sollen wir uns dann noch unterhalten?«
Der Monsignore sah auf die Rauchkringel hinab, die von der Zigarette aufstiegen, die er zwischen seinen langen, dünnen Fingern hielt; beobachtete, wie die zarten Ringe aus Rauch in die Luft stiegen und sich verflüchtigten. »Wir müssen über Ihren Unwillen sprechen, den Fakt anzuerkennen, dass Sie mit Ihrem Dienst als Ritter des Vatikan Gottes Gnade erfahren haben.«
Kimball beugte sich nach vorn. Deutlich zeichneten sich die Muskeln an seinen Unterarmen ab. »Kann Gott einem Mann verzeihen, der aus reinem Pflichtgefühl unschuldige Frauen und Kinder tötete?«
»Das hängt ganz davon ab. Sind Sie ein bußfertiger Mann? Empfinden Sie Reue für Ihre Taten?«
»Reue?« Kimball lehnte sich wieder zurück. »Das Schwerste im Leben eines Menschen ist, sich selbst zu vergeben, Monsignore. Das wissen Sie.«
»Also geht es im Endeffekt darum, Kimball? Sie können sich nicht vergeben?«
Kimball seufzte. »Nein … aber wahrscheinlich muss ich nur lange genug warten, bis ich meine Taten vor mir selbst rechtfertigen kann, wie abscheulich sie auch gewesen sein mögen. Nach einer Weile werde ich lernen, damit zu leben, wenn ich mir einrede, dass ich das Richtige getan habe, dass meine Handlungen vertretbar waren. Mit der Zeit kann man sich beinahe alles einreden.«
»Was Ihnen aber offensichtlich nicht gelingt. Nicht, wenn Sie zu mir kommen und mir erzählen, dass Gott Ihnen weiterhin die Erlösung verwehrt. Sie können nicht auf der einen Seite Ihre Taten rechtfertigen, aber gleichzeitig andauernd Schuld für sie empfinden. Entweder fühlen Sie sich von der Last Ihrer Taten befreit oder nicht. Also verraten Sie mir, was davon trifft auf Sie zu?«
Kimball schloss die Augen und erinnerte sich augenblicklich an jenen Moment, als er im Irak zwei Kinder tötete. Er sah die Bilder klar und deutlich vor sich. Er hatte sie aus reinem Pflichtgefühl heraus getötet. Und damit hatte er sich nicht nur des Mordes, sondern auch des Diebstahls schuldig gemacht. Denn er hatte eine Mutter ihrer zwei Söhne beraubt, den Brüdern die Geschwister gestohlen, einem Vater die Chance genommen, mit seinen Kindern die Abstammungslinie fortzusetzen, und damit künftige Generationen der Getöteten ausgemerzt. Vor seinem geistigen Auge lief alles wie in Zeitlupe ab, wie in einem bösen Traum – die Kugeln, die ihre Körper zerfetzten und die Luft um sie herum für einen kurzen Moment die Farbe von rotem Nebel annehmen ließen.
Es war jener Moment gewesen, an dem er die Erleuchtung erfahren hatte, ihn Gewissensbisse, Schuld und Bedauern ereilten, während er die Jungen im Wüstensand begrub. In jener Nacht lag er auf dem kargen Wüstenboden, starrte zu den unzähligen funkelnden Nadelstichen am Nachthimmel hinauf, suchte nach dem Antlitz Gottes, fand aber nichts als die glitzernden Sterne.
In jenem Moment wusste er, dass Gott sich von ihm abgewendet hatte.
Er schlug die Augen auf. Seit diesen Morden waren mehrere Jahre vergangen. Und doch sah er noch immer ihre Gesichter in seinen Träumen, erlebte diesen letzten Moment immer und immer wieder, als er die Unschuld in den Augen der Kinder für immer verlöschen sah. Der Moment, in denen er ihre Leben ausgelöscht hatte.
»Ich kann mir meine Taten noch nicht vergeben«, antwortete er. »Noch nicht. Nicht nach dem, was ich diesen Jungen angetan habe.«
»Nach so vielen Jahren, Kimball«, entgegnete der Monsignore und drückte hastig seine Zigarette in einem Aschenbecher aus, »können Sie sich diese eine Tat nicht vergeben, weil es genau so ist wie Sie sagen: Das Schwerste im Leben eines Menschen ist es, sich selbst zu vergeben. Und Sie müssen einen Weg finden, genau das zu tun. Ihr Ringen um Vergebung hat nichts mit Gott zu tun. Er hat Sie bereits in jenem Moment mit offenen Armen empfangen, als Sie die Uniform der Ritter des Vatikan anlegten. Das Problem liegt ganz allein bei Ihnen selbst, Kimball. Sie sind ein Wesen der Unvollkommenheit und der Moral und müssen Ihre Dämonen der Schuld auf Ihre eigene Weise bekämpfen.«
»Wieso erinnert er mich dann aber jede Nacht aufs Neue daran, indem er mir die Bilder dieser Kinder zeigt? Wieso sehe ich immer wieder, wie ihr Blut den Wüstenboden tränkt, Nacht um Nacht?«
»Ihre Träume sind Manifestationen Ihres Bewusstseins, Kimball, und keine Eingebungen Gottes. Das wissen Sie. Das Problem ist, dass Sie es auf irgendeine Weise schaffen müssen, sich eine Tat zu vergeben, die Sie für sich nicht rechtfertigen können, weil sie falsch war. Aber Sie haben seither enorme Schritte getan, haben unzählige Leben gerettet. In gewissen Kreisen sind Sie eine Art Heiliger geworden … indem Sie für jene eintraten, die sich nicht selbst verteidigen konnten … und ein Dämon für all jene, die so verdorben sind, dass ihre Seelen auf immer verloren sind, und die nichts weiter tun können, als unaussprechliche Gräuel zu verüben.
Sie haben den Kreis vollendet, Kimball. Wir müssen Sie nun irgendwie dazu bekommen, dieses eine letzte Hindernis zu überwinden, sich selbst vergeben zu können. Diesen Berg gilt es zu besteigen.« Monsignore Dom Giammacio sah ihn fest an und wartete auf eine Reaktion, doch diese blieb aus.
»Die Zeit ist um, aber ich möchte, dass Sie darüber einmal nachdenken.« Der Monsignore griff nach einer weiteren Zigarette. »Ich möchte, dass Sie darüber nachdenken, wie Sie diesen Berg bis zum Gipfel erklimmen können, um auf die andere Seite zu gelangen.«
»Ist das nicht eigentlich Ihr Job? Mir dabei zu helfen?«
Der Monsignore schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen nur den Weg aufzeigen, Kimball. Es liegt an Ihnen, sich Ihren Dämonen zu stellen. Das ist schon immer die Antwort auf alles gewesen.«
Während sich der Monsignore seine Zigarette anzündete, erhob sich Kimball und richtete sich zu voller Größe auf. Er war ein riesiger Mann, beinahe einen Meter fünfundneunzig groß, und besaß die Statur eines Bodybuilders, dessen Muskeln von stundenlangen Trainingseinheiten im Fitnessraum geformt worden waren. »Dann sehen wir uns also nächsten Montag wieder?«
»Ja, und bitte seien Sie pünktlich … was Sie fast nie sind.«
Als Kimball das Büro des Monsignore verließ, konnte er sich keine brauchbare Lösung vorstellen, wie er dieses Gefühl der Schuld besiegen können sollte, das ihn langsam und wie ein Krebsgeschwür von innen auffraß. Es wohnte tief in seinem Innern, war ein Teil von ihm geworden, wie ein dunkles Sargtuch, das ihm überall hin folgte.
Auch in dieser Nacht würde er – wie in jeder Nacht zuvor – die Gesichter der beiden Jungen sehen, die er getötet hatte, fürchtete er.
Doch dieses Mal sollte der Traum anders sein.
Er sah ihre Gesichter, als er schlafend in seiner spartanisch eingerichteten Kammer lag.
Er konnte die Todesqualen in ihren Augen sehen, den anklagenden Schrecken darüber, dass ihre Leben hier enden würden. Alles bewegte sich unendlich langsam vor seinen Augen, wie ihre Beine, die über den weichen Wüstensand stapften, der ihre Chance auf ein Entkommen verringerte. Und dann war da der rote Nebel, die Kugeln, die durch ihre Körper peitschten, die Blutstropfen, die aus ihren Körpern spritzten, und die Leiber, die auf den Boden fielen und dort ausbluteten. Ihre Augen waren weit aufgerissen, doch dann erlosch in ihnen der Lebensfunken, während sich in der Luft um ihn herum der Geruch von Kupfer ausbreitete.
In seinem Traum konnte er die Szenerie von einem fast alles überblickenden Winkel aus beobachten. Wie aus zwei über allem schwebenden himmlischen Augen sah er auf sich selbst herab, wie er über den beiden Leichnamen stand.
Dann sah er sich in den Himmel hinaufblicken, Gott anflehen, in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten.
Aber er bekam keine Antwort.
Die Körper der Kinder begannen sich zu bewegen, reanimierten sich selbst, um Kimball eine Chance auf Vergebung zu gewähren, indem er sie leben ließ und weiterzog.
Aber Kimball erschoss sie wieder …
… und wieder …
… und wieder …
Der Mann war außerstande, sich zu ändern oder loszulassen.
Und das sich vor ihm auftürmende Hindernis wurde immer größer, immer unbezwingbarer.
Mit diesen Bildern im Kopf wachte Kimball auf. Er sah durch sein göttliches Auge auf sich hinab, wie er ihre Körper immer wieder mit Schüssen zerfetze und sie immer und immer wieder tötete.
Nach und nach nahmen seine Augen aber die wirkliche Umgebung wahr, und statt der grässlichen Bilder erblickte er nur die reglosen Schatten in seiner Kammer. Er konnte die Umrisse des Ständers mit den Votivkerzen am anderen Ende erkennen, genau wie das Podium, auf dem die Bibel ruhte – ein Buch, das er nur noch sehr selten öffnete.
Er wusste, dass ihm in seinem Traum ein Ausweg aufgezeigt worden war, indem er den Jungen eine Chance gab, ins Licht zu gehen. Aber Kimball hatte dem Lebensweg nachgegeben, den er gewohnt war, und sie in der immer wieder erscheinenden Traumlandschaft wiederholt niedergeschossen, womit er ihnen das Recht auf die Herrlichkeit nahm und sich selbst den Weg zur Erlösung verstellte.
Er schloss die Augen.
Ich töte Menschen.
Öffnete sie wieder.
Das ist es, was ich tue.
Missbilligend schüttelte er den Kopf.
Das ist es, worin ich gut bin.
Er ließ sich auf sein Kopfkissen zurückfallen und starrte auf die Schatten an der Decke, auf die unbeweglichen Formen, und versuchte etwas in ihnen zu erkennen.
In dieser Nacht sollte er nicht mehr in den Schlaf zurückfinden.