Читать книгу ENTFÜHRT IN PARIS (Die Ritter des Vatikan 5) - Rick Jones - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеZwei Monate später, Paris, Frankreich
Shari Cohen hatte schon immer davon geschwärmt, einmal Paris zu besuchen. Nun, während sie zusammen mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern unter einem strahlend blauen Himmel die Avenue Gustave-V-de-Suède entlangspazierte, war ihr Wunsch Realität geworden. Die ganze Kulisse erschien ihr malerisch, wie geschaffen für die Leinwand eines Künstlers, mit den Pariser Gärten, die in einer Fülle von Farben erblühten, und den endlosen üppig-grünen Baumreihen.
Auf ihrem Weg über die Pont-d’Iéna-Brücke, die über die Seine und zum Eiffelturm auf der anderen Flussseite führte, saugte sie das alles in sich auf. Vor dem symbolträchtigen Bauwerk angekommen, ließ die Familie ihren Blick langsam von unten bis zum höchsten Punkt des Turmes wandern, so als würden sie den langsamen Start einer Rakete verfolgen.
Selbst die beiden Mädchen im Alter von vierzehn und sechzehn Jahren waren beeindruckt.
»Fantastisch, nicht wahr? Davon könnt ihr euren Freundinnen erzählen, wenn ihr wieder in der Schule seid.«
Stephanie rollte mit den Augen und versuchte ihre Begeisterung mit falscher Gleichgültigkeit zu überspielen. »Wenn du meinst …« Mit ihren sechzehn Jahren war sie gerade in jener Phase, in der man glaubte, bereits alles zu wissen. Beständig lotete sie ihre Grenzen aus. Eine Etappe in ihrem Leben, mit der Shari und Gary zwar gerechnet hatten, die ihnen deswegen aber nicht gefallen musste – eben jener Moment, in denen Teenager über Nacht beschlossen, ihre Eltern zu hassen, ohne besonderen Grund. Sie beide sahen diese Phase als Geduldsprobe an. Sie mussten den Sturm überstehen, egal wie turbulent es auch werden würde. Derzeit wurde viel geschrien und mit den Türen geknallt, wenn die Dinge nicht nach Stephanies Kopf gingen, die sämtliche Hausregeln als lahm erachtete. Terry hingegen, die bereits ähnliche Verhaltensmerkmale an den Tag legte, wartete noch darauf, ihre Flügel auszubreiten und es ihrer Schwester gleichzutun. Allein bei dem Gedanken drehte sich Garys Magen um. Eine von dieser Sorte war schon schlimm genug, dachte er bei sich, aber zwei? Er hoffte inständig, dass diese genetische Disposition, mit der Teenager auf derart sarkastische Weise ins Erwachsenenleben gedrängt wurden, schnell vorbeigehen würde.
»Komm schon, Steph«, sagte er. »Kannst du nicht wenigstens versuchen, dich zu amüsieren? Wenigstens ein bisschen?«
Sie rollte mit den Augen und schnalzte mit der Zunge. Was auch immer …
Mit einem schmalen Lächeln kramte Shari ihre Digitalkamera hervor und begann atemberaubende Bilder zu schießen.
Doch im Laufe des Tages wurde auch sie müde. Als die Sonne sich anschickte unterzugehen und die alten Pariser Straßenlaternen zum Leben erwachten, kehrten sie, nachdem sie in einem Straßencafé zu Abend gegessen hatten, wieder in ihr Hotel zurück.
Ihr Hotelzimmer war elegant eingerichtet, mit französischen Möbeln voller üppiger Details und Paisleymuster auf den Stoffen der Vorhänge und Bezüge. Fotografien und Aquarelle schmückten die Wände mit warmen Farben und verströmten ein Gefühl der Behaglichkeit. In der angrenzenden Mini-Suite – gegen die Stephanie lautstark Einspruch eingelegt hatte, weil sie allein sein wollte und es als lahm erachtete, sich ein Zimmer mit ihrer kleinen Schwester teilen zu müssen – stand eine kleine Badewanne mit allen Schikanen, um den Körper zu verwöhnen. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sich Stephanie in das Zimmer verliebt.
Wieso können wir so etwas nicht auch bei uns zuhause haben?
Doch als die Tage vergingen, die Regeln weniger lahm erschienen und Gelächter an der Tagesordnung war, begann das Leben in Paris wundervoll zu werden. Die Kinder wurden wieder zu Kindern, taten so, als wären sie Französinnen, indem sie sich wichtigtuerisch aufführten und eine Fantasiesprache mit ausgedachten Worten sprachen, die sich französisch anhören sollte, mit ihren harten Konsonanten der Sprache aber nur sehr entfernt ähnelte. Doch am Ende lachten und kicherten sie wie die Schulkinder, die sie ja eigentlich noch waren. Und Gary hätte nicht glücklicher sein können.
Alles war perfekt, dachte er.
Alles war einfach perfekt.
In den Augen von Jadran Božanović waren die Mädchen nur Vieh.
Die Größere der beiden, die seiner Schätzung nach siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein musste, ähnelte ihrer Mutter, die mit ihrer kupferfarbenen Haut und den zimtfarbenen Augen einen exotischen Eindruck vermittelte. Die Jüngere war aber ebenso gut aussehend und ähnelte zu gleichen Teilen ihrer Mutter und ihrem Vater. Ihr Haar war tiefschwarz, ihr Teint cremefarben, und ihre Arme und Beine waren lang und schlank, wie die ihres Vaters. Beide befanden sich an der Schwelle, erwachsene Frauen zu werden. Božanović schätzte bereits ihren Wert im Kopf und rechnete damit, auf einer Auktion für beide Amerikanerinnen zusammen etwa eine halbe Million Dollar erzielen zu können.
Nach dem Debakel auf der Aleksandra vor zwei Monaten und dem zu erwartenden Verlust von etwa zwölf Millionen Dollar in Form von Menschenleben versuchte Božanović mit einem neuen Beutezug wieder auf die Beine zu kommen. Er hatte Teams in Italien, Mädchen hauptsächlich, die junge weibliche Opfer anwarben, indem sie ihnen Flausen über weit entfernte Ort voller unermesslicher Reichtümer in den Kopf setzten, sie mit falschen Hoffnungen lockten, das Unmögliche zu erreichen, unvorstellbar reich zu werden, nur um sie dann in eine dunkle Welt der Korruption zu treiben, wo sich ihre Träume als reale Albträume entpuppten, unvorstellbar und grauenhaft. Bis jetzt hatte er schon beinahe sechzig Mädchen aus Rom und etwa fünfzig französische Mädchen verschleppen können – leichte Beute für ihn, bestand die Welt doch aus lauter Träumern. Und auf gewisse Weise war Božanović einer von ihnen.
Als Angehöriger der muslimischen Minderheit in Vukovar, zu einer Zeit, als Kroatien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärte, war Božanović der Sohn eines wohlhabenden Anwalts gewesen. Er war verwöhnt und behütet herangewachsen, beides wahrscheinlich sogar in übertriebenem Maße. Und weil ihm ein nicht enden wollender Quell an finanziellen Ressourcen zur Verfügung stand, hielt er sich für den Mittelpunkt der Welt und allen Lebens. In seiner Vorstellung war Božanović, als er seinen siebzehnten Geburtstag erreichte, der einzige Mensch, der wirklich zählte – der Mann, der Mythos, die Legende. Doch jener Geburtstag war gleichzeitig der Tag gewesen, an dem die jugoslawische Volksarmee ihren abscheulichen Feldzug gegen die Stadt Vukovar und ihre Bewohner gestartet hatte.
In der Ferne ertönten Mörserfeuer und Schüsse, gerade, als er die Kerzen seiner Geburtstagstorte ausblasen wollte. Obwohl die Geräusche weit entfernt schienen, waren sie doch nahe genug, um den Boden und die Wände erzittern zu lassen und die Kristalle des Kronleuchters wie bei einem kleinen Glockenspiel in Schwingungen zu versetzen.
Als Menschen, die über ungeheuren Reichtum und Privilegien verfügten, zogen die Familienmitglieder es vor, die Vorgänge nicht weiter zu beachten, bis von ihrem Balkon aus mehrere schwarze Rauchsäulen zu sehen waren und aufgrund der Kämpfe schwarzgraue Wolken über dem Stadtzentrum aufstiegen.
Die Serben, die Anstoß an Kroatiens Unabhängigkeitsbemühungen nahmen, hatten ihren politischen Gegner in einem brutalen ersten Schritt hin zu einem Bürgerkrieg angegriffen – etwas, das Jadrans Vater bereits geahnt hatte. Doch der Mann hatte geglaubt, oder glauben wollen, dass die politischen Kräfte die Uneinigkeiten friedlich beilegen würden.
Siebenundachtzig Tage lang wurde die barocke Stadt belagert und fiel schließlich den Serben und paramilitärischen Kräften in die Hände, welche die tapfere Verteidigungsarmee der Kroatischen Nationalgarde schlussendlich besiegten. Die Stadt wurde zerstört, das Anwesen der Božanovićs in Schutt und Asche gelegt.
Die sogenannten Ethnischen Säuberungen wurden in jenen Tagen zu einem vielbemühten Begriff, und so sah die internationale Staatengemeinschaft dabei zu, wie serbische Truppen unter Slobodan Milošević systematisch mehr als 31.000 Menschen in dieser Stadt abschlachten oder deportieren ließen.
Als Božanović mit ansehen musste, wie sein bisheriges Leben ebenso schnell in sich zusammenfiel wie die Mauern seines Zuhauses, verlor er beinahe augenblicklich seine egozentrische Weltsicht. Sofort bewaffnete er sich und ein paar seiner Freunde, angestachelt von der ungeheuren Wut eines Heranwachsenden, dessen Leben sich in dunkles Leid verkehrt hatte. Als er das erste Mal das antiquierte Gewehr in seinen Händen hielt, spürte er eine unsagbare Macht. Die Waffe gab ihm die Möglichkeit, jedes Leben mit nur einem Fingerzucken auszulöschen. Er fühlte sich ermutigt, voller Ekstase über den Umstand, dass er nun wieder das Zentrum des Universums war; ein Mann, der über die Macht verfügte, zu entscheiden, wer leben durfte und wer sterben musste. Wer immer seinen Weg kreuzen würde, tat das auf Befehl einer höheren Macht hin, so schien es ihm. Und er war ein Gefäß, geschaffen um zu befehlen und zu herrschen.
Gefangene wurden ihm zu Füßen gelegt, und der Akt allein ließ Božanović sich allmächtig und unfehlbar fühlen. Immer wieder legte er den Lauf seiner Waffe an die Schädel von Serben und drückte ab, spürte keinerlei Schuld dabei, und sein Handeln wurde beinahe zu einem Akt der Läuterung, wenn er sich wieder aufrichtete und dabei zusah, wie seine Opfer vor ihm verbluteten.
Zusammen mit seinem Teamkameraden lebte er in Schmutz und Elend und stieg zu ihrem Anführer auf, während sie sich mutig den zahlenmäßig weit überlegenen Einheiten der Jugoslawischen Nationalarmee entgegenstellten. Doch am dreiundsiebzigsten Tag wurde seine Einheit umzingelt. Božanović fand sich selbst auf Knien vor einem serbischen Offizier wieder, in dessen Hand der glattpolierte Lauf einer Pistole glänzte.
Sie starrten einander an. Keiner von beiden wollte den Blick abwenden, als Zeichen ihres eisernen Willens.
Der Serbe steckte seine Pistole in ihr Holster zurück und zog sein Messer hervor, eine gefährlich scharf aussehende Waffe, die ebenso glänzte wie zuvor die Pistole. Er hielt die Klinge demonstrativ in die Luft, ohne den Blick von seinem Gegner abzuwenden.
Dieses Messer hat viele von deiner Art getötet, ließ er Božanović wissen und drehte das Messer dabei hin und her. Und es wird noch mehr töten.
Der Serbe legte dem jungen Kroaten die Klinge ans Gesicht, bis die Spitze Božanovićs Haut eindrückte, direkt unterhalb seines Auges. Božanović weigerte sich, den Augenkontakt zu unterbrechen, etwas, dass der Serbe bewunderte, jedoch nicht zu honorieren gedachte. Deshalb übte er genug Druck auf das Messer aus, um die Haut zu verletzen und einen Blutstropfen hervorquellen zu lassen.
Božanović zuckte zusammen, was den Serben lächeln ließ.
Ich werde dich umbringen, weißt du? Dich und deine gesamte Familie.
Božanovićs Familie aber war bereits von den serbischen Angreifern aus dem Haus gezerrt und auf den Straßen abgeschlachtet worden. Danach hatte man das Haus in Brand gesetzt. Obwohl Božanović entkommen war, konnte er sich noch gut daran erinnern, wie jene Serben seine Mutter, seinen Vater, seinen Bruder und seine Schwester mit einem derart bösartigen Vergnügen hingerichtet hatten, dass er sich beinahe sicher war, dass sie danach zur Feier ihr Blut aus juwelenbesetzten Kelchen tranken – eine unglaubliche Vorstellung, die unauslöschlich in seiner Erinnerung eingebrannt war.
Zorn hatte ihn verschlungen.
Hass ihn erfüllt.
Und das Morden gab ihm Hoffnung, auch wenn es eine dunkle Hoffnung war, die ihn auf einen Pfad führte, von dem es kein Zurück geben würde.
Und wenn ich sie umgebracht habe, werde ich dich töten, einverstanden? Der Serbe begann die Spitze seines Messers vorsichtig über Božanovićs Gesicht gleiten zu lassen.
Božanović ertrug den Spott nicht länger, wendete er sich ab und spie auf den Boden. Ein Akt unvergleichlichen Mutes und Trotzes – oder der Dummheit, je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtete. Für seine Brüder wurde er in diesem Moment zu einem Gott. Für die Serben aber schrie es danach, Jadran Božanovićs Leben zu beenden.
Der Serbe packte Božanović an den Haaren und zerrte dessen Kopf zurück, um seine glatte und ungeschützte Kehle zu entblößen. Du hältst dich wohl für mutig?, fauchte ihn der Serbe wütend an, während sein Gesicht rot anlief. Glaubst du vielleicht, dass dich deine Freunde jetzt mit anderen Augen sehen? Er musterte die Gesichter der restlichen Kroaten und musste die Bewunderung für Božanović in ihren Augen bemerkt haben. Du und die anderen seid nichts anderes als Dreck unter meinen Stiefeln!
Mit der Spitze seines Messers trieb er eine tiefe Kerbe in Božanovićs Gesicht, vom unteren Ende seines Auges bis hinab zu seinem Mundwinkel, öffnete eine Wunde, die genug Haut auseinanderklaffen ließ, um den blutigen Wangenknochen darunter zu offenbaren.
Božanović schrie vor Schmerz laut auf, seine Tapferkeit war verschwunden. Als der Serbe erneut die Gesichter seiner Kameraden betrachtete, war das aufflackernde Bewundern in ihren Augen dem Blick puren Schreckens gewichen.
Der Serbe hatte wieder die Oberhand gewonnen.
Er lächelte. Ein weiterer kleiner Sieg. Er hob die blutrote Klinge vor sein Gesicht.
In einer makabren und kranken Zurschaustellung leckte der Serbe die Messerspitze ab und verzog dabei das Gesicht, als würde er den Geschmack genießen. Und jetzt, Kroate, sagte der Mann, ist es an der Zeit, zu sterben.
Božanović schloss die Augen und wartete.
Dann hörte er eine laute Gewehrsalve. Mehrere Schüsse peitschten in kurzer Folge durch die Luft. Der Geruch von Schießpulver war allgegenwärtig, als Božanović seine Augen wieder öffnete und einen Trupp Kroaten mit gezückten Waffen vorrücken sah. Die serbischen Soldaten waren entweder tot oder lagen auf dem aufgebrochenen Straßenpflaster im Sterben.
Božanović zögerte keine Sekunde. Er stand auf, schnappte sich eine Waffe und exekutierte nacheinander alle, die noch am Leben waren, mit Ausnahme des serbischen Anführers, der mit einer Hüftwunde am Boden lag und vor Schmerzen die Zähne zusammenbiss.
Božanović griff nach dessen Messer und hielt es dem Serben auf die gleiche Weise vors Gesicht, wie dieser es zuvor bei ihm getan hatte. Er zeigte ihm die glänzende Spitze und die scharf zulaufende Klinge des Messers.
Glaubst du, du wüsstest, was Schmerzen sind?, fragte er den Serben, dann trat er dem Mann gegen dessen Verletzung. Der Serbe schrie. Ich werde dir zeigen, was Schmerzen sind.
Der junge Kroate hockte sich auf den Boden und begann mit dem Messer den Stoff der Uniformhose des Serben zu zerschneiden und seine Beine offenzulegen. Dann wies Božanović seine Männer mit einer Handbewegung an, den Offizier am Boden festzuhalten. Jeder der Männer sollte sich einen Arm oder ein Bein greifen, damit der Soldat sich nicht mehr bewegen konnte.
Er hielt das Messer noch lange genug in die Höhe, um das blanke Entsetzen in den Augen des Mannes explodieren zu sehen.
DAS ist Schmerz!
Božanović presste die Klinge gegen den Oberschenkel, zog sie von links nach rechts, und begann danach, die Klinge nach unten zu ziehen und den Mann zu filetieren. Die Haut rollte sich bis zum Knie nach oben, wie ein Holzspan, der von einem Stück Holz abgezogen wurde, ein Stück Gewebe, das er schließlich abschnitt und achtlos den Straßenkötern zum Fraß zuwarf, die nachts durch die Straßen liefen.
Der Serbe kämpfte vergeblich gegen seine Peiniger an, starrte dabei auf die Wunde, in der sich nun deutlich die Muskelfasern abzeichneten, und schrie lauter, als Božanović je einen Menschen hatte schreien hören.
Božanović hatte gelächelt, und das Messer wurde zu seinem neuen Freund, der ihm seine Unverwundbarkeit zurückgegeben hatte. Wieder einmal lag es in seiner Macht, über Leben oder Tod zu befinden. Und der Serbe hatte sein Schicksal bereits besiegelt, so heftig, wie das Blut aus Božanović Wunde sickerte und seine Uniform tränkte.
Der Kroate fuhr fort und zog einen zweiten Streifen vom Bein des Mannes ab, dann einen dritten. Der Mann unter ihm litt derartige Qualen, dass er schließlich ohnmächtig wurde. Aber so leicht wollte Božanović ihn nicht davonkommen lassen. Er ließ den Mann von seinem Team in ein heruntergekommenes Safe-House bringen, wo der Serbe immer wieder zu Bewusstsein kam, nur um in das lächelnde, fürchterlich zugerichtete Gesicht des Kroaten zu blicken, der scheinbar niemals schlief. Die Wunde in seinem Gesicht war dürftig vernäht worden, eine eilige Versorgung von ungeübter Hand, die Božanović ein frankenstein-ähnliches Aussehen verlieh. Sein Gesicht wirkte furchtbar entstellt und böse, mit dem heruntergezogenen Auge und der nach oben verzogenen Lippe, die seinen Mund zu einem beständigen verächtlichen Grinsen zwang.
Nachdem er dem Serben die Gelegenheit gegeben hatte, zu erkennen, dass es Božanović war, der mit seinem Messer wieder vor ihm stand, sollte Božanović die Klinge so lange über den Oberkörper des Mannes ziehen und ihn häuten, bis der Serbe drei Tage später an seinen Wunden starb.
An diesem Punkt begründete Božanović seinen Ruf als ein Mann, den man fürchten musste. Ein Mann, der seine Macht durch andere verkündete, indem er deren Körper als Leinwände benutzte, um seine Nachrichten zu verbreiten. Sein Messer diente ihm nun als Pinsel, mit dessen breitem Strich er sich und seiner Kunst Ausdruck verlieh.
Und er gab das Messer nie auf, benutzte es immer und immer wieder, bis er seine Kunst perfektioniert hatte und zu einem Picasso des Schlachtfeldes geworden war.
Diese Gedanken und Vorstellungen trieben ihn dazu an, immer stärker, reicher und mächtiger zu werden – um schließlich allgegenwärtig und allwissend zu sein. Das war sein Traum. Das war sein Ziel.
Und so strebte er 1995, als Kroatien seine Unabhängigkeit gewann, nach Höherem, indem er ein Cleaner für die kroatische Mafia wurde. Seine Entschlossenheit und sein Durchsetzungsvermögen erregten schließlich die Aufmerksamkeit der Mafiaführer, die Božanovićs rücksichtslose Neigungen erkannten, die ihn zu einem perfekten Werkzeug machten, wenn es darum ging, ganz besondere Botschaften zu verschicken … besonders mit der Klinge eines Messers.
Die kroatische Mafia setzte sich aus drei Familien zusammen, welche die tragenden Säulen des Heroinschmuggels, des Menschenhandels und der Geldwäsche repräsentierten. Außerdem pflegten sie enge Beziehungen zur italienischen Mafia und der IRA. Nach drei Jahren in der Organisation hatte Božanović seine Hände in beinahe jedem Geschäft und profitierte von jedem Fehler. Ungestraft tötete er jeden, der versuchte, etwas von den Profiten der Mafia abzuzweigen.
Er wurde bewundert, dann gefürchtet und schließlich zum Elite-Killer innerhalb der Hierarchie erhoben. Wann immer es Aufträge von enormer Wichtigkeit zu erledigen gab oder eine Spur aus Leichen zurückgelassen werden sollte, um ein Zeichen zu setzen, war Božanović der Mann, der genau dafür sorgte. Er verfolgte seine Geschäfte mit einer solchen Skrupellosigkeit, dass sein missgestaltetes Gesicht am Ende zu einem Spiegel seiner dunklen Seele wurde; ein Mann, der von der Oberfläche seines Fleisches bis tief in die Essenz seiner Seele hinein verdorben war.
Er war das personifizierte Böse geworden.
Während er in dem Van saß und seine frischen Opfer beobachtete, gab er dem Mann neben sich einen knappen Befehl. »Folge Ihnen«, sagte er. »Finde heraus, was du kannst. Wenn Sie Touristen sind, will ich es wissen.«
»Ja, Sir.« Der Beifahrer stieg aus dem Van und schloss hinter sich die Tür.
Neben der Rekrutierung von Opfern war eine genaue Beobachtung in seinem Gewerbe ebenfalls entscheidend. Oft fiel seine Wahl auf Menschen aus anderen Ländern, weil diese keine direkten Verbindungen zu der Gegend hatten. Mangelnde Kenntnis der Landessprache und die fehlende Vertrautheit mit der Region verzögerten nicht selten den Fortschritt, den die Familien einer Zielperson mit der örtlichen Polizei erzielten, und verhinderten eine sofortige Suche.
Durch das geöffnete Beifahrerfenster erklärte Božanović: »Ich muss mich noch um eine andere Angelegenheit kümmern. Finde heraus, wo Sie wohnen, dann gib mir Bescheid. Ich werde ein anderes Team schicken, um einen Perimeter zu bilden. Wenn die Zeit reif ist, schlagen wir zu.«
Der Kroate nickte. »Verstanden, Sir.«
»Verliere sie nicht.«
Božanović startete den Van. Er warf dem Mann durch seinen heruntergezogenen Augenbrauen einen finsteren Blick zu, in dem das Böse flackerte, dann legte er einen Gang ein, fuhr davon und ließ seinen Handlanger allein zurück.
Mehrere Stunden lang folgte der Mann der Familie: der Mutter, dem Vater und den beiden als Zielpersonen auserkorenen Töchtern. Zuerst besuchten sie ein Straßencafé und aßen. Als sich der Tag dann dem Ende zuneigte, kehrten sie in ihr Hotel an der Rue Cler zurück.
Der Handlanger Božanovićs versuchte so unauffällig wie nur möglich zu wirken, als er nur wenige Augenblicke nach der Familie die Hotellobby betrat, einen Sicherheitsabstand hielt und sie durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille beobachtete. Nachdem die Familie den Fahrstuhl betreten hatte, kontaktierte der Mann Božanović über sein Handy. Das Gespräch zwischen ihnen war kurz, die einzelnen Antworten abgehackt.
Jetzt wusste Jadran Božanović, wo sich seine neuen Opfer befanden.
Obwohl der Mann Božanović nicht sehen konnte, wusste er doch, dass der Kroate in diesem Moment bei dem Gedanken an die Dollarzeichen lächeln musste, die vor seinem geistigen Auge vorbeizogen. Es ging immer nur ums Geld.
Wenn die Pariser Polizeibehörden nach der Entführung schließlich wachgerüttelt worden waren, würde die Spur der jungen Fremden bereits so kalt sein, dass man sie nie wieder finden würde.