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SECHS

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Sie war sehr müde, als sie endlich nach Hause kam. Vom Parkplatz aus sah sie, dass im Wohnzimmer ihrer Vermieterin noch Licht brannte.

Sie tippte die Klingel nur ganz kurz an, da wurde die Tür schon von innen geöffnet. Frau Campenhausen war trotz der späten Stunde tadellos gekleidet und sah Lea hellwach und gespannt an.

»Ich habe es im Radio gehört! Ein Mord! Kommen Sie herein, erzählen Sie, wenn Sie nicht zu müde sind, Kind!«

Nachdem sie ein Glas Grauburgunder kredenzt hatte, lauschte die alte Dame mit roten Flecken auf den Wangen Leas Schilderungen. Sie vergaß sogar, Mienchen zu streicheln, die sich nach einer Weile auf das Sofa verzog.

»Was habe ich Ihnen gesagt? Dick Francis!«, platzte sie heraus, als Lea mit ihrem dürftigen Bericht geendet hatte. »Aber dass ein Besitzer in seiner eigenen Pferdebox umgebracht wird – ich glaube, das gab es selbst bei ihm nicht. Wie aufregend!«

Sie ließ es sich nicht nehmen und stellte Lea einen Teller badische Kartoffelsuppe und ein Stück Zwetschgenkuchen hin. Dann flatterte sie aufgeregt zum Bücherregal.

Begeistert kostete Lea die samtige Suppe und den frischen, nach Zimt schmeckenden Kuchen. Mienchen schlich heran, strich um ihre Beine, schnurrte und ließ sich sogar kurz streicheln. Doch gleich darauf stolzierte sie beleidigt zurück zum Sofa, weil Lea ihr nicht einen Krümel abgeben wollte. Das hatte Frau Campenhausen ihr schon lange streng verboten. Lea schleckte sich ungeniert und genüsslich die Finger ab und fragte sich, ob sie Frau Campenhausen zwei Stück Kuchen für Donnerstag abschwatzen konnte. Sie könnte ihn solange einfrieren.

Ehe sie fragen konnte, drehte Marie-Luise sich mit einem dünnen Band in der Hand um. »Hier! ›Doping‹! Das passt! Das müssen Sie lesen! Hier steht vielleicht, warum das Pferd im Führring so verrückt gespielt hat!«

Lea versuchte, ihr Lächeln zu verbergen. Hobbydetektivin Campenhausen war in ihrem Element!

Doch die alte Dame verstand ihr Lächeln offenbar falsch. »Entschuldigen Sie, ich überfalle Sie einfach so. Wo bleibt nur mein Benehmen! Außerdem – so ganz trifft der Sachverhalt im Buch nicht zu. Dort werden bei eher mittelmäßigen Pferden Angsterinnerungen ausgelöst, damit sie Adrenalin ausschütten, in Panik losgaloppieren und deshalb gegen alle Erwartungen gewinnen. Das Gegenteil war ja heute der Fall. Meine Güte! Rother Wind wurde sechster! Dafür muss es einen Grund gegeben haben.«

Kopfschüttelnd trug sie die Teller in die Küche, machte aber gleich wieder mit erhobenem Zeigefinger kehrt:

»Ich hab’s! Negativdoping! Da gibt man dem Top-Favoriten Valium und wettet auf den Konkurrenten. Das kann eine richtig hohe Quote bringen. Da sollten Sie einhaken.«

Lea lachte herzhaft. »Frau Campenhausen! Das ist Sache der Polizei! Ich kann und will mich da nicht einmischen. Die werden den Täter schon finden!«

»Kind, ich kenne Sie doch! Morgen früh können Sie nicht mehr schlafen, weil es Sie in den Fingern juckt, der Polizei einen Schritt voraus zu sein. Die Frage ist nur: Wer konnte an das Pferd herankommen und ihm das Mittel verabreichen?«

»Frau Campenhausen! Niemand hat bisher etwas von Doping oder Negativdoping gesagt! Außerdem – was hat das mit dem Mord zu tun?«

»Oh, vielleicht sehr viel! Vielleicht hat der Tote den Täter überrascht? Was ist zum Beispiel mit dem Futtermeister? Diese Leute werden meist schlecht bezahlt und sind anfällig für ein paar Euro nebenbei. Oder war es vielleicht der Besitzer des Pferdes, das gewonnen hat?«

So spekulierten sie bis kurz vor Mitternacht, und Frau Campenhausen erreichte, dass Lea tatsächlich ganz kribbelig wurde.

*

Kriminalhauptkommissar Maximilian Gottlieb rieb sich die Augen vor Müdigkeit. Sie hatten bis morgens um zwei Uhr fieberhaft gearbeitet und sich dann gerade mal vier Stunden Schlaf gegönnt. Jetzt war es sieben, und die Runde um den zerschrammten Besprechungstisch war wieder vollzählig. Munter sah keiner von ihnen aus. Es frustrierte, noch keine Spur zu haben.

»Ich fasse zusammen«, sagte er und machte einen energischen Strich unter seine Notizen. »Der Mann ist erstochen worden. Später erfahren wir hoffentlich genauer, wie viele Stiche es waren und wie das Messer geführt wurde. Todeszeitpunkt: nach ersten Schätzungen zwischen siebzehn Uhr und achtzehn Uhr fünfzehn. Er wurde in der Pferdebox gegen Viertel nach sechs vom Renntrainer des Pferdes, Carlo Hausmann, gefunden. Hanno, wann wirst du mit ihm reden können?«

Hanno Appelt saß aufmerksam wie ein Einserschüler am Tisch. Außer den dunklen Ringen unter den Augen und dem scharfen Zug um seine Nase zeigte er keine Ermüdungserscheinung. Wie ertappt zog er seine Hand von Sonja Schöllers Arm weg. Was für ein ungleiches Paar, hier der pedantische Vollblutbeamte Appelt, der Erbsenzähler, der allen Überredungsversuchen seiner Partnerin zur modischen Veränderung trotzte und wie eh und je seine breiten Krawatten und glänzenden Hosen auftrug und sich die Haare nach vorn kämmte. Dort Sonja, die vor Glück und Zufriedenheit regelrecht strahlte, seitdem sie zusammen waren, und dienstlich zur Hochform auflief.

Hanno reckte sich, ehe er loslegte: »Ich habe eben im Krankenhaus angerufen. Hausmann wird noch heute Vormittag entlassen. Ich will ihn gleich vernehmen. Wir brauchen seine Fingerabdrücke, auch wenn er sagt, er habe nichts angefasst. Sonnefeld hat wohl direkt nach dem Rennen jede Menge Ärger gemacht, unter anderem auch Streit mit Hausmann gehabt. Er hat ihm Manipulation unterstellt, immerhin stand nicht nur Rother Wind in Hausmanns Trainingsstall, sondern ausgerechnet auch das Siegerpferd Main-Favorit. Und dann findet gerade Hausmann wenig später die Leiche? Wenn das nicht merkwürdig ist. Vielleicht hat er nur so getan, als würde er Hilfe holen wollen, als er auf die anderen Zeugen traf. Vielleicht konnte er nicht anders, weil er ihnen in die Arme gelaufen war. Für mich ist das alles verdächtig.«

»Dann geh dem nach, Hanno«, sagte Gottlieb, wenn auch nicht sehr überzeugt. Hausmann hätte andere Gelegenheiten gehabt, sich unsichtbar aus dem Staub zu machen, als ausgerechnet den Hauptweg entlangzustürmen. Auch Sonja verzog ihr Gesicht, sagte aber vorerst nichts. Gottlieb tippte auf seine Notizen. »Dann haben wir Udo Retzlaff, den Reisefuttermeister. Sein Alibi scheint hieb- und stichfest zu sein, wenn man den Vernehmungen seiner Freunde glaubt, mit denen er ein Bier trinken war. Auch die Thekenkraft in der Kantine hat die vier gesehen, allerdings nicht auf die Uhr geschaut. Retzlaff hat Order bekommen, heute Morgen auf dem Revier zu erscheinen. Hanno, den nimmst du dir bitte vor. Die Witwe kommt um neun, ich werde mich um sie kümmern. Sie muss anschließend in die Rechtsmedizin nach Freiburg gebracht werden. Sonja, übernimmst du das? Lukas, was ist mit dem Jockey?«

Lukas Decker, das Küken der Dienststelle, rappelte sich hoch. »Andreas Fiebig, zweiundvierzig, wohnhaft in Köln, freiberuflicher Rennjockey. Es gab mal was, bei einem Rennen in Fernost. Doping mit Drogen. Wir haben nichts in unseren Akten, es gab offenbar für ihn nur eine halbjährige Sperre als Jockey, aber keine strafrechtlichen Konsequenzen. Ich habe unseren Drogentest mit ihm durchgeführt, ohne Ergebnis, und vorsichtshalber eine Blutprobe nehmen lassen. Er behauptet, er sei zwischen siebzehn und neunzehn Uhr spazieren gegangen. Zeugen dafür habe ich noch nicht gefunden. Er ist um acht Uhr vorgeladen.«

»Sonnefelds Frau hat ihn spontan beschuldigt. Sie hat eine Manipulation angedeutet, in die der Mann verwickelt sein könnte. Sonnefeld soll auch ihn nach dem Rennen heftig zur Rede gestellt haben. Wer hat darüber etwas?«

Sonja Schöller meldete sich, wie in der Schule. »Dafür haben wir übereinstimmende Zeugenaussagen. Sonnefeld hat Fiebig gegenüber die Worte Foul Play, Drogen und Betrug gebraucht.«

»Schwere Geschütze. Das ging an Fiebigs Existenz. Wäre ein Motiv. Das braucht Lukas gleich genauer für die Vernehmung des Jockeys. Hanno, was ist mit der Tatwaffe?«

»Niemand will sie je vorher gesehen haben. Wir haben auf dem Steg zwischen Klinge und Griff Fingerabdrücke gesichert. Der Griff selbst war merkwürdigerweise sauber. Bloß dauert es ja wieder Tage, bis wir ein Ergebnis bekommen.«

Gottlieb nickte angesäuert. Ein ewiger interner Streitpunkt. Kein Mensch konnte verstehen, dass es in der heutigen Zeit so lange dauerte, bis die LPD ein paar simple Spuren ausgewertet hatte.

Hanno hatte noch etwas auf Lager. »In die Klinge ist etwas eingeritzt, eine Art Abzeichen. Vielleicht führt uns das zum Mörder.«

»Was für ein Zeichen?«

»Sieht aus wie eine Rune, haben die Kollegen gesagt. Sie machen eine Aufnahme und schicken sie uns.«

»Vielleicht bringt uns das tatsächlich weiter. Gut, Hanno. Sonstige Erkenntnisse der Spurensicherer?«

»Nichts. Nicht mal einen Pferdeappel haben sie gefunden.«

»Lukas, wenn der Jockey kommt, sagst du mir Bescheid. Hast du ihn gestern nach dem Messer befragt?«

Lukas wand sich vor Verlegenheit. »Nicht direkt.«

Gottlieb unterdrückte eine bissige Bemerkung. »Das müssen wir als Erstes nachholen«, sagte er knapp. »Er hätte ein Motiv, aber kein Alibi. Ich will bei der Vernehmung dabei sein.«

Lukas nickte erleichtert. Gottlieb sah die Notizen durch. »Noch etwas: Was ist mit Sauerbrey, dem Besitzer des Siegerpferds? Hat der ein Alibi?«

Hanno schob die Unterlippe vor. »Den haben die Kollegen gestern nicht mehr erwischt. Der ist laut Flugprotokoll um achtzehn Uhr fünfundzwanzig mit dem Helikopter zur Bühler Höhe geflogen.«

»Wenn es tatsächlich um Manipulation geht, dann ist er der Nutznießer. Sonja, ruf da an, der soll so schnell wie möglich herkommen, mir egal, ob zu Land oder durch die Luft. Ach, und vorerst kein Wort an die Presse. Das hätte noch gefehlt, dass die Weidenbach uns wieder ins Handwerk pfuscht! Und jetzt brauche ich mein Frühstück.«

*

Morgens um halb sieben war die Atmosphäre auf der Rennbahn unbeschreiblich. Man merkte, dass der August zu Ende ging und die Tage wieder kürzer wurden, denn erst jetzt lichtete sich allmählich die Morgendämmerung. Frühnebel lag auf der ovalen Rasenfläche im Innern des Geläufs. Eine Gruppe Jockeys galoppierte auf ihren Vollblütern vorbei und schreckte ein Storchenpaar auf. Gerade begann die Sonne, orangerot über die Hügelkette des Schwarzwalds zu klettern. Keine Wolke am Himmel. Friedliche Stille, nur durchbrochen vom Schnauben des nächsten Pferdetrupps auf dem Weg zur Morgenarbeit.

Lea fand diese Stimmung herrlich. Sie war überrascht, welch ein Treiben um diese frühe Morgenstunde herrschte. Bei den Tribünen wurden Tische, Stühle und das Büfett für das Rennbahnfrühstück hergerichtet, das in einer halben Stunde beginnen sollte. Ein Wettlauf mit der Zeit, denn mit Lea waren bereits die Autos der ersten Gäste angerollt.

Hier hinten bei den Gastboxen waren auch die Reisefuttermeister und Pferdepfleger längst bei der Arbeit. Sie fuhren Schubkarren mit Pferdeäpfeln und schmutzigem Stroh zu einem dafür vorgesehenen Platz abseits der Ställe, wuchteten auf dem Rückweg frische Strohballen auf und luden sie bei den Boxen ab, andere führten ihre Tiere, um sie in Bewegung zu halten. Doch die Stimmung war gedrückt, die Stille so dick wie Watte. Lea hatte Scherze und Grußworte erwartet, aber nicht dieses Schweigen, das sich zäh wie Kaugummi dahinzog.

Es zog sie zurück zum Fundort der Leiche in der Hoffnung, mehr zu erfahren über den Toten und sein Umfeld. Sie hatte Andi Fiebig so früh nicht anrufen wollen, aber jetzt sah sie, dass sie vermutlich schon zu spät war. Wahrscheinlich war er mit Rother Wind längst auf der Bahn.

Das gesamte Areal um Box 361 war mit rot-weißen Bändern abgesperrt. Im Geviert gegenüber traf sie auf den Pfleger von Rother Wind, der gerade mit einer Mistgabel im Stroh stocherte. Er brummte beruhigend, während der goldbraune Hengst, der vor der Box angebunden war, nervös den Kopf hob und versuchte, nach hinten zu drängen. Seufzend ließ der Mann die Mistgabel sinken, zog seine Arbeitshandschuhe aus und nahm den Kopf des Pferdes in beide Hände. Dann begann er, ihm eine leise Melodie ins Ohr zu summen. Das Stampfen und Schnauben ließ immer mehr nach, bis der Mann mit seiner Arbeit fortfahren konnte.

Lea traute sich kaum, sich bemerkbar zu machen, doch der Mann hatte sie schon wahrgenommen.

»Andi ist nicht da«, beschied er ihr knapp.

»Dachte ich mir. Er ist bestimmt draußen, oder?« Aber mit welchem Pferd? Rother Wind war hier.

»Keine Ahnung.«

Sie zeigte dem Mann ihren Presseausweis, doch er sah gar nicht hin. Er zog die Handschuhe wieder an, lud das Stroh auf eine Schubkarre und bemühte sich, die Plastikbänder eines Strohballens mit den Händen zu zerreißen. Es gelang ihm nicht, und er fluchte leise.

Lea blieb stehen und sah ihm zu. Ganz offensichtlich wollte er nicht mit ihr reden. Da hieß es, Geduld zu haben.

Irgendwann nahm er die Mistgabel wieder auf und sah sie erwartungsvoll und gleichzeitig misstrauisch an.

»Also, was jetzt?«

»Sie sind aus Norddeutschland, nicht wahr?«

»Fehmarn.«

Die Erwähnung der Insel versetzte Lea mit einem Schlag in ihre Kindheit. Dort, an der Ostsee, hatte sie ihre glücklichsten Momente verlebt. »So ein Zufall«, sagte sie, »da war ich als Kind in Urlaub. In Presen. Auf dem Ferienhof Prange.«

»Mann, so was aber auch. Bei unserer Kreisbäuerin! Karen kennt ja nun jeder!«

Er wischte sich die Hand an der Hose ab und hielt sie ihr hin. Sie war klein wie eine Frauenhand, aber hart und schwielig. »Udo Retzlaff.« Er sah sie dabei nicht an, sondern senkte den Kopf und scharrte mit dem Schuh in der Streu am Boden. »Aber ich kann Ihnen nichts sagen. Denn kommt ja alles in die Zeitung, was ich sage, oder?«

»Aber nein. Eigentlich suche ich nur Andi.«

»Hätte längst hier sein müssen. Wo der bloß steckt? Hoffentlich kriegt Anna das nicht mit.«

Retzlaff tätschelte Rother Wind den Hals. Das Pferd war wieder unruhig geworden. »Das Tier braucht Bewegung, Mensch. Wird Zeit, dass Andi zum Morgentraining kommt.«

»Rother Wind war gestern eine böse Überraschung.«

»Kann man sagen. Die Rennkommission hat Dopingproben genommen. Doping! So was. Als wenn jemand einfach so herspazieren und dem Gaul was ins Futter geben könnte!«

Lea horchte auf. »Ist das ausgeschlossen?«

»Ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass kein Dritter an die Pferde herankommt.« Retzlaff biss sich auf die Lippen und betrachtete interessiert den Boden.

Lea nahm dies als Zeichen, dass er über das Thema nicht weiter sprechen wollte. Etwas anderes bedrückte sie noch. Sie hatte deswegen in der Nacht kaum schlafen können: Ihre nicht eingehaltene Verabredung. Zu gern würde sie hören, dass es keinen Unterschied gemacht hätte, ob sie nun rechtzeitig gekommen wäre oder nicht.

»Haben Sie einen Verdacht?«

Retzlaffs Kopf schoss hoch. Er wurde puterrot. »Wegen dem Doping?«

»Nein. Wegen des Mordes. Man macht sich doch bestimmt Gedanken.«

»Ich war’s nicht. Ich war Bier trinken. Mit Zeugen.«

»Was ist mit dem, der die Leiche gefunden hat?»

»Carlo? Nee. Carlo war ja selbst so was von geschockt. Musste sogar ins Krankenhaus deswegen.«

»Wer dann? Andi hat mir erzählt, der Tote sei ein netter Kerl gewesen.«

»Stimmt.« Retzlaff strich dem Pferd über die Nüstern und flüsterte etwas. Dann ging er in die Lagerbox und zerrte am Falz des noch verschlossenen, großen Futtersacks. »Wenn ich wüsste, wer es gewesen ist, eigenhändig massakrieren würde ich den. Gut, Sonny war gestern ein bisschen nervös. Aber das ist kein Grund für Mord. Gibt überhaupt niemals einen Grund für so etwas.«

»Was ist mit diesem Sauerbrey? Die beiden Männer waren sich doch nicht grün.«

»Der hatte andere Möglichkeiten, Sonny zu schaden. Er wollte ihm Rother Wind abjagen, ja, das wohl. Mit allen Mitteln. Aber Mord? Auf keinen Fall. Nee, nee. Der machte nur bei Carlo Stress. Wollte nicht, dass Carlo auch Sonnys Pferde trainiert. So was wie gestern, wo Main-Favorit und Rother Wind in einem Rennen liefen, das geht eigentlich nicht. Aber deshalb bringt man niemanden um.« Retzlaff holte ein Schlüsselbund aus der Hosentasche und riss mit einem der Schlüssel ein Loch in den Futtersack, das er dann mit beiden Händen gewaltsam vergrößerte. »Noch was? Ich hab zu tun. Anna kommt bestimmt gleich. Da muss hier alles blitzen. Da ist sie eigen.«

»Die arme Frau. Was muss das für ein Schock für sie sein …«

»Jau. Hoffentlich lässt sie den Gaul Sonntag trotzdem laufen. Mann, vierhundertfünfzigtausend! Das wäre die Erlösung!«

»Geht es denn wirtschaftlich nicht gut?«

»Dazu sag ich nichts.«

Lea machte sich Notizen. Finanzen? Sauerbrey? Der wollte Rother Wind kaufen, und dann verlor das Pferd plötzlich? Das stank doch zum Himmel! Sie brauchte ein Foto von dem Mann, für alle Fälle. Wenn die Polizei ihn verhaftete, hätte sie die Nase vorn.

»Wissen Sie, wo ich Sauerbrey finde?«

»Pah, bestimmt längst zu Hause. Der reist garantiert erst Samstag wieder an. Geld spielt ja keine Rolle bei dem Angeber.«

»Sie kennen ihn aber gut!«

»War mal auf Mainaue beschäftigt. Zusammen mit Sonny und Andi. Ist aber lange her, fast zehn Jahre. Seitdem habe ich nicht mehr viel mit ihm zu tun.« Mit energischen Bewegungen füllte Retzlaff Futter aus dem Sack in einen Eimer. Er konzentrierte sich so sehr auf seine Arbeit, dass er ganz offensichtlich Lea vergessen hatte, denn er fuhr zusammen, als sie ihm noch eine letzte Frage stellte.

»Wissen Sie, wo Anna Fröhlich ist?«

»Ich ruf sie gleich an. Wenn Andi nicht kommt, muss sie mich ablösen. Ich muss um zehn bei der Polizei sein.«

»Wo kann ich sie erreichen?«

Kopfschütteln. Offenbar hatte Retzlaff beschlossen, dass er genug gesagt hatte. Lea blieb noch eine Weile stehen und sah ihm bei der Arbeit zu. Dann versuchte sie, Gottlieb für eine erste telefonische Stellungnahme zu erreichen, wählte dann die Nummer der Staatsanwaltschaft, überall Fehlanzeige. Es war einfach noch zu früh.

Sie ging in die Kantine für das Pferdepersonal, bestellte sich Kaffee und versuchte, ein paar Gespräche aufzuschnappen. Doch dann fiel ihr der gestrige Abend wieder ein. Hatte ihre Vermieterin mit ihrem Verdacht auf Manipulation doch die richtige Spürnase gehabt? Immerhin war tatsächlich eine Dopingprobe von Rother Wind gezogen worden, das konnte ein Indiz sein. Sauerbrey, Retzlaff, alle Spekulationen der Nacht konnten zutreffen. Vor allem der Futtermeister war Lea nicht geheuer. Er hatte ihr nicht in die Augen sehen können.

Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende geführt, fiel ihr siedend heiß ein, dass sich auch Andi gestern Abend merkwürdig verhalten hatte, als sie ihn nach seinem letzten Treffen mit Sonnefeld gefragt hatte. Er hatte mit den Schultern gezuckt und zur Seite geblickt. Ihre Frage hatte er nur ausweichend, nein, eigentlich gar nicht richtig beantwortet.

Tod auf der Rennbahn

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