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DREI

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Völlig außer Atem erreichte Maximilian Gottlieb die Box. Sein Hemd klebte am Rücken, Schweiß perlte ihm in die Augen. Bis dieser Fall abgeschlossen war, würde es keinen Rotwein und keinen Big Mac mehr geben, das schwor er sich, und danach würde er mit den Kollegen zum Polizeisport gehen, jeden Mittwochnachmittag. Es war doch eine Blamage, wie Lea Weidenbach ihm davongelaufen war.

Er mochte die Frau. Eigentlich war sie genau sein Geschmack. Sie war natürlich, intelligent, schlagfertig, fröhlich. Sie hatte nur leider den falschen Beruf.

»Weg«, japste er, als er sich durch die Gaffer drängte. »Polizei. So machen Sie schon Platz.«

Noch bevor er die Pferdebox erreicht hatte, sah er Blitzlicht aufflammen.

»Frau Weidenbach«, schrie er, »sofort aufhören!«

Widerwillig teilte sich der Kreis der Neugierigen und gab den Blick frei auf die quirlige Reporterin, die sich ins Halbdunkel der Box beugte und der Gestalt gefährlich nahe kam, die im Stroh lag und sich nicht mehr rührte.

»Weg mit Ihnen, verdammt. Sie wissen doch selbst, dass Sie da nichts verloren haben! Das wird ein Nachspiel haben!«

Die Journalistin reagierte sofort und hob die Hand. Sie war Profi genug, um zu wissen, dass sie nichts zertreten durfte. So balancierte sie auf Zehenspitzen vorsichtig rückwärts. Na super! Wie sollte er das der Spurensicherung erklären. Er konnte sich schon vorstellen, was Oberstaatsanwalt Pahlke morgen früh ins Telefon brüllen würde, wenn er die frischesten Tatortfotos in der Zeitung statt im Polizeibericht sah.

Wieder einmal schwamm Gottlieb im Wechselbad der Gefühle. Manchmal brachte die Weidenbach ihn zum Schmelzen, wie vorhin mit ihrer verrückten Essenseinladung, die ihr sofort peinlich gewesen war. Aber dann wieder standen sie in getrennten Lagern. Sie hatte an einem Tatort eindeutig nichts zu suchen. Aber gar nichts!

»Zurück., donnerte er noch einmal und meinte damit eigentlich eher die Weidenbach als die Schaulustigen, die um ihn herum standen und nun nach hinten wichen. Die waren viel leichter zu handhaben. »Herrschaften, Sie sind Zeugen in einem Mordfall. Ich muss Ihre Personalien feststellen lassen.«

Das wirkte, wie immer. Schon wurden sie unruhig und überlegten, wie sie sich davonstehlen konnten. Kein Problem, denn die ersten Streifenwagen und die Kripo-Kollegen rückten gerade an. Die würden die Leute schon abfangen.

Gottlieb winkte einen der Schutzpolizisten zu sich. »Absperren«, befahl er. »Weiträumig und schnell, wenn’s geht.«

Dann drehte er sich um. »Und jetzt zu Ihnen, Frau Weidenbach. Die Fotos kann ich Ihnen ja nun nicht mehr verbieten.«

Die Reporterin lächelte ihn an wie eine Katze, die gerade einen Milchtopf ausgeschleckt hat, doch im gleichen Augenblick wurde sie wieder ernst. Ungewöhnlich und unpassend ernst. Etwas bedrückte sie, und ihre Augen wurden fast schwarz, als habe sie Angst. Das Herz sprang ihm in den Hals.

»Was ist los?«

Sie sah zum Toten, zur Uhr, überflog die Zuschauer, blickte dann wieder ihm ins Gesicht. Abschätzend. Voller Zweifel und Fragen. Seine Antennen fuhren aus, ein Kribbeln kroch ihm den Rücken herunter.

»Na?«, versuchte er es noch einmal. »Kennen Sie den Toten?«

»Kennen?«, wiederholte sie mechanisch.

So hatte er sie noch nie erlebt.

»Haben Sie der Polizei etwas mitzuteilen?«

Wieder dieser undefinierbare Rundblick. Verdammt, sie verheimlichte ihm doch etwas! Aber was? Sie hatte mit dem Mord definitiv nichts zu tun, sie war den ganzen Nachmittag mit ihm zusammen gewesen. Konnte es sein, dass sie etwas wusste?

»Frau Weidenbach, reden Sie mit mir, bitte!«

Zu spät, zu spät. Sie hatte sich wieder gefangen und sah aus wie immer, neugierig, intelligent, humorvoll und tatendurstig. Sie schüttelte den Kopf, wenn auch ein bisschen zu energisch, als wollte sie etwas loswerden.

»Nichts. Gar nichts. Bin schon weg, Herr Gottlieb. Ich rufe Sie später an.«

Damit lief sie los, in einem Höllentempo, als würde sie von einem Dämon verfolgt.

Gottlieb sah ihr verwirrt nach. Sie würde ihm immer ein Rätsel bleiben. Zu dumm, dass sich im letzten Jahr, als er sie bei einem Einsatz für ein paar Atemzüge in seinen Armen gehalten hatte, für ihn etwas geändert hatte. Seitdem hatte er Schwierigkeiten, sie ausschließlich als respektable Gegnerin zu sehen. Ach was, Schluss jetzt! Für Gefühle war hier kein Platz. Die behinderten nur seine Arbeit!

Trotzdem. Während sie davonlief, glänzten ihre halblangen braunen Haare in der Sonne wie flüssiges Gold.

Golden war auch das Fell dieses Vollblüters, der sich allerdings gerade unromantisch wiehernd und mit angelegten Ohren und Schaum vor dem Maul vor ihm aufbäumte. Das Tier sah vollkommen entsetzt aus, und der rotgesichtige Mann, der es zu bändigen versuchte, ebenso.

»Jetzt bringen Sie schon das Pferd weg«, knurrte Gottlieb. »So kann man doch nicht arbeiten.«

Der pummelige Kerl riss sich die Baseballkappe von den weißblonden Stoppelhaaren. »Der will das nicht. Ich soll mich nicht wegbewegen.« Er deutete auf Kriminalkommissar Hanno Appelt, der während des Disputs mit der Weidenbach eingetroffen war und nun mit einem Notizblock in der Hand die Umstehenden abklapperte. Wenn Appelt das Bleiben angeordnet hatte, dann hatte er einen Grund. Appelt war die Gewissenhaftigkeit in Person. Der geborene Polizeibeamte.

»Aber das Pferd, Hanno. Kann nicht jemand diesen Gaul entfernen?«, rief Gottlieb ihm zu.

»Bloß nicht«, rief Hanno zurück. »Der Pfleger sagt, er sei der Einzige, der mit dem Tier zurechtkommt.«

Endlich konnte Gottlieb einen Blick auf den Toten werfen. Ein schöner Mann, schoss es ihm durch den Kopf. Ebenmäßige Gesichtszüge, schwarze, gewellte Haare, völlig entspannt, mit einem versteckten Lächeln in den Mundwinkeln, als würde er schlafen oder mit diesem weich fließenden Wildlederanzug für ein Modemagazin posieren. Wenn da nicht das hässliche Messer wäre.

Mit einem Ruck drehte er sich zu dem Pferdepfleger um. »Kennen Sie den Toten?«

Der Mann nickte verängstigt. Seine wässrigen Augen irrten zwischen der Leiche und Gottliebs Knien hin und her. »Aber ich habe nichts damit zu tun«, näselte er.

»Das klären wir gleich. Kommen Sie mit.«

Energisch bahnte Gottlieb eine Gasse für das tänzelnde Pferd und den Pfleger. Hinter dem Boxendorf schlossen sich die endlosen Wiesen, Pferdekoppeln und die Maisfelder der Rheinebene an, die sich bis an die romantischen Erhebungen des Schwarzwalds erstreckten. Hoch über ihnen knatterte ein Hubschrauber. Dann war kein störender Laut mehr zu hören, nur das leise Schnauben und Kauen des Pferdes, das Summen von Bienen und Fliegen. Die Luft flirrte in der warmen Sonne, und ein Geruch nach warmem Heu und süßem Mais lag auf dieser ländlichen, friedlichen Stille. Zum ersten Mal fragte sich Gottlieb, warum er vor fünf Jahren in Baden-Baden oben auf der Höhe des Annabergs eine Wohnung gemietet hatte. Hier in der Rheinebene war das Panorama mit Sicht auf die malerische Bergkette zwischen Merkur und Fremersberg doch viel dramatischer als sein Blick aus dem Dachfenster.

Das Pferd entspannte sich zunehmend, vielleicht auch deswegen, weil der Pfleger ihm beruhigende Worte ins Ohr summte.

Genug der Idylle.

»Sie kennen also das Opfer? Und wem gehört das Pferd?«

»Rother Wind. Ich meine, Sonny. Ich meine – oh Gott, ja. Nein.«

Der Bursche war ja vollkommen durcheinander. Und eine Bierfahne hatte er auch.

»Wer ist Sonny?«

»Na, der Tote.«

Gottlieb sah in den Himmel und holte tief Luft. »Geht das genauer?«

»Christian Sonnefeld.«

»Und weiter? Alter? Beruf? Anschrift?«

»Aber ich war’s nicht. Ich schwöre! Ich kann es beweisen.«

»Später. Woher kennen Sie den Toten?«

»Vom Job.«

»Herrschaften, es reicht. Dies ist eine ernsthafte, offizielle Zeugenbefragung. Ich hätte gern ausführliche Antworten. Ihre Personalien, bitte.«

Es wirkte. Der kleine Pummel schluckte und riss sich sichtlich zusammen. »Udo Retzlaff, siebenundvierzig, Reisefuttermeister vom Gestüt Rothhof. Das gehört zum Reiterhotel Fröhlich in Staufen. Aber ich wohne seit drei Jahren in Köln, im Rennstall Hausmann, wo ich mich um Rother Wind kümmere.«

»Gut. Jetzt die Personalien des Toten.«

»Christian Sonnefeld, so alt wie ich. Gestütsleiter. Ehemann von Anna Fröhlich. Oh Gott, was mach ich nur? Wer sagt es Anna?«

Retzlaffs Augen liefen über. Er wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht, eine Bewegung, die eigentlich rührend kindlich war, wäre die Situation eine andere gewesen. Gottlieb musterte ihn streng. Rosiger Teint, weißblonde Haare und Wimpern, rundliche Wangen, Bierbauch, saubere Jeans, ärmellose graue Weste mit vielen Taschen, abgetragene Turnschuhe.

»Was ist passiert? Was haben Sie beobachtet?«

Retzlaff sah zu Boden. »Nichts. Ich war gar nicht da.«

»Wann haben Sie den Toten zum letzten Mal lebend gesehen?«

»Nach dem Hauptrennen.«

»Geht das präziser?«

»Vielleicht gegen vier? Hab nicht auf die Uhr gesehen. Wir haben verloren.«

»Was haben Sie zwischen dem Ende des Rennens und der Entdeckung der Leiche getan?«

»Wieso? Ich hab nichts damit zu tun.«

Gottlieb versuchte, seinen Ärger herunterzuschlucken. »Dann sagen Sie mir einfach, was Sie getan haben und wo Sie waren. Wir können das Gespräch auch auf der Dienststelle weiterführen.«

»Aber ich muss das Pferd versorgen.«

»Dann bitte!«

»Ich habe Rother Wind zum Abspritzen geführt und dann langsam abkühlen lassen. Nach einer Stunde war ich mit ihm an der Box. Und denn? Hab ich ihn abgerieben, Wasser aufgefüllt, aber noch kein Futter gegeben. Futter verträgt er nicht so kurz nach dem Rennen.«

Er tätschelte dem Pferd die Nüstern und betrachtete eingehend das Ohr des Tieres.

Gottlieb merkte, wie sein Hals zuschwoll. Musste er diesem Mann alles einzeln aus der Nase ziehen? »Und dann?«, brachte er in mühsam beherrschtem Ton heraus.

»Nichts. Ich habe mich ausgeruht. Ich durfte ja nicht weg. Wollte ich auch nicht. Ehrlich! Aber denn kamen die Jungs von Mainaue. Die hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.« Retzlaff sah zu Boden und scharrte mit dem Fuß.

Gottliebs Schläfen begannen zu klopfen. Was hatte der Bursche zu verbergen, dass er ihm nicht offen in die Augen sehen konnte?

»Ihr Alibi! Oder ich muss Sie festnehmen.«

»Ja, ja, schon gut. Die Jungs haben mich auf ein Bier mitgenommen. Wirklich, nur ein Bier, ich schwör’s.«

»Ich denke, Sie durften nicht weg?«

»Nach dem Rennen kommt kein Schwein zu den Boxen. Vor allem nicht zu den Verliererpferden.«

»Und dann?«

»Ein Bierchen, dachte ich. Warum nicht. Ist ja nicht weit.«

»Wo?«

»In der Kantine, da vorn. Höchstens zwanzig Minuten. Na ja, vielleicht auch eine halbe Stunde oder so.«

»Von wann bis wann?«

»Also, so genau …? Warten Sie. Fällt mir noch ein.«

Gottlieb holte entnervt Luft, und Retzlaff beeilte sich weiterzureden.

»Auf dem Rückweg kam uns Carlo entgegengerannt, Carlo Hausmann, der Renntrainer. Er war völlig fertig. Hatte Sonny gerade gefunden.«

»Und wie spät war es da?«

»Etwa Viertel nach sechs.«

»Sie sind dann zum Tatort gegangen?«

»Klar. Wir alle. Und da lag Sonny. Mit dem Messer in der Brust.« Retzlaffs Kopf sank noch ein Stück tiefer Richtung Boden.

»Ist Ihnen jemand aufgefallen?«

»N-nein.«

»Irgendetwas, das anders war als sonst?«

Retzlaff scharrte mit dem Fuß. »Ich, ich war viel zu aufgeregt. Musste ja rein und Rother Wind herausbringen. Schrecklich. Ich hab nichts verändert. Wollte nur das Pferd holen. Rother Wind konnte da nicht bleiben. Ist immerzu hochgestiegen, genau wo Sonny lag!«

Das klang eigentlich plausibel. »Zeugen für Ihr Alibi?«

»Na, die Jungs von der Mainaue.«

»Das werden wir überprüfen. Bleiben Sie bitte in Reichweite.«

»Wo soll ich denn auch hin. Aber was ist mit Anna?«

»Ich rede mit ihr. Wo finde ich sie?«

»Dorint-Hotel. Eigentlich war ein Tisch reserviert. Im Europäischen Hof. Aber zu feiern gibt es ja nun nichts … « Retzlaff sah auf Gottliebs Knie, dann zu Rother Wind, der mit sichtlichem Vergnügen an einer Distel knabberte.

Gottlieb beschloss, die Befragung zunächst zu beenden. Mit diesem Kerl würde er morgen früh weitermachen. Irgendetwas stimmte nicht mit dem, das spürte er ganz deutlich.

»Ich will Sie morgen auf der Dienststelle sehen. Zehn Uhr. Pünktlich, haben Sie mich verstanden? Und nüchtern, wenn es geht.«

Retzlaff nickte und strich Rother Wind erneut über die Nüstern. Selbst jetzt sah er an Gottlieb vorbei.

Gottlieb kehrte zum Tatort zurück. Der Mann, der die Leiche gefunden hatte, war nicht mehr da. Schock, hatte der Arzt festgestellt, nicht vernehmungsfähig, ein Fall fürs Krankenhaus. Nun gut, sollte Appelt hier weitermachen. Er würde als Nächstes die Witwe aufsuchen. Normalerweise gingen sie bei solchen Anlässen zu zweit, aber Gottlieb beschloss, eine Ausnahme zu machen, denn hier wurde jeder Mann gebraucht.

*

Lea war nicht zufrieden mit sich und ihrer Arbeit. Exklusive Geschichte, exklusive Fotos, sogar den Namen des Toten hatte sie, den würde die Polizei zum jetzigen Zeitpunkt niemals an die Öffentlichkeit geben.

»Klasse Aufmacher«, hatte Chefredakteur Götz Reinthaler sie eben im Vorbeigehen gelobt. »Diese Bilder sprechen für sich.«

Trotzdem. Ihr war es nicht genug. Sie brauchte Hintergrundinformationen. Andi ging immer noch nicht ans Telefon. Sie versuchte es, seitdem sie in der Redaktion war, jede Viertelstunde. Verflixt. Wusste er überhaupt schon vom Mord? Oder bummelte er am Ende ahnungslos durch das Kurparkmeeting und amüsierte sich? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Die Nachricht von Sonnefelds Ermordung würde unter den Insidern dort wie ein Lauffeuer die Runde machen.

Außerdem sah es Andi nicht ähnlich, nach einer Niederlage fröhlich das Glas zu heben. Halb neun. Sie beschloss, wieder zur Rennbahn zu fahren. Vielleicht fand sie Andi dort oder sonst jemanden, der sie mit Informationen für ihren nächsten Artikel versorgen konnte. Sie hatte ein ungutes Gefühl wegen Andi. Was war mit ihm? Warum meldete er sich nicht? War ihm auch etwas passiert oder war er mal wieder auf Tauchstation? Mit leisem Magen-grimmen stieg sie in ihren rotweißen Mini und brauste los, zurück nach Iffezheim.

Tod auf der Rennbahn

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