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1964

Wie immer hatte er nach der Schule die Hausaufgaben erledigt und war dann zu Schorsch in den Stall gegangen. Er half dem Alten jeweils, die Kühe zu versorgen, und oft erledigte er allerhand weitere Arbeiten. Der Alte war froh über seine Gesellschaft und seine Arbeitskraft und verdankte ihm seine Unterstützung häufig mit einem Abendessen.

So auch an diesem Tag. Johanngeorg schaute daheim kurz in der Gaststube vorbei, um seiner Mutter gute Nacht zu sagen, doch sie war nicht da. Sie sei mit dem Chef ins Tal gefahren, um Besorgungen zu machen, und noch nicht zurück, sagte die Chefin. Das war nicht aussergewöhnlich, und Johanngeorg ging hinauf in sein Zimmer.

Als er am nächsten Tag aufstand, war das Bett seiner Mutter leer. Er wusste sofort, dass eine Katastrophe über ihn hereingebrochen war. Die Welt schien stillzustehen, alle Geräusche verstummt.

Die Wirtin überbrachte ihm die schreckliche Nachricht. Seine Mutter sei gestern unten im Ort von einem besoffenen Autolenker angefahren worden. Der Wirt sei mit ihr ins Spital nach Schiers gefahren und habe einige bange Stunden in den Gängen der Klinik verbracht. Er habe inniger gebetet als je in seinem ganzen Leben, doch Gott erhörte ihn nicht. In der Nacht hätten ihn die Ärzte von ihrem Tod unterrichtet.

Johanngeorg starb ebenfalls. Er stürmte aus dem Haus und rannte den Berg hinauf, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach. Er krümmte sich vor Schmerz, weinte, übergab sich, schrie. Irgendwann schlief er ein vor Erschöpfung.

Im Morgengrauen ging er zu den Kühen in Schorschs Stall. Dieser fand ihn, als er mit dem Melken beginnen wollte. Er versuchte, den Jungen zu trösten, redete mit ihm, doch Johanngeorg war erstarrt. Er sprach nicht, weinte nicht, reagierte nicht. Sein Körper funktionierte, doch er war unerreichbar.

In den kommenden Wochen beriet man im Dorf, was mit ihm geschehen sollte. Die Wirtsleute waren nicht erpicht darauf, einen Esser mehr am Tisch zu haben, sie sorgten bereits für zwei ledige Onkel, die bei ihnen lebten. In der Familie von Joggel, seinem leiblichen Vater, gab es ebenfalls keinen Platz für ihn. Vorübergehend lebte er bei Schorsch, doch auf die Länge ging das nicht, Schorsch war zu alt, um sich um ihn kümmern zu können.

Schliesslich bahnte sich eine Lösung mit einem kinderlosen Paar in einem der Nachbardörfer an. Die Eheleute nahmen Johanngeorg auf und bemühten sich, ihm ein neues Daheim zu geben. Ein unmögliches Unterfangen. Wie konnten diese beiden schweigsamen Leute, die ihn niemals an sich drückten und nur selten mit ihm lachten, seine fröhliche, herzliche, lebensprühende Mutter ersetzen?

Als Johanngeorg nach drei Monaten immer noch kein Wort gesprochen hatte, begannen die Eheleute zu resignieren. Sie liessen ihn weiterhin bei sich wohnen und begegneten ihm mit Wohlwollen, doch die Hoffnung, dass er den Platz eines eigenen Kindes einnehmen könnte, gaben sie auf.

Tod am Piz Beverin

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