Читать книгу Abyssarion - Robert Grains - Страница 11
Sternenlicht
ОглавлениеFinster sind die Wege an diesem Ort. Wo er sich befindet, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Ist er ein Teil der mir vertrauten materiellen Welt? Treibt er, von unbekannten Mächten bewegt, lautlos durch das kalte All, fern den wachenden Augen irdischer Astronomen? Falls ja, wenden sie ihre verwunderten Blicke möglicherweise bewusst ab? Wer weiß. Ist es vielleicht das geodengebärende Innere unseres Heimatplaneten oder gar die neptunische Tiefe des Pazifiks, die diese hohen, langen Korridore, durch die wir uns wie von kaltem Sternenlicht illuminiert langsam voran bewegen, beherbergt? Vielleicht werde ich es schon bald erfahren, denn ganz offenbar ist es kein Traum, in dem ich mich hier wiederfinde.
Der Himmel steh mir bei! Einzig meine Augen gehorchen noch meinem Willen, der Rest des Körpers befindet sich anheim der Gnade einer anderen, unbekannten Macht. Meinen beiden kuttenverhüllten, gnomenhaften Begleitern kann meine Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, doch sie scheint sie nicht zu stören. Ich habe Vertreter ihrer Art bereits zuvor flüchtig wahrgenommen. Ja, verholen, scheu, die Schatten unserer Welt ihre Heimat nennend, wachend, beobachtend, einen jeden Gedanken und einen jeden Schritt aus den dunklen Winkeln menschlicher Behausungen heraus messend, unsere Hilflosigkeit während eines tiefen Schlafes ersehnend; sie eskortieren mich durch diese widernatürliche Szenerie.
Eigentlich sollte ich mich fürchten, doch auf enigmatische Weise erscheinen mir die finsteren Wunder dieses verborgenen Reiches vertraut. Immer wieder passieren wir weitläufige Ebenen altarbestandener Operationssäle. Der rote Dunst enthemmt hervorbrechender Fontänen frischen Blutes und ein steriler Glanz fremdweltlichen Lichtes umgeben die darin befindlichen, bei lebendigem Leibe sezierten Opfertiere. Stich auf Stich, Schnitt um Schnitt; ein jeder Hieb, ein jeder Stoß präzise ausgeführt von den filigran grotesken Chirurgenklauen einer fremden Ordnung. Sodann reflektiert sich ein ominöser Schein auf den tiefschwarzen, starren Facettenaugen meiner Begleiter. Sind diese ölig schimmernden Oberflächen das Tor zu einer geheimnisvollen Seele? Von welchem Geist geben sie Kunde? Inkarnierte er unter einem wolkendurchzogenen Himmel, auf einer Erde lebendiger Vegetation, oder erwiesen sich vielmehr die letzten Funken erlöschender Großgestirne als Zeugen seiner künstlichen Geburt? Über welches bemitleidenswerte Geschöpf legten die namenlosen Götter der frühen Erde einen tiefen Schlaf, als sie die gebrechlichen Chimärenhüllen jener Kreaturen aus dessen Fleische schlugen?
Wie von Geisterhand unablässig beschirmt und geleitet geht es weiter voran. Mein erstarrter Leib schwebt ein Stück über dem poliert schimmernden Metallboden dieses sinistren Sanktuariums technomagischer Wunder. Ist dieser Ort zu heilig, als das meine blanken Fußsohlen ihn berühren dürfen? Welche in smaragdfarbene Seide gehüllte Verkörperungen galaktischer Prinzipien schreiten für gewöhnlich in stofflicher Form durch seine geheimen Korridore? Welcher Spiritus Loci bewohnt die hohen Kuppelsäle, deren fluoreszierende, rostbefallenen Wände die Formen unbeschreiblicher Dinge und pervers wirbelnder Phantasmagorien unheilschwanger vor mir abzeichnen?
Der Geruch faulenden Holzes begleitet unser Vorankommen unpassend, und ich wundere mich ob der sich in meiner Wahrnehmung flüsternd manifestierenden Geistertöne dunkelkosmischer Choräle. Wie so viele andere in dieser Nacht Entrückte, deren halbparalysiert zuckenden Kolonnen wir von Zeit zu Zeit zügig passieren, trage auch ich das weiße Pilgergewand der ungefragt Erwählten, der Gezeichneten, derer, die die aufgebrauchten Erden ferner Gestirne, die entseelten Lebensplantagen einer feenhaften Gegenwelt, auf ein Neues mit der kosmogonischen Glut adamitischer Saat tränken. Von Zeit zu Zeit erwacht einer der irdischen Schicksalsgenossen zu einem rasch vergehenden Anblick schrecklicher Verwunderung, gefolgt von epileptischer Panik. Die riesigen Glotzaugen der die Menschenprozession flankierenden Akolythenwächter dieses dunklen Reigens zwingen ihm erneut und mit Leichtigkeit den unbegreiflichen Willen in ferndimensionalen Onyxbasiliken residierender Sternenfürsten auf. Falls etwas von dem traumatischen Erlebnis in seinem Verstand überdauern sollte, sodann als der verschleierte Abglanz eines launigen Nachtmahrs. Nie gekannte Furcht wird sein irdisches Sein fortan subtil begleiten. Das dämonenbannende Licht eines trügerischen Tages dient von nun an bloß noch der zynischen Verkündigung einer ruhelosen Nacht. In ihren Schatten, wenn sich die vernarbte Oberfläche des wissenden, doch ewig versiegelten Mondes in all ihrer bedrohlichen Pracht vor einem sternenklaren Firmament offenbart und jener Pilger seinen fragenden Blick in Richtung des flirrenden Polarsterns wendet, wird er versuchen sich zu erinnern – vergebens …
Das Ziel der unfreiwilligen Reise ist mir noch nicht offenbar, als ein riesiges äffisches Vieh eine mit aufwendigen blauen Bodenreliefs geschmückte Wegkreuzung knurrend versperrt. Unter den starren Blicken meiner stummen Eskorte gibt es schließlich den Weg frei; die fellbewährten Klauen voll des getrockneten Blutes nächtlicher Streifzüge inmitten der tannenbestandenen Jagdgründe irdischer Reservate.
Wir wenden uns nach rechts. Die meisten der an diesen spärlich beleuchteten Gang anschließenden Ebenen zeigen sich von spiegelnden, tresorartigen Schotts hermetisch verriegelt. Vorerst ist es mir nicht gestattet, mehr zu sehen. Oder etwa doch? Durch die ganz offenbar flüssige Oberfläche einer merkwürdig pyramidalen Pforte gelangen wir in einen hohen, gewölbeartigen Raum. Die Architektur dieses von einer erdrückenden Schwingung durchzogenen Ortes gemahnt an die ehrfurchtgebietenden Formen der Antike, und im Schein unregelmäßig angebrachter Oberlichter werde ich einer Gruppe junger, halbentblößter Frauen im Angesicht eines emporragenden, vielbeinigen Gottes gewahr. Zwergenhafte, gebrechliche Leiber halbmenschlichen Antlitzes werden einer jeden der Versammelten von behutsamen, bizarrgliedrigen Insektenklauen an die empfindsame Brust gelegt. Hier ist es, dass die Erdentöchter, die gezeichneten Bräute ewig unsichtbarer Gemahlen, in der weit ausstrahlenden Gegenwart eines Hohen Alten der kosmischen Brut einer neuen Welt den flüchtigen Segen mütterlicher Liebe, die Kommunion des anbrechenden Äons spenden.
Kurz verharren wir …
Dann neigt sich das diamantförmige Haupt des fangschreckenähnlichen Etwas mechanisch in meine Richtung, und vereinnahmt von den hypnotischen Mantisaugen dieses chitingewordenen Demiurgen entflammt mein Bewusstsein im neonfarbenen Chaosbrand einer flüchtig vor mir ausgebreiteten häretischen Kosmogonie!
Bald schon wird meine Reise ein Ende finden, dem bin ich mir nun ebenso gewiss wie der sehnsüchtigen Liebe jener Mütter, die die zeitlosen Distanzen galaktischer Abgründe in der Hoffnung auf jenen Tag überdauern wird, an dem verlorene Töchter und Söhne in schwarzschimmernden, sigillengeschmückten Himmelsbarken aus Richtung unbekannter Sternenkonstellationen auf eine transformierte Erde hinabsteigen werden.
Kälte umfängt mich, als ich weiter voranschwebe. Meine Begleiter? Sie sind verschwunden! Die Gänge werden schmaler, werden dunkler. Geisterhafte Nebelschwaden, halberstorbenes Sternenlicht, ein statisches Summen, ein Raunen. Kosmischer Lobpreis aus den uralten Kehlen hochmächtiger, die Finsternis ruhelos durchwandelnder Nephilimgeister lässt mein bereits kosmostrunkenes Bewusstsein in ekstatischer Verzückung glimmen. Bald schon gewinne ich die Kontrolle über meinen Körper, der Bann scheint gebrochen. Doch wohin soll ich mich wenden? Man lässt mir keine Wahl! In der allgegenwärtigen Dunkelheit taumele ich angestrengt vorwärts, in Richtung des geringen, wenngleich unübersehbaren Scheins am Ende eines heruntergekommenen Ganges. Dieser modrige Geruch, diese Klänge, wo soll dieser unerhörte Pilgerpfad enden?
Man hat mich bereits erwartet …
Als ich den hell erleuchteten weißen Saal betrete bemerke ich ihre einschüchternden Präsenzen zu meiner Linken, doch würdige ich sie keines Blickes. Zu sehr zieht der massive flüssigkeitsgefüllte Container in der Mitte des Raums meine Aufmerksamkeit auf sich. Dahinter, getrennt durch eine glasähnliche, schimmernde Barrie: Myriaden funkelnder Sterne, die tiefe Schwärze des ewigen Alls, planetare Ansichten in all ihrer Herrlichkeit. Doch dieser Behälter, dieser einer von nie geschauten Abysskardinälen geweihten Wolfsblutmonstranz gleich dekadent präsentierte, mit perversen Schläuchen und irre blinkenden Anzeigen versehene, furchtbare Behälter! Darin ekelhaft blass, embryohaft treibend … Ich … Mein Körper, mein Fleisch – in identischem Alter, von gleichem Wuchs. Wie ist das möglich? Während ich voll Entsetzen in Richtung der geschlossenen Augen dieses blasphemischen Albtraumklons starre, in enthemmter, panischer Furcht ob einer widernatürlichen Regung des mich zutiefst schockierenden kahlen Wechselbalgs, bemerke ich eine geschuppte, krallenbewehrte Pranke eisig auf meiner linken Schulter ruhen. Der Klang der sich anschließenden, mich zutiefst verstörenden, menschliche Laute boshaft nachäffenden Stimme werde ich niemals, so lange ich denken kann, vergessen. Sodann drängt mich das schuppige Etwas in Richtung einer aus dem Container seitlich auf Kopfhöhe hervorragenden, übel geformten spinnenartigen Apparatur.
Moment … Nein! Was?
– Oh Gott, dem Himmel sei Dank! –
Welch Gnade wird mir zuteil, als ich plötzlich und über alle Maßen verschreckt aus diesem bizarren Albtraum erwache. Ungelenk ringe ich nach Luft. Wieviel Uhr ist es? Von Draußen dringt kein Licht durch die Jalousie. Benommen taste ich umher; dies ist meine Wohnung, ja, ganz gewiss. Wo auch immer ich mich befand, ich bin zurückgekehrt – lebendig! Ein bösartig luzider Traum, eine unerhört abartige Vision, doch mein Körper schmerzt. Diese Kälte, dieser merkwürdige Geruch … Taumelnd umherfallend, den Lichtschalter mühsam ertastend und erst beim zweiten Versuch betätigend, stolpere ich aus dem Schlafzimmer quer über den Flur ins Bad.
Ich weiß nicht mehr, ob ich geschrien habe, oder ob der wahnsinnige Klagelaut aus jener trockenen, unverbrauchten Kehle stumm in den inneren Sphären meines gepeinigten Wesens erstarb. Ich weiß nicht, wie lange ich ungläubig in das blanke, leichenblasse Gesicht gestarrt, wie lange ich irre kichernd die Tiefe jener Augen erforscht habe, die mir im Spiegel gespenstisch entgegenfunkelten – sie waren verändert. Sind diese empfindsamen Oberflächen nicht das Tor zur Seele?
Doch, gewiss …
Und letztendlich, nach einer ewigen Weile, bereits fernab von Zeit und Raum, dort am Grunde meines Seins, die perlmutfarbenen Tore der Wahrnehmung berstend zerstoßend und durchschreitend, jenseits der mondlichtbeschienenen Brandungen mitternächtlicher Traumoasen, sah ich es! Sah ich seine irremachende verherrlichte Form, sah ich die sich ewig windende, umherschlagende, blind blökend nistende Inspiration vorsintflutlicher, myzelverseuchter Götzenpriester im schattenlosen Brennpunkt einer geisterhaften Innenschau, und alle Existenz beklagend, gemahnte ich mich schaudernd jener gnadenlos finster zischenden Stimme inmitten der verborgenen Thronwelt gefallener Götter, nahe den Bestiariumshallen kuttenverhüllter, facettenäugiger Hofzwerge, im weihenden Schein ewig dunklen Sternenlichts:
»Tritt vor! Ohne deine Seele kann es nicht leben.«
Wahrlich, finster sind die Wege an diesem Ort. Sie sind Teil der mir vertrauten materiellen Welt, und von nun an werde ich sie niemals mehr allein beschreiten.