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Der Träumer erwacht

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Ich war nicht erwacht! In der Tat, ich befand mich noch immer hier. Hier, an jenem gottverlassensten grausigsten Ort, dessen Pfade zu beschreiten mir nie lange gestattet war. Die anderen Träumer, sollten sie nur ansatzweise so glücklich und mutig wie ich gewesen sein, hatten diese Sphäre offenbar bereits verlassen, und auch von jenen tanzenden, kaum greifbaren Phantomen aus den höheren Dimensionen des Seins zeugten bloß noch absinthfarbene Plasmanebel, die sich langsam aber sicher zwischen den schroffen Felsen und den silbrig schimmernden Wucherungen knorriger Meeresvegetation inmitten dieser finsteren, archaischen Tiefe auflösten.

Es war entschieden, ich weilte nun ebenso verlassen wie bewusst in seiner Gegenwart, ich existierte fortan wahrhaftig in seiner Nähe! Würde es mir heute Nacht tatsächlich gelingen, seine Behausung, jenes Gefängnis, den geheimen Herrschaftssitz, von dem aus er die Seelen der Empfindsamen mit Träumen und Trugbildern speist, zu schauen? Würde mein wahnsinniger Wunsch letztendlich Realität werden? Möglicherweise, denn ich war noch immer nicht erwacht, seine Präsenz hatte mich nicht zurück in meinen Körper gedrängt.

Ja, er musste hier sein, und wenngleich die bloße Ahnung seiner Anwesenheit mich in der Vergangenheit bereits nach wenigen Sekunden aus dieser Ebene der Traumlande herauskatapultiert hatte, so schienen die Konstellationen und ihre Genien dieses Mal gnädiger zu wirken, und möglicherweise beobachteten jene klandestinen Majestäten die fragwürdigen Pfade meines abenteuerlichen Herzens gar wohlwollend.

Diese seltene Möglichkeit wusste ich zu schätzen, und während ich mich durch die lichtferne Tiefseeströmung achtsam vorwärtstastete, bemerkte ich, wie der von toten Schalentieren und versteinerten Urwesen reich übersäte Pseudoweg, einem oberirdischen Gebirgspfad nicht unverwandt, anstieg und beide Seiten dieser unlängst über einer unauslotbaren Tiefe verlaufenden Passage nun von beeindruckenden kobaltblau schimmernden Zeugen der frühesten geologischen Erdzeitalter flankiert wurden. Aus den Augenwinkeln nahm ich unter Bemühung einer höchst fragwürdigen Geometrie in den blanken Stein jener Felsmassive getriebene, mit wilden Runen und phantastischen Sigillen geschmückte Grabkammern wahr, in denen menschengroße, den Nautilusschalen ähnelnde Panzer seit Äonen von dezent neonfarbenem Glanze umschmeichelt ruhten. Wie von einer elementaren Schwingung erfasst, spürte ich eine magnetische Schwere meine Schritte bannen, und ich nutzte die Arme, um mich wenig elegant, jedoch zielsicher voran zu kämpfen. Zweifelsohne existierten hier Ansichten und Dinge, die durch chthonische oder kosmische Zauberkünste, die Absichten höherer Mächte, verborgen blieben, und wahrlich, in solch einer bizarren Sphäre offenbaren sich dem Traumpilger nicht bloß Erscheinungen, die er kraft seines Geistes zu ertragen vermag. Viele der stygischen Ossarien würdigte ich dies bedenkend keines Blickes, zu verheerend könnte eine genaue Betrachtung des Sternengezüchts sein, das unseren Planeten in dessen frühesten Tagen aus Richtung dunkler Sterne drängend heimsuchte.

Der Umstand, dass ich mich länger als jemals zuvor zwischen den unberührten Geheimnissen dieser morbiden Umgebung aufzuhalten vermochte, würde mir im Austausch mit anderen Schwärmern quer durch die Galaxie gewiss einen guten Ruf einbringen. Diese Methode stellte ohnehin die einzig sinnvolle dar, um sich dem Gefängnis des Großen Alten zu nähern. Auf materielle Weise, soviel stand fest, würde man Vergleichbares kaum zu Stande bringen. Wohlgemerkt ich vermutete, dass einige der anonymen Weltenlenker von ebenjener blasphemischen Stätte wussten und das sie bei dem verrückten Gedanken erschauderten, ein Schiffbrüchiger könnte mit einem bereits vor wahnsinniger Todesangst enthemmt halluzinierenden Verstand dereinst unter seltenen Konstellationen die zyklopische Gruft in den Tiefen des Pazifiks erblicken und somit für ewige Inkarnationszyklen unnahbar entrückt werden, die luftleeren Spannen zwischen den Gestirnen fortan wie ein schillernder Sepiengott höhnisch geifernd durchgleitend …

Ich hatte den Pass fast hinter mich gebracht und war zuversichtlich, dass die nahende Höhe den Blick auf das gewähren würde, nach dem ich mich zu Tageszeiten so ungesund verzehrte und um dessen Willen ich den Schlaf von jeher dem Wachen vorzog. In den sagenumwobenen Tavernen der vertrauten Traumlande, aber auch an den Versammlungsorten jenseits der Echofrequenzen der saturnischen Ringe, raunten erfahrene Psychonauten, Traumpilger und die Abgesandten interstellarer Großwesire gleichsam ehrfürchtig eingedenk der Unheil bedeutende Möglichkeit, des Nachts in ebenjener sinistren Sphäre entkörpert zu stranden. Auch wenn der dunkle Demiurg durch barbarische, vorsintflutliche Macht gebunden in einer hochmagischen Hibernation gefangen lag, so sorgte oftmals bereits das Sinnieren über die Nähe seiner unbeschreiblichen amorphen Hülle für ein traumzerreißendes Entsetzen.

Wenige Erwählte, zu denen ich mich stolz zählte, wollten aller Warnungen zum Trotz seinem titanischen Tempelgefängnis ansichtig werden, und auch wenn wir nicht wirklich wussten, wie es gelingen konnte, im wirkmächtigen Bannkreis des Ewigen Träumers gefangen und hinabgezogen zu werden, so vermochte von Zeit zu Zeit doch ein beneidenswerter Eiferer mehr durch die subtilen Ausstrahlungen seiner innersten Wünsche, denn durch spezielle Anrufungen oder äußere Einflüsse in jene Tiefe vorzustoßen.

Obschon meines physischen Leibs entledigt, spürte ich eine grobstoffliche Furcht aufgrund der Anwesenheit der todlosen Garde, von deren Existenz ich auf einem der leprösen Monde von Y'ing Kunde vernommen hatte. Denn nun, da ich das Martyrium meines mühsamen, von subaquatischen Beinhäusern flankierten und von versteinerten Megalodonknochen sowie unbeschreiblichen Dingen gesäumten Aufstiegs fast beendet hatte, erspähte ich in der bläulich kochenden Schwärze die ehrfurchtgebietende Silhouette eines kolossalen Basaltturms. Während meine verfeinerten Sinne in der subatomaren Kälte vor furchtsamer Pein beinahe vergingen, triumphierte mein Innerstes aufgrund des seltenen Glücks, das diese Reise augenscheinlich begleitete: der flache Abschluss des Monumentalbaus war leer – unbesetzt! Einer der Fünf befand sich nicht auf seinem Posten. Ehrliche Dankbarkeit ob dieser vortrefflichen Gnade flutete mein Gemüt, als sich die Umrisse vier baugleicher Türme langsam aus der schleierschwarzen Schattensphäre schälten und zu erkennen gaben, dass die Schau jener auserkorenen Prätorianer mein Bewusstsein in dieser schicksalshaften Nacht nicht herausfordern würde. Wie gesagt kannte ich die Fabeln über die fünf Großoktopoden, deren von Linsenaugen überwucherten Köpfen üble Fächer rüsselartiger Fangtentakel entsprangen, mit denen sie sich zu Zeiten der alten Herrschaft im Wasser, auf dem Land und gleichsam scheußlich elegant in der Luft fortzubewegen wussten. Jene halb unsichtbaren, die Gräben der Weltmeere mit selbst den Leviathan schreckenden Strömungswirbeln speisenden Sternenbestien waren das letzte Geleit des Großen Einen gewesen, und ihre Wacht, das stand außer Frage, war unerbittlich. Wie alle Vertreter ihrer Rasse waren sie im Stande, die grobstoffliche Realität parallel zu der sie bedingenden Astralwelt in einem für Menschen nicht ansatzweise nachvollziehbaren Farb- und Lichtspektrum wahrzunehmen; Vergangenheit, Gegenwart sowie den flüchtigen Hauch einer möglichen Zukunft gleichzeitig erfassend.

Ihre Präsenz bedeutete Gefahr, selbst für jeden noch so vorsichtigen Wallfahrer. Wenn auch … Ja, wenn auch mir diese Prüfung ganz offensichtlich erspart blieb. Welch Glück, denn wusste ich doch über jeden Zweifel erhaben, dass bereits ein Augenwinkelblick auf einen der phantasmagorischen Cephalopoden mich aus diesem Traum wieder zurück in die Welt der Tristesse katapultiert hätte. Anstatt Umzukehren oder bewusst aufzuwachen, beendete ich den zehrenden Aufstieg, um vom Scheitelpunkt des Tiefseegebirges, einem flachen Plateau, in ein jeder Beschreibung spottendes Tal zu blicken. Aus diesem sichelförmigen Becken, das sich in finsterer Herrlichkeit majestätisch vor mir auftat, erhoben sich die archaischen Basaltkonstruktionen, auf denen die Schreckensgarde für gewöhnlich ihre ruhelose Wacht hielt, und am Grund der Irrsinnsansicht erspähte ich von lunar schimmernden Planktonschleiern illuminierte Fassaden zahlloser tempelartiger Gebäude und Ausformungen einer urbanen Architektur, die sich jeder kulturhistorischen Einordnung entzog. Die Szenerie, die sich mir Gesegnetem…, mir Verfluchtem hier präsentierte, war nicht mit den Worten entwickelter Säugetiere zu beschreiben, und jeder Versuch es zu vollbringen, musste bereits an der Absicht scheitern, etwas so …

Doch was war das? Als mein überwältigter Blick, alle Gefahr für mein Sein ignorierend, durch das Albtraumtal voll der Inspiration eines jeden Surrealisten streifte, erkannte ich inmitten des seine Ausdehnung definierenden urzeitlichen Gebirgsmassivs die markante Ruine eines gewaltigen, einst säulenflankierten, von Algen und Moos überwucherten Flachbaus unnatürlichster Geometrie! Ja, diese fiel mir auf, und zugleich auch jene wie durch eine gewaltige Explosion verursachte Höhlung, jene Grauen verheißende, die das vormals versiegelte Portal zu diesem ältesten aller Kerker hatte kollabieren lassen. Unerhört große Monolithe und groteske Steinquader lagen wild über den Meeresboden verstreut und zwischen seinem jüngst aufgewirbelten Dunst zitterten ungesund leuchtende Seekreaturen nebst amorphen Ausgeburten des Abyss enthemmt und tonlos blökend umher.

Als sich dann die Silhouette eines ausgewachsenen Pottwals vor dem vor materialisierter Lichtlosigkeit triefenden Loch in der Mauer des Urzeit-Artificiums abzeichnete und dabei auf eine erbarmungswürdige Weise winzig anmutete, fiel ich aufgrund der sich andeutenden wahrhaftigen Größe des Träumers in R'lyeh von Schrecken und Ehrfurcht geleitet auf die Knie. Die Kälte einer erloschenen Sonne hüllte mein Wesen in einen Mitternachtsschleier unerhörter Gnosis und ich fürchtete in jenem Moment mehr als zuvor um meine seelische Unversehrtheit, denn ich wusste, ich blickte geradewegs in ebenjenes zerstörte Tempelgefängnis, das von unbekannten Händen einst mit dem hochheiligen Zweck errichtet worden war, den Hohepriester der Großen Alten in hermetischen Kammern tief unter dem irdischen Meer zu binden. Und während ich aufgrund dieser mitleidlosen Offenbarung, von seelenschlachtendem Schrecken verheert, in die tiefschwarze Leere zwischen mir und der Ewigkeiten entfernten Wasseroberfläche starrte, in Panik ob der sich anschließenden Schlussfolgerungen meiner Entdeckung, erbebte mein innerstes, unberührbares Wesen durch die Klänge goldbeschlagener Elfenbeinposaunen, denen sich der grausigste Todesschrei anschloss, der jemals zwischen den irdischen und den transsaturnischen Traumlanden gehört worden war. Aus wild wirbelnden Gedankenfetzen drangen Teile eines Gedichts von Alfred Tennyson in mein verblassendes Bewusstsein und ein sich gleißend ergießender Strahl, dem Licht einer Supernova gleich, hüllte die Tiefe des Abgrunds in feurigen Bernsteinglanz und spaltete die uns bekannte Schöpfung in einem jedwede Gewalt der Elemente auflösenden, allesbereinigenden Flammenkataklysmus aus hochheiliger Zerstörung und glorreicher Verheißung auf Neuerschaffung.

Ein Traum …

Von dem jene Erinnerung unauslöschlich bleibt, in dem Kopf eines nun plötzlich und verängstig Erwachten, weit außerhalb der alten Erde und jenseits des tiefen Meeres, das nun nicht mehr ist und niemals mehr sein wird.

Abyssarion

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