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5. Ökonomisierte Bildung: zeit- und aufwandkomprimiertes Studieren

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Beschleunigtes Studieren ist kein Betriebsunfall des Systems.

Das Modell des Turbo-Studenten mag in seiner Erscheinung ein neues, sogar provozierendes Bild im hergebrachten Studiensystem sein. Als exemplarischer Ausdruck vorhandener Tendenzen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung bildet das beschleunigte Studieren jedoch nur einen dynamischen Vektor von vielen. Beschleunigung ist seit den neuen Medien des elektronischen Zeitalters keine Domäne mehr der Technik, sondern ein alle Lebensbereiche berührendes Phänomen postmodern entwickelter Industriegesellschaften. Es ist mit anderen Worten kein Betriebsunfall in dem durch die Bologna-Reform scheinbar schon reformierten europäischen Bildungssystem. Wir plädieren vielmehr dafür, im neuen Schnellstudenten einen Präzedenzfall zu erkennen, an dem sich etablierte Strukturen auf ihre Zeitgemäßheit hin bemessen lassen. Das zeit- und aufwandoptimierte Studium rückt in den Fokus alternativer, reformfreudiger und zukunftsorientierter Bildungsstrategien.

Eine solche Sichtweise ist nicht ohne Folgen für das Gesamtsystem »Bildung«, das von Erziehung über die Ausbildung bis hin zur Hochschulbildung reicht. Wenn es die Aufgabe des Bildungswesens ist, den Einzelnen auf einen wirtschaftlich autarken Lebensweg und auf eine verantwortliche Rolle im gesellschaftlichen Leben vorzubereiten, kann man gerade dem Schnellstudierenden nicht absprechen, eben dieser Verantwortlichkeit gerecht zu werden. Indem das Turbo- Studium zu erhöhten Organisations- und Arbeitsleistungen (kraft des eigenen Entschlusses) zwingt, stellt es de facto eine Verfrühung der Berufsbefähigung da. Die damit geleistete Vorbereitung ist keine solche, die zu beruflicher Träumerei und überzogenen Erwartungshaltungen an das Erwerbsleben verführt. Sie ist im Gegenteil eine solche, die auf eine durchökonomisierte Lebens- und Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts vorbereitet und ein Fundament der persönlichen Lebensgestaltung bietet.

Ohne Ehrgeiz, Neugier und Fleiß geht es nicht.

Wissensanhäufung, Wissenskonsum mit dem einzigen Zweck gut benoteter Abschlüsse sind in diesem Modell nicht relevant. Es geht vielmehr um zunehmend schnelle Anpassungsfähigkeiten, Flexibilität und vielfältige Einsetzbarkeit unter sich verändernden, in der Regel unsicheren Entfaltungsbedingungen. Ehrgeiz, Neugier und Fleiß, ohne die ein Turbo-Studium nicht zu haben ist, stabilisieren diese Haltung. Man sollte sich diese Kompetenzen vor Augen führen, ehe man der viel zitierten Formel der (verschrienen) ökonomisierten Bildung – als vorgeblicher Überantwortung von akademischer Autonomie an den Bereich der Wirtschaft – pauschal zustimmt.

Die im Turbo-Studium geleistete Arbeit des Wissenserwerbs stellt nicht nur (wie die Ausbildung) eine Berufsqualifikation dar, für die ein utilitaristischer Wissenserwerb mit fachspezifischen Verengungstendenzen charakteristisch ist. Sie leistet als motivierte Selbstorientierung im Studiensystem vielmehr einen wertvollen Beitrag zu jenem Kanon von Befähigungen, den auch die Verfechter altehrwürdiger humanistischer Bildungstradition als den Kern des Bildungsbegriffs betrachten: das Trainieren der Fähigkeit grundlegender Orientierung in der Wirklichkeit.

Im zeit- und aufwandökonomischen Turbo-Studium also eine Verfehlung der alten hehren Bildungsziele erkennen zu wollen, verrät nach unserer Auffassung daher mehr über die persönliche ideologische Orientierung an einem überkommenen humanistischen Bildungskanon als die Einsicht in gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenzen.

Mit dem hohen Grad der Selbstorganisation, den Turbo-Studierende sich abverlangen, übernehmen sie frühzeitig Verantwortung für ihr Handeln, gerade weil sie nicht von einem von ökonomischen Zwecken befreiten Bildungsbegriff ausgehen. Gelingt ihnen das nicht, scheitern sie. Im Wissen um diese Möglichkeit entwickeln sie ungeahnte Kräfte, entfalten sie – maßgeblich in der Teamarbeit – schier unglaubliche Motivationsreservoire. Sie trainieren also Fähigkeiten des »Überlebens« unter erschwerten, weil beschleunigten und beschleunigenden Bedingungen.

Keine unüberbrückbaren Abstände zwischen Theorie und Praxis

Die Vorteile eines Turbo-Studiums lassen sich außerdem mit Blick auf die in diesem Studienmodell erworbenen Zusatzqualifikationen benennen. Durch die pragmatische und funktionale Grundausrichtung studieren Turbo-Studenten der Sache nach so, dass zwischen Theorie und Praxis keine unüberbrückbaren Abstände entstehen. So weit wie möglich steht die Verwendbarkeit des Wissens im Vordergrund. Und so weit wie möglich richtet sich der Blick innerhalb des Studiums auf die Möglichkeiten unternehmerischer Selbstständigkeit. In diesem Vorgriff auf die Anforderungsprofile des Erwerbslebens werden faktisch Anpassungen von Wunschvorstellungen an ökonomische Realitäten trainiert. Ebenso trainiert wird jener unternehmerische Ehrgeiz, der sie im Feld des freien und harten Wettbewerbs zu aussichtsreichen Kandidaten des wirtschaftlichen Erfolgs macht. Damit aber leisten sie einen wesentlichen Beitrag gerade zur Ausbildung einer Anpassungsmentalität an Herausforderungen, wie sie das Erwerbsleben nicht erst seit der Globalisierung zur Genüge branchenübergreifend kennt. Das Modell »Turbo-Student« schützt also nicht nur vor der Gefahr eines verspäteten Berufseinstiegs. Es könnte viele auf Bildung Setzende auch vor jenem freien Fall bewahren, der bis heute unzählige hochgebildete und überqualifizierte Akademiker in ganz Europa an den Bettelstab der staatlichen Fürsorge bindet. Vor diesem Hintergrund, so glauben wir, kann das viel zitierte Gespenst einer Ökonomisierung der Bildung seinen Schrecken verlieren – auch und gerade für die Befürworter traditioneller Bildungsauffassungen.

Die Turbo-Studenten

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