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Die Eurokrise
ОглавлениеMoskau, ein sonniger Tag Ende Mai 2011: Nach getaner Arbeit könnte man wunderbar in einem der großen Parks spazieren gehen, einen Bummel über den Arbat machen oder sonst wie die Seele baumeln lassen. Stattdessen versammelte sich ein vergleichsweise großer Teil der deutschen Gemeinde in einem geräumigen Saal, um Ausführungen von Ex-Außenminister Joschka Fischer zur Eurokrise zu lauschen. Fischer zeigte sich als überzeugter Europäer und vertrat offensiv die mittlerweile angelaufene, aber noch junge Euro-Rettungspolitik. Eigentlich nichts Besonderes, wie schon eingangs erwähnt, waren ja bis auf die Linke alle Bundestagsparteien einhellig dafür, aber Fischer hatte seine aktive Zeit ja schon hinter sich und war damit abgeklärter. Es ging für ihn nicht mehr um Posten, Karriere und persönlichen Erfolg, was die Sache wieder interessanter machte. Und live dabei sein ist ja auch irgendwie exklusiv. Also vertröstet man die Seele und erweitert seinen Horizont. Bei den Fragen, die an Fischer aus dem Auditorium gerichtet wurden, ging es hauptsächlich um kurz- und mittelfristige wirtschaftliche Folgen der Krise, hauptsächlich Griechenlands, und der Rettungsmaßnahmen. Fischer beschwichtigte nicht rundherum, sondern machte klar, dass noch ein schwieriger Weg zu gehen sei und die eine oder andere Verwerfung auftreten würde, am Ende aber ein geeintes und gestärktes Europa hervorgehen werde. Eine Frage fiel etwas aus der Reihe, sie war längerfristig ausgerichtet, worauf Fischer antwortete, in seinem Alter fahre man auf Sicht, da könne er nur spekulieren. Meine Frage hätte sich auf mögliche moralische Auswirkungen bezogen: Hatte man keine Sorge, dass z. B. die Lust am Steuern Zahlen schrumpfen könnte? Ich kam aber nicht dran. Das Ganze war vielen Diskussionen in Talk-Shows usw. ähnlich, die häufig im Fernsehen zu sehen waren. Da wurde dann diskutiert, ob der Euro nun gut oder schlecht für Deutschland sei und natürlich, was denn zu tun sei, um aus der Krise herauszukommen. Sowohl in den Diskussionen als auch in der Literatur zeigte sich, dass die Fachwelt sich bei Weitem nicht so einig war wie die Politik. So warnten Hans-Werner Sinn vor der Target-Falle46 und Thilo Sarrazin in Europa braucht den Euro nicht47 vor einer Transfer-Union. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger setzte sich in Deutschland braucht den Euro sehr kritisch mit einigen von Sinns Vorschlägen auseinander48 und der Währungsspezialist Wilhelm Hankel zeigte Wege auf, Die Eurobombe zu entschärfen49, um nur wenige Beispiele zu nennen. Nachdem eine ganze Weile Ruhe eingekehrt zu sein schien, kochte die Krise 2015 mit Griechenland wieder hoch, schien sich aber weitgehend darauf zu beschränken. Grund genug, sich etwas eingehender mit den wesentlichen Mechanismen zu beschäftigen und Folgerungen zu ziehen:
Eine kurze Geschichte der Eurokrise
Vorgeschichte Schon lange vor Einführung des Euro waren die europäischen Währungen nicht völlig unabhängig voneinander, sondern im Rahmen europäischen Währungssystems miteinander verbunden. Als dabei ab etwa Anfang der 80er Jahre die D-Mark die Rolle einer inoffiziellen Leitwährung einnahm, fingen auch die traditionell zu höherer Inflation und höheren Zinsen neigenden Südländer an, etwas stabiler zu werden. Der Euro war wohl gedacht als ein wesentlicher Schritt im Einigungsprozess Europas hin zu einer Art Vereinigte Staaten von Europa mit insbesondere einheitlicher Steuer- und Wirtschaftspolitik, geredet wurde darüber aber nicht viel in der Öffentlichkeit. Über die Stabilität der geplanten gemeinsamen Währung gab es dabei unterschiedliche Vorstellungen: Während die Südschiene inklusive Frankreich wohl im Auge hatte, den Druck durch die D-Mark loszuwerden und wieder etwas freier haushalten zu können, ging Deutschland von einem Euro vergleichbar stabil der D-Mark aus. Und schien sich durchzusetzen: Die Maastricht-Kriterien sahen eine Staatsverschuldung von maximal 60 % des BIP und eine maximale Neuverschuldung von 3 % vor. Eine gegenseitige Übernahme von Staatsschulden war nicht nur nicht vorgesehen, sondern ausdrücklich ausgeschlossen (No bail out). Nicht vorgesehen war in den Verträgen außerdem ein späterer Wiederaustritt eines Staates aus der Eurozone. Warnungen von Fachleuten vor den Gefahren dieses Konstruktes gab es schon in den 90er Jahren und so versicherte z. B. die CDU vor der Europawahl `99 mit Hinweis auf die No-bail-out-Regel ausdrücklich, eine gegenseitige Haftungsübernahme sei ausgeschlossen. Dass die Inhalte des Maastricht-Vertrages allerdings bei Bedarf nicht ganz so genau genommen wurden, zeigte sich dann schon bei der Einführung des Euro, denn z. B. Italien hätte da aufgrund der zu hohen Verschuldung gar nicht dabei sein dürfen. Infolge der Einführung glichen sich die Zinsen in den Teilnehmerländern der Eurozone dann weitgehend an und waren damit besonders in den Südländern auf einmal wesentlich geringer als gewohnt, allerdings immer noch etwas höher als in Deutschland. Das führte zu gewaltigen Kapitalabflüssen aus der Bundesrepublik in den Süden, denn die Kreditgeber wollten von den höheren Zinsen profitieren und das Währungsrisiko war nun ja nicht mehr gegeben. Die Wirtschaft florierte darauf hin in diesen Ländern mit unterschiedlichen Folgen: In Spanien etwa investierte man und es wurde ein beispielloser Immobilienboom und damit eine Blase ausgelöst, ähnlich wie sie sich in den USA aufbaute. Das Staatsdefizit Spaniens war sehr gering, Spanien war zum Musterknaben geworden. In Griechenland wurde konsumiert und die Wirtschaft passte sich an: Import war häufig lukrativer als Produktion, so wurden z. B. zahlreiche Olivenhaine brachgelegt. Als Gemeinsamkeit wiesen die Südländer alle Leistungsbilanzdefizite auf. Und mit der durch das von außen kommende Kapital angekurbelten Wirtschaft wuchsen auch die Löhne und Preise, womit die Wettbewerbsfähigkeit verloren ging. Ganz anders die doch bis dahin erfolgsverwöhnte Bundesrepublik: Die Kapitalabflüsse führten zu Wirtschaftseinbrüchen (bzw. geringen Wachstumsraten), Arbeitsplätze und Wohlstand schienen in Gefahr. Dem musste man entgegentreten und tat das auch: Zurückhaltung bei der Lohnentwicklung in der Wirtschaft und die Agenda 2010 von Bundeskanzler Schröder als Maßnahme der Politik waren die Antworten. Deutschland glich damit die schwächelnde Binnenkonjunktur durch einen Exportboom aus und baute spiegelbildlich zu den Südländern enorme Leistungsbilanzüberschüsse auf. Außerdem riss Deutschland, gemeinsam mit Frankreich, die 3 %-Hürde des Maastricht-Vertrages, was später immer wieder gerne als Präzedenzfall angegeben wird. Während die schmerzhaften Folgen der Schröder-Reformen bei den Betroffenen unmittelbar ankamen, lassen sich die wachstumsfördernden Folgen solcher Maßnahmen naturgemäß nicht so direkt zuordnen und treten überdies in aller Regel zeitlich verzögert ein. Ursachen für Schröders Abwahl und Merkels Kanzlerschaft ab 2005 sind also wohl zumindest unter anderem in diesen Reformen zu suchen.
2007 und 2008 dann die Bankenkrise: Die Immobilienblasen, die sich in Spanien und auch in Irland aufgebaut hatten, platzten, Irland war aufgrund seines aufgeblähten Finanzsektors ganz besonders betroffen. Die Staaten übernahmen hier wie auch anderswo wesentliche Teile der Bankenschulden und die Wirtschaft brach ein und damit stieg die Schuldenquote in beiden Ländern sprunghaft an, aus den Musterknaben waren Sorgenkinder geworden. Klar wurde, dass das weggefallene Währungsrisiko Kredite in den Südländern nicht sicherer machte und die Kapitalflüsse brachen ab. Die Wirtschaft konnte sich aber nicht so schnell wieder umstellen und die Leistungsbilanzdefizite blieben bestehen, jetzt aber finanziert von der EZB über Refinanzierungskredite, was sich in den Nordländern durch positive und wachsende Target-Salden widerspiegelte. Was hat es damit auf sich? Internationale Zahlungen innerhalb der Eurozone werden über die Zentralbanken über das Target2-System abgewickelt. Wenn z. B. aus Deutschland zur Anlage eine Überweisung nach Spanien gemacht wird, zahlt die deutsche Geschäftsbank an die Deutsche Bundesbank und die spanische Zentralbank zahlt an die spanische Geschäftsbank. Bestehen bleibt eine Forderung der spanischen Zentralbank an die Deutsche Bundesbank. Wenn dann mit dem Geld in Spanien aus Deutschland importiert wird, geht das Geld wieder zurück und die Salden der spanischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank sind wieder ausgeglichen. So lief es in den ersten Jahren nach Einführung des Euro. Mit Beginn der Krise blieben die Anlagen aus Deutschland aus, aber importiert wurde weiter, und zwar finanziert durch Kredite der EZB. Jetzt floss das Geld verstärkt nur in eine Richtung und im Jahr 2012 hatte die Deutsche Bundesbank Target-Guthaben von knapp 600 Milliarden Euro. Das Problem dabei: Das Guthaben kann nicht anderweitig verwendet werden, zum Ausgleich muss wieder Geld in die andere Richtung fließen, etwa, weil Deutschland mehr aus Spanien importiert als dorthin exportiert. Hier wird deutlich, dass es bei der Eurokrise um mehr geht, als nur um Staatsschulden, wie es häufig gesehen wird. Aber die Staatsschulden stehen im Mittelpunkt und wenden wir uns jetzt diesen zu: Ganz allgemein ist zunächst festzustellen, dass das System der Staatsverschuldung auch eine Art Schneeballsystem, auch Ponzi-System genannt, ist, wenn auch ein meistens relativ langsam wachsendes: Ein Staat nimmt Geld auf und gibt dafür keine Sicherheit aus, wie etwa ein Hausbauer über die Hypothek. Die Rückzahlung erfolgt dann zumeist nicht etwa, weil sich jetzt die Haushaltslage verbessert hat, sondern über die Aufnahme neuer Schulden. Das funktioniert, solange es immer wieder neue Anleger gibt, die auf die Rückzahlung vertrauen. Und genau dieses Vertrauen schwand, als Griechenland 2009 neue Haushalts-Zahlen veröffentlichte.
Die Krise ab 2009 Griechenland drohte damit die Zahlungsunfähigkeit und im Gegensatz zu Staaten mit nationalen Währungen bestand auch nicht die Möglichkeit, die fälligen Anleihen mit Hilfe der Notenbank zu bedienen. Hier werden deutsche Urängste wach, es kommen Bilder der Hyperinflation nach dem 1. Weltkrieg hoch. Monetäre Staatsfinanzierung muss aber nicht immer und sofort zu einer Hyperinflation führen, die USA praktizieren das schon lange. In Bezug auf Griechenland stellte sich jetzt für die anderen Staaten die Frage, was zu tun sei. Es gab im Wesentlichen drei Möglichkeiten:
1 Die Zahlungsunfähigkeit. Man hätte im Wesentlichen gar nichts tun können, bis vielleicht auf ein Hilfspaket zur Abfederung des Umbruchs. Griechenland wäre sicher zu einer eigenen Währung zurückgekehrt, es wäre zu erheblichen Wirtschaftseinbrüchen gekommen, auch in anderen Ländern, da es über den Zahlungsausfall zu Bankenpleiten gekommen wäre. Andere Länder hätten auch ins Straucheln kommen können und das Projekt der gemeinsamen Währung insgesamt schien so in Gefahr. Klar, dass das alles nicht gewollt war, also musste etwas getan werden, was unter dem Begriff Euro-Rettung diskutiert wurde.
2 Ein Mittelweg wäre gewesen, nur die von der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands betroffenen Banken des jeweils eigenen Staates zu retten, soweit notwendig. Damit wären die Summen zur Rettung geringer gewesen, hätten aber zum Teil gleich abgeschrieben werden müssen. Wirtschaftseinbrüche hätte es sicher auch gegeben, aber in geringerem Maße. Schon alleine der Umstand, dass nach 2008 schon wieder die Banken hätten gerettet werden müssen, nachdem das doch nicht wieder passieren sollte, wäre eine große Gefahr für die regierenden Politiker gewesen. Also geht man in die Vollen, der dritte mögliche Weg:
3 Die Rettung (der Zahlungsfähigkeit) des griechischen Staates: Die Schulden werden von den anderen Staaten bedient und Griechenland verspricht, Maßnahmen zu ergreifen, seinen Staatshaushalt zu konsolidieren und später alles zurückzuzahlen. Diese Lösung hat Charme: Die Wirtschaft außerhalb Griechenlands, etwa in Deutschland, ist am wenigsten betroffen und es muss niemand etwas abschreiben. Das heißt, die Staatsschulden der Bundesrepublik wachsen durch die Maßnahmen nicht, da man das Geld ja nur verliehen hat, teilweise auch nur die Haftung übernommen hat. Aus deutscher Sicht so etwas wie ein (zunächst) kostenloses Konjunkturpaket. Klasse! Klar, dass das die Lösung der Wahl ist.
Die Rettung Griechenlands zahlt sich also nicht zuletzt in Deutschland aus. Wurde auch Zeit, nachdem der Euro ja in den ersten Jahren für erhebliche Probleme hierzulande gesorgt hat, nicht wahr? Und es kommt noch besser: Wie schon gesehen, hat sich jetzt herumgesprochen, dass Anlagen im Süden doch etwas risikoreicher sind, als gedacht und das Geld fließt wieder zurück, was Wasser auf die Mühlen der deutschen Wirtschaft ist. Außerdem wirkt ja
Schröders Agenda 2010 mittlerweile auch noch. Kein Wunder also, dass Deutschland so gut durch die Krise kommt, wie Merkel nicht müde wurde zu betonen. Und die anderen Länder? Es wird der temporäre Rettungsschirm EFSF gegründet, unter den neben Griechenland, das sein 2. Hilfspaket erhält, auch noch Irland und Portugal schlüpfen. Und Griechenland bekommt etwas später endlich einen teilweisen Schuldenschnitt, die Banken müssen jetzt doch einen Teil der Schulden abschreiben, der größte Teil ist aber verlagert auf die anderen Staaten. Jetzt müsste die immer postulierte Ansteckungsgefahr für die anderen Staaten doch gebannt sein, oder? Aber nein, entgegen allen früheren Beteuerungen sieht man sich gezwungen, einen dauerhaften Rettungsschirm einzurichten, der Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM kommt im Sommer 2012. Die rechtlichen Folgen dieses Vertrages sind durchaus umstritten, aber immerhin begrenzt das Bundesverfassungsgericht die deutsche Haftung auf zunächst 190 Milliarden Euro, für mehr muss der Bundestag entscheiden. Im Gegenzug zum ESM wird der Fiskalpakt geschlossen, ab jetzt sollen die Staatsschulden wirklich nicht mehr aus dem Ruder laufen.
Parallel wird die EZB tätig: Die Leitzinsen werden gesenkt, die Kredite an klamme Banken werden massiv ausgeweitet, es werden Staatsanleihen aufgekauft und EZB-Chef Draghi kündigt an, das so lange und so umfangreich zu tun, wie es notwendig sein sollte. Ein speziell zu diesem Zweck aufgelegtes Programm kommt tatsächlich gar nicht zu Anwendung, hier reichte wohl die Ankündigung, um die Märkte zu beruhigen. Diese Maßnahmen der EZB sind alles andere als unumstritten, Bundesbankchef Weidmann wird mit schöner Regelmäßigkeit im EZB-Rat überstimmt50.
Nach der Zypernkrise im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 wurde es dann ruhiger, man konnte den Eindruck gewinnen, die Krise sei weitgehend überstanden. Bis … ja bis im Januar 2015 Neuwahlen in Griechenland notwendig wurden. Zeitlich fiel das zusammen mit der bislang weitreichendsten Maßnahme der EZB.
Die Krise 2015 Anfang des Jahres beschließt die EZB ein billionen-schweres Ankaufprogramm: Jeden Monat sollen für ca. 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere aufgekauft werden51. Und diesmal bleibt es nicht bei der Ankündigung. Begründet wird dies mit der Abwendung einer Deflationsgefahr, denn die Inflation innerhalb der Eurozone ist deutlich unter die Zielmarke von 2 % gefallen. Die Angst vor der Deflation liegt dabei darin, dass bei fallenden Preisen Investitionen aufgeschoben werden und es so zu einem Abschwung kommt, mit weiter fallenden Preisen usw. Natürlich ist auch dieses Programm nicht unumstritten, die niedrige Inflation beruht zu einem großen Teil auf dem gefallenen Ölpreis, der wiederum eine Folge des Frackingbooms in den USA ist. Als Folge sanken die Energiekosten und die Wirtschaft wuchs. Wollte man doch eigentlich. Für einen generellen Deflationstrend spricht das noch nicht unbedingt. Vielleicht sind also wesentliche Gründe für dieses Programm doch woanders zu suchen? Das auch vor dem Hintergrund, dass Inflation durchaus keine objektiv und eindeutig festgelegte Größe ist, und es immer wieder Vorwürfe gab, sie würde künstlich heruntergerechnet. Zuerst, um dem Vorwurf des „Teuro“ zu begegnen, jetzt dann, um doch monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben? Werfen wir kurz einen Blick auf die Folgen des Programms:
Zunächst eine Abwertung des Euro, die ja gewollt ist, um die Inflation zu erhöhen. Damit einher geht eine Stärkung des Exports aus der Eurozone, was auch gewollt ist. Der Export innerhalb der Eurozone bleibt allerdings unberührt und bei hochqualitativen Produkten, wie etwa aus dem deutschen Maschinenbau, dürfte dies teilweise auch zu Mitnahmeeffekten führen52.
Die Zinsen der Sparer sind noch weiter gesunken, als dies ohnehin schon der Fall war. Das betrifft nicht nur unmittelbare Einlagen bei Banken, sondern etwa auch vom Staat über Riester geförderte Lebensversicherungen zur Altersvorsorge.
Im Gegenzug wurden Aktien und weitere Vermögenswerte schlagartig aufgewertet. So gesehen fand eine Umverteilung von Sparvermögen zu Aktien u. Ä. statt.
Durch dieses Programm wie auch schon durch die chronisch niedrigen Zinsen werden erneute Blasenbildungen begünstigt.
Das Ankaufprogramm der EZB kann also für Otto Normalverbraucher durchaus bedeutende Folgen haben. Viel mehr Beachtung in der Öffentlichkeit fand aber das griechische Schuldendrama.
Aber gehen wir zunächst ein gutes halbes Jahr zurück: Griechenland hat das Jahr 2014 mit einem Defizit von nur noch 3,5 % und einer Wachstumsrate von 0,8 % abgeschlossen und strebte, noch unter Antonis Samaras, eine baldige Rückkehr an den Kapitalmarkt an, wie es zuvor schon Portugal und Irland gelungen ist. Dann wurden überraschend Wahlen notwendig, aus denen Alexis Tsipras als Sieger hervorging und im Januar 2015 Regierungschef wurde. Aufgrund der angekündigten Abkehr vom Sparkurs akzeptierte die EZB griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit, versorgte aber stattdessen die griechischen Banken mit Notfallkrediten in einer Höhe von rund 90 Milliarden Euro und hielt damit die Wirtschaft in Griechenland aufrecht. Erst als die Kredite zum Ablauf des 2. Programms, wo man um die Auszahlung von 7,4 Milliarden gefeilscht hat, nicht weiter erhöht werden, kommt Bewegung in die Sache und jetzt geht es gleich um ein 3. Hilfspaket im Volumen von bis zu 86 Milliarden Euro für die nächsten 3 Jahre53. Sicherlich hat der Zick-Zack-Kurs von Tsipras zu wirtschaftlichen Einbrüchen geführt, aber ein solcher zusätzlicher Bedarf für die Staatskasse in nur 6 Monaten scheint doch etwas hoch gegriffen (zum Vergleich: Die gesamte Staatsschuld beträgt Ende 2014 rund 320 Milliarden Euro). Kaum zu glauben, dass sich die Lage für die Insider noch Ende 2014 so viel besser dargestellt hat, als man ein 3. Hilfspaket noch kategorisch ausgeschlossen hat. Kann es also sein, dass Tsipras jetzt als Sündenbock für eine Wahrheit dient, die man dem eigenen Wähler vorher nicht eingestehen wollte? Und das Schauspiel wird aufrechterhalten: Während jetzt unter Fachleuten weitgehend Einigung herrscht, dass es bei den Zahlungen um Transfers geht, d. h. die Kredite nicht komplett zurückgezahlt werden können, heißt es von Seiten der Politik, man könne eventuell die Fristen strecken und die Zinsen senken, aber es komme alles zurück. Auch in Bezug auf andere Staaten klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander: Ende Mai 2015 äußerte Wolfgang Schäuble in einem Interview, die anderen Staaten seien auf Wachstumskurs und erklärte die Eurokrise mit Ausnahme von Griechenland für weitgehend ausgestanden. Erinnert an den ehemaligen französischen Präsidenten Francois Hollande, der schon im Februar 2013 die Krise für beendet erklärt hatte54, kurz vor der Zypernkrise. Im Folgenden dazu einige Zahlen:
Frankreich weist für 2014 mit 4 % ein immer noch zu hohes Defizit auf und hatte für die beiden folgenden Jahre von der EU-Kommission grünes Licht für weitere Defizit-Überschreitungen bekommen55. Ebenfalls 2014 beträgt die Staatsschuldenquote 95 % und die Arbeitslosenquote liegt im Mai 2015 mit 10,3 % zwar im europäischen Mittelfeld, ist aber der höchste Wert in Frankreich seit Beginn der Aufzeichnungen. Spanien weist seit 2008 jeweils noch höhere Defizite als Frankreich auf, zuletzt 5,8 % für 2014, die Schuldenquote beläuft sich auf 97,7 % und die Arbeitslosenquote wird mit 22,5 % in Europa nur noch von Griechenland übertroffen. Italiens Defizite liegen in den letzten Jahren bei knapp 3 % und damit etwas niedriger, dafür beträgt die Schuldenquote aber 2014 schon stattliche 132 % und Italiens Wirtschaft schrumpft seit 2012 leicht, während Frankreich moderate Wachstumsraten zwischen 0,2 % und 0,7 % aufweist. Nach den vielen Zahlen noch ein paar mehr, für einen Blick auf die gesamte Eurozone (19 Länder), seit 2011: Die Schuldenquote stieg jedes Jahr bis auf 92,0 % Ende 2014, es gab in jedem Jahr ein Defizit, welches von 4,2 % in 2011 auf 2,6 % in 2014 fiel, das Wachstum schwankte zwischen 1,5 % in 2011 und -0,9 % in 201256. Berücksichtigt sind dabei jeweils nur die expliziten Staatsschulden, die implizite Verschuldung, die z. B. durch zukünftige Pensionsansprüche einer alternden Gesellschaft steigt, ist dabei noch gar nicht mit einbezogen.
Was zeigen die Zahlen? Der Fiskalpakt stellt sich damit als ähnlich zahnloser Tiger wie die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages heraus. Überwiegend wurden Schulden nicht abgebaut, sondern nur langsamer aufgebaut. An der Stelle schon zu folgern, die Krise sei überstanden, ist doch sehr optimistisch. Und im Unterschied zu Portugal und Irland, die zusammen rund 3,5 % der Wirtschaftsleistung der Eurozone ausmachen, geht es bei Frankreich (20 %), Italien (15 %) und Spanien (10 %) um Schwergewichte. Halten wir also fest: Die Krise ist 2015 nicht vorbei, bestenfalls gibt es einen leichten Trend zur Besserung.
Update 2016/17 Im Euroraum ist die öffentliche Schuldenquote bis Ende 2016 auf 89,2 % gesunken. Die Schulden sind dabei jedes Jahr gestiegen auf rund 9 588 Milliarden Euro Ende 2016, aber in der letzen Zeit stieg das BIP stärker als die Schulden, daher die leicht gefallene Schuldenquote. Mit Frankreich (2015: 1,1 %; 2016: 1,2 %) und Spanien (2015 u. 2016 jeweils 3,2 %) weisen zwei gewichtige Sorgenkinder deutlich erhöhte Wachstumsraten auf, in Spanien ist die Arbeitslosenquote Ende 2016 auf 18,6 % gesunken57. Hatte Schäuble also doch recht? Ich denke nicht. Nach 2014 gab es einen Trend zur leichten Entspannung, aber für eine Entwarnung ist es zu früh. Andere Meldungen fallen auch schon wieder etwas verhaltener aus. Griechenland, Spanien und Portugal haben ihre mit den EU-Finanzministern vereinbarten Defizit-Ziele für 2015 deutlich verfehlt58. Und die Stimmen, die mehr Investitionen und damit Spielraum bei der Verschuldung fordern, werden lauter, insbesondere auch nach dem Brexit, der ohnehin Wirtschaftseinbußen mit sich bringen könnte. Insgesamt deutet sich doch eine Fortführung des schon allgemein im Teil Wachstum betrachteten Musters an: In guten Zeiten fallen die Schulden weniger als sie in schlechten aufgebaut werden und wachsen damit insgesamt an. Wesentlich ist auch der von der EZB ausgeweitete Aufkauf von Wertpapieren: Seit Frühling 2016 werden nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Unternehmensanleihen aufgekauft. Mögliche negative Folgen sind Wettbewerbsverzerrungen und Blasenbildungen, weil diese eigentlichen Notmaßnahmen von Teilen der Wirtschaft einkalkuliert werden können59. Und dann gibt es ja auch noch die Banken, die mittlerweile wieder nach Hilfe rufen. Was kann also getan werden zur Lösung?
Mögliche Auswege
Damit es nicht wieder zu drohenden Zahlungsunfähigkeiten kommt, dürfen die Schuldenquoten nicht dauerhaft weiter steigen, besser noch, sollten abgebaut werden. Dazu kommt in Betracht:
Eine höhere Inflation. Wenn das Geld weniger wert wird, gilt das auch für die Schulden, so die Idee. Wird aber eher nicht funktionieren, denn zum einen werden mit der Inflation auch die Zinsen steigen, es kann also nur ein einmaliger Effekt erzielt werden, der aufgrund der laufenden Ablösung alter Schulden durch neue nicht substanziell zum Abtrag beitragen dürfte. Zum anderen ist die Steuerung von Inflation gar nicht so einfach. Die Zentralbank kann die Leitzinsen senken, aber die meisten Kredite werden ja von den Geschäftsbanken ausgegeben, die Zentralbank hat so nur indirekt Einfluss auf die für die Inflation maßgebliche Geldmenge. Und schließlich hängt Inflation auch von den Erwartungen der Menschen an zukünftige Entwicklungen ab, welche Politik und Zentralbanken nur teilweise beeinflussen können.
Konsolidierung der Haushalte durch Sparen. Ist das, was als Bedingung an die Inanspruchnahme der Rettungsschirme geknüpft ist. Und bringt ein Problem mit sich: Eine verringerte Binnenkonjunktur, was mit sinkenden Staatseinnahmen durch Steuern verbunden ist. Sparen alleine reicht in der Regel damit nicht aus, es muss noch etwas anderes her:
Wachstum. Dadurch mehr Steuereinnahmen und über mehr Arbeitsplätze weniger Sozialausgaben. Nur: Wie erreicht man das?
Die klassische Variante wäre Ankurbelung der Wirtschaft über neue Staatsschulden. Hauptsächlich linke Politiker sehen darin nach wie vor den Ausweg. Die Erfahrung zeigt aber, dass am Ende doch immer mehr Schulden übrig bleiben.
Eine andere Möglichkeit für Staaten, bei denen die Wirtschaft zu stark die Wettbewerbsfähigkeit verloren hat, wäre die Abwertung der eigenen Währung, um so die Löhne und Preise im Vergleich zu andern Ländern zu senken und damit den eigenen Standort zu stärken. Geht nur innerhalb einer Währungsunion nicht. Es wäre also ein Austritt der betroffenen Staaten aus dem Euro oder die Einführung einer Parallelwährung notwendig. Damit sieht die Politik ihr Einigungswerk in Gefahr und will dies auf jeden Fall verhindern.
Dann bleiben noch Reformen als Mittel der Wahl. Wenn eine (äußere) Abwertung der Währung nicht möglich ist, können stattdessen Maßnahmen zu einer inneren Abwertung ergriffen werden: Es geht darum, die zu hohen Preise und Löhne zu senken, um die nationale Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen, um so also zum einen weniger importieren zu müssen und zum anderen selber mehr zu exportieren und damit negative Leistungsbilanzsalden wieder auszugleichen. Das Problem dabei ist, dass die Politik auf Löhne und Preise in der Privatwirtschaft nur einen sehr indirekten Einfluss hat und die Senkung von Löhnen über Tarifverhandlungen ein sehr zäher Prozess ist, bei dem es über Streiks wieder zu Wirtschaftsrückgängen kommen kann. Zudem findet eine solche innere Abwertung nicht gleichmäßig und gleichzeitig für alle Betroffenen statt, was die Sache noch schwieriger macht. Und wo ist dann die Grenze, wo ist ein angemessenes Lohnniveau erreicht? Klar, dass eine innere Abwertung ein komplizierter und schmerzhafter Prozess ist, was derzeit in den Südländern zu beobachten ist.
Und dann gibt es noch weitere Maßnahmen, um den eigenen Standort zu stärken, dazu gehören Senkungen von Unternehmenssteuern und, wo es möglich ist, Umgestaltung der Verwaltung hin zu mehr Effizienz, Bürokratie-Abbau. Bei den Unternehmenssteuersenkungen ergibt sich ein spiegelbildliches Problem zur Ankurbelung der Wirtschaft über Schulden: Der Staat nimmt zunächst weniger ein. Wenn es dadurch aber zur Ansiedlung neuer Unternehmen kommt, oder auch alte im Land behalten werden, kann es sich lohnen. Zumindest vordergründig.
Insgesamt kann man die Wirkungen der Wachstumsfördermaßnahmen in zwei Kategorien einteilen: Zum einen geht es um ein echtes Wachstum. Wenn etwa ein Jungunternehmer ein Start-up gründen will, aber bislang durch unsinnige Verwaltungsvorschriften daran gehindert war, so kann Bürokratie-Abbau hier helfen und es kommt zu einem Wachstum insgesamt. Zum anderen geht es um Wettbewerb um Wachstum, nicht darum etwas Neues zu schaffen, sondern darum, Produktion aus anderen Staaten in den eigenen zu holen und umgekehrt die Abwanderung zu vermeiden. Durch die Verlagerung von Produktion kann es zum Ausgleich von Ungleichgewichten kommen. Wenn etwa Betriebe aus Deutschland nach Griechenland umziehen würden, würde das zu einem Ausgleich der Leistungsbilanzsalden beitragen. Dem Umstand, dass die gesamte Eurozone Staatsschulden anhäuft, kann durch Verlagerungen innerhalb dieser Zone natürlich nicht begegnet werden, im Gegenteil: Niedrige Unternehmenssteuern führen insgesamt zu geringeren Staatseinnahmen. Dass es damit in Europa ein Problem gibt, wurde immer wieder deutlich: Irland verteidigte sein Steuersparmodell lange mit Zähnen und Klauen. Ende 2014 wurde endlich die Abschaffung des sogenannten Double Irish beschlossen, wodurch internationale Unternehmen wie Apple nur Steuersätze von 2 % zahlten. Für schon ansässige Unternehmen gilt aber eine Übergangsregelung bis 202060. In Griechenland zahlen die Reeder nach wie vor nahezu keine Steuern61, die Niederlande sind für ihr Sparmodell bekannt und Ende 2014 wurden Einzelheiten zu den Methoden veröffentlicht, mit denen es Luxemburg Amazon, E.ON u. Co ermöglichte, Steuern in ihrem eigentlichen Sitz-Staat zu umgehen und stattdessen Steuersätze in Luxemburg von nur 1 % zu zahlen62. Luxemburg ist demnach unter Jean-Claude Juncker als Regierungschef zum Steuerparadies geworden, im Jahr 2013 z. B. zog es 240 Milliarden Euro Direktinvestitionen aus dem Ausland an, von EU-weit 327 Milliarden63. Und auch Deutschland ist alles andere als ein Saubermann, Tax Justice Network führt es 2013 auf Platz 8 einer weltweiten Liste für Geldwäsche64. Es zeigt sich, dass in der EU die Grenzen zum Raubritter-Wachstum bezüglich Steuern an vielen Stellen klar überschritten sind. Und die Entwicklung der Löhne und Gehälter weist anscheinend eine ähnliche Tendenz auf. Hier wird auch deutlich, warum zu einer einheitlichen Währung auch eine einheitliche Steuerpolitik gehört. Und umgekehrt können auch Handelsbeschränkungen und Zölle ihren Sinn haben, wenn wesentliche Regelungen verschiedener Staaten zu weit auseinandergehen.
Schließlich gibt es auch noch die Möglichkeit von Schuldenschnitten. Es könnten Konzepte erarbeitet werden, welche Schulden noch tragfähig sind und welche nicht mehr und Letztere könnten gestrichen werden. Das würde aber bedeuten, dass man den Leuten klar sagen müsste, dass sie etwas verloren hätten. Dem Steuerzahler eines Gläubigerlandes oder auch dem Inhaber einer Lebensversicherung, die abgeschriebene Staatsanleihen hält. Und das will man nicht, also setzt man voll auf Wachstum. Ob das zum Ziel führt, ist fraglich genug, ohne muss der eingeschlagene Weg scheitern. In anderen Wirtschaftszonen sieht es ähnlich aus. Ziehen wir nun einige Schlüsse:
Folgerungen und Ausblicke
Wem hat denn der Euro nun genutzt? Sicherlich nicht den Arbeitnehmern in Deutschland, die zeitweise ihren Job verloren haben, zu schlechteren Konditionen weiterbeschäftigt wurden oder Gehaltseinbußen hinnehmen mussten. Den Inhabern oder Anteilseignern von Exportfirmen, deren Gewinne in die Höhe schossen, schon eher. Der griechischen Krankenschwester oder Reinigungskraft, die zunächst vielleicht etwas besser bezahlt wurde, jetzt aber massiv unter den Sparmaßnahmen leidet, wohl auch eher weniger. Dem hochrangigen Beamten aus Athen mit besten Beziehungen oder dem Reeder, der sein Geld auf einem Schweizer Bankkonto oder in Immobilien in besten Lagen Berlins oder Londons bunkert, sicherlich sehr. Auch der Arbeitnehmer eines eigentlich kerngesunden Betriebes, der von Heuschrecken in Form von Hedgefonds mit billigem Geld, das Anlagemöglichkeiten sucht, aufgekauft und ausgeschlachtet wird, wird mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes die Gewinne der Spekulanten bezahlen65. Ebenso wie schon Steuerzahler über die Bankenrettung und vorwiegend Kleinanleger mit ihren Verlusten für die exorbitanten Gehälter von Bankmanagern und Gewinne von Insidern bezahlt haben, die ihre Gewinne schnell genug realisiert haben. Unter dem Strich bleibt ein Effekt, der gerne mit Umverteilung von unten nach oben oder auch von den Fleißigen zu den Reichen beschrieben wird. Das ist aber noch nicht die ganze Wahrheit, tatsächlich sind die Vermögen stärker gestiegen, als sie an anderen Stellen abgenommen haben, die Differenz machen gerade die Schulden aus, die ja im Rahmen von Banken- und Eurokrise rasant gewachsen sind. Und genau hier liegt das Problem: Wenn irgendwann die Zweifel an der Tragfähigkeit der Schulden die Oberhand gewinnen, droht ein Crash, mit erheblichen Wirtschaftseinbrüchen, Massenarbeitslosigkeit und sozialen Unruhen, unkontrolliert im Unterschied zu einem Schuldenschnitt. Denkbar ist stattdessen auch eine weitere schleichende Verstetigung der Krise, mit immer neuen Verwerfungen, auch nicht gerade eine Wunschvorstellung. Bleiben wir aber noch beim Crash, womit wir bei der zentralen Frage dieses Buches wären: Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen, das muss eine Demokratie nicht unbedingt aus der Bahn werfen, kann aber je nach Schwere sicher eine Gefahr darstellen, die noch größer werden kann, wenn weitere Faktoren hinzukommen. Die meisten Demokratien etwa haben die Krise der 1930er Jahre als Demokratien überstanden, in Deutschland wurde die Weimarer Republik durch das Dritte Reich abgelöst.
Abgesehen von einem möglichen Crash zeigen sich weitere Problemfelder unserer Demokratie: Da wäre zum einen die EZB. Offensichtlich müssen dort immer wieder weitreichende Entscheidungen getroffen werden, bei denen es durchaus erheblichen Entscheidungsspielraum gibt. Die Rechnung, dass die Zentralbank einfach nur unabhängig sein muss und dann entsprechend ihrem Auftrag ihre Aufgaben erledigt wie ein Zug, der auf einem Gleis fährt, geht nicht auf. Es stellt sich die Frage nach mehr demokratischer Legitimation der Führung der Zentralbank. Veränderungen scheinen besonders notwendig vor dem Hintergrund, dass bislang jedes Mitgliedsland im Euro die gleichen Mitspracherechte hat, unabhängig von Einwohnerzahl oder auch Kapitalanteil bei der EZB.
Im Unterschied zur Führung der EZB sind die nationalen Regierungen gewählt, aber wie kann der Bürger eine begründete Wahl treffen, wenn die wesentlichen Fragen kaum thematisiert werden, wie Ende der 80er/Anfang der 90er die mit der Einführung des Euro notwendige politische Einigung? Wenn plötzlich dringende und weitreichende Entscheidungen anstehen, wie ab 2010 die Euro-Rettungsmaßnahmen, an die vorher wahrscheinlich nicht einmal die zur Wahl stehenden Politiker gedacht haben? Sehr problematisch ist auch der nach Belieben und Tagesform ausgerichtete Umgang mit Verträgen. Ein ehemaliger EU-Kommissar trieb das stellvertretend für viele auf die Spitze, als er im Juli 2015 von der Gruppe der Euro-Staaten als einer unauflöslichen Schicksalsgemeinschaft sprach. Auch Angela Merkel sprach nach einer Meldung im Zusammenhang mit den Griechenland-Hilfspaketen von Europa als einer Schicksalsgemeinschaft und als solche von einer Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft66. War doch über die No-bail-out-Klausel ganz anders vorgesehen. Sehr problematisch erscheint auch, dass die Politiker überhaupt einerseits sehr dazu neigen, irreversible Verträge abzuschließen, andererseits aber hauptsächlich einen Horizont nur bis zu den nächsten Wahlen haben. Regelungen, wer welche Verträge schließen und wer sie wieder lösen kann, wären wünschenswert. Dass die Politik sich für fehlerfrei hält und sich damit zunächst weitgehend der Möglichkeit von Korrekturen beraubt, um dann später bei Bedarf unberechenbar doch die Regeln über Bord zu schmeißen, sollte kein Dauerzustand sein.
Und moralische Folgen gibt es auch: Auch befeuert durch die geschilderten problematischen Entwicklungen zeigen sich zunehmend Euroskepsis und nationale Ressentiments und stellen eine Gefahr für den europäischen Zusammenhalt dar, die über unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhänge hinausgeht.
Nachdem bislang viel von auf und ab der Wirtschaft die Rede war und speziell die Banken etwas beleuchtet wurden, wird es Zeit, sich auch Nicht-Finanzunternehmen anzuschauen und Mechanismen in der Wirtschaft allgemeiner zu betrachten.