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Grenzen des Wachstums?
ОглавлениеBestimmt die populärste Kritik am Streben nach Wachstum: Aufgrund begrenzter Ressourcen sei auch das Wachstum begrenzt, so das Argument in aller Kürze. Das müsse die Menschheit berücksichtigen und sich rechtzeitig selber einschränken, sonst komme es später umso schlimmer. Der Erste, der diesen Gedanken entwickelte, war vielleicht vor ungefähr 200 Jahren der Brite Robert Malthus. Seiner Theorie nach wächst die Bevölkerung exponentiell, während die Fläche an verfügbarem Ackerland und damit die Lebensmittelproduktion nur linear zunehmen. Er folgerte, dass in der Zukunft ein Punkt erreicht würde, ab dem die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr ausreichen und es zu schrecklichen Hungersnöten kommen würde. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts waren es dann in erster Linie Berichte an den Club of Rome, die aufgrund begrenzter Ressourcen wie etwa Öl, die rasch weniger würden, prinzipielle Grenzen des Wachstums voraussagten, und das innerhalb von wenigen Jahrzehnten. Die konkreten Prognosen haben sich alle nicht bewahrheitet. Gerade beim Öl, dem wohl wichtigsten Treibstoff für die Weltwirtschaft in den letzten ca. 150 Jahren, wurde der sogenannte Peak-Oil, der Punkt höchster Ölförderung, vorhergesagt und dann aufgrund neuer Funde und neuer Fördermethoden immer wieder nach hinten verschoben. Wachstumsbefürworter folgern daraus, dass das Argument des begrenzten Wachstums und damit die Notwendigkeit zur bewussten Einschränkung falsch sei12. Hm, also doch bald Malediven für alle und alles andere wird auch besser? Hier lohnt es sich, die oben dargelegten Beispiele etwas genauer zu analysieren: Ohne auf Details einzugehen, wann den etwa nach Malthus die Hungersnöte einsetzen sollten: Ausgehend von den Voraussetzungen, die er machte, hat Malthus richtig argumentiert. Exponentielles Wachstum überholt lineares Wachstum immer. Aber seine Voraussetzungen stimmten nicht, er hat den technischen Fortschritt und damit die enorme Effizienzsteigerung bei der Nahrungsmittelproduktion nicht vorausgesehen. Ganz ähnlich die Situation bzgl. der Studien für den Club of Rome und Peak-Oil: Dass man gut 40 Jahre später Öl mehrere Kilometer unter dem Meeresspiegel finden und fördern würde, dass die USA aufgrund des Frackings zum größten Erdölförderer der Welt würden, hat man um 1970 herum so nicht erwartet. Daraus aber zu folgern, der Gedanke von begrenztem Wachstum und die Notwendigkeit zu einer Selbstbeschränkung der Gesellschaft seien komplett unsinnig, ist falsch. Dazu: Als ich noch Schüler war, hieß es, es werde voraussichtlich noch wenige Jahrzehnte dauern, bis die Technologie so weit ausgereift sei, dass man Kernfusion zur Energieerzeugung nutzen könne. Heute, etwa 30 Jahre später, sagt man immer noch, es wird wohl noch einige Jahrzehnte dauern, bis man mit der Kernfusion so weit ist13. Wer sucht, findet weitere Beispiele. Argumentiert man so oberflächlich wie oben gegen die Wachstumsgrenzen, so würde man hier folgern, dass es überhaupt keinen technischen Fortschritt gibt, was offensichtlich falsch ist. Nein, es geht darum, technischen Fortschritt angemessen zu berücksichtigen. Werfen wir dazu einen Blick auf die Zusammensetzung der Produktion: Die Herstellung von Gütern und Bereitstellung von Dienstleistungen ist zu einem Teil mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden, nämlich dem Verbrauch von Ressourcen und der Entstehung von diversen Schäden, wie Umweltverschmutzung, oder auch dem Risiko von möglichen Schäden in der Zukunft. Teil der Produktion kann es auch sein, im Rahmen der Möglichkeiten Schäden wieder zu beseitigen. Außerdem gibt es einen nebenwirkungsfreien Anteil an der Produktion, der z. B. auf Ideen, auf geistiger Arbeit beruht. Beispiele: Unterhaltung in Form von Kunst, Musik, Literatur, aber auch z. B. Computerprogramme für verschiedene Zwecke. Wachstum kann sich jetzt zum einen generieren aus einem Wachsen des nebenwirkungsfreien Anteils. Das ist prinzipiell unbegrenzt. Es lässt sich fördern, aber nicht erzwingen. Den anderen Anteil kann man steigern durch mehr Arbeit oder durch technische Entwicklungen, die mit einer entsprechenden Steigerung der Nebenwirkungen einhergehen. Technische Entwicklungen können aber auch ein besseres Verhältnis aus Produktion und Nebenwirkungen mit sich bringen, außerdem die Möglichkeit, früher verursachte Nebenwirkungen bzw. deren Folgen besser einzudämmen oder zu beseitigen. Das und die Entdeckung neuer Quellen von Ressourcen können die Situation günstiger machen. Das Problem bei der technischen Entwicklung ist nun, dass sie naturgemäß nur begrenzt planbar ist. Für die Gesellschaft geht es dann darum, das Risiko eines Versiegens von notwendigen Ressourcen sowie von Gefahren durch Schäden einzuschätzen und den Erwartungen von technischen Entwicklungen und Entdeckungen gegenüberzustellen und entsprechende Maßnahmen zur Steuerung der Produktion zu ergreifen. Dabei geht es sowohl um nachhaltige Entwicklung als auch um Gerechtigkeit und Grundrechte. Wie können solche Maßnahmen zur Steuerung aussehen? Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass der Nutzen eines Produktes dem Produzenten und dem Käufer in voller Höhe zugutekommt, die Nebenwirkungen aber ganz woanders anfallen können. In der Volkswirtschaft spricht man dabei von externen Kosten14. Für Produzenten und Käufer kann sich daher eine für die Gesellschaft unter dem Strich schlechte Produktion durchaus lohnen. Um dies zu verhindern, liegen zwei Möglichkeiten nahe:
Zum einen ein Verbot von Maßnahmen bei der Produktion. Empfiehlt sich, wenn die zu erwartenden Schäden in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen der Produktion stehen. Wird häufig angewandt, z. B. Verbot von Asbest 1993 in Deutschland, Verbot von bestimmten Pestiziden usw.
Zum anderen eine Zahlung für die bei der Produktion entstandenen Schäden nach dem Verursacherprinzip, z. B. als Steuer. Diese hat 2 Funktionen: Zum einen als Kompensation für die Schäden, zum anderen als Steuerung, um den Produzenten zu einer möglichst unschädlichen Produktion zu bewegen (Lenkungssteuer).
Sinnvollerweise sollten nun die Zahlungen nach dem Verursacherprinzip von dem Produktionsindikator abgezogen werden, da damit ja nur Schäden ausgeglichen werden, die durch die Produktion entstanden sind. Anders ausgedrückt: So würden Abschreibungen am Wohle der Gesellschaft im Produktionsindikator berücksichtigt. Dazu ein fiktives Beispiel: Eine Diskothek und nebenan ein Kunstmuseum verzeichnen im Laufe eines Jahres gleich hohe Einnahmen. Dann tragen beide im gleichen Maße, nämlich der Höhe der Einnahmen, zum BIP bei. Tatsächlich hat das Kunstmuseum aber mehr für das Allgemeinwohl erreicht, da zum Spaß der Diskothekenbesucher die Lärmbelästigung der Anwohner kommt. Sinnvoll wäre nun, wenn die Anwohner vom Diskothekenbetreiber eine Entschädigung für die Lärmbelästigung bekommen. Für die so erfolgte Zahlung könnten sie sich irgendetwas Gutes tun, z. B. Massagen kaufen. Damit würde es ihnen insgesamt aber der Idee nach nur genauso gut gehen wie ohne Diskothek. Der Beitrag zum BIP wäre aber nach wie vor der gleiche wie ohne Ausgleichszahlungen und damit auch der gleiche wie der des Kunstmuseums, obwohl die Betreiber bzw. Beschäftigten des Museums sich ja mit den Einnahmen auch die gleichen Massagen kaufen könnten. Unter dem Strich trägt das Kunstmuseum also stärker zum Allgemeinwohl bei, da eben bei gleichen Annehmlichkeiten kein Schaden entstanden ist. In einem verbesserten Produktionsindikator sollten also die Ausgleichszahlungen des Diskothekenbetreibers an die Anwohner vom BIP abgezogen werden, um dem tatsächlichen Allgemeinwohl näher zu kommen. Wie hoch man diesen Ausgleich ansetzt, ist Ermessensache. Ebenso sollten Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung aller Art im Produktionsindikator berücksichtigt werden. Das BIP in der aktuell verwendeten Form misst nur die positive Produktion und damit in etwa den Konsum, immer noch behaftet mit einer Unschärfe, nicht aber die Schäden, was eine systematische und enorme Verzerrung des Nutzens ist. Das ist so, wie wenn ein Fußballverein nur die Tore, die seine Mannschaft schießt, zählen würde, nicht aber die Gegentore15.
Einige weitere Beispiele:
1.) Bergschäden: Ein Haus senkt sich ab und gerät dabei in Schieflage, weil unter dem Haus Kohle abgebaut wurde. Die Schieflage kann beseitigt werden, was enorme Kosten verursacht. Es ist nun Ermessenssache, ab welcher Schieflage das gemacht wird und welche Kompensationszahlung bei Nicht-Beseitigung gezahlt wird. Durch das Gerade-Richten des Hauses wird aber nur der alte Zustand wiederhergestellt. Die Kosten für das Geraderichten sollten also beim BIP vom Erlös für die Kohle abgezogen werden. Wenn weiter das Land, in dem sich das zuträgt, durch Zölle seinen heimischen Kohleabbau schützt, so sollte aber bei Voraussetzung von gleichen Löhnen das BIP durch den Kohleabbau nicht mehr gesteigert werden, als in einem anderen Land, wo Kohle nicht unter Häusern abgebaut wird und daher auch billiger verkauft werden kann.
2.) Mehrwegflaschen: Für eine bestimmte Art von Getränken, z. B. Bier oder Mineralwasser, gibt es eine Art von Mehrwegflaschen, die von den verschiedenen Herstellern gemeinsam benutzt werden. Die abgefüllten Flaschen müssen auf jeden Fall vom Abfüller zum Verkaufsort transportiert werden, nicht aber zurück, weil sie der nächstgelegene Abfüller für seine Marke benutzen kann. Jetzt gehen die Hersteller aber zunehmend dazu über, ihre eigenen, speziellen Flaschen zu benutzen, damit müssen die leeren Flaschen auch immer wieder zurück zu genau dem einen Abfüller. Das bewirkt eine Zunahme des LKW-Verkehrs, verbunden mit: Emissionen von Staub, schädlichen Gasen und Lärm, was andere Verkehrsteilnehmer und Anwohner der Straßen beeinträchtigt, Emissionen von CO2, verbunden mit dem Risiko Klimawandel, Abnutzung und schlicht Benutzung der Straßen. Letzteres erhöht die Unfall- und Stauwahrscheinlichkeit. Einschränkende Maßnahmen sind hier zum einen Abgasnormen, Vorgaben zu Arbeits- und Ruhezeiten der Fahrer, was in den Bereich der Verbote fällt, zum anderen Steuer auf den Treibstoff und Maut. Die Frage ist dann, ob gegenwärtig die Höhe der Abgaben angemessen ist oder ob der Vorteil, den die Hersteller sich erhoffen, hauptsächlich auf dem Rücken anderer getragen wird. Die Festlegung der Art und Höhe der Abgaben sowie deren Verwendung ist Sache der Politik, der Verbraucher kann dann entscheiden, ob sich der Aufpreis lohnt. Ich persönlich halte den Mehr-Komfort für sehr überschaubar, wenn ich den Markennamen nicht nur lesen, sondern auch tasten kann, aber vielleicht sehen Sie das ja anders. Spätestens bei der Bewertung von Lärm wird dabei deutlich, dass die Höhe dieser Abgaben teilweise Ermessenssache ist. Neue Entwicklungen, wie neue Erkenntnisse über die Wirkung von Lärm oder der Emissionen können dabei eine Veränderung der Abgabenhöhe nahelegen.
3.) Als Beispiele für den Begriff Gefahren seien erwähnt: Energieerzeugung durch Kernkraftwerke oder menschenverursachter Klimawandel. Mehr dazu im Kapitel Ökologie.
Halten wir hier fest:
Die Steuerung von Produktion bzw. Wachstum mit dem Ziel, Gerechtigkeit und eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten ist eine der wesentlichen Aufgaben in einer Gesellschaft. Wesentliche Möglichkeiten sind Verbote und Abgaben. Die genaue Ausgestaltung ist häufig Ermessenssache und hängt von dem jeweiligen Erkenntnisstand ab. Es ist daher notwendig, dass eine Gesellschaft sich nicht zu lange festlegt, sondern sich die Möglichkeit offenhält, auf neue Entwicklungen flexibel reagieren zu können.
Innerhalb der Grenzen, die durch den technischen Fortschritt unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen gegeben sind, kann also auch dauerhaft Wachstum erfolgen, aber ebenso wie technischer Fortschritt auch nur begrenzt planbar. Je stärker die restriktiven Maßnahmen Verbote und Abgaben eingesetzt werden, desto schwächer wird i. A., zumindest auf kurze Sicht, das Bruttoinlandsprodukt ausfallen, was ja gegenwärtig der Erfolgsmaßstab ist. Das legt die Vermutung nahe, dass das Verursacherprinzip häufig nicht konsequent angewendet wird. Und es gibt natürlich noch weitere Maßnahmen, mit denen versucht wird, die Nebenwirkungen der Produktion zu begrenzen, insbesondere die Förderung nebenwirkungsärmerer Produktion. Mehr auch dazu im Kapitel Ökologie.
Generell wird von der Politik ja eine Steigerung statt einer Einschränkung des BIP und damit des Wachstums gewollt. Kommen wir im nächsten Abschnitt dazu, wie das geht.