Читать книгу hArmlos - Robert Klotz - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеDie aufgehende Sonne strahlte in blendendem Licht über die Dünen hinweg auf die riesige, weiße Mauer am Horizont. Er hatte sein Ziel beinahe erreicht.
Mit einem Ruck zog der Mann die Umhängetasche näher an seine Schulter, bevor er die kleine, ledrige Flasche um seine Hüfte abschnallte und kurz in der Hand wog.
„Ein Drittel voll“, dachte er sich, bevor er sie öffnete, den Stofffetzten von seinem Mund zog und einen kräftigen Schluck trank.
Das Wasser schmeckte alt und staubig, aber seine trockene Kehle schien es nicht zu stören.
Er musste sich zusammenreißen, um sich nicht den ganzen Inhalt in den Hals zu kippen und setzte wieder ab.
„Sechs bis acht Stunden“, schätzte er und ließ sich langsam den Hang der Düne hinabgleiten.
Der Sand unter seinen Schuhen knirschte mit jedem Schritt und die größeren Sandhügel machten ihm den Aufstieg zu einer Qual, bevor er die Spitze erreichte und auf der anderen Seite wieder herunterrutschte.
Sein Leben war einsam geworden, seitdem er dem letzten Schlachtfeld entkommen war. Er war einer derjenigen, die nun in Scharen durch das Land zogen, immer auf der Suche nach der nächsten Möglichkeit, ein wenig Geld zu verdienen.
Im letzten Jahr hatte er in drei kleinen Konflikten mitgekämpft, zweimal auf den Seiten der großen Konzerne, einmal auf der einer Widerstandsgruppe.
Ideologien waren kostspielig und er hatte nicht die Mittel, bei diesem Thema wählerisch zu sein. Solange ihm jemand ein paar Münzen in die Hand drückte, solange würde er für sie kämpfen.
Nur hatten nun die Konflikte an der Ostküste aufgehört. Eine Seite hatte gewonnen und die Söldner waren von dannen gezogen.
So wie er.
Mit dem bisschen Geld, das er verdient hatte, hatte er sich Vorräte gekauft und war losmarschiert. Immer in Richtung Westen.
„Mercy“ hieß die Stadt, die er nun ansteuerte. „Gnade“, sollte ihr Namen bedeuten, aber der Wanderer hatte keinerlei Hoffnung, dass es ihm in dieser Stadt besser ergehen würde. Zumindest kannte er dort ein paar Leute und würde mit ein wenig Glück Arbeit finden, die nicht darin bestand, auf andere Menschen zu schießen.
Die Dünen wurden kleiner und das Terrain unter ihm flachte zusehends ab, als ein starker Wind in seinem Rücken aufzog.
Er musste sich beeilen.
Mit neuem Elan fing er an zu laufen, während er die alte Fliegerbrille von seinem Gürtel holte und sie aufsetzte. Die Sandkörner, die nun um ihn herumwirbelten, stachen seine Haut an den ungeschützten Stellen und trieben ihn weiter.
Obwohl der Himmel blau und beinahe wolkenlos war, wurde die Welt um ihn herum dunkler. Dichter Staub blockte das Licht und verwandelte seine Umgebung in eine trostlose, graue Einöde.
Als er einen weiteren Sandhaufen hinaufgeklettert war, holte er das Fernglas aus seiner Tasche und warf nochmals einen Blick auf die Stadt.
Vierunddreißig Kilometer, zeigte ihm der untere Displayrand an, als er die Mauern anvisierte. Was ihn aber mehr interessierte, war das massive Tor, das sich wie ein grauer Block vom weißen Marmor absetzte.
Die Stadt war geschlossen. Jemand mussten den herannahenden Sandsturm bemerkt haben und der Eingang würde erst wieder offen sein, sobald er sich gelegt hatte.
„Da kannst du nichts machen“, ermutigte er sich selbst und ließ sich erneut hinuntergleiten. Am Fuß der Düne angekommen kramte er die Decke aus seiner Umhängetasche und breitete sie über sich aus.
Wenn er jetzt sowieso nicht in die Stadt kommen würde, hatte es keinen Sinn durch den Sturm zu laufen. Je näher er ihr kam, desto gefährlicher wäre es, sich auszuruhen.
Menschen, die außerhalb der Stadtmauer ihren Geschäften nachgingen, waren allerorts dafür bekannt, Neuankömmlinge auszurauben und er wollte jeden Streit vermeiden.
Der Wind legte noch einmal einen Zahn zu und ließ die kleinen Sandkörner gegen die Decke peitschen, unter der er jetzt saß. Die Luft war zwar stickig hier drinnen, aber zumindest musste er sich keine Sorgen machen, von dem Sand wundgescheuert zu werden.
Um sich die Zeit zu vertreiben, kramte er seine Dokumente hervor und ging sie noch einmal durch. Er hatte drei verschiedene Pässe, die ihm jeweils einen anderen Namen gaben, nur das Bild blieb immer das gleiche. Der Wanderer wunderte sich nicht zum ersten Mal, wie sehr er sich in den Jahren, seitdem es gemacht worden war, verändert hatte. Er war fünfzehn gewesen, als er das letzte Mal einer größeren Gruppe angehört hatte.
Joseph, so hatte ihr Anführer geheißen. Mit einem einzigen Blick hatte er den Wanderer durchschaut, ihn trotz seines Protestes neben das Lagerfeuer gesetzt und eine Schüssel mit undefinierbarem Essen in die Hand gedrückt.
Weder davor noch danach hatte er sich je wieder so akzeptiert gefühlt.
Sie waren zu zehnt gewesen, Joe, wie man ihn nannte, war mit knapp über zwanzig Jahren nicht der Älteste gewesen, aber sein Charme hatte sie alle zusammengehalten.
Ein junges Mädchen, Jennifer, war ihm auch noch in Erinnerung geblieben. Sie war eine Kriegswaise, so wie er, und nur wenige Jahre jünger, aber ihre Persönlichkeit war das genaue Gegenstück zu seiner. Offen, fröhlich und zugänglich hatte sie ihm von sich erzählt, während der Wanderer einfach nur danebengesessen war und ihr zugehört hatte.
In den zwei Jahren, die er mit den Leuten verbracht hatte, hatte er viel von allen gelernt. Joe hatte ihm gezeigt, wie man richtig mit einer Waffe umging und sie hatten zusammen wilde Hunde gejagt, während die Anderen ihn schon nach kurzer Zeit wie ein Familienmitglied behandelten. Sie hatten ihm das Kochen beigebracht, wie und wo man Arbeit finden konnte und was für ein Aufwand es war, seine Kleidung richtig zu flicken. Zu seinem sechzehnten Geburtstag wurde ihm ein offiziell aussehender Pass ausgehändigt, auf dem noch heute der Name stand, den sie ihm gegeben hatten:
Vitali.
Aber das war nicht alles. Die älteste Frau der Gruppe, eine beinahe fünfzigjährige Dame namens Emma, hatte ihm gezeigt, wie er sich neue Dokumente selbst herstellen konnte. Sie war nächtelang neben ihm gesessen, während sie ihm dabei zusah, wie er seine erste Fälschung perfektionierte.
Diese zwei Ausweise, plus einen weiteren, den er im letzten Jahr angefertigt hatte, trug er immer bei sich.
Amon, so würde er sich heute nennen. Er steckte das weiße Stück Papier in die Brusttasche seines Hemdes und verstaute die Anderen wieder in ihrem Geheimfach.
Dann zog er den Revolver, der an seiner Seite hing und nahm ihn auseinander, um sich auf andere Gedanken zu bringen.
Vorsichtig fuhren seine Finger über das Holz, das den abgeschliffenen Griff darstellte und die Erinnerungen an den Tag, als er die Waffe mit Joe zusammen gekauft hatte, strömten auf ihn ein. Vitali musste seinen Kopf schütteln, um nicht vollends in Gedanken zu versinken.
In der Trommel befanden sich noch drei Schuss, bemerkte er gerade und machte sich eine mentale Notiz, neue Patronen in der Stadt zu kaufen.
Er verbrachte die nächsten Stunden damit, die Einzelteile der Waffe zu säubern und zu ölen, bevor das Klopfen der Sandkörner auf seiner Decke endlich weniger wurde.
Sonnenstrahlen tauchten das Licht in seiner kleinen Höhle in ein dunkles Grün und Vitali zog die Decke wieder von seinem Kopf. Vereinzelte Sandkörner trafen noch immer auf seine Kleidung, aber schon bald sollte die Stadt wieder für ihn offen sein. Nachdem er den Sand aus dem Stoff geschüttelt hatte, verstaute er alles sorgfältig und setzte seinen Weg fort.
Die Temperatur stieg sprunghaft an, als er weiterging und jetzt, da nichts mehr zwischen dem Sand und der Sonne stand, konnte Vitali die heiße Luft vom Boden aufsteigen spüren. Fata Morganas bildeten sich am Horizont und obwohl er wusste, dass es sich nur um Luftspiegelungen handelte, machte sein Magen jedes Mal einen Sprung, wenn er sie erblickte.
Er leerte die Flasche an seinem Gürtel mit zwei weiteren kräftigen Schlucken und beschleunigte seine Schritte.
Die Sonne war schon weit über ihrem Zenit, als er endlich in den Schatten der Mauer kam, die ihm am Morgen so in die Augen gestochen waren. Das letzte Mal, als er hier gewesen war, es musste nun schon mehr als zwei Jahre her sein, hatten sie noch nicht so geglänzt. Damals waren die riesigen Blöcke noch uneben gewesen und die Schießscharten konnte man bereits aus Kilometern Entfernung sehen.
Hier und jetzt tat er sich schwer, sie aus nächster Nähe zu erkennen.
Der Marmor war abgeschliffen und poliert, kein einziger Fleck war in dem ganzen Weiß ersichtlich und sogar die Fugen zwischen den Blöcken hatten sie aufwendig gekittet.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und steuerte auf den riesigen Eingang zu. Irgendetwas stimmte hier nicht, wurde sich Vitali bewusst, aber er konnte seinen Finger nicht auf das Problem legen.
Sieben Wachen standen in dem über zwanzig Meter breiten Loch in der Mauer, während nur wenige Meter über ihnen ein riesiger Block aus strahlendem Metall hing, der in Notfällen einfach fallengelassen werden konnte. Wenn dieser Zugang verschlossen war, würde niemand durchkommen.
Eine der Wachen, eine junge, blonde Frau, die so wie ihre Kollegen ganz in schwarz gekleidet war, bemerkte ihn als Erste und steuert auf den Neuankömmling zu.
Er konnte ihre Schritte hören und jetzt fiel ihm auch auf, was ihn so sehr an dem ganzen Bild gestört hatte: Bis auf die Wachen war er der einzige Mensch, der hier stand. Normalerweise gab es Menschenmengen vor solchen Stadttoren. Die Leute versuchten, ihre Waren vor den Mauern anzubieten, wenn sie in der Stadt selbst keinen Platz dafür finden konnten und zwielichtige Gestalten boten jedem Neuankömmling Mittel und Wege an, unbemerkt hinein zu kommen.
Vitali öffnete langsam den Mantel, der um seinen Körper geschlungen war. Der Blick der Frau fiel sofort auf seine Waffe, während ihre Hand selbst zu einem noch glänzenden Revolver an ihrer Hüfte wanderte.
Der Wanderer war das Theater gewohnt. Wachen hassten es, wenn bewaffnete Leute auf sie zukamen und sie wurden nicht freundlicher, wenn sie seinen Revolver erst bei der Durchsuchung fanden.
Also hob er die Hände und blickte der jungen Frau in die Augen ohne sich weiter zu bewegen. Sie schien seine Geste zu verstehen und überquerte die Distanz zwischen ihnen in wenigen, großen Schritten. Ihre Hand fischte zuerst die Waffe aus seinem Gürtel, bevor sie einen Schritt zurücktrat und ihn genauer musterte.
„Papiere“, sagte sie schroff und Vitali, der sich jetzt Amon nannte, ließ die Hände sinken. Er erhaschte einen kurzen Blick über die Schulter der Frau hinweg zu den sechs anderen Männern. Sie standen noch immer in einem Halbkreis und wirkten vollkommen desinteressiert.
Mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen holte der Wanderer seine Papiere aus der Brusttasche und reichte sie der blonden Frau, die sie mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. Nachdem sie sie eingehend studiert hatte, schauten ihre warmen, braunen Augen wieder zu ihm hoch.
„Was bringt Sie in dieses Gebiet, Amon?“, fragte sich mit ehrlicher Überraschung.
„Arbeit. Zumindest die Hoffnung darauf“, gab der Wanderer zurück und versuchte charmant zu lächeln, bevor ihm auffiel, dass er noch immer einen Stofffetzen um Mund und Nase gewickelt hatte.
„Da werden Sie vielleicht Glück haben. Wie Sie sehen können“, dabei machte sie eine Handbewegung in Richtung der strahlend weißen Mauern, „hat unser ansässiger Konzern einiges an Geld in die Stadt investiert. Solange sie zuverlässig sind, stehen ihnen hier viele Möglichkeiten offen.“
Vitali schluckte. Er hatte nicht damit gerechnet, eine ehrliche Arbeit zu bekommen und die Vorstellung, zwischen solch beengenden Mauern zu leben, erfüllte ihn mit Unbehagen.
Anstatt weiter seinen Gedanken nachzugehen, sagte er schnell „Danke“, nahm sich die Papiere, die sie ausgestreckt vor ihm hielt und ging los.
„Ihre Waffe bekommen Sie wieder, sobald Sie die Stadt verlassen“, sprach die Frau beiläufig, als sie zurück zu den anderen Wachen ging und er nickte.
Den Rücken ihrer Uniform zierte ein großes, silbernes Emblem, das sich von dem schwarzen Stoff abhob.
Medic Inc. stand dort und der Wanderer musste ein Schauern unterdrücken.
Eine Firma, die reich genug war, um das alles zu bezahlen und sich eine Privatarmee zu leisten verhieß in seinen Augen nichts Gutes.
Er passierte die restlichen Wachen und sah mit an, wie die junge Frau sich wieder in die Gruppe eingliederte. Den Revolver, den sie ihm abgenommen hatte, hielt sie den anderen Uniformierten hin, die die Waffe in aller Ruhe musterten.
Vitali beschlich das Gefühl, dass es besser wäre, so schnell wie möglich wieder von hier zu verschwinden.