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Kapitel 5

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In seinem Traum stand er am Fuß einer Düne, die blutrot unter einem schwarzen Himmel aufragte. Er blickte an sich herunter und sah, dass er die gleiche Kleidung trug, die er angehabt hatte, als er auf Joe und seine Truppe gestoßen war. Seine Füße fingen an, ihn ohne seinen Willen den Sandhügel hochzutragen und als er oben ankam, sah er Joe und Mike vor sich stehen. Die beiden Männer lachten fröhlich miteinander, während ihre Gewehre an den Tragegurten hin und her schaukelten.

„Schau, der große Jäger ist zu uns zurückgekehrt!“, rief Joe, als er den jungen Vitali erblickte.

„Und er hat uns Beute mitgebracht!“, rief der andere Erwachsene.

Mit rot anlaufendem Gesicht, hob Vitali den toten Hasen, den er in seiner Hand hielt und zeigte ihn den beiden.

„Ausgezeichnet!“, rief Joe und Mike stimmte mit ein.

Er konnte in ihren Stimmen nicht einen Hauch von Sarkasmus entdecken. Sie freuten sich wirklich für ihn. Er hatte endlich eine Familie gefunden.

Mike lief fröhlich lachend die Düne auf der anderen Seite hinab, während Joe einen Schritt näher auf ihn zutrat und ihm die Hand auf die Schulter legte.

„Vitali, du lernst schnell und bist ein besserer Jäger, als ich es jemals sein könnte, aber sei auf der Hut: In dieser Welt bleibt man nicht immer ein Jäger, man wird auch zum gejagten. Also behalte deinen Kopf und lass dich nie in eine Situation bringen, aus der es keinen Ausweg mehr gibt. Verstanden?“

Dabei nickte der junge Vitali.

Er konnte sich noch genau an diese Szene erinnern. Es war der Tag, an dem er zum ersten Mal einen Hasen erlegt hatte, ohne eine Schusswaffe zu gebrauchen. Stundenlang hatte er sich über den Sand gerobbt, um nah genug an den Bau zu kommen, dabei hatten ihm die feinen Körner den Bauch und die Brust aufgerieben.

Aber am Ende hatte er es geschafft. Der Hase war das Beste, was er in seinem Leben bis dahin gegessen hatte und sie hatten alle gelacht und gesungen.

Nicht einmal zwei Monate später war Mike in einen Kugelhagel geraten und liegengeblieben und Joe, der niemals einen Menschen zurücklassen wollte, war noch als er seinen Freund aus der Schusslinie tragen wollte, ebenfalls gestorben.

Sie hatten nie wieder miteinander gelacht.

Vitali erwachte schwer atmend und blickte sich um.

Er war wieder in der Gegenwart. In Jennifers kleiner Wohnung, auf der Couch.

Eine samtweiche Decke lag auf ihm und die rothaarige Frau saß in einem bequemen Sessel auf der anderen Seite des Raumes.

Er blickte auf die Uhr und stellte fest, dass es gerade einmal zehn Uhr war. Er hatte nur vier Stunden geschlafen, auch wenn es ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war.

„Guten Morgen!“, grüßte ihn die junge Frau und schaute von ihrem Buch auf.

Er murmelte etwas und setzte sich noch immer schlaftrunken auf.

„Das Klo ist da hinten“, sagte sie und zeigte auf eine Türe in Richtung des Einganges und er nahm ihren Tipp dankend an.

Als er erfrischt wieder in das Wohnzimmer trat, stand Jennifer bereits in der Küche und der Duft von Kaffee erfüllte den Raum.

„Du musst hungrig sein“, rief sie aus dem kleinen Nebenzimmer und Vitali stimmte ihr sofort zu.

„Wie hast du geschlafen?“, kam ihre nächste Frage, als sie mit zwei Tassen Kaffee aus der Küche trat und sich neben ihn auf die Couch setzte.

„Sehr gut. Erstaunlich gut, dafür, dass nur vier Stunden vergangen sind.“

Jennifer konnte ein kurzes Lachen nicht unterdrücken und antwortete:

„Du warst hast nicht vier Stunden geschlafen, es waren achtundzwanzig. Ich konnte dich gestern gar nicht aufwecken, nicht einmal der Bar-Lärm über dir hat dich aus deinem Schlaf holen können. Als du heute Morgen immer noch nicht aufgewacht bist, habe ich mir gedacht, ich leiste dir ein wenig Gesellschaft und schaue, dass du nicht ewig so liegen bleibst.“

Vitali konnte die Hitze in seinen Ohren spüren, als ein lauter Plopp die Wohnung erfüllte.

„Der Toast ist fertig! Warte hier, ich bring dir gleich was!“

Mit diesen Worten sprang die junge Frau auf und verschwand wieder in der Küche. Der Wanderer fühlte sich schuldig, ihr so zur Last zu fallen, kannte sie aber zu gut, um ihr Hilfe anzubieten. Er würde seinen Auftrag erledigen und sie danach zum Essen einladen, oder was auch immer man hier machen konnte.

Sie aßen auf der Couch während sie sich über alte Zeiten und neue Gegebenheiten unterhielten, bevor Jennifer um elf Uhr endlich in ihr Bett kroch.

Obwohl er ihr versprochen hatte, noch nichts in Bezug auf den Auftrag zu unternehmen, wussten sie beide, dass er nicht still sitzen konnte. Er schrieb ihr eine kurze Nachricht und schlich sich leise aus der Türe. Wenn er in den nächsten zwei Tagen nicht zurückkäme, konnte sie die siebzig Credits, die er ihr dagelassen hatte, gerne behalten.

Als er die Türe zu ihrer Bar von außen schloss, überkam ihn ein kurzes Gefühl der Endgültigkeit. Etwas sagte ihm, dass er sie nie wieder sehen würde, wenn er jetzt so davonschlich, aber er ignorierte die kleine Stimme in seinem Kopf.

Endlich ausgeschlafen, satt und ohne Durst machte er sich auf den Weg, diese Rosie zu finden.

Er schlenderte gemütlich die unterirdische Straße entlang während um ihn herum Leute in Hauseingängen schliefen und über ihm leichte Vibrationen von den Werkstätten des Konzernes die Decke erschütterten.

Es gab hier, soweit er sehen konnte, vier Stiegen, die zu unterschiedlichen Gebäuden in der Stadt hinaufführten, aber sein Blick galt den Menschen, die im Neonlicht der Lampen herumlungerten.

Der Wanderer suchte einige Zeit, bevor er endlich eine ältere Dame mit einer riesigen Narbe quer über das Gesicht fand. Ihr Haar war an den Ansätzen weiß, ihr gesundes Auge schimmerte grau im Licht, während das Künstliche jeder seiner Bewegungen zu folgen schien.

Vitali hatte schon schönere synthetische Augen gesehen, aber wohl noch keine besseren. Die Pupille folgte jeder noch so kleinen Zuckung, während das Auge ohne Geräusch in der Augenhöhle herumfuhr.

„Was suchst du hier?“, fragte ihn die Frau, als er näherkam und Vitali hob seine Hände, um ihr zu zeigen, dass er keine bösen Absichten hatte.

„Ich bin nur auf der Suche nach Antworten“, gab er beruhigend zurück und blieb knappe zwei Meter vor der Frau stehen.

Ein Knurren erklang im Hals der Alten als sie ihn weiter unablässig musterte.

„Ich handle Waren, keine Informationen, also schau, dass du weiterkommst!“

Vitali blieb stehen und ließ sich nicht beunruhigen. Er fischte den fünf Credits Schein aus seiner Tasche und hielt ihn vor sich hin.

„Ich brauche nur ein paar Antworten, dann lasse ich dich wieder in Ruhe und du wirst mich nie wieder sehen! Versprochen!“

Rosie trat einen Schritt auf ihn zu, lachte und sprach: „Du weißt, mein Auge erkennt Falschgeld. Wenn du mich versucht hereinzulegen …“, sie ließ den Satz unvollendet während ihre Hand über den Griff einer Pistole glitt.

„Keine Sorge“, erwiderte der Mann, der sich jetzt nicht mehr ganz sicher war, dass der Mann im Anzug ihm nicht Falschgeld in die Hand gedrückt hatte.

Vielleicht hatte er sich einen Spaß gemacht und wollte schauen, wer die erste Person war, die Geldfälscher umbrachte.

Er verlagerte sein Gewicht auf den Hinterfuß, um im Notfall schnell davonlaufen zu können und das künstliche Auge folgte seinen Bewegungen.

Die Frau machte einen weiteren Schritt auf ihn zu und riss mit einer blitzschnellen Bewegung den Geldschein an sich. Sie hielt ihn vor ihr künstliches Auge, das nun hin und her zischte.

Nach wenigen Sekunden senkte sie das Papier und starrte ihn wieder an.

„Gut. Was willst du? Stell deine Fragen, ich habe nicht ewig Zeit!“

„Aus dem Hauptquartier der Medic Inc. sind Prototypen gestohlen worden. Was weißt du darüber?“

Rosie lachte trocken auf bevor sie antwortete: „Ach, so ist das. Du bist der neue Schoßhund von Oberaufseher Meiser! Ich kann dir gerne helfen, aber dafür will ich dein Wort, dass du meinen Namen aus allen Diskussionen mit deinem neuen Herrchen rauslässt!“

Vitali nickte, fühlte sich aber dazu gezwungen, etwas klarzustellen:

„Ich mache nur einen Auftrag für ihn. Mehr habe ich nicht mit ihm zu tun.“

„Jaja“, erwiderte die Alte ungeduldig, „das sagen sie alle. Du hast sein Geld genommen, du gehörst jetzt ihm. Für immer.

Ich kann dir nicht sagen, wer die Prototypen gestohlen hat, ich kann dir aber zeigen, wo sie sich befinden. Aber wie gesagt, mein Name bleibt aus allem raus!“

Vitali nickte noch einmal und die Frau drehte sich zur nächstbesten Wand um. Ein Klicken ertönte und ihr künstliches Auge leuchtete rot auf, während helle Strahlen an der Wand ein Bild zeichneten.

Eine Landkarte. Sie zeigte eine beinahe kreisrunde Stadt umgeben von glatten Flächen und Gebirgsmassiven im Norden und Süden.

„Cool, nicht wahr?“, fragte sie den erstaunten Mann, der kein Wort herausbrachte.

„Die neuen Modelle haben so manche Spielerei, die ganz nützlich sein kann.“

Ein roter Punkt erschien auf der Karte, unter der Stadt, direkt am Hang des Gebirges.

„Dorthin habe ich sie liefern lassen. Pass aber auf, wer auch immer diese Dinger gekauft hat, hat gewusst, auf was er sich damit einlässt.“

Vitali prägte sich die Karte noch einmal genau ein bevor er sich bei der Frau bedankte und wieder zurückging. Er wollte die Stiege aus dem roten Haus nehmen, um wieder dort herauszukommen, wo er hineingegangen war.

Hinter sich hörte er die alte Frau in eine der Seitengassen verschwinden.

Auf dem Weg zurück musste er sich bewusst davon abhalten, nicht noch einmal einen Abstecher nach ‚Charlies‘ zu machen. Er wollte Jennifer jetzt nicht wecken und wenn sein Glück anhielt, wäre er heute Abend schon wieder zurück.

Die Stiege fand er ohne Probleme und bevor es zwei Uhr war, stand er auf der einsamen Straße, nahe des Stadttores. Die Sonne brannte unnachgiebig auf seinen Kopf herunter, auch wenn ein kühlerer Luftstrom ihn die Hitze beinahe vergessen ließ.

Der Wanderer richtete seinen Gürtel zurecht, zog sich sowohl Brille wie auch Mundtuch wieder an und ging auf die kleine Gruppe an schwarz uniformierten Wachen zu.

In ihrer Mitte stand wieder die blonde Frau, mit der er ein paar Worte reden wollte. Die Wachen drehten sich nicht zu ihm um, bis er direkt hinter ihnen stand und einem von ihnen auf die Schulter klopfte.

„Ja“, fragte der Mann in einem unfreundlichen Tonfall, die blonde Frau erkannte ihn aber und drängte sich dazwischen.

„Ich mach das, Olaf“, sagte sie beschwichtigend, packte Vitali am Ärmel und zog ihn zur Seite. Sie gingen in Richtung einer kleinen, unscheinbaren Türe, auf der Innenseite des Tores eingelassen war. Der Wanderer blickte wieder hinauf, zum schweren Metallklotz, unter dem sie jetzt standen und die kleinen Haare in seinem Nacken standen auf.

Seine Begleiterin trat vor und presste eine kleine, schwarze Scheckkarte an ein Stück der Wand, das daraufhin geräuschlos zur Seite glitt und einen schwach belichteten Raum dahinter preisgab.

Zwei Tische standen an einer der Wände und eine Reihe von Bildschirmen zierte die Andere. Ein junger, rothaariger Wachsoldat saß still vor den Monitoren und blickte erst zu ihnen auf, als die junge Dame ihm eine Hand auf die Schulter legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Wie vom Blitz getroffen stand der junge Mann, der vom Aussehen her höchstens achtzehn Jahre alt sein konnte, auf und salutierte Vitali.

Nicht wissend, was er jetzt tun sollte, nickte der Wanderer einfach und hoffte, damit die richtige Antwort gegeben zu haben.

Der Junge drehte sich militärisch zur Seite und verließ das kleine Büro in offensichtlich geübten Schritten. Als er durch die Türe verschwunden war, schloss sie sich wieder automatisch.

Die junge Wachsoldatin fing an, lauthals zu lachen und, auf den verunsicherten Blick Vitalis hin, erklärte sie:

„Ich habe ihm gesagt, dass du ein Agent vom Oberaufseher Meiser bist. Er hätte sich beinahe in die Hose gemacht, als ich ihn darauf hingewiesen habe, dass es Insubordination ist, einen so hochrangigen Mann respektlos zu behandeln.“

„Ein Agent?“, fragte der Wanderer verwundert.

„Naja, so falsch liege ich damit ja nicht. Ich habe mal ein paar Nachforschungen über dich angestellt. Du bist doch von ihm engagiert worden, oder?“

Der Mann überlegte kurz, wie viel er ihr sagen sollte, fand es dann aber doch vorteilhaft, bei der Wahrheit zu bleiben.

„Ja. Und ich glaube ich habe gefunden, nach was ich gesucht habe. Jetzt brauche ich nur noch ein paar Informationen und die Waffe, die man mir abgenommen hat. Dann mache ich mich auf den Weg“

Die junge Frau drehte sich von ihm weg und öffnete einen kleinen Schrank auf der Seite, während sie sagte: „Stell‘ ruhig deine Fragen. Jetzt, da wir uns offiziell treffen ist es meine Pflicht, dir jegliche Unterstützung zukommen zu lassen, die du brauchst.“

„Was kannst du mir über einen Schmuggler sagen, der im Süden der Stadt ein Lager hat?“, begann er.

„Gar nichts. Wir hier an der Oberfläche machen keine Geschäfte mit Kriminellen und ich kenne niemanden, der schon einmal einen Schmuggler hier hereingelassen hätte.

Das Einzige, was ich dir da sagen kann ist, dass es im Süden eine steile Felswand gibt, in die jemand vor vielen Jahren einen Bunker gebaut hat. Aber ich kenne auch niemanden, der so einen Ort freiwillig betreten würde. Die Leute hier glauben, das Gebiet im Süden von hier ist verflucht.

Seitdem man hier aufgeräumt hat und das ganze Gesindel unter die Erde verschwunden ist, hört man aber auch als Wache viel weniger über solche Dinge.“

Mit diesen Worten reichte sie ihm den Revolver und eine kleine Schachtel mit Munition.

Auf Vitalis fragenden Blick antwortete sie: „Eine kleine Aufmerksamkeit vom Chef. Es waren nur noch drei Schuss in den Kammern.“

Dankend nickte der Mann und verstaute das ihm soeben gereichte.

„Ich muss außerdem noch meine Wasserflasche nachfüllen, bevor ich losgehen kann. Du weißt nicht zufällig, wo man hier einen Brunnen findet?“

Die Frau ließ eine Hand über die Wand hinter ihr gleiten und das kleine Paneel fuhr zur Seite. Ein metallisches Rohr war dahinter verbaut, mit einem kleinen Rad an der Seite.

„Das ist normalerweise nur für Wachpersonal, aber ich glaube bei dir können wir eine Ausnahme machen.“

Ihr Lächeln wirkte aufrichtig und Vitali hielt seine Flasche darunter, bevor er ein paar kräftige Schlucke davon trank und dann noch einmal nachfüllte.

Als er sich abwendete und auf die Türe zuging, spürte er ihre Hand an seinem Ellenbogen. Er drehte sich überrascht zu ihr und blickte in Augen, die jetzt beinahe bestürzt zu ihm aufschauten.

„Falls … Wenn du wiederkommst, muss ich dich auf ein Getränk einladen. Als Dankeschön dafür, dass du mich vorgestern laufen hast lassen. Pass auf dich auf, da draußen.“

„Ich sollte sowieso heute Nacht wieder zurück sein. Und ich kenne da eine Bar, in die wir gehen können“, versprach er ihr und lächelte sie durch den Stofffetzten an.

Ihre Hand löste den Griff um seinen Arm und er ließ sie zurück in der Wachkammer.

Noch einmal kontrollierte Vitali seine Habseligkeiten, bevor er den ersten Schritt in Richtung des Bunkers machte.

Hinaus in die Wüste, immer in Richtung Süden.



















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