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Die Mogelpackung der »Zweiten Moderne«

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Die Zusammenhanglosigkeit eines Denkens, das schon keines mehr ist, feiert ihre traurigen Triumphe und blamiert die zugrunde liegende Gesellschaftsform, ohne es zu wissen. Unfreiwillig zeigt das niemand besser als der Soziologe Ulrich Beck, der das Verfahren phänomenologisch verkürzter Gesellschaftsanalyse bis zur Virtuosität entwickelt und geradezu als eine Art theoretische Popkultur kreiert hat, die mit Begriffen spielt, die auch schon keine mehr sind. So hat sich die von Beck in die Welt gesetzte Leerformel der sogenannten »Zweiten Moderne« einen Spitzenplatz in der Hitparade von Schlagworten des dahinplätschernden Beliebigkeitsdiskurses erobert. Wenn dieser clever kreierte Topos überhaupt etwas bedeutet, dann ist es eine Mogelpackung: Er soll suggerieren, dass die kapitalistische Moderne (das Adjektiv kann man sich fast schon sparen) fähig sei, über sich selber hinauszuwachsen und doch immer dieselbe zu bleiben.

Die Metaphern für dieses Verfahren sind längst schal, weil sie den Betrug und Selbstbetrug der bürgerlich-demokratischen Ideologie von Anfang an gekennzeichnet haben: nämlich den Pelz waschen, ohne ihn nass zu machen – und alles ändern, damit alles bleibt, wie es ist. Das war übrigens auch in einem 90er-Jahre-Werbespot für irgendeinen ungenießbaren EdelKaffee die Antwort einer puppenhaften Jeunesse-doree-Frau auf die Frage, was sie sich wünschen würde, wenn sie einen Wunsch frei hätte: »dass alles so bleibt, wie es ist«. In genau diesem Sinne wird letzten Endes die Formel der »Zweiten Moderne« aufgegriffen, deren Protagonisten sich nun wie über alle zusammenhanglos betrachteten Erscheinungen auch über die Globalisierung hermachen. Ulrich Beck sieht darin, dreimal darf man raten, natürlich eine »Chance«. Und zwar vor allem für die weitere Karriere des Unbegriffs »Zweite Moderne«:

»Es stellt sich allerdings sowieso ... die Frage: Was trägt die Globalisierungsdebatte zur Klärung des Begriffs ›Zweite Moderne‹ bei? Die Antwort lautet: Wenn es gelingt, die Deutung zu erhärten, hinter der Sprachverwirrung um Globalisierung zeichne sich das Leitmotiv einer neuen Großen Erzählung ab, dann bedeutet das nicht nur einen Abschied von der Postmoderne. Es wird zugleich möglich, die Rede von der Zweiten Moderne auf einer konkreten Ebene zu entfalten« (Beck 1998, 8 f.).

Wenn man aber keine abstrakte Ebene theoretischer Reflexion hat, dann gibt es auch nichts auf einer konkreten Ebene zu entfalten. Die Gesellschaftsanalyse Becks und seiner Mitstreiter in der »Edition Zweite Moderne«, deren Referenzrahmen nicht mehr der kritische Begriff der kapitalistischen Gesellschaftsformen und ihres irrationalen Fetischcharakters bildet, stellt das Phänomen der Globalisierung ebensowenig in einen theoretischen Zusammenhang wie sie dazu hinsichtlich des Phänomens der Individualisierung in den 80ern fähig war. Ausgerechnet Beck, der die postmoderne Abrüstung der kritischen Theorie zwar in ihrer philosophischen Legitimation weitgehend ignoriert, sie dafür aber als Soziologe umso heftiger exekutiert und geradezu verkörpert hat, möchte sich nun in dem für ihn viel zu weiten Mantel der »Großen Erzählung« verstecken.

Auf diese Weise wird die Becksche Mogelpackung aber nur verdoppelt. Denn wie die kapitalistische Moderne mit der Leerformel der »Zweiten Moderne« gerade dadurch reflexionslos verlängert werden sollte, dass sie mit dem falschen zweiten Namen einer »reflexiven Moderne« geschmückt wurde, ebenso haben wir es jetzt offenbar mit dem Versuch zu tun, diese typisch postmoderne Camouflage noch zu übertreffen: Die Postmoderne soll ihrerseits wieder scheinhaft »überwunden« werden, ausgerechnet durch die Ernennung der theoretisch begriffslosen Globalisierungsdebatte zu einer neuen »Großen Erzählung«. Eben jene phänomenologische Beschränktheit, die soeben noch das Credo der eitlen Großtheorielosigkeit war, möchte nun selber als Großtheorie gelten. Die Nichtigkeit dieses faulen Zaubers zeigt sich auch daran, dass Beck einen durchaus passenden kollektiven Autor oder Co-Autor für die Große Globalisierungserzählung gefunden zu haben glaubt:

»Marx ist nicht länger freier Schriftsteller und kritischer Kritiker, sondern Angestellter der Weltbank, Finanzjongleur auf den globalisierten Kapitalmärkten oder Wirtschaftsjournalist. Er publiziert unter verschiedenen Pseudonymen in der Financial Times, New York Times oder im Spiegel. Der vierte Band des Kapitals erscheint als Fortsetzungsserie ohne absehbares Ende in den Sprachen der Welt...« (Beck 1998, 9).

Genau diese Akteure der nationalen und internationalen Finanzinstitutionen, der Finanzmärkte und der Wirtschaftspresse müssen aber von Berufs wegen jene völlige Distanzlosigkeit zum Charakter ihres Tuns und Treibens an den Tag legen, die dann von den Hoffnungsträgern des »neuen Pragmatismus« in die Sprache einer nur noch gespenstischen Postpolitik übersetzt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei der vierte Band des »Kapitals« herauskommt, ist ungefähr so groß wie diejenige, dass die berühmten tausend Affen, an tausend Schreibmaschinen gesetzt, Goethes »Faust« hervorbringen werden.

Marx müsste heute seine »Große Erzählung« sogar in höherem Maße außerhalb der herrschenden Institutionen formulieren (und insofern vogelfreier Schriftsteller und kritischer Kritiker sein) als im 19. Jahrhundert, weil die Distanzlosigkeit und funktionalistische Reduktion des offiziellen Denkens zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowohl im wissenschaftlichen Betrieb als auch im Massen- und Alltagsbewußtsein viel weiter fortgeschritten ist. Die kapitalistischen Funktionseliten des 19. Jahrhunderts waren in vieler Hinsicht nebenbei bürgerlich »gebildet« und konnten daher die theoretische Reflexion zwar auch nicht selber hervorbringen, aber wenigstens ansatzweise verstehen. Wer die gegenwärtigen Akteure des Managements und der Institutionen des Finanzkapitalismus ebenso wie der Politik aus der Nähe erlebt oder ihre schriftlichen Auslassungen auch nur probeweise zur Kenntnis genommen hat, wird erstaunt sein über die Unbildung, die sekundärbarbarische Rohheit dieses Geistes, der in philosophisch-begrifflicher Hinsicht umso tiefer bis auf ein pubertäres Niveau gesunken ist, je mehr er sich technisch und medial aufgerüstet hat. Offenbar bringt der digitale Dschungel des globalisierten Kapitals eine Art »Idiotie des Landlebens« zweiter Ordnung hervor. Deshalb schließt sich das Räsonnement dieser kapitalistischen Funktionsidioten (analog zu dem der akademischen Fachidioten) auch nicht zu einer zusammenfassenden Reflexion, sondern köchelt als »Fortsetzungsserie ohne absehbares Ende« vor sich hin, während ihr praktisches Handeln eher von einem Instinkt der »zweiten Natur« als von bewusstem Denken geleitet wird.

Es ist also kein Wunder, dass sich sowohl die Emphatiker als auch die Kritiker der Globalisierung nur auf die Oberfläche der Erscheinungen beziehen können. Indem Ulrich Beck Reflexion und Kritik auf das Fassungsvermögen der immanenten Funktionsidioten reduzieren will, muss er sich in Wahrheit vor einem wirklichen »neuen Marx« fürchten, der die radikale Kapitalismuskritik neu formulieren könnte:

»Bevor ein neuer Marx den Westen wachrüttelt, gilt es, längst fällige Ideen und Modelle für einen veränderten Gesellschaftsvertrag aufzugreifen« (Beck 1997, 107).

Damit ist apriori festgelegt, dass die Kritiker bestimmter negativer Erscheinungen im Prozess der Globalisierung den kapitalistischen Funktionsrahmen nicht in Frage stellen dürfen; denn der längst abgegriffene und inflationär benutzte Begriff des »Gesellschaftsvertrags« bezieht sich immer nur auf nachgeordnete bürgerliche Rechtsverhältnisse, die von bereits kapitalistisch konstituierten Subjekten eingegangen werden.

»Kritiker« ist somit zuviel gesagt, denn dabei handelt es sich um eine Kritik, die auch schon keine mehr ist – es geht immer nur um Symptome, die dann durch demokratische Hausmittel behandelt werden sollen. Weniger mit Kritikern als mit Hilfsschwestern und Pferdedoktoren am Krankenbett der Weltmarktwirtschaft haben wir es zu tun. Deshalb beeilen sich die Kritiker in der Regel auch, den Optimisten im Prinzip darin beizupflichten, wie chancenreich im Sinne Becks die Globalisierung doch sein könnte, wenn nur die eine oder andere kleine Maßnahme auf den Weg gebracht würde. So kamen etwa die beiden Spiegel-Redakteure Hans-Peter Martin und Harald Schumann, nachdem sie in ihrem 90er-Jahre-Bestseller »Die Globalisierungsfalle« auf hunderten von Seiten die Schreckensbilder der global enthemmten Märkte, das »Gesetz der Wölfe« und die drohende »Einfünftelgesellschaft« beschworen hatten, zu einem erstaunlich bescheidenen Heilungsprogramm:

»Den meisten Konzernlenkern und liberalen Wirtschaftspolitikern gilt jeder Widerstand ... nur als nutzloser Versuch, einen Status quo zu verteidigen, der nicht zu halten ist ... Eine Umkehr ist jedoch auch gar nicht wünschenswert. Die weltweite wirtschaftliche Integration birgt schließlich ungeheure Chancen ... Dann aber käme es darauf an, das bislang selbstmörderische Weltmarktrennen in sozial- und demokratieverträgliche Bahnen zu lenken und die Globalisierung der Ungerechtigkeit in eine Entwicklung für den globalen Ausgleich zu verwandeln« (Martin/Schumann 1996, 312 ff.).

Offenkundig fromme Wünsche als hilflose Beschwörung bürgerlicher Moral und bürgerlicher Illusionen mitten in der »Globalisierungsfalle«, das ist die zwangsläufige Folge jenes Mangels an grundsätzlicher Kapitalismuskritik. Martin/Schumann sind so sehr in den Kategorien der herrschenden Ordnung befangen, dass sie sich radikale Kritik höchstens als ein »Zurückdrehen des Rades« in einen früheren phänomenologischen Zustand eben desselben Systems vorstellen können, was natürlich immer unmöglich ist. Da hilft dann nur noch das Beten für »Sozialverträglichkeit« und »Demokratisierung«; passende Sub-Leerformeln für die Großleerformel der »Zweiten Moderne«. So oder so – Dabeisein ist alles, die Globalisierung des Kapitals ist unser Schicksal und soll es anscheinend für immer bleiben.

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