Читать книгу Die geheime Macht der Düfte - Robert Müller-Grünow - Страница 12

5. Psychologie des Riechens – der Proust-Effekt

Оглавление

Düfte rufen Erinnerungen wach, schöne und weniger schöne – egal wie lange sie zurückliegen mögen. Umgekehrt können wir jedoch genauso Düfte im Kopf entstehen lassen. Wir müssen uns nur auf sie konzentrieren. Wenn ich heute die Augen schließe und an Comillas denke, kann ich die Dünen und das Meer riechen. Denken Sie an etwas ganz Banales und stellen sich den Geruch einer Portion Fritten oder eines Hamburger vor. Und wenn Sie den Geruch im Kopf haben, lässt der Geschmack auf der Zunge nicht lange auf sich warten. Das Gefühl kommt vielleicht nicht beim ersten Mal auf. Aber auch das kann man üben.

Übung: Denke an Gerüche und schmecke sie

Trainieren Sie Ihren Geruchssinn, indem Sie an Gerüche denken. Entspannen Sie sich, setzen Sie sich bequem hin, schließen Sie die Augen und denken Sie an den Duft Ihres Lieblingsgerichts, an das Aroma einer Nougatpraline oder an das eines guten Rotweins … Seien Sie nicht ungeduldig, es klappt vielleicht nicht beim ersten Mal, aber mit etwas Übung wird es funktionieren.

Eigentlich eine schöne Diät: Man riecht und schmeckt, aber nimmt kein Gramm zu. Gerüche und Aromen können tatsächlich helfen, den Hunger im Zaum zu halten. Vorausgesetzt, die richtigen Nervenimpulse kommen im Gehirn an. Denn das Sättigungszentrum im Gehirn ist mit den Riechnerven verbunden. Pfefferminzöl zum Beispiel kann dabei unterstützen, Essgewohnheiten zu verändern. Experten raten dazu, drei bis vier Mal am Tag ein paar Tropfen des Öls in ein Taschentuch zu geben und daran zu schnuppern. Dadurch verspüre man weniger Lust auf Süßigkeiten und fettiges Essen, außerdem aktiviere man damit den Stoffwechsel. Auch der Duft von Vanille könne ein Ersatz für den Verzehr von Süßem sein. Der Geruch von Blutorangenöl soll einen, wenn man ihn vorm Einschlafen riecht, vor nächtlichen Heißhungerattacken bewahren.

Schokolade macht glücklich, heißt es, leider macht sie auch dick. Im Kakao befinden sich Aufputschmittel wie Koffein oder der Pflanzenstoff Theobromin, der rauschähnliche Zustände hervorrufen kann. Auch ein Baustein des Glückshormons Serotonin steckt im Kakao. Wenn nun der Genuss eines Nahrungsmittels wie Schokolade glücklich macht, dann wird der Duft dieses Nahrungsmittels im Gehirn mit dem Glücksgefühl verknüpft. Mit etwas Übung reicht also der Duft von Schokolade aus, um positive Gefühle in uns zu wecken.

Was uns zu der Frage bringt, ob an dem Spruch, man nehme schon zu, wenn man Essen nur riecht, ein Fünkchen Wahrheit ist. Der Wissenschaftler Andrew George Dillin von der University of California im kalifornischen Berkeley wollte es genauer wissen und machte eine Studie mit Mäusen. Diese unterteilte er in drei Gruppen: In der ersten konnten die Tiere ganz normal riechen, in der zweiten wurde der Geruchssinn der Nager während des Fressens blockiert. Bei den Tieren der dritten Gruppe handelte es sich um sogenannte Supernasen: Ihr Geruchssinn wurde gesteigert. Alle drei Gruppen wurden auf sehr kalorienreiche Nahrung umgestellt. Die normalen Mäuse und die geruchsempfindlichen Mäuse verdoppelten ihr Körpergewicht, während die Mäuse, die nichts riechen konnten, nur 10 Prozent an Gewicht zulegten. Und übergewichtige Mäuse ohne Geruchssinn nahmen sogar ab, obwohl sie gleich viel aßen wie die anderen Nager. Die Erklärung der Forscher: Sobald der Geruchssinn Essen wahrnimmt, schaltet der Körper um auf „Fett speichern“ statt auf „Fett verbrennen“. Dillin geht davon aus, dass dies auch bei Menschen funktioniert. Man könne den Fettspeicherungsprozess austricksen, indem man während des Essens seinen Geruchssinn blockiere. Denn dann sei der Körper ja immer noch im Modus, Fett zu verbrennen. Was folgern wir daraus: Beim Essen die Nase zuhalten? Dann doch lieber ein bisschen mehr auf den Rippen.

Doch zurück zu dem Phänomen der Duft-Erinnerung, das auch als „Proust-“ oder „Madeleine-Effekt“ bezeichnet wird. In den Jahren von 1913 bis 1927 erschien Marcel

Prousts siebenbändiges Hauptwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Proust beschreibt darin an einer Stelle, wie sich sein Protagonist Swann durch einen Geruch in die Vergangenheit zurückversetzt fühlt. Es ist der Duft von Tee und frischen Madeleines, einem süßen Gebäck, mit Zitrone und Rum. Diese Geruchskombination ruft in Swann schlagartig eine Flut von Erinnerungen an seine Kindheit wach. Erinnerungen, die tief in seinem Unterbewusstsein verschüttet waren.

„Und mit einem Mal war die Erinnerung da …,“ schreibt Proust, „… doch wenn von einer weit zurückliegenden Vergangenheit nichts mehr existiert, nach dem Tod der Menschen und dem Untergang der Dinge, dann verharren als einzige, zarter, aber dauerhafter, substanzloser, beständiger und treuer der Geruch und der Geschmack, um sich wie Seelen noch lange zu erinnern …“ Und diesen schönen Zeilen verdankt der Proust-Effekt seinen Namen.

Dr. Marieke Toffolo von der Universität Utrecht wollte es genauer wissen und untersuchte, welche Sinneswahrnehmung unser Erinnerungsvermögen am stärksten beeinflusst. Dazu teilte sie ihre Testpersonen in drei Gruppen ein. Allen drei Gruppen wurde eine sehr brutale und gewalttätige Dokumentation mit Szenen von Verkehrsunfällen und Kriegsverbrechen vorgeführt. Der Raum der ersten Gruppe wurde während der Vorführung mit dem Aroma der Cassisblüte beduftet, auf die zweite Gruppe wirkten Lichtsignale ein. Und die Probanden der dritten Gruppe sahen den Film mit dem Sound rhythmischer Musik. Nach einer Woche kamen die Probanden wieder zusammen und sollten sich nun möglichst detailgetreu an die Szenen der Dokumentation erinnern. Dabei wurden sie wieder jeweils dem Duft, der Musik und den Licht­effekten ausgesetzt. Es zeigte sich, dass die Duft-Gruppe sich besser an Details des Films und ihre Gefühle beim Anschauen erinnern konnte als die beiden anderen Gruppen. Die Beduftung löste also stärkere Emotionen und Erinnerungen aus als Lichteffekt oder Musik. Während visuelle, akustische oder haptische Signale erst in der Großhirnrinde des Gehirns verarbeitet werden müssen, wirken Düfte im Gehirn direkt auf das limbische System, wo Emotionen verarbeitet und Triebe gelenkt werden. Der Geruchssinn ist der unmittelbarste unserer Sinne.

Die US-amerikanische Geruchsforscherin Dr. Rachel Herz machte einen Test mit Popcorn. Ein Geruch, der bei vielen, vermute ich, eine ganze starke Assoziation an Kinobesuche hervorruft. Bei den meisten sind das wohl eher positive Erinnerungen, negative vielleicht dann, wenn einen der Popcorn-Geruch nur an die Lärmbelästigung des Popcorn essenden Kinonachbarn erinnert.

Dr. Herz konfrontierte ihre Testpersonen mit verschiedenen Sinneseindrücken, die man mit Popcorn verbindet. Entweder hörten die Probanden das Ploppen des Mais, sie sahen sich ein Foto an oder man ließ sie an frischem Popcorn riechen. Das Ergebnis: Der stärkste emotionale Sinneseindruck war der, den der Geruch auslöste. Die Probanden, die am Popcorn gerochen hatten, beschrieben mehr Gefühle und konnten diese intensiver wahrnehmen als die Testteilnehmer der anderen beiden Gruppen. Zudem fühlten sich die riechenden Probanden durch ihre Sinneswahrnehmung am stärksten an frühere Erlebnisse mit Popcorn erinnert.

Die geheime Macht der Düfte

Подняться наверх