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1. Der Geruch meiner Kindheit: die Dünen von Comillas

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Kennen Sie das auch? Sie schlendern durch eine fremde Stadt, denken an nichts Besonderes, und plötzlich, nur für den Bruchteil einer Sekunde, riechen Sie durch die geöffnete Tür eines Restaurants oder Ladenlokals einen bestimmten Geruch, ganz zart und eigentlich kaum wahrnehmbar, und dennoch genügt der Duft, um Ihre Erinnerungen an ein bestimmtes Erlebnis wachzurufen, das vielleicht Jahre, manchmal Jahrzehnte zurückliegt. Plötzlich sitzen Sie wieder am Küchentisch Ihrer Großmutter, wo es nach selbstgemachtem Apfelkuchen roch. Während ich das aufschreibe, denke ich an den Geruch des Kaiserschmarrns meiner Mutter – der duftete nach Butter und Karamell. Allein der Gedanke daran lässt mir heute noch das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Düfte wecken Erinnerungen – an schöne Momente, aber auch an weniger schöne. Sie haben die Macht, die unterschiedlichsten Gefühle in uns zu wecken: Liebe, Vertrautheit, Geborgenheit, aber auch Angst, Beklemmung, Unwohlsein. Schon der griechische Philosoph Aristoteles wusste: „Der Mensch riecht Riechbares nicht, ohne ein Gefühl des Unangenehmen oder Lustvollen zu empfinden.“ Keine Dufterinnerung geht verloren – wir haben nur verlernt, sie bewusst abzurufen.

Wenn man mich nach dem Duft meiner Kindheit fragt, dann denke ich sofort zurück an die Dünen von Comillas, einem kleinen Ort an der Costa Verde, der grünen Küste im Norden Spaniens. Die ersten zehn Jahre meines Lebens fuhr ich mit meinen Eltern in den Sommerferien dorthin. Bei Comillas gibt es einen besonders schönen Strandabschnitt, den wir eines Tages entdeckten. Unseren Wagen parkten wir an einer kleinen Straße unterhalb der hohen Dünen, und sobald ich die Autotür öffnen durfte, sprang ich hinaus und rannte, so schnell es ging, die Sandhügel hinauf, wo Dünengräser und eine Art Weidekraut wuchsen, die mir die Sicht auf das Meer versperrten. Doch noch bevor ich es sehen konnte, roch ich es – das Meer, das Salz, den warmen Sand. Und je tiefer ich in die Dünenlandschaft kam, umso intensiver wurde der Geruch.

Nun sind Düfte seit Jahrzehnten mein tägliches Brot, aber dieses Aroma der Dünen von Comillas war etwas ganz Besonderes, eine einzigartige, prägnante Duftkomposition. Wenn ich die Augen schließe und an den Geruch denke, habe ich ihn sofort vor mir und ich fühle mich zurückversetzt in die Sommerferien.

Viele Jahre später ist mir der Duft wiederbegegnet – an einem ganz anderen Flecken der Welt, völlig überraschend und unerwartet, an einem Strand in Uruguay. Fremde Länder und Kulturen inspirieren mich zu neuen Duftkreationen, denn jedes Land, jede Kultur hat eine individuelle Duftidentität, auch davon werde ich noch berichten. Doch zurück an den Strand in Uruguay. Auf allen meinen Reisen war dies der einzige Ort, an dem es so roch wie damals in Comillas. Ich habe später einmal versucht, diesen Geruch in unserem Labor herzustellen, aber es wollte mir nicht gelingen. Vielleicht weil es ein sehr komplexer Duft ist, bei dem – wie so oft bei außergewöhnlichen Düften – viele verschiedene Komponenten zusammenkommen. Hier waren es die Dünengräser, das Heidekraut, die Aromen von Süß- und Salzwasser. Comillas liegt an der Mündung des Rabia in den Atlantik. Durch Ebbe und Flut tauschen sich dort im steten Wechsel Salz- und Süßwasser aus. Und nicht zu vergessen der Geruch des warmen Sandes. Ja, alles riecht, ein Stein ebenso wie ein Stück Holz, Metall ebenso wie der Mensch. Lediglich die Intensität des Geruchs, den Materie absondert, unterscheidet sich. Je dichter ein Stoff, desto weniger Duft gibt er letztlich ab.

Neben Nordspanien gibt es noch zwei andere frühe Dufterinnerungen, die für mich prägend waren. Da sind die Weinberge an der Mosel, wo ich als Kind während der Ferien bei der Weinlese helfen durfte. Den Geruch, der mir beim Traubenpflücken in die Nase stieg und an den Fingern haften blieb, das Aroma aufgeplatzter Trauben, die langsam braun wurden, werde ich ebenso wenig vergessen wie das Duftgemisch im Weinkeller: Maische, Alkohol und altes Steingemäuer.

Die andere Dufterinnerung ist eine weniger schöne. An den typischen Geruch einer Schule erinnern sich sicherlich die meisten von uns. Er schlägt einem entgegen, sobald man ein Schulgebäude betritt. Bohnerwachs, Kreide und auch ein bisschen Mief – das weckt bei Generationen ehemaliger Schüler unterschiedliche Assoziationen, Prüfungsangst ist nur eine davon. Und dann die Turnhalle. Ich finde den Geruch von Turngeräten und Turnmatten furchtbar. Heinrich Meyer, einer meiner Vorfahren mütterlicherseits, war begeisterter Turner und gründete Ende des 19. Jahrhunderts das Unternehmen „Turnmeyer Hagen“, das sich auf die Herstellung von Turngeräten wie Recks, Barren und Matten spezialisierte. Viele der Turngeräte, die mir während meiner Schulkarriere begegneten, stammten aus dem familiären Betrieb. Ich habe allerdings Heinrichs Talent fürs Turnen nicht geerbt. Und den Geruch von Turnhallen habe ich immer gehasst, das ist noch heute so: Wenn ich nur eine Turnhalle rieche, sehe ich mich verzweifelt vor einem Barren stehen.

Die geheime Macht der Düfte

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