Читать книгу Die geheime Macht der Düfte - Robert Müller-Grünow - Страница 9
2. Bücher sind sinnlich: Bücher riechen …
Оглавление… auch dieses Buch, das Sie gerade in Ihren Händen halten. Bücher sprechen alle unsere Sinne an. Wir lesen Bücher mit den Augen, wir halten sie in unseren Händen, unsere Ohren hören das Rascheln der Blätter, wir riechen die Seiten bei jedem Umblättern. Dass dieses sinnliche Erleben von Büchern und Papier immer mehr verschwinde, beklagte ein großes Unternehmen für die Herstellung von Druckmaschinen. Denn neben der Haptik und der Lust am Blättern ist der Geruch eines Buches einer der wichtigsten Gründe, warum sich die meisten Leser beim Kauf immer noch für die Papierform entscheiden.
Doch in Zeiten von E-Books und Digitalisierung geht dem klassischen Druckhandwerk auch etwas von dessen Sinnlichkeit verloren. Besagter Druckmaschinenhersteller wollte etwas dagegen unternehmen: Wir erhielten den Auftrag, für das Unternehmen einen Markenduft zu entwickeln, der so riechen sollte, wie es früher in den Werkhallen der Drucker roch: nach Druckerschwärze, Leim und Papier. Ein ungewöhnliches und anspruchsvolles Projekt, das dann für eine Fachmesse gedacht war. Zusammen mit der norwegischen Duftexpertin Sissel Tolaas – wir werden sie an anderer Stelle im Buch noch näher kennenlernen – kreierten wir einen Duft, der über die Lüftungsanlage in die Messehalle geleitet wurde und die Besucher auf eine olfaktorische Zeitreise mitnahm, mitten hinein in eine altmodische Druckerei.
Vor allem alte Bücher verströmen einen ganz typischen Geruch, den Professor Matija Strlič vom University College London genauer untersucht hat. Strlič leitet dort das „Institut für Nachhaltiges Kulturerbe“ (Institute for Sustainable Heritage).
„Ich bemerkte, dass einige Bibliothekare an alten Büchern rochen, um deren Alter festzustellen“, erzählte Professor Strlič Journalisten der Zeitschrift „Geo“ in einem Interview. „Als Chemiker wollte ich den Zerfall von Büchern aber analytisch beschreiben, anhand des Geruchs, also der flüchtigen organischen Verbindungen, die das Papier abgibt. Wir untersuchten mehr als siebzig Papiersorten. Die instabilen Papiere rochen durch die Essigsäure sauer. Andere rochen sehr süß, nach Vanille.“
Wodurch aber entsteht der Geruch von Büchern? Die Qualität des Papiers und die Chemikalien, die bei Herstellung und Druck verwendet werden, spielen dabei eine wesentliche Rolle. VOC-Stoffe, sogenannte flüchtige organische Verbindungen (Volatile Organic Compounds), die sich im Kleber und in der Tinte befinden, werden im Laufe der Jahre freigesetzt. Das Team von Professor Strlič ging folgendermaßen vor: Zunächst rochen die Experten an den alten Papieren und verschafften sich einen ersten Eindruck mit der eigenen Nase. Meist ist das die beste Methode, um Gerüche zu analysieren. Im nächsten Schritt wurden die flüchtigen organischen Verbindungen (VOC), die man unter anderem mit Glasglocken eingefangen hatte, mittels Massenspektrometer, einem Verfahren zum Messen von Atomen oder Molekülen, untersucht. Der Geruch alter Bücher setzt sich aus hunderten flüchtiger organischer Verbindungen zusammen. Auch der Säuregehalt schlägt sich im Geruch nieder. So fanden die Londoner Forscher einen hohen Säuregehalt gerade in Büchern, die aus dem 19. Jahrhundert stammen.
Alle diese Komponenten zusammengenommen machen den Geruch aus, den man sofort bemerkt, wenn man eine Bibliothek oder ein Antiquariat betritt. Prof. Strlič und sein Team verfolgten mit ihren Untersuchungen das Ziel, die chemischen Bestandteile der Geruchskomponenten von Büchern zu bestimmen, ohne diese – wie bisher üblich – durch Entnahme von Proben zu beschädigen. Man erhoffte sich, Hinwiese für die Restaurierung von Büchern und Aufschluss über die Zeit ihrer Entstehung zu erlangen. Außerdem fand man heraus, welchen Gerüchen sie im Laufe ihres „Buchlebens“ ausgesetzt waren. Ließen sich die Gerüche der Vergangenheit, die man aus den Büchern herausfilterte, sogar auch nachbauen? Das sei dann leider doch nicht ganz so einfach, meinte Prof. Strlič.
„Um alte Gerüche wieder lebendig zu machen, brauchen wir nicht nur die chemische Zusammensetzung, sondern auch die persönlichen Eindrücke und Erinnerungen der Menschen.“ Und da wären wir beim Thema der Dufterinnerungen …
Der Geruch von Büchern ist davon abhängig, wo und wie sie aufbewahrt werden. Papier nimmt schnell Gerüche an und ist ein guter Geruchsspeicher, für gute wie schlechte Gerüche. Der größte Feind des Buches ist Nässe. Feuchtes Papier wird modrig, im schlimmsten Fall kommt es zu Schimmelbefall, es müffelt. Auch Zigarettenrauch und Essensgerüche beeinflussen den Geruch eines Buches.
Wie aber bekommt man unangenehme Gerüche wieder aus dem Buch heraus? Wenn ein Buch nach Rauch riecht, kann Lüften helfen, aber nur, wenn das Buch nicht zu intensiv diesem Geruch ausgesetzt wurde. Frosten oder Gefriertrocknung hilft dann, wenn das Buch Feuchtigkeit aufgesogen hat, die das Papier muffig riechen lässt. Dafür verpackt man das Buch in einem luftdichten Gefrierbeutel und verstaut es im Gefrierfach. Die Feuchtigkeit im Buch wird zu Eis. Die Nässe wird dem Papier entzogen. Diese Methode sei schonend für Tinte und Papier, sagen Experten. Ist das Buch nach dem Frosten trocken, heißt das aber noch lange nicht, dass der schlechte Geruch auch verschwunden sein muss. Wenn das Papier von Schimmelpilz befallen ist, hilft nur noch, das Buch zum Restaurator zu bringen, der es im Laugenbad behandelt, was aufwändig und teuer ist. Bei schlechtem Geruch arbeiten Restauratoren auch mit Ozon, das den Büchern den Geruch entzieht. Ein Allheilmittel gegen muffig riechende Bücher gibt es aber nicht. Man kann sie in eine geschlossene Kiste mit einer Duftquelle deponieren. Denn Papier nimmt, wie gesagt, Duft gut auf – nur wie der gewünschte Duft mit dem ungewünschten harmoniert, ob letzterer wirklich ganz überlagert werden kann, lässt sich im Voraus nicht sagen. Dies hängt von den Duftmolekülen und deren Struktur ab.
Paper Passion
Wer lieber E-Books liest anstatt eines Papierbuchs, der muss auf den Geruch von Büchern nicht ganz verzichten. Geza Schön, ein Parfümeur, mit dem ich schon seit einigen Jahren zusammenarbeite, entwickelte das erste Parfüm mit Papiergeruch: Paper Passion, so der Name dieses besonderen Duftes, also „Leidenschaft für Papier“. Die Verpackung des Flakons ist ein Buch, in dem die Seiten so ausgestanzt sind, dass der Flakon darin Platz findet. Entworfen von Karl Lagerfeld, der für seine Leidenschaft für Papier bekannt ist. Literaturnobelpreisträger Günter Grass veredelte die Buch-Verpackung mit einem Gedicht. Der Verleger Gerhard Steidl, der Paper Passion in Auftrag gab, schickte Geza unzählige Bücher, Papiersorten, Tinten und Farben, um ihn auf das Projekt einzustimmen und ihn zu inspirieren. Geza Schön sagt, er habe den Buchduft schließlich aus dreizehn verschiedenen Rohstoffen kreiert.
„Siebzehn Versuche habe ich gebraucht“, berichtet er der „Süddeutschen Zeitung“, „die Basis aber war recht schnell fertig: Papier riecht industriell, trocken und fettig. Die Arbeit ging fix, weil das Ziel klar definiert war. Ich konnte gar nicht groß herumspielen.“
Er selbst habe den rohen Papiergeruch mit holzig-chemischer Note bevorzugt, doch auf Wunsch Steidls machte er den Duft durch Nuancen von Moschus und der Duftblüte Osmanthus tragbarer. „Es riecht trotzdem noch krass nach Buch“, so Schön. „Die Idee für den Buch-Duft stammte ursprünglich von den Machern des britischen Lifestyle-Magazins „Wallpaper“. Paper Passion war gar nicht als Parfüm gedacht, sondern eher als ein Duft für Buchliebhaber, die gelegentlich die Flasche aufschrauben und sich an dem Duft erfreuen. Aber ich kenne tatsächlich Leute, die sich mit Paper Passion einsprühen.“
Ein letzter Gedanke zu Büchern und ihrem ganz spezifischen Duft: Kunst- und Fotobände, also Bücher, die besonders ästhetisch und aufwändig gestaltet sind, sollten doch eigentlich auch der Nase gefallen, aber gerade sie riechen oftmals penetrant nach chemischen Stoffen, was unter anderem mit den dem Farbdruck zu tun hat. Je aufwändiger ein Buch gestaltet wird, umso häufiger wird dessen Geruch vernachlässigt.
Für den in Berlin lebenden dänischen Künstler Jeppe Hein haben wir einmal eines seiner Kunstbücher beduftet. „Sensing the world inside yourself“ lautet der Titel: „Nimm die Welt in dir selbst wahr“. Eine Seite des Buches trägt den Duft von Jeppes Heimat; er soll die Stille und Ruhe wiedergeben, die Jeppe spürt, wenn er in sein Haus auf dem Land zurückkehrt, wo es nach Wald, Wasser und Sommer riecht.