Читать книгу Die geheime Macht der Düfte - Robert Müller-Grünow - Страница 14
7. Kino für alle Sinne – wenn ein Film dufte ist
Оглавление„Die Duftorgel spielt ein köstlich erfrischendes Kräutercapriccio-Arpeggiowellchen von Thymian und Lavendel, Rosmarin, Basilikum, Myrte und Schlangenkraut, eine Folge kühner Modulationen durch die Gewürzrucharten bis nach Ambra, dann langsam zurück über Sandelholz, Kampfer, Zedernholz und frisch gemähtes Heu – mit gelegentlich, zart angedeuteten Dissonanzen – einer Nase voll Sauerkraut und einem leisen Rüchlein Rossäpfel – zu den schlichten Duftweisen, mit denen das Stück begonnen hatte.“
Ein Kino für alle Sinne, also eines auch für die Nase, hatte der britische Schriftsteller Aldous Huxley 1932 in seiner wegweisenden Zukunftsvision „Brave New World“ – „Schöne neue Welt“ vor Augen. Huxley erzählt in seiner Dystopie von einer Gesellschaft im Jahr 2540.
Die ersten noch sehr simplen Versuche, bewegte Bilder zu beduften, fanden sogar noch ein paar Jahre vor der Geburt des Tonfilms vor mehr als hundert Jahren statt. Einer der Pioniere der Beduftung war Stummfilmimpresario Samuel „Roxy“ Rothafel. In seinem Kino in Pasadena ließ er die Sportberichterstattung mit dem Duft von Rosen aufpeppen. Dazu hängte er mit Rosenessenz getränkte Baumwolltücher über den Ventilator im Kinosaal. Der Effekt war erwartungsgemäß nur von kurzer Dauer, geradezu flüchtig. Rothafel soll enttäuscht gewesen sein und stellte die Beduftung ein.
Auch weitere Versuche entpuppten sich als Eintagsfliegen: Zum Beispiel, als 1913 bei der Vorführung des deutschen Stummfilms „Das goldene Bett“ im Berliner Marmorsaal die Atmosphäre des Films mit einem spezifischen Parfüm verstärkt werden sollte. Oder als man Ende der 1920er Jahre bei einer Vorführung des Stummfilms „Lilac Time“, einer Kriegsromanze mit Gary Cooper, Fliederparfüm über das Belüftungssystem des Kinos verteilte. Die Premiere von „The Broadway Melody“, dem ersten Tonfilmmusical, wurde 1929 mit Orangenparfüm beduftet, welches man von der Decke in den Saal sprühte. Es waren dann aber nicht die Macher von Hollywood, denen es gelang, den ersten abendfüllenden Spielfilm mit Beduftung auf die Leinwand zu bringen, sondern der Schweizer Hans E. Laube. Er entwickelte das sogenannte Operated-Talking-Pictures-Verfahren (O.T.P.) mit dem man angeblich bis zu viertausend Düfte mit Filmszenen auf der Leinwand synchronisieren konnte, von Autoabgasen über Lavendel bis hin zu Weihrauch. Der erste Duftfilm mit O.T.P-System feierte 1940 Premiere und war benannt nach dem damals sehr beliebten Parfüm My Dream – „Mein Traum“. Uraufgeführt wurde der Film im Schweizer Pavillon der Weltausstellung in New York. Die Freude der Schweizer über ihre duftende Aufführung hielt aber nicht lange an. Aufgrund von Patentstreitigkeiten wurden nach der Vorführung sowohl die O.T.P.-Technik als auch die Filmrolle von der Polizei beschlagnahmt.
Die technischen Verfahren kamen und gingen, die Namen wechselten: Mal hieß es Sensorama, dann AromaRama – damit wurde 1960 eine Dokumentation über die Chinesische Mauer beduftet. Das Smell-O-Vision-Verfahren hielt ebenfalls um 1960 Einzug in speziell umgebaute Kinosäle. Bei dem Odorama-Verfahren handelte es sich um mit Düften präparierte Rubbelkarten, an denen der Kinozuschauer – nach Anleitung auf der Leinwand – mit den Fingern reiben musste, um den passenden Duft zur Szene riechen zu können.
Kultregisseur John Waters setzte 1981 solche Rubbelkarten bei seiner Filmsatire „Polyester“ – mit Divine in der Hauptrolle – ein. Wer Waters kennt, den wird die Duftauswahl nicht überraschen und der weiß: Das muss zum Himmel gestunken haben. Auf den Rubbelkarten waren die Gerüche von Rosen, Blähungen, Kleber, Pizza, Benzin, einem Stinktier, Gas, dem Innenraum eines Autos, schmutzigen Schuhen, aber auch von Lufterfrischer. Auf die Frage, ob er an der Kreation der Düfte selbst mitgewirkt habe, sagte John Waters dem österreichischen „Standard“:
„Ja, die habe ich mir ausgedacht. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur eine Firma, die diese Geruchskarten herstellte, die 3M Company, ein größeres Unternehmen. Ich hatte damals ‚Hairspray‘ noch nicht gemacht, und da wollte ich nicht unbedingt, dass sie herausfinden, wer sie da kontaktiert. Ich wusste, sie besitzen eine Bibliothek mit Gerüchen, und ich konnte natürlich nicht sagen ‚bitte eine Million Fürze‘, also bestellte ich eine Million fauler Eier. Ich war diesbezüglich einfallsreich, und wir haben alle Karten gedruckt bekommen. Mir gefällt die Idee, dass Leute im Kino sitzen und daran rubbeln. Ich habe noch die Originale in meiner Garage untergebracht, weil sie immer noch stinken. Sie scheinen kein Ablaufdatum zu haben.“
1999 und 2011 wurden die Rubbelkarten für Aufführungen von „Polyester“ auf Filmfestivals noch einmal neu aufgelegt. Einer der wenigen Filme der jüngsten Vergangenheit, der mit dem Rubbelkartenverfahren beduftet wurde, war die Actionkomödie „Spy Kids 4 – Alle Zeit der Welt“. Regisseur Robert Rodriguez wollte den Fans „etwas Besonderes bieten“, so sagte er, und ließ Aroma-Scope-Karten verteilen, auf denen sich acht Rubbelfelder befanden.
„Die Achillesferse der signalkodierten Geruchsfilme ist und bleibt die technische Ausbringung und Entfernung (Lüftung, Klimaanlage, spezielle Düsen) sowie das Timing der gewünschten Düfte.“ So lautet das Fazit der Autoren des „Lexikons der Filmbegriffe“ der Uni Kiel über die Entwicklung des Duftkinos von seinen Anfängen bis heute. Und in der Tat besteht genau darin die große Herausforderung. Neben technischen Problemen kämpft man aber auch gegen Vorurteile. Der Tonfilm war übrigens auch nicht sehr beliebt bei seiner Einführung. Warum brauchen wir denn Ton? Uns reichen die Bilder, war eines der Argumente. Ähnliches erleben wir beim Duftkino. Muss man denn alles riechen, reichen nicht Ton und Bild?
Aus diesem Grund fokussierten wir uns auf besondere Events, weniger auf das klassische Kino. Wenn zum Beispiel Ford oder Volkswagen ein neues Automodell präsentieren wollten, bauten wir auf der Automobilmesse ein Kino auf, in dem Image- oder Präsentationsfilme gezeigt wurden, die beduftet wurden. Bei der Vorstellung des Cabrios von VW sah man diesen im Werbefilm durch eine schöne Landschaft fahren – über Wiesen, durch Wälder, entlang des Meeres. Und wir bedufteten die Filmvorführung mit entsprechenden Gerüchen. Am Ende des Spots schwenkte die Kamera von oben ins Wageninnere – und in diesem Moment konnten die Zuschauer den Duft von edlem Leder riechen.
2008 lief im Kino der Animationsfilm „Ratatouille“. Im Auftrag von Pixar Disney sollten wir einen zwanzigminütigen Filmtrailer mit Düften ausstatten. Dafür wurden eigens kleine Duftkinos entworfen, mit denen man durch die europäischen Großstädte tourte. Die mobilen Kinos wurden auf öffentlichen Plätzen aufgebaut. Unter jedem dritten Sitz war ein Beduftungssystem installiert, mit dem die Gerüche verbreitet wurden. Im Mittelpunkt der Handlung von „Ratatouille“ steht eine Ratte namens Remy, die eines Tages als Koch in einem Pariser Restaurant landet. Olfaktorisch gesehen bot der Film für uns Duftdesigner tolle Möglichkeiten. Kochen und Riechen – das ist natürlich eine perfekte Kombination. Bei „Ratatouille“ roch es köstlich nach geschmortem Gemüse, Auberginen, Zucchini, Zwiebeln, Knoblauch, frischen Kräutern und vielem mehr. Die Düfte versetzten die Zuschauer auch mit ihrem Geruchssinn in Remys Küche.
Auch wenn sich die Technik im Laufe der hundert Jahre seit den ersten Versuchen revolutioniert hat, wird das Duftkino aus wirtschaftlichen Gründen immer einen Eventcharakter haben und nicht massentauglich werden.
Dennoch bin ich überzeugt, dass Duftfilme eine Zukunft haben, denken wir nur an die Möglichkeiten, die sich durch „Virtual und Augmented Reality“ ergeben. Virtuelle Realität, VR, steht für eine Technologie, die ein neues Computer-Zeitalter eingeläutet hat. Nutzer ziehen eine VR-Brille auf, das Display verschwindet und sie befinden sich in ihrer Wahrnehmung mitten im Filmgeschehen. Die Zuschauer werden zu Augenzeugen einer Handlung, die sie in 360 Grad umgibt. Das Einzigartige an diesem Medium ist das „Eintauchen“ in die virtuelle Welt. Bei gut gemachten VR-Filmen haben die Nutzer das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein. Zu einer echten VR-Erfahrung, um also völlig in andere Welten einzutauchen, gehört auch das Riechen. Mittlerweile ist die Technik, mit der individuell und gezielt Düfte verteilt werden, so verfeinert, dass man Düfte erscheinen und sofort wieder verschwinden lassen kann. Wenn man als VR-Nutzer den Kopf senkt und auf den Boden schaut, riecht man das Gras dort, dann dreht man sich um, sieht das Meer und riecht nur das Meer. Dann blickt man nach oben, sieht den Himmel und riecht frische Luft – und nichts sonst. Zurzeit arbeiten wir an einer Mikrotechnologie, mit der wir Duftsysteme minimieren, vergleichbar mit einem USB-Stick, den man an eine VR-Brille anschließt, auf die das Bild projiziert wird.
Auf dem New Yorker Tribeca-Filmfestival hatte unlängst ein spektakulärer VR-Film Premiere. Er trägt den Titel „Tree“ – „Baum“. Darin wird der Zuschauer selbst zum Hauptdarsteller, also zu einem gigantischen Baum inmitten des Regenwalds, er erlebt den Film aus der Perspektive des Baumes, was faszinierend und erschreckend zugleich ist. Denn der Baum wird abgebrannt. Als Zuschauer spürt man das alles intensiv und beinahe körperlich, man sieht und hört nicht nur, wie das tödliche Feuer langsam näher kommt und wie der Baum zu brennen beginnt, man riecht die Glut, das Feuer und die Holzkohle. Eine völlig neue Erfahrung. Dabei hat „Tree“ auch einen ernsten Hintergrund und ein wichtiges Anliegen: Er klagt den Raubbau an der Natur des Regenwalds an, das Abholzen von Millionen von Bäumen, um Ackerflächen für den Soja-Anbau zu schaffen. Bei „Tree“ haben wir im Auftrag der Produktionsfirma „New Reality“ die Düfte entwickelt sowie die Technologie – sogenannte Scentcontroller – bereitgestellt, die an den entsprechenden Stellen im Film die Gerüche von Holzkohle, Baum, Urwald und Feuer sehr akzentuiert und der Dramaturgie entsprechend verbreiten.