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6. Das Riechen entdecken

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Zum Riechen kam ich, so kann man sagen, wie die Jungfrau zum Kind. Das war gegen Ende der 1990er Jahre, nach Abschluss meines Betriebswirtschaftsstudiums. Eigentlich hatte ich ganz andere Pläne. Damals wollte ich ins Ausland gehen, nach Brasilien, in ein Land, das ich seit jeher kulturell spannend fand und von früheren Aufenthalten gut kannte. Eine Zeit lang bin ich zwischen Köln und São Paulo gependelt. Doch dann spielte der Zufall Schicksal. Zwei sehr gute Freunde, Mike und Marc Meiré, lernten zu der Zeit den Erfinder einer Technologie kennen, mit der man Kinos beduften konnte. Passend abgestimmt zu Ton und Bild wurde zu einer bestimmten Filmszene im Kino von einem Gerät unter den Kinositzen ein Duft ausgestoßen. Die Beduftung eines Kinofilms war zwar sehr effektiv, aber auch aufwändig und teuer. Bis zu sechs verschiedene Düfte konnten mit sekundengenauer Präzision szenensynchron zu audiovisuellen Darstellungen freigesetzt werden. Dabei war wichtig, dass sich die verschiedenen Düfte nicht überlagerten. Sobald also ein neuer Duft ins Spiel kam, musste der vorherige bereits verschwunden sein. Nachfolgemodelle des Gerätes waren in der Lage, bis zu 48 individuelle oder kombinierte Düfte abzugeben. Mike und Marc ergriffen die Chance, kauften die Rechte an dem Patent, und kurze Zeit später holten sie mich mit ins Boot. Die Idee reizte mich sofort. Brasilien muss warten, entschied ich spontan, und die Welt der Düfte wurde meine Welt.

Düfte erobern den Handel

Uns war das Potenzial der neuen Technologie sofort klar. Die Zukunft lag aber erst einmal – wegen des hohen Aufwandes – nicht im Duftkino, sondern im Handel. Wir boten unser Produkt überall dort an, wo auf multimedialer Ebene auch Duftkommunikation gefragt war; wo man Inhalte, Bilder, Töne oder Produkte mit einem bestimmten Duft in Verbindung bringen wollte. Unser Gerät wurde zum Beispiel in einem Ladenlokal aufgebaut. Auf einem Monitor konnte sich der Kunde einen Infofilm über ein Produkt anschauen und währenddessen einen bestimmten Duft oder verschiedene Düfte riechen. Oder er konnte selbst per Touchscreen Düfte abrufen und kombinieren. Als Laie weiß man nicht unbedingt, welche Duftkomponenten zusammenpassen und wie sie interagieren. In den Parfümerien des Unternehmens Jo Malone zum Beispiel konnte man den Duft verschiedener Einzelrohstoffe abrufen, die dann ganz sanft wie ein Windhauch dem Gerät entströmten. Gefällt mir das Zusammenspiel von Zedernduft und Feige? Oder wie wäre es mit Pampelmuse in Verbindung mit einer Holznote? Gefiel dem Kunden die Kombination, konnte er sie anschließend als selbst kreierten Duft kaufen.

Das Kiosksystem nahmen große Kosmetikunternehmen – von Procter & Gamble über Hugo Boss und Davidoff bis zu Christian Dior und Louis Vuitton – in Anspruch, aber auch Nahrungsmittelkonzerne wie Coca-Cola, Nestlé und Kraft Foods. Den Nahrungsmittelherstellern war sofort klar, dass dort, wo der Geschmack angesprochen wird, auch der Geruchssinn bedient werden sollte. Denn Riechen und Schmecken sind, wie schon beschrieben, nicht voneinander zu trennen.

Zum Beispiel wurden spezielle Supermarktkühlregale, in denen Coca-Cola angeboten wurde, von uns beduftet. Am Kühlregal befand sich ein Sensor. Näherte sich ein Kunde und hielt vor dem Kühlregal an, wurde ein Duft ausgeströmt, der nach Coca-Cola roch. Das Rezept von Coca-Cola ist nach wie vor streng geheim, und auch uns wurde es nicht verraten, um den Coca-Cola-Duft zu entwickeln. Wir bekamen aber Rohstoffe aus den USA, auf deren Basis wir kreativ an die Sache herangehen konnten. Und tatsächlich besaß unser Duft das Aroma des Getränks. Man darf es sich nicht so vorstellen, dass das Kühlregal jedes Mal, wenn die Beduftung ausgelöst wurde, penetrant nach Cola roch. Auch hier galt, wie immer bei der richtigen Verwendung von Düften: Weniger ist mehr. Der Duft war subtil, man hätte eher denken können, da sei vielleicht eine Cola-Flasche ausgelaufen.

Einige Unternehmen erkannten, dass sie sich durch den Einsatz von Düften von der Konkurrenz abheben könnten, in einer Welt der bis dahin hauptsächlich visuellen und audiovisuellen Reize. Durch unsere multimedialen Plattformen konnten Unternehmen ihre Marken auf neue sinnliche Weise präsentieren, indem zum Beispiel Informationsfilme oder Werbespots in Kombination mit Düften erlebt wurden. Unsere Beduftungstechnologie wurde in die Architektur der Unternehmen integriert. Zum Beispiel bei Douglas: In einer Hamburger Filiale der Parfümeriekette wurden an einer Rolltreppe Bewegungssensoren installiert, und in dem Moment, in dem man auf der Rolltreppe an einem großen Parfümflakon vorbeifuhr, wurde der Duft des Parfüms verbreitet. In einer anderen Filiale bauten wir zwölf Terminals auf, für zwölf verschiedene Düfte von Marken wie Lacoste, Hugo Boss, Davidoff, Christian Dior oder Chanel. Kunden, die einen dieser Düfte näher kennenlernen wollten, stellten sich vor den Terminal, schauten sich Filme an und ließen sich beduften.

Nun werden sich einige wundern, wie man einen kleinen Bereich in einer Parfümerie gezielt beduftet, in der es doch ohnehin schon nach extrem vielen und unterschiedlichen Düften riecht. Man betritt ein Parfümgeschäft, und sofort schlägt einem eine Duftwolke entgegen. Mit unserem Gerät waren wir aber in der Lage, eine Art Duftvakuum entstehen zu lassen, weil reine Luft herauskam, die angereichert war mit

0,1 Prozent Duftmolekülen. In dem Moment, in dem man vor dem Gerät stand, roch man also nicht mehr die parfümierte Umgebung des Geschäfts, sondern nur noch den Duft, der aus dem System entströmte. Damit gelang uns eine Duftpräsentation in einem duftgeschwängerten Umfeld.

Wenn man die Nase voll hat …

Wie aber bekommt man auch ohne eine solche Technologie seine Nase wieder frei, wenn sie mit Düften und Aromen überfrachtet ist? Wenn man in einer Parfümerie einen Duft sucht und in kurzer Zeit drei, vier oder mehr Düfte riecht, hat man auf einmal das Gefühl, man könne gar nichts mehr riechen. Weil viel zu viel Duft in der Nase ist und die Rezeptoren besetzt sind. Die Nase ist nicht mehr aufnahmebereit. Alles riecht dann gleich, ich kann nicht mehr differenzieren. Dann ist ein Reset für die Nase angesagt.

In Parfümerien stehen dafür oft kleine Schalen mit Kaffeebohnen bereit, an denen man riechen soll, um seine Nase wieder für neue Düfte frei zu machen. Kaffeebohnen sind aber kein Wundermittel. Wenn man einen Duft riecht, setzen sich seine Moleküle auf die Rezeptoren der Nase, diese gelangen in die Riechschleimhaut und es dauert etwa zehn Minuten, bis sie wieder frei sind. Da kann man machen, was man will. Wenn die Rezeptoren besetzt sind, sind sie besetzt. Kaffee hat einen schönen und angenehmen Duft, der ein wenig neutralisieren mag, aber für einen Neustart kann man ebenso gut etwas anderes machen.

Übung: Kleiner Reset für die Nase – riechen Sie Ihre Haut

Riechen Sie einfach an Ihrer eigenen Haut. Suchen Sie sich dafür eine unbeduftete Stelle, die weder eingecremt noch parfümiert ist, zum Beispiel am Arm. Dadurch wird zwar auch nicht die Nase spontan wieder frei, aber man schafft eine neutrale Basis, um in weniger als zehn Minuten wieder besser riechen zu können. Und wenn man an seiner eigenen Haut riecht, merkt man etwas ganz Simples: Sie riecht. Probieren Sie es aus und riechen Sie sehr konzentriert an Ihrer Haut. Meistens tun wir das nur, nachdem wir ein Parfüm oder eine Bodylotion aufgetragen haben, um festzustellen, wie deren Geruch an uns wirkt. Wenn man aber seine Nase an die unbeduftete Haut hält, dann merkt man, dass sie einen ganz eigenen und sehr klaren Geruch hat. Und wie ist das Ergebnis? Mögen Sie sich riechen?

Noch einmal zurück zum Duft von Kaffee, der bei den meisten Menschen positive Assoziationen erweckt. Für viele ist der Kaffeegeruch am Morgen fast genauso wichtig wie das Trinken selbst. Am Morgen mit dem Duft nach frisch gebrühtem Kaffee aufzuwachen … Kann ein Tag besser starten? Kaffeeduft ist ein sehr komplexer Geruch, er hat hunderte Duftkomponenten und lässt sich nur sehr schwer künstlich herstellen. Muss ja auch nicht sein. Einfach die Kaffeemaschine anmachen, und schon hat man einen der besten Raumdüfte überhaupt.

Wenn man sein Parfüm nicht mehr riecht

Kann sich unsere Nase an Gerüche gewöhnen, sodass wir sie selbst nicht mehr wahrnehmen? Ja, wenn man sich zum Beispiel zu intensiv mit seinem Lieblingsparfüm eingesprüht hat und selbst gar nicht merkt, wie sehr man unter Umständen seine Mitmenschen belästigt. Wir selbst riechen unser Parfüm nämlich nicht, wir sind sozusagen geruchstaub. Ein anderer typischer Fall: Ein Raucher empfindet seine eigenen vier Wände, in denen er raucht, als gut gelüftet und frisch riechend. Seinem Besucher hingehen wird regelrecht schlecht vom Geruch nach altem, abgestandenem Rauch.

Der Frage, ob unsere Nase bestimmte Gerüche ausblenden kann, ist das Team um den Mediziner und Pharmakologen Professor Thomas Hummel, dem Leiter des interdisziplinären Zentrums Riechen und Schmecken an der TU Dresden nachgegangen. Das Ergebnis wurde in der Zeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht. 51 Teilnehmern wurden für die Studie drei Dutzend Geruchsproben in die Nase verabreicht. Die Intensität des Geruchs sollten die Probanden den Wissenschaftlern durch Druck auf eine Art Spritze kommunizieren. Nach nur zwanzig Minuten der Beduftung ihrer Nasen nahm die Geruchsintensität nach dem Gefühl der Probanden ab. Ein Gewöhnungsprozess hatte eingesetzt. Es dauerte nicht lange, und die Testpersonen nahmen manche der Gerüche gar nicht mehr wahr, andere hingegen erwiesen sich als sehr hartnäckig und schwächten sich kaum ab. Bisher, erläutert Professor Hummel, sei man davon ausgegangen, dass vor allem die Variabilität eines Duftes entscheidet, inwieweit sich ein Mensch an ihn gewöhnt. Unser Gehirn interessiere sich vor allem für neue Einflüsse. „Ein Geruch, der über längere Zeit unverändert bleibt“, so der Mediziner, „wird deshalb meist ausgeblendet.“ Doch der Test mit den 51 Probanden kam zu dem Resultat, dass der Gewöhnungsprozess komplizierter ist als angenommen. Neben der Konstanz eines Geruchs spielen noch weitere Faktoren eine Rolle bei der Frage, ob wir unser eigenes Eau de Toilette selbst nicht mehr wahrnehmen können: die chemische Struktur und die physikalischen Eigenschaften eines Stoffes, die Konzentration in der Luft sowie ganz generell die Frage, ob wir den Duft mögen. „Es sind vor allem unangenehme Düfte, an die wir uns besonders schlecht gewöhnen“, sagt Professor Hummel.

Übung: Wie schnell werden Sie riechblind?

Wie lange benötigt Ihre Nase, um einen Geruch nicht mehr wahrzunehmen? Suchen Sie sich zwei verschiedene Duftquellen aus, eine für Sie angenehme und eine weniger angenehme. Nun schnüffeln Sie zuerst an dem angenehmen Geruch, so lange, bis Sie das Gefühl haben, ihn nicht mehr riechen zu können. Versuchen Sie das Gleiche mit dem unangenehmen Geruch. Welchen Duft können Sie länger wahrnehmen?

Im Laufe der Jahre haben mein Team und ich um die 5 000 Düfte entwickelt, die meisten waren natürlich gut riechend, ein paar formidable Stinkbomben waren aber auch darunter, je nachdem, was der Kunde wünschte. Längst nicht alle unsere Düfte sind auf den Markt gekommen. Wie ich anfangs sagte, war die Duftkreation als Beruf für mich gar nicht geplant. Das Riechen habe ich durchs Riechen gelernt. Man lernt das relativ schnell. Und wenn man sich nur ein wenig Gedanken über seinen Geruchssinn macht, geht man automatisch bewusster durchs Leben.

Die geheime Macht der Düfte

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