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Kap_6 Schönbrunn

Am nächsten Tag empfing sie mich um 14 Uhr im gleichen Gewand wie tags zuvor. Sie erschien mir ausgeglichen, jedenfalls weniger frustriert als bei meinem Weggehen am Vortag. Vielleicht hatte sie am Abend ihren Mann doch dazu gebracht, ihr die fehlende Nachspeise im Bett zu servieren. Aber das konnte ich sie natürlich nicht fragen.

„Was steht heute am Programm?“, wollte sie wissen.

Diesmal war ich derjenige, der frivol, ja vorlaut war. „Meinen Sie das Besichtigungsprogramm oder das Programm danach?“

Sie sah mich überrascht an, lächelte dann aber vielsagend und erwiderte: „Das Besichtigungsprogramm. Da führst du mich. Beim Programm danach ist es umgekehrt. Da werde wieder ich die Führung übernehmen.“

„Gut“, antwortete ich. „Ich schlage ein weiteres Highlight jedes Wien-Besuchs vor, nämlich Schloss Schönbrunn, das seit kurzem sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe gezählt wird.“

Helene stimmte zu und so gingen wir vom Hotel zum nahen Karlsplatz, wo wir die U-Bahn-Linie U4 bestiegen und bis zur Station Schönbrunn fuhren. Von dort erreichten wir nach wenigen Minuten einen der Eingänge in den Schlosspark.

Es ist dies ein mit nachgebauten Ruinen, Grotten, Brunnenanlagen, Teichen und wunderschönen Blumenrabatten nach barockem Geschmack gestalteter Park, der mit seiner Größe von nahezu zwei Quadratkilometern fast die der Wiener Altstadt innerhalb der früheren Stadtmauer hat. An seinem nördlichen Rand liegt das Schloss mit seinen 1441 Zimmern und diversen Nebengebäuden.

„Oh, hier würde ich gerne wohnen“, bemerkte die Frau voller Bewunderung.

„Das können Sie“, antwortete ich. „Hier wohnen wirklich Menschen. Gewöhnliche Menschen. Natürlich keine Kaiser mehr. Aber dass eine der Wohnungen zur Miete frei steht, bezweifle ich. Wollen Sie vielleicht das Innere des Schlosses besuchen? Oder die Wagenburg, wo es deutlich prunkvollere Kutschen gibt als die Fiaker, die Sie beim gestrigen Bummel durch die Stadt sahen.“

Die Frau schüttelte den Kopf, wobei sie mich wieder schelmisch schmunzelnd anblickte „Das dauert wohl sehr lange und würde die Zeit für das von mir anschließend geführte Programm im Hotel arg kürzen, oder?“

„Ja, sofern man an einer Schlossführung teilnehmen will“, ging ich auf ihre unüberhörbar zweideutige Bemerkung nicht ein. „Als Alternative ohne Führung kann ich den hier im Schlosspark gelegenen Tiergarten anbieten. Er ist übrigens der weltweit älteste noch existierende Zoo. Oder wollen Sie lieber den Berg hinauf zur sogenannten Gloriette wandern? Von diesem Gebäude, das man heute als Kaffeehaus nützt, hat man einen wunderbaren Blick auf Wien, allerdings einen anderen Teil von Wien als gestern vom Riesenrad aus. Immerhin ist Wien eine Stadt mit bald zwei Millionen Einwohnern.“

Damit war die Frau einverstanden. Offenbar wollte sie mit Kaffee und Kuchen mich und sich für das Programm im Hotel dopen. Mir sollte es Recht sein, obgleich ich mich auch jetzt so schon wieder stark und potent fühlte.

Zu Recht, wie ich knappe fünf Viertelstunden später im Hotel beweisen durfte, besser musste und Gott sei Dank konnte. Diesmal erhielt ich die Note ‚Gut‘, insbesondere als ich mich auch beim Nachtisch mit der Zunge als gelehriger Schüler einer sehr kompetenten und anspruchsvollen Lehrmeisterin erwies.

Dennoch erhielt ich auch an diesem Tag keine Entlohnung in Form von Geld, sondern nur in Form dieser Naturalien. Letzteres war zwar angenehm und in körperlicher Hinsicht wirklich befriedigend, befriedigte aber nicht meine Geldprobleme. Eine zusätzliche Restzahlung auf den Vorschuss von 100 Schilling wäre mir angesichts meiner permanenten Geldnot ebenso wichtig gewesen. Möglicherweise würde sie morgen, an ihrem letzten Tag, auch nicht splendider sein. Irgendetwas musste da geschehen. Aber was?

Natürlich durfte es mich und sie nicht bloßstellen und damit meine Anstellung hier im Hotel gefährden. Offen eine Bezahlung zu reklamieren war damit ausgeschlossen. Sollte ich den mir zustehenden Lohn aus ihrem Portemonnaie nehmen, während sie unter der Dusche stand? War das Diebstahl? Oder nicht doch nur die Aneignung dessen, was mir zustand, wie es neulich eine politische Partei als ‚Hol dir, was dir zusteht‘ propagierte? Immerhin hatte meine Lehrmeisterin selbst wörtlich von einer ‚Anzahlung‘ gesprochen.

Würde sie es überhaupt bemerken, wenn ich mir das mir Zustehende auf diese Weise holte? Beim Bezahlen der Rechnung auf der Gloriette hatte ich ein dickes Bündel von Hundertschilling-Scheinen gesehen, in dem das Fehlen von zwei Scheinen kaum auffallen würde. Waren 100 Schilling pro Tag für jeweils vier bis fünf Stunden intensivste persönliche Dienstleistung unangemessen? Wohl kaum, beruhigte ich mein Gewissen.

Was meinen Sie, lieber Leser? Die Leserinnen frage ich lieber nicht zu dem Thema. Wie hätten Sie gehandelt? Oder hätten Sie überhaupt nicht so gehandelt, sich moralisch hochstehend erst gar nicht verführen lassen? Meine Hochachtung! Andererseits hätten Sie dabei viel versäumt! Die Frau war wirklich gut im Bett, die wusste was sie selbst und was Mann will und braucht.

Sie werden daher verstehen, dass ich die Frau nicht auf den mir versprochenen Lohn angesprochen oder gar angedroht habe, sie am letzten Tag nicht mehr in Wien herumzuführen. Möglicherweise hätte sie sonst auf meine Dienste verzichtet und ich wäre sowohl um meine Belohnung durch körperliche Zuwendung im Hotelbett als auch um eine allfällige – freiwillig gegebene oder heimlich angeeignete – monetäre Entlohnung gekommen.

Ich mache es kurz, liebe Leserin und lieber Leser. Sie hat auch am nächsten, dem letzten Tag, obwohl von einem feuchtfröhlichem Besuch in Grinzing deutlich angeheitert und gut aufgelegt, die Anzahlung nicht aufgestockt. Was blieb mir also anderes über, als mich selbst zu bedienen?

Der Taugenichtssassa

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