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Kap_2 Hoteldienst

Ich stand gelangweilt wie all die letzten Tage adrett livriert an der Hotelpforte und wartete darauf, den ankommenden Gästen devot die Autotüre zu öffnen und ihnen dann, je nach Wunsch und Notwendigkeit, beim Aussteigen zu helfen und das Handgepäck abzunehmen. Denn viele unserer Gäste waren bereits in fortgeschrittenem Alter oder erwarteten sich allein aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung eine derartige Bedienung. Immerhin war das Hotel, in dem sie abstiegen, eines der nobelsten und teuersten in ganz Wien.

Sodann hatte ich die Herrschaften zur Rezeption zu geleiten und sie dort dem Rezeptionisten zu übergeben. Während der Anmeldeprozedur musste ich, falls die Herrschaften mit dem Taxi gekommen waren, deren Gepäck in das Foyer hereintragen. Nach Übergabe des Schlüssels hatte ich die Personen zum Lift und bis zu ihrem Zimmer zu führen und zu fragen, ob sie mit dem Zimmer zufrieden wären. Erst danach brachte ich das Gepäck aus dem Foyer nach. Falls sie mit dem eigenen oder geliehenen Fahrzeug vorgefahren waren, war es für mich stressiger, weil ich zusätzlich noch den Wagen in die hoteleigene Garage überstellen und das vielfach recht umfangreiche Gepäck von dort bis zum Zimmer, also sehr viel weiter, schleppen musste.

In beiden Fällen wurde die meist nicht unerhebliche Mühe mit einem Trinkgeld belohnt. Jedenfalls hatte ich inzwischen gelernt, wie man es aufdringlich unaufdringlich anstellt darauf hinzuweisen, dass es hierorts üblich ist, Trinkgeld zu geben und man sich als Page daher ein solches berechtigterweise erwartet.

Eben fuhr ein älteres Paar mit einem Leihwagen vor, einem schwarzen Mercedes 220. Also offenbar Leute, mit Geld und Standesbewusstsein. Ich eilte die beiden Stufen nach unten, öffnete die Türe auf der Beifahrerseite und bot der dort sitzenden Dame meine Hand als Hilfe beim Aussteigen an. Diese ergriff sie allerdings nicht und stieg allein aus. Dabei sagte sie mit einem schelmischen Lächeln um ihren dezent geschminkten Mund:

„Junger Mann, Sie machen mich mit Ihrem Hilfsangebot älter als ich bin. Wollen Sie das?“

Ich war verdutzt und antwortete nach einer kleinen Verlegenheitspause:

„Natürlich nicht, gnädige Frau. Es gebietet einfach die Höflichkeit.“

„… oder Ihre Dienstanweisung. Habe ich Recht?“

„Natürlich auch“, stotterte ich. Was sollte ich sonst sagen.

Zum Glück wurde die Unterhaltung unterbrochen, weil inzwischen der Fahrer ausgestiegen war – ganz ohne jede Hilfe. Dabei hätte dieser in seinem Alter, noch dazu mit seinem Handkoffer aus Krokodilleder unter dem Arm, viel eher (m)ein Hilfeangebot gerechtfertigt. Denn er war unzweifelhaft deutlich älter als die Dame. Nach meinem Dafürhalten gut und gern 15 Jahre.

Er drückte mir den Autoschlüssel in die Hand, ergriff die Dame beim Ellbogen und drängte diese so, die Unterhaltung mit mir einzustellen und mit ihm das Hotel zu betreten. Ich eilte voraus, um die Tür aufzuhalten und sie zur Rezeption zu geleiten.

An der Rezeption tat heute der Chefrezeptionist Dienst, ein Mann mit schon schütterem, angegrautem Haar. Trotz seines so ins Auge springenden Alters verfügte er über ein phantastisches Namens- und Personengedächtnis. Er erkannte sogar Gäste, die vor vielen Jahren nur für ein einziges Mal hier abgestiegen waren, meist sofort wieder und sprach sie mit Namen samt allen zugehörigen Titeln an. Und das immer so, wie es sich diese Leute erwarteten. Eher jovial bei vielen Künstlern und Sportlern, devot bei Politkern und altmodisch gespreizt bei den blaublütigen Gästen.

Auch heute begrüßte er die beiden eben angekommenen Gäste wie Altbekannte und deutete mir mit einer knappen Handbewegung, dass diese das Zimmer allein finden würden und ich mich um das Fahrzeug kümmern und dann das Gepäck auf das Zimmer bringen solle. Um welches es sich handelt, war mir klar, als er den Zimmerschlüssel aus dem deutlich beschrifteten Fach herausnahm. Daher kehrte ich unverzüglich zum Fahrzeug zurück, um es von der Hotelauffahrt wegzubringen und in der Garage abzustellen.

Beim Überführen des Fahrzeuges schwitzte ich Blut und verfluchte zum wiederholten Mal den Architekten, der die Garage geplant hatte. Lenken Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, einmal ein Ihnen in seinen Dimensionen und im Handling ungewohntes Auto um die engen Kurven und Stützen und parken es dann auf einem der minimalistisch bemessenen Parkplätze ein. Und das natürlich ohne jede Schramme! Und dann zwängen Sie die riesigen Koffer zwischen den geparkten Fahrzeugen durch – wieder ohne jede Schramme!

Und das alles zu einem Gehalt, von dem man kaum leben kann. Vielleicht verstehen Sie nun, dass ich auf Trinkgeld angewiesen bin und nicht weggehe, bevor ich eines erhalten habe. Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, aber glauben, dass dieses bei der sicher nicht armen Kundschaft unseres Hotels großzügig ausfällt, haben Sie sich getäuscht. Meist stimmt die Volksweisheit: ‚Von den Millionären kann man das Sparen lernen.‘

So dauerte es gut und gern 10 Minuten, bis ich mit dem Gepäck, drei großen Koffern, vor Zimmer 311 stand und klopfte. Eine mir schon bekannte Stimme bat mich einzutreten, um mich gleich rügend zu fragen:

„Wo sind Sie denn die ganze Zeit geblieben, junger Mann?“

„Entschuldigen Sie vielmals, gnädige Frau“, sagte ich wie schon zig Male davor. „Unsere Garage ist derart verwinkelt verbaut, dass das Ein- und Ausparken eine wirklich schwierige und gefährliche Angelegenheit ist.“

„Warum gefährlich?“

„Nun, weil immer die Gefahr besteht, dass man an einer der Stützen oder einem der geparkten Fahrzeuge anschrammt. Und das wollen Sie sicher ebenso wenig wie all die anderen Gäste. Sie werden es ja selbst erleben, wenn Sie wieder abreisen.“

„Oh, das ist erst in drei Tagen. Und nach dieser Warnung werde ich mich hüten, selbst aus der Garage zu fahren. Das werden wohl Sie oder mein Mann tun. Übrigens war mein Mann gar nicht erfreut, dass das Gepäck nicht und nicht kam. Er wollte sein von der Autofahrt doch ein wenig verdrücktes Sakko vor dem Meeting noch wechseln.“

„Oh, das tut mir leid. Aber wie gesagt – daran trage ich keine Schuld. Ich hoffe, dass er mit seinem zerknitterten Sakko keinen schlechten Eindruck hinterlassen wird.“

„Das hoffe ich auch“, pflichtete mir die Dame bei.

Jetzt, wo ich sie aus nächster Nähe sah, verstand ich noch mehr, warum sie meine zur Hilfe angebotene Hand zurückgewiesen hatte. Sie war wirklich noch nicht in einem Alter, wo man Hilfe benötigt. Ich schätzte sie auf knapp über 50, wohl wissend, wie schwer es ist, das Alter einer gepflegten Frau, wie sie es war, richtig einzuschätzen.

Die Augenlider waren leicht bläulich getönt und die in einem warmen, aber nicht grellen Rot gehaltenen Lippen forderten dezent aber unübersehbar auf: ‚Küss mich‘. Kurz gesagt: Sie war sehr attraktiv und gepflegt, aber nicht überschminkt.

Allfällige erste weiße Haare gingen in der hoch toupierten goldenen Haarpracht mit leicht rötlichem Stich unter, und die samten-glatte Gesichtshaut bezeugte, dass sie regelmäßig eingecremt und jeder Makel sofort entfernt wurde. Die Lachfalten um die Augen waren nur angedeutet, ebenso wie die Falten am Hals und Dekolleté, die zumeist untrüglich das wahre Alter verraten. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich gern unsere Gäste taxiere und dann in der Rezeption überprüfe, ob ich richtig liege mit meiner Schätzung.

„Sind Sie fertig mit Ihrer Einschätzung meiner Person“, unterbrach mich die Frau mit dem gleichen schelmischen Schmunzeln, das sie schon beim Aussteigen gezeigt hatte.

Auf frischer Tat ertappt lief ich rot an und stotterte: „Entschuldigung! Aber ich habe eben verifiziert, dass Sie beim Aussteigen völlig Recht hatten. Sie brauchen wirklich keine Hilfe. Sie sind zu jung dafür. Und …“

„Was und?“

„… dabei sah ich, dass Sie nicht nur jung, sondern zudem eine außerordentlich attraktive und gepflegte Frau sind. Ihr Mann kann sich glücklich schätzen, Sie an seiner Seite zu haben.“

Die Frau sah mich plötzlich nicht nur oberflächlich, sondern nachdenklich an. Irgendetwas hatte ich da losgetreten, ohne zu wissen, was. Daher bemühte ich mich eilig das gleich wieder zu reparieren.

„Ich bin Ihnen hoffentlich mit meinen Worten nicht zu nahe getreten, gnädige Frau. Wenn doch, entschuldigen Sie bitte meine Distanzlosigkeit. In einem Hotel wie diesem ist das strengstens untersagt.“

Die Frau sah mich weiter ernst an und schien zu überlegen. Nach einer langen Nachdenkpause huschte wieder das schon bekannte schelmische Lächeln über ihr Gesicht und sie sagte:

„Junger Mann. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Einer älteren Frau wie mir tut es durchaus gut zu hören, dass ein junger Mann von vielleicht 20 Jahren mich attraktiv findet, mich, eine dreimal so alte Frau. Mehr noch: ich würde dies gerne öfter hören. Daher habe ich einen Vorschlag.“

„Und der wäre?“, fragte ich verunsichert.

„Nun, mein Mann und ich sind für drei Tage hier in Wien. Ich kenne die Stadt nicht, würde diese aber gerne kennenlernen. Anders gesagt. Ich könnte gut jemanden brauchen, der mir die Stadt zeigt. Sind Sie, junger Mann, ein Wiener, oder wenigstens jemand, der sich hier gut auskennt?“

„Ja, das bin ich.“

„Würden Sie mir die Stadt zeigen, mich herumführen? Natürlich gegen Bezahlung.“

„Ja, schon. Jedenfalls in meiner dienstfreien Zeit.“

„Und wann ist die?“

„Ich habe diese Woche Frühschicht, also von 6 Uhr morgens bis 14 Uhr Dienst. Danach habe ich frei.“

„Ganz frei? Wartet keine Familie oder Freundin auf Sie?

„Nein. Ganz frei. Ich bin solo. Aber wie steht es mit Ihnen? Will nicht Ihr Mann mit Ihnen Wien erkunden, abends in die Oper, in ein Theater oder zu einem der berühmten Heurigen gehen? Irgendwas wird er ja wohl mit Ihnen unternehmen wollen, wenn er Sie hierher mitnimmt. Oder?

„Ja. Das wollte er ursprünglich auch. Aber dann kamen noch zusätzliche Termine herein. Daher geht das nun nicht. Er jagt von einem geschäftlichen Termin zum anderen, von einem abendlichen Essen mit Geschäftsfreunden zum anderen. Gerade mal zum Schlafen wird er spät abends hierherkommen und nach dem Frühstück wieder gehen. Kurz: Ich bin hier fast das, was man eine Strohwitwe nennt.“

Mit diesen Worten holte sie ihr Portemonnaie heraus und drückte mir 100 Schilling in die Hand.

„Das ist für das Auto einparken und ein paar Koffer schleppen zu viel, gnädige Frau“, protestierte ich scheinheilig. Denn in Wahrheit war ich hocherfreut über das geradezu fürstliche Trinkgeld.

„Dann nehmen Sie es als Anzahlung für Ihre Tätigkeit als mein persönlicher Stadtführer. Und kommen Sie um 14 Uhr wieder hierher! Abgemacht?“

Ich nickte. Daraufhin ergriff sie mit ihrer warmen, ungemein weichen Hand meine, drückte sie zart als Zeichen unserer Vereinbarung und schob mich aus dem Zimmer.

Ich blieb noch eine Weile vor der Tür stehen, gleichzeitig verwirrt und neugierig, was mich heute und in den nächsten drei Tagen erwarten würde. Der Beginn war jedenfalls sehr verheißungsvoll.

Der Taugenichtssassa

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