Читать книгу Der Taugenichtssassa - Robert Müller - Страница 9

Оглавление

Kap_3 Führerdienste

Knapp nach 14 Uhr klopfte ich an der Tür zu Zimmer 311. Diesmal nicht in meinem Livree, sondern im Alltagsgewand. Beim Umziehen in meinem Dienstzimmer hatte ich mich für eine lange Stoffhose aus einem dünnen, ochsenblutfärbigen Wollstoff und ein weißes Hemd entschieden, dessen lange Ärmeln ich aber hochgekrempelt hatte, um den Blick auf meinen trainierten Bizeps zu ermöglichen. In meiner Hosentasche hatte ich zudem eine ‚Fliege‘ eingesteckt. Mit dieser Kleidung hielt ich mich für alle Eventualitäten gerüstet, vom Besuch einer Kirche bis zum Spielcasino, vom Schickimicki-Lokal bis zum urigen Heurigenlokal.

„Kommen Sie herein“, tönte es von innen, was ich mir nicht zweimal sagen ließ.

„Wie gefalle ich Ihnen?“, setzte die Frau unmittelbar nach meinem Eintreten fort, und drehte sich im Kreis. „Ist das Gewand passend für das, was wir vorhaben?“

Anders als bei ihrer Ankunft war die Kleidung nun nicht mondän, sondern recht leger, ohne aber gewöhnlich oder billig zu wirken. Statt der sonst zunehmend üblichen Bluejeans trug sie eine 7/8tel-Hose aus einem beigen, fast durchsichtigen Stoff. Fast, denn von der Unterhose sah man nichts – oder sie trug gar keine. Jedenfalls war diese Wahl angesichts der sommerlichen Hitze in der Stadt sicher eine bessere Wahl als eine dicke Bluejeans. Oben trug sie eine lila Bluse, also jene Farbe, wie sie von Lesben gerne demonstrativ getragen wird, nicht nur bei der Regenbogenparade, die vor wenigen Wochen hier am Ring abgehalten worden war.

So als könnte die Frau meine Gedanken lesen, unterbrach sie meine Begutachtung mit den Worten: „Junger Mann, Ihnen kann man die Gedanken förmlich von der Stirn ablesen. Nein, die Farbe meiner Bluse hat nichts mit meiner sexuellen Orientierung zu tun. Immerhin bin ich ja mit einem Mann zusammen, nicht mit einer Frau.“

Das sagt noch gar nichts, dachte ich mir. In der Geschichte gab es genug Paare, sogar Ehepaare, wo sich später herausstellte, dass der Mann schwul ist oder die Frau lesbisch. Zu ‚lesbisch‘ fielen mir gleich die erste Ehefrau von Kaiser Joseph II. oder eine frühere österreichische Frauenministerin ein. Na gut, für das Amtsverständnis der Letzteren mag das sogar hilfreich gewesen sein, beide Varianten eines (auch geschlechtlichen?) Zusammenlebens am eigenen Leib erfahren zu haben.

Zudem konnte die Frau erfreulicherweise offenbar doch nicht alle meine Gedanken ablesen. Denn gleichzeitig mit der Frage nach lesbisch oder nicht hätte ich zu gerne gewusst, ob sie unter der blickdichten Bluse einen BH trug. Wenn nicht, so hatte sie für das von ihr genannte Alter und angesichts der Größe und Lage der Hervorwölbungen eine beachtlich straffe und jugendlichen Figur.

„Ja, das passt sehr gut und betont Ihre jugendliche Figur hervorragend. Wirklich ganz wunderbar“, tat ich das Ergebnis meiner langen Begutachtung ohne jede Flunkerei aus purer Höflichkeit kund.

„Sie Schmeichler“, entgegnete die Frau, obgleich man ihr ansah, dass mein Lob angekommen war. Zu Recht übrigens, denn mein Lob war völlig ehrlich gemeint. Die Frau sah wirklich nicht aus wie eine Sechzigjährige!

„Nur beim Schuhwerk“, wandte ich dann doch ein, „sollten Sie etwas Bequemeres anziehen, etwas mit niedrigem Absatz. Immerhin werden wir doch eine Weile zu Fuß gehen …“

„Turnschuhe?“, fragte die Frau zurück, der man ansah, dass sie diese eher unpassend fände. „Zudem hätte ich gar keine hier. Die Schuhe, die ich anhabe, sind die bequemsten, die ich mithabe.“

„Dann werde ich Sie zuerst in ein Schuhgeschäft lotsen, wo Sie sicherlich für wenig Geld etwas Passendes finden werden. Schließlich kann ich Sie nicht auf Händen zurück ins Hotel tragen, wenn Ihre Füße schmerzen oder Sie gar Blasen bekommen.“

„Nun, das wäre etwas, was ich schon immer gerne einmal erlebt hätte und was daher gegen den Kauf neuer Schuhe spricht“, hakte die Frau mit dem mir schon geläufigen, ja fast lieb gewonnenen schelmischen Schmunzeln ein. „Nicht einmal in der Hochzeitsnacht wurde ich auf Händen über die Schwelle getragen.“

Das hat man davon, wenn man einen so viel älteren Mann heiratet, dachte ich schadenfroh, obgleich ich gar nicht wusste, wie alt ihr Mann bei der Hochzeit war.

Wieder schien die Frau meine Gedanken lesen zu können, denn sie sagte: „Das hätte mein Mann mit seinen damals 74 Jahren auch gar nicht geschafft.“

Warum heiratest du dann so einen alten Knacker, fragte ich mich.

Wieder schien die Frau meine Gedanken lesen zu können:

„Sie wollen jetzt wohl wissen, warum ich so einen alten Mann geheiratet habe. Ich weiß es auch nicht, oder besser, immer weniger. Aber ich glaube, das sollte ich nicht hier mit Ihnen diskutieren. Sie sind noch sehr jung und unerfahren und sehen nicht, wie das Leben so spielt. Jetzt habe ich in Ihnen jedenfalls einen jungen, feschen Begleiter, um den mich manche Frauen auf der Straße wohl beneiden werden – nicht wissend, dass ich Sie dafür bezahle.“

Das gilt wohl oft auch umgekehrt, wenn sehr alte Männer sehr junge Frauen im Schlepptau haben, dachte ich mir. Aber das wollte ich nicht sagen und erwiderte:

„Ich würde das für Sie auch ohne Bezahlung tun, gnädige Frau. Nur die Kosten für Fahrkarten, Eintritte und etwaige Restaurantbesuche müssen Sie tragen. Das überstiege bei weitem meine finanziellen Möglichkeiten.“

Mit diesen Worten versuchte ich ihr klarzumachen, dass ich durchaus Geld brauche und ihr gleichzeitig vorzugaukeln, dass ich meine Freizeit ihr, nur ihr zuliebe opfere.

Wie sich schnell herausstellte, war ich mit meinem Einschleimen erfolgreich. Nachdem die Frau mich lange durchdringend angesehen hatte im Versuch meine Gedanken zu lesen, antwortete sie:

„Diesmal sage ich nicht ‚Sie Schmeichler‘. Ich glaube zu spüren, dass Sie das wirklich ernst meinen. Und das freut mich ungemein! Aber wir sollten jetzt die Zeit nicht für solche Gespräche und Komplimente verschwenden, sondern zur Tat schreiten. Wie sieht das Programm aus? Aber bitte ohne Kauf neuer Schuhe!“

„Nun, ich könnte anbieten, mit Ihnen ein Stück am Ring, der Flaniermeile rund um die Altstadt zu bummeln. Leider ist von den ehemaligen Stadtbefestigungen, abgesehen vom Burgtor, praktisch nichts mehr zu sehen. Bis zur Oper zu laufen – wie Sie es als Deutsche wohl formulieren würden, während wir in Österreich richtiger dafür gehen sagen – ist nicht weit, ebenso bis zur Hofburg, dem Herz der alten Reichs- und Residenzstadt der Habsburger.“

„Vielleicht wollen Sie die dort befindliche Schatzkammer oder den barocken Prunksaal der Nationalbibliothek mit seinen weltberühmten riesigen Globen besichtigen. Allerdings: Hunderttausende Besucher stürmen diese Attraktionen jährlich, was Wartezeiten und Gedränge bedeuten kann.“

„Oder wir mieten dort einen Fiaker, so heißen die mit zwei Pferden bespannten Kutschen in Wien, und lassen uns durch die Innenstadt karren. Bei dem herrlichen Sommerwetter ein Vergnügen ohne jede Drängerei, weil für uns zwei sogar vier Sitzplätze vorhanden sind.“

„Schade“, entgegnete die Frau mit einem koketten Augenaufschlag.

„Warum schade?“, fragte ich verblüfft.

„Erstens“, sagte sie mit bewusst unverhohlenem Blick auf meinen beachtlichen Bizeps, „weil ich dann nicht die Nähe eines jungen, starken Mannes unmittelbar neben mir genießen darf. Zweitens, weil ich dann mangels längerer Märsche wohl keine Blasen an den Füßen bekomme, es also mit dem Auf-Händen-Tragen auch nichts werden wird.“

Diesmal war ich es, der sein Gegenüber lange ernst und nachdenklich ansah. Liebte die Frau es schelmisch und frivol zu sein? Spielte sie mit mir? Oder war da mehr? Wollte sie ihr Strohwitwendasein mit mir versüßen? Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, kann ich es gestehen. Ich hätte nichts dagegen gehabt!

Dafür sprach, dass sie eine recht nette, wirklich attraktive Frau war.

Dagegen, dass ich nicht ganz, aber doch ziemlich unerfahren in derlei Dingen bin, jedenfalls in letzter Konsequenz. Bis auf die Knochen blamieren wollte ich mich sicher nicht bei einer Frau mit offensichtlicher Erfahrung und mannigfacher Vergleichsmöglichkeit!

Dafür sprach, dass daraus angesichts ihrer baldigen Abreise nichts Ernstes werden konnte, und ich wegen ihres Alters und Familienstandes keine langfristigen Folgen zu befürchten hätte, weder in Form einer aufdringlichen, klettenhaften Anhänglichkeit mit Besitzanspruch noch in Form eines von mir produzierten Gschrappen.

Dagegen sprach wiederum, dass es da einen Ehemann gab, den ich nicht näher kannte und dessen Reaktion und allfällige Rachegelüste ich nicht einschätzen konnte, sollte die Sache ruchbar werden.

Dafür sprach, dass ich mangels Freundin sexuell hungrig war, sehr hungrig, sehr sehr hungrig.

Dagegen sprach, dass ich so möglicherweise die Büchse der Pandora meiner brach liegenden Triebe öffne.

„Was ist los, junger Mann?“,zwitscherte die Frau fröhlich, als von mir keine Antwort kam. Offenbar konnte sie doch nicht Gedanken lesen.

„Oh, nichts“, log ich ohne rot zu werden. „Ich überlegte gerade, ob wir uns mit dem Fiaker bis in den Prater kutschieren lassen sollten. Aber selbst ich als Wiener weiß nicht, ob das möglich ist. Die Fiaker haben nämlich genau genormte Routen und Arbeitszeiten. Aber wir können ja fragen. Wenn nicht, dann fahren wir eben mit der U-Bahn-Linie U1 von der Station Stephansplatz bis in den Prater.“

„Und was wollen wir dort?“, fragte die Frau.

„Mit dem Riesenrad fahren. Von dort hat man aus luftiger Höhe von mehr als 60 Metern einen wunderbaren Blick auf die Stadt. Und anschließend kann man den gleich anschließenden Wurstelprater besuchen.“

„Den was?“, fragte die Frau.

„Den Wurstelprater. Das ist ein Vergnügungspark, der leider zunehmend sein ursprüngliches Flair verliert, ja schon weitgehend verloren hat, weil dort inzwischen die gleichen hochtechnisierten Attraktionen von Hochschaubahnen, Liften, Go-Kart-Bahnen usw. stehen, wie man sie in allen Vergnügungsparks dieser Welt findet. Auch hier in Wien gibt es nur mehr sehr wenig Lokalkolorit. Heutzutage ist fast alles globalisiert. Schade! Aber ein paar Gustostückerl, die kaum jemand kennt, kann ich Ihnen als echter Wiener natürlich schon zeigen.“

„Gut. Dann lassen Sie uns aufbrechen. Wann werden wir zurück sein?“

„Wann immer Sie wollen. Ich kann das einteilen. Aber länger als vier Stunden sollten wir schon allein wegen des Schuhwerks nicht weg sein.“

„Das passt sehr gut. Mein Mann kommt ohnehin frühestens um 23 Uhr zurück. Da haben wir noch genug Zeit uns auszuruhen.“

Was sie mit ‚ausruhen‘ genau meinte, sagte sie nicht. Ich fragte auch nicht nach, weil mir die eigentlich nebensächliche Zeitangabe, ihre Wortwahl und deren Bedeutung erst sehr viel später wieder in den Sinn kam und klar wurde.

Der Taugenichtssassa

Подняться наверх