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1.1.3 Explizite Dramaturgie

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Die Abgrenzung zwischen den expliziten und impliziten Dramaturgieanteilen soll eine weitere Möglichkeit zur Differenzierung der Formen und Wirkungsstrategien eines Werkes ermöglichen. Explizite und implizite Dramaturgieanteile wirken im Verbund und sind gemeinsam für Aufbau, Umsetzung und Wirkung eines Werkes verantwortlich.

Die expliziten Dramaturgieanteile ließen sich mithilfe der Kommentare und der erläuternden Zusätze von Arbogast Schmitt in seiner Übersetzung der Poetik des Aristoteles (sie konkretisieren in geschweiften Klammern die Deutungsspielräume des griechischen Textes) auch als die »konstitutiven« Teile eines Werkes bezeichnen. Aristoteles formulierte für die Nachahmung von Handlung folgende Bedingung:

»[…] die Anordnung der Handlungsteile muss so sein, dass das Ganze sich ändert und in Bewegung gerät, wenn auch nur ein Teil umgestellt oder entfernt wird. Das nämlich, was da sein oder nicht da sein kann ohne erkennbaren Unterschied, ist kein {konstitutiver} Teil des Ganzen.« (Aristoteles 2008, S. 13; Kap. 8, 1451a30)

Die Nähe zum Konzept der geschlossenen Form ist unverkennbar: Die Unverrückbarkeit der Teile eines Werkes und ihre daraus resultierende konstituierende Eigenschaft sind wichtige Merkmale der expliziten Dramaturgie. Zur expliziten Dramaturgie gehören alle Elemente des Handlungsaufbaus und der an der Oberfläche stattfindenden Handlung. Dazu gehört auch das Sujet, das ein Prinzip für die konkrete Ausgestaltung der Handlung und die Bedingungen, unter denen sie sich entfalten kann, darstellt. Das Sujet konkretisiert das Umfeld und setzt den Figuren und Ereignissen charakteristische Grenzen. Dies zusammen sind die an der Oberfläche sichtbaren handlungs- und strukturbezogenen Gestaltungselemente und Parameter. Sie sind als konstitutiv anzusehen, da eine Veränderung dieser Bestandteile die Logik der Entfaltung der Geschichte verändern würde.

Gliederung und Form (Anfang – Mitte – Schluss), Strukturen, Unverrückbarkeit der Teile, der zweckmäßige Umfang eines Werkes und Gesetzmäßigkeiten zur Entwicklung der Handlung sind die grundlegendsten Elemente der expliziten Dramaturgie. Dies ließe sich mit den Worten Aristoteles’ auch so formulieren:

»Wir haben {als Ergebnis} bereits festgehalten, dass die Tragödie die Nachahmung einer vollständigen und ganzen Handlung ist, die einen gewissen Umfang hat. Es kann etwas nämlich auch ein Ganzes sein, ohne einen nennenswerten Umfang zu haben. Ein Ganzes aber ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Anfang ist, was selbst nicht aus innerer Notwendigkeit auf etwas Anderes folgt, nachdem aber naturgemäß etwas Anderes ist oder entsteht. Ende dagegen ist, was selbst nach etwas Anderem ist, und zwar entweder notwendig oder meistens, nach dem aber nichts anderes {folgen muss}. Mitte ist das, was selbst nach etwas Anderem ist, und nach dem etwas Anderes ist. Wer also eine Handlung zusammenstellen will, darf nicht von irgendwoher, wie es sich gerade trifft, anfangen, noch, wie es sich gerade ergibt, irgendwo enden, sondern muss sich an die genannten Kriterien halten. […] Bei welcher Größe es sich ergibt, dass die mit Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit aufeinander folgenden Handlungsschritte zu einem Umschlag vom Glück ins Unglück oder vom Unglück ins Glück führen, dies ist die hinreichende Begrenzung der Größe.« (Aristoteles 2008, S. 12; Kap. 7, 1450b24)

Hier werden von Aristoteles neben Umfang, Strukturfragen und Gesetzmäßigkeiten zur Entwicklung der Handlung auch die Wirkungsqualitäten der Wendepunkte angesprochen, die auch zur expliziten Dramaturgie gehören.

Explizite Dramaturgie kann sowohl ein Sammelbecken für Normen sein, als auch – wie Dahlhaus auf das Musiktheater bezogen schrieb – eine Reihe »begrifflicher Hilfsmittel« zur Verfügung stellen,

»deren Funktion es ist, dem Verständnis der einzelnen Werke in ihrer Besonderheit den Weg zu bahnen. Die ›explizite Dramaturgie‹, die als Theorie oder Theoriefragment formuliert wurde, bildete keinen Kodex […], dem die Werke sich fügen mussten, sondern gleichsam ein kategoriales Gerüst, mit dem man sie umstellte und das man wieder abriss, sobald es seinem Zweck, der Rekonstruktion der ›impliziten‹ Poetik individueller Werke, gerecht geworden war.« (Dahlhaus 2001a/GS2, S. 468)

Explizite und implizite Dramaturgie unterscheiden sich auch bei der Darstellung und Erzeugung von Komik und Humor. Während Komik (wie wir sie aus Filmen von Buster Keaton, Charles Chaplin u. a. kennen) überwiegend auf der expliziten Ebene funktioniert, z. B. durch Mittel der Unangemessenheit, Körperlichkeit, Übertreibung, Verwechslung und Eskalation, entfaltet sich Humor hauptsächlich implizit durch Erkennen von Zusammenhängen oder Anspielungen. Deren Entschlüsselung bereitet eine andere Art von Vergnügen als die Unmittelbarkeit der Komik. Als Beispiel für einen solchen humorvollen Einsatz kann die Verwendung von Strauss’ Also sprach Zarathustra in WALL•E (USA 2008, R. Andrew Stanton) genannt werden. Das Hinzudenken des inzwischen bei einem Großteil des Publikums bekannten audiovisuellen Kontextes des Stückes führt bei der Entschlüsselung zum Schmunzeln, während der Ernst der Szene (die Menschheit kehrt endlich zurück zur Erde, um sie wieder zu begrünen) erhalten bleibt.

Musikdramaturgie im Film

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