Читать книгу Musikdramaturgie im Film - Robert Rabenalt - Страница 22
1.3 Zusammenfassung Kapitel 1
ОглавлениеDramaturgie hat eine praktische, auf die Aufführung gerichtete und eine theoretische Seite, die Strategien, Grundsätze und Normen systematisiert. Sie ist auch als eine Methode geeignet, künstlerische Werke in den Erscheinungsformen der zeitbasierten, darstellenden Künste zu durchdringen. Die Kategorien der Dramaturgie sind dafür geeignet, Erzählkunst und rezeptionsästhetische Modellvorstellungen des darstellenden Erzählens begrifflich und künstlerisch zu fassen. Dabei wird das Publikum ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Darin unterscheidet sie sich z. B. von der Narratologie. Mit Dramaturgie kann man die in einer Geschichte verhandelten Themen kreativ durchdenken. Sie ist weniger als ein fest gefügtes Regelwerk zu verstehen, als das sie oft eingegrenzt wird, sondern bündelt Überlegungen und Konzepte, um die für eine (filmische) Erzählung geeignetste Relation von Handlungsaufbau, Wirkung und Glaubwürdigkeit zu erreichen. Dazu gehört auch der Aktualitätsbezug der Geschichte und ihrer Form. Die Vielfalt der erzählerischen visuellen und auditiven Mittel, darunter Sprache, Affektlaute, Geräusche und Musik, wird von Dramaturgie in eine notwendige Begrenzung geführt.
Damit ist Dramaturgie Teil der Ästhetik und Theoriebildung ebenso wie der praktischen Umsetzung. Trotz unterschiedlicher Auffassungen und unterschiedlicher Terminologie kann eine Reihe tradierter, aber auch moderner Begriffe, Strukturmodelle und Strategien aufgegriffen werden. Dazu zählen grundsätzliche Konzepte wie die Unterscheidung zwischen expliziten und impliziten Dramaturgieanteilen, das Konzept der offenen und geschlossenen Form und das Fabel-Sujet-Begriffspaar. Konkreter werden Strukturmodelle, die nach Akten oder Sequenzen gegliedert sind, einhergehend mit der Benennung von Wendepunkten der Handlung und die Differenzierungen unterschiedlicher Fabelkonzepte und Strukturmuster.
Die Kategorie der Spannung ist ein wesentliches Element von Dramaturgie, da neben strukturellen Fragen auch das Wechselspiel aus Spannungsverlauf und Aufmerksamkeitslenkung mit visuellen, sprachlichen und anderen auditiven Mitteln (darunter Musik) von Dramaturgie mitbestimmt wird. Die genannten Modelle beinhalten daher Konzepte, die das Verhältnis von Handlungskurve und Spannungskurve regeln. Durch Bezüge zwischen äußeren Handlungen (Figuren in sichtbaren Vorgängen) und inneren Handlungen (Affektdispositionen und Überzeugungen der Charaktere) entsteht aber auch eine andere Form von dramaturgisch bedeutsamer Spannung, sodass zwischen handlungslogischer Spannung (suspense) und in der Anlage und Figurendispositionen einer Geschichte steckender Grundspannung (tension) unterschieden werden kann.
Bei der Anwendung des Begriffs Dramaturgie auf den Film kommen poetische Eigenheiten hinzu, vor allem die Gestaltungsformen der filmischen Montage. Sie ist nicht nur als Technik zur Simulation eines raumzeitlichen Kontinuums zu verstehen, das der Handlungslogik dient, sondern realisiert auch auf spezifische Weise den Wechsel zwischen epischen, dramatischen und lyrischen Passagen einer Filmgeschichte. In keinem anderen Medium ist der Wechsel zwischen diesen Erzählmodi so flexibel möglich. Sofern ergänzende Filmmusik nicht nur aus Gewohnheit in einem Film enthalten ist, liegt ihre dramaturgische Berechtigung in erster Line darin, Brüche bei den Übergängen zwischen den Modi zu überbrücken und die an sie geknüpften unterschiedlichen Rezeptionsstrategien wach zu rufen. Filmdramaturgie befindet sich im Spannungsfeld der ökonomischen Kräfte eines reproduzierbaren Massenmediums, sodass nie eindeutig gesagt werden kann, welche Faktoren für den Erfolg eines Films stehen und ob sich Kunst und Ökonomie in einem befruchtenden oder behindernden Verhältnis gegenüberstehen.
Aus dramaturgischer Sicht muss die Terminologie zur Analyse von Filmmusik an entscheidender Stelle überdacht werden, was am Beispiel der Diskussion zu den Begriffen diegetisch/non-diegetisch deutlich wird. Bei der Übertragung des antiken Begriffs diegesis in die Filmtheorie sind für die Dramaturgie entscheidende Aspekte unberücksichtigt geblieben. So entstand eine inkonsistente, für Filmmusik nicht treffend differenzierte Terminologie, deren Umbau mit Blick auf die Musikdramaturgie nach wie vor nicht zu befriedigenden Lösungen geführt hat. Auch zum Begriff mimesis bestehen Missverständnisse, die zur Eingrenzung von mimesis als Nachahmung der Wirklichkeit führen können und ihre schöpferische Seite (in doppelter Hinsicht: durch das Dichten und beim Nachschöpfen durch das Publikum) bei der Aneignung der Welt vernachlässigen. Vor allem der durch Aristoteles geforderte Aspekt der Wahrscheinlichkeit relativiert den Wahrheitsanspruch der Nachahmung nach Platon und verleiht der Mimesis die Eigenschaft, die Welt so zeigen zu können, wie sie »sein soll«.
In der Erzählkunst kann unterschieden werden, ob Handlungen mimetisch (zeigend) und somit ohne eine vermittelnde Instanz oder diegetisch (erzählend, berichtend) und dabei mit Vermittlung durch eine Erzählinstanz präsentiert werden. Beides sind für den Film essenzielle Arten der Nachahmung bzw. Modi der Darstellung, die allerdings nicht kompatibel sind mit der geläufigen Terminologie der Filmmusiktheorie, insbesondere mit den Begriffen diegetisch/non-diegetisch, die – einfacher – durch das Paar intern/extern ersetzt werden könnten, um die dramaturgische Dimension der antiken Begriffe diegesis und mimesis beibehalten zu können. In der Poesie des Kinos ist die logische Trennung von Musik im Präsentationsraum (extern) und im Handlungsraum (intern) nur als kategoriales Gerüst hilfreich, das wieder entfernt werden kann, sobald die Geschichte vollständig ist und in der Aufführung bzw. Vorführung abläuft.
Der mimetische Modus der Darstellung hat eine Bindung an gut überschaubare raumzeitliche Bedingungen. Die Handlungen der Figuren sind der Gegenwart und begrenzten Räumlichkeit einer (ursprünglichen) Bühnendarstellung verhaftet. Hinter ihnen verschwinden der konkrete und der abstrakte (implizite) Autor. Der diegetische Modus dagegen erzählt von Handlungen, ahmt sie durch Sprache und Erzählinstanz indirekt nach, sodass konkreter und abstrakter (impliziter) Autor außerhalb wörtlicher Rede an ihren eigenen Worten und Wendungen erkennbar werden. Die bemerkbare vermittelnde narrative Instanz ist räumlich und zeitlich ungebunden, wie es für epische Gattungen konstituierend ist – im Gegensatz zum mimetischen Modus, der durch die Präsenz agierender Figuren charakterisiert wird und für dramatische Gattungen konstituierend ist. Daraus folgen jeweils andere Möglichkeiten zur Anordnungen der Handlung. Beide Modi des nachschöpfenden Erzählens sind im Verbund mit lyrischen Mitteln im Film spezifisch umgesetzt anzutreffen und bringen eine Bandbreite unterschiedlicher Arten von Spannung und Wirkungen des filmischen Erzählens hervor. Filmmusik leistet beim Wechsel zwischen den Modi und für das Abrufen passender Strategien bei der Rezeption oftmals einen entscheidenden Anteil.
Die folgende Grafik zeigt eine komprimierte Zusammenfassung der bisher diskutierten Fragen zu filmästhetisch und narratologisch abgrenzbaren Räumen und die Überschneidungen dieser Konzepte mit Aspekten der Filmdramaturgie. Sie kann auch als Grundlage genommen werden, um später die Terminologie der auditiven Ebenen neu zu diskutieren. (s. Abb. 6)
Die Gattungsmerkmale fiktionaler und dokumentarischer Formen des Films unterscheiden sich zwar in einigen durchaus wesentlichen Punkten (Konkretheit des Drehbuchs, Spontaneität, Intention der Filmschaffenden, Verantwortung gegenüber den Protagonisten). Dramaturgisch gesehen gibt es jedoch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Spiel- und Dokumentarfilm und somit eine Vielzahl von gegenseitigen Einflüssen und Mischformen. Hier zeigt sich, dass Dramaturgie über Gattungsgrenzen hinweg ein Werkzeug ist, um Erzählungen zu erschaffen, und durch den Gebrauch der künstlerischen Mittel ein Erkenntnisinstrument ist, mit dessen Hilfe gesellschaftliche Umstände abgebildet werden können. Dass dies im Falle des Dokumentarfilms offensichtlich geschieht und in fiktionalen Genres eher verschleiert wird, ist bei Berücksichtigung vieler Beispiele eine nicht zu haltende Ansicht.
Abb. 6: Filmästhetisch, dramaturgisch und narratologisch abgrenzbare Räume
Die Untersuchungen musikästhetischer Auffassungen und überlieferter Kontroversen haben gezeigt, dass musikwissenschaftliche Methoden der Filmmusikforschung bei der Entwicklung von Thesen helfen können und eine Reihe hilfreicher Begriffe zur Verfügung stellen. Insbesondere die Thesen dazu, was der Inhalt von Musik wäre, inwieweit Musik die geeignete Sprache sei, um Innerlichkeit zum Ausdruck zu bringen, und was musikalische Poesie und Programmmusik sind, offerieren Ideen dafür, worauf Filmmusik ästhetisch aufbaut und wie sich ihre Wirkung in den Erzählkünsten erklären lässt. Musik »erzählt« nicht selbst. Aber in Strukturen und Prozessen von Musik steckt implizit die Geste eines »erzählenden« Subjekts.
Musiktheoretische Formbegriffe korrespondieren mit narrativen Formidealen und zielen z. B. auf den lyrisch-kreisenden Charakter von Musik (z. B. realisiert in einer liedhaften Melodie), den prozessualen Charakter von Musik (z. B. ein Thema und seine Verarbeitung) oder auf die Disposition der Teile und Charaktere (z. B. Verwicklung, Höhepunkt und Lösung; Analogien zwischen Themendualismus und Protagonist vs. Antagonist, Nebenthema und Nebenfigur), was auch die Methodik zur musikalischen Analyse von Filmmusik beeinflusst hat und weiter beeinflussen dürfte.
In der musikalischen Komposition wird ein außermusikalisches Sujet als kompositorisches Material verstanden, wie Töne, Rhythmus und Harmonien. Musik »spricht« dann von den Resonanzen, die zwischen den Haltungen und Gefühlen der Komponierenden und Ausführenden entstehen. Einhergehende Missverständnisse zur Narrativität von Musik, etwa die Literarisierung von Musik durch verbales Festhalten eines dem Musikstück zugrunde liegenden Programms, führten aber zu fließenden Grenzen im Verständnis von musikalischer Illustration, Musik als Ausdruck innerer Empfindungen und Ideenkunstwerk. Für die Analyse von Filmmusik könnten die musikalischen Mittel, die illustrieren oder solche Resonanzen schon einmal außerhalb des Films zum Ausdruck gebracht haben, interessant werden. Es wäre noch genauer zu untersuchen, wann und welche musikalischen Topoi in komponierter, kompilierter oder zitierter Filmmusik zum Einsatz kommen und dramaturgische Bedeutung erlangen.