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Der soziale Abstieg des niederen Adels – Graf-Bobby-Witze

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Nun zu einem ganz anderen Typus, auch er ist historisch. Dumm, begriffsstützig und naiv ist in diesem Fall ein Mann. Die Rede ist von Graf Bobby. Viele Witze rund um diese fiktive Person haben eine sprachliche Komponente.

Graf Bobby war eine Wiener Witzefigur, die um 1900 in der Spätphase der k. u. k. Monarchie entstanden ist und bis in die frühen 1990er Jahre populär war. Ich beginne mit einem gelungenen Witz. Es ist zwar kein Sprachwitz, aber für mich ist es der Archetypus eines Graf-Bobby-Witzes.

Graf Bobby steigt in Salzburg in den Zug und trifft dort seinen Freund, einen Esterházy. Beide unterhalten sich angeregt über dies und das. Schließlich meint Graf Bobby: „Siehst den Fortschritt der Technik? I fahr’ nach Innsbruck, du fahrst nach Eisenstadt, und beide hock’n wir im selben Zug!“ (vgl. Landmann 1960, S. 269)

Häufig fungieren in diesen Witzen Bobbys Freunde als Stichwortgeber: Graf Rudi, Baron Mucki, Graf Poldi und Baron Schmeidl. Die Kunstfigur wurde so populär, dass derartige Witze nicht nur in Anthologien und Sammlungen erschienen, sondern auch Filme mit Graf Bobby produziert wurden. In dem Film Die Abenteuer des Grafen Bobby (1961) spielte Peter Alexander die Hauptrolle, Gunther Philipp stellte den Grafen Mucki dar.

In einer Art Eingangscouplet charakterisieren sich die Grafen Bobby und Mucki selbst.

„Wir sind zwei Witzfiguren, sind überall bekannt.“

„Der Bobby und der Mucki, so werden wir genannt.“

„Man sagt, dass wir zwei blöd sind, doch scher’n wir uns nicht drum.“

„Von blöd ist keine Rede, wir sind nur bisserl dumm.“ (…)

(beide) „Na bitte sehr, man sagt ja nix, man red’t ja nur davon.“

In der nächsten Strophe wird ein Graf-Bobby-Witz in Reimform wiedergegeben.

„Ich habe gehört im Jockey Club den Grafen Rudi sag’n, / du hättest einen Unfall gehabt mit deinem Wag’n.“

„Es war nur a Missverständnis, wir fuhren quer durch Wien / mit 100 Kilometer, ich und Contess Pauline. / Da stoppt ein Polizist mich und sagt: ‚Mein Herr, / man fahrt durch eine Stadt doch mit 50 und nicht mehr!‘ / ‚Das war a Missverständnis, ich dachte pro Person.‘“

(beide) „Na bitte sehr, man sagt ja nix …“

Der Jockeyclub am Schubertring in Wien zählt zusammen mit dem Rennverein und dem St. Johanns Club zu den drei exklusiven Wiener Freizeitclubs. Im Jockeyclub trifft sich vor allem der Adel.

Auch Schallplatten mit Graf-Bobby-Witzen erschienen in den 1960er und 1970er Jahren. Hier waren unter anderem Peter Igelhoff als Bobby und Fred Rauch als Rudi bekannte Darsteller.

Die Klassiker unter den Graf-Bobby-Witzen sind landauf und landab erzählt worden, sie wirken heute abgedroschen.

Bobby trifft beim Spaziergang im Park die Gräfin Ariadne. „Meine Verehrung, Gnädigste. Wie geht’s denn dem werten Töchterlein?“ „Danke der Nachfrage. Es läuft schon seit 14 Tagen.“ „Oh“, staunt Bobby, „da muss es ja schon fast in Venedig sein.“ (Böhm, S. 10)

Graf Bobby kommt zu Besuch. In der Wohnung schreit dauernd ein kleines Kind. „Was hat denn das Kind?“, erkundigt sich Bobby höflich. Sagt die Mutter: „Es bekommt Zähne.“ – Darauf Bobby: „Ja will’s denn keine?“ (Böhm, S. 19)

Die Witzefigur Graf Bobby ist ideal für Unbildungswitze. Manche von ihnen können richtig wehtun.

Graf Bobby steht vor der Abendkassa der Staatsoper: „Was wird denn heute gegeben?“ – „Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf der Wartburg“ – „Schlamperei“, sagt Graf Bobby, „jetzt könnte das Programm eigentlich schon feststehen.“ Verärgert geht er die Ringstraße entlang zum Burgtheater: „Was steht heute auf dem Programm?“ – „Was ihr wollt.“ – „Gut, dann spielen Sie die Klabriaspartie!“ (bei Muliar, S. 24–25, als Teil einer längeren jüdischen Anekdote; bei Böhm, S. 174, bis zur Zwischenpointe)

Graf Bobby wird vom Heiligen Vater in Privataudienz empfangen. Er begrüßt ihn ehrfürchtig. Der Kardinalkammerherr deutet ihm hinter dem Rücken des Heiligen Vaters mit der ringbewehrten Rechten mehrmals den Handkuss. Bobby reagiert vorerst nicht. Dann aber geht es wie ein Leuchten über seine Züge: „Und fast hätt’ ich vergessen, Eure Heiligkeit – einen Handkuss an die gnädige Frau Gemahlin!“ (Bemmann, 1970, S. 130–132, 1973, S. 168–170)

In der ungarischen Reichshälfte spielte der Baron Mikosch eine vergleichbare Rolle. Da diese Figur nicht nur dumm war, sondern auch Deutsch mit ungarischem Einschlag sprach, hatten die Witze einen fremdenfeindlichen Anstrich, wenn sie in Österreich oder Deutschland erzählt wurden – wobei das Ungarische vom Deutschen so weit entfernt ist wie das Türkische. Die Sprachprobleme sind also verständlich.

Mikosch: Is sich dumme Sproch’, dos Daitsch; gibt’s do Worte, wo man konn dovor setzen jedden Artikel und haßt sich donn immer onders.

Deutscher: Lieber Baron, da werden Sie mir wohl den Beweis schuldig bleiben, das gibt es nicht.

Mikosch: Ober, bitt’ ich Ihnen, zum Baispül, sog’ ich: der Regent, is sich dos Monorch; sog’ ich ober: die Regent, is dos Monn mit Taktstock; und wenn ich soge: das Regent, werd’ ich noss und muss Regenschirm aufsponnen. (Arnheim, S. 19)

Baron-Mikosch-Witze wurden erstmals unter dem Titel Baron Mikosch, der ungarische Witzbold 1889 in Berlin publiziert. Die hier zitierten Witze sind einer Sammlung von J. C. Arnheim aus dem Jahr 1913 entnommen.

Mikosch ist angetrunken und erkundigt sich nachts um 1 Uhr auf der Straße nach der Zeit. Der Gefragte gibt ihm eine Ohrfeige und sagt: „Es hat eins geschlagen.“ „Teremtete“, sagt der Baron, sich die Wange reibend, „hob’ ich Glück gehobt in Unglück; wenn hätt’ ich ihn gefrogt vor einer Stund’, hätt’ er mir zwölf gegeben.“ (Arnheim, S. 12)

Der Baron Mikosch verwendet gerne das Fluchwort teremtete. Es ist gleichbedeutend mit „Zum Teufel!“. Morphologisch ist es ein Participium Passivum vom Verbum teremteni (= schaffen, herbeischaffen, hervorbringen), mit dem es aber den Zusammenhang schon verloren hat. Dagegen hat die ungarische Sprache von teremteni ein anderes Wort abgeleitet: teremtettezni (= fluchen). Dieser Baron-Mikosch-Witz ist die Abwandlung eines alten jüdischen Witzes mit der Pointe: „No, wenn er mich hätt’ um ä Stund früher gefragt, hätt’ ich zwölf Pätsch gekriegt.“ (Eisenbach, VI, S. 8–9)

Man spricht über Musiker und Mikosch sagt: „Geb’ ich nit viel auf olle haitige Pianisten, seit ich hob’ gehört Zweischock auf Klafünf.“ – „Sie irren sich, lieber Baron, Sie meinen wohl Dreyschock auf dem Klavier.“ – „Konn sich dos auch so sein; hob ich mir gemerkt, dass’s mocht zusommen sieben.“ (Arnheim, S. 18)

Alexander Dreyschock (1818–1869) war ein böhmischer Klaviervirtuose, der zu seiner Zeit als einer der bedeutendsten Pianisten galt. Im Übrigen gehört der Witz auch in die Kategorie der Mnemotechnikwitze (siehe S. 66).

Aber vielleicht war auch das ursprünglich gar kein Baron-Mikosch-Witz, sondern ein jüdischer Witz. Jan Meyerowitz hält diesen Witz sogar für „das erste große ‚Sujet‘ des jüdischen Witzes wie wir ihn kennen“. Als im 18. Jahrhundert die aufklärerische Bewegung Haskala entstand, die sich für eine kulturelle Annäherung in die christliche Mehrheitsgesellschaft einsetzte, wurde sie „von Gegnern wie auch von wohlwollend ironischen Anhängern in unzähligen Witzen lächerlich gemacht“. (Meyerowitz, S. 49)

Ein Jude kehrt von einer Reise nach Budapest, wo er den damals berühmten Pianisten Dreyschock gehört hat, in seine Kleinstadt zurück und erzählt stolz: „Ich bin gegangen ins Konzert – hab’ ich gehört Zweischock auf Klafünf.“ – „Du meinst Dreyschock auf Klavier.“ – „Ach, hab’ ich mir nur gemerkt: Macht zusammen siebene!“ (Meyerowitz, S. 49)

Weil wir gerade bei den Mnemotechnikwitzen sind, gleich noch einer mit dem Baron Mikosch als Hauptfigur:

Baron Mikosch kommt nach Wien und fragt einen Wiener: „Wo ist bittaschän Kupferplotz?“ Der Wiener überlegt: „Kupferplatz, nie gehört. Wir haben einen Stephansplatz, einen Michaelerplatz, einen Goetheplatz …“ – „Igen! Goetheplatz! Hob ich verwächselt Goethä mit Schillär, Schillär mit Lessing, Lässing mit Mässing und Mässing mit Kupfär.“ (vgl. Ott, S. 89)

Mikosch rückt ein war der Titel eines Kinofilms unter der Regie von Johann Alexander Hübler-Kahla. Die Besetzung der deutsch-ungarischen Produktion aus dem Jahr 1952 stand dem zuvor erwähnten Graf-Bobby-Kinofilm um nichts nach.

Die Graf-Bobby-Witze und die Baron-Mikosch-Witze hatten ein Pendant im deutschen Kaiserreich.

Major von Zitzewitz und Major von Bülow treffen sich im Casino.

Von Bülow: Wo waren Sie denn jestern Abend?

Von Zitzewitz: Jestern Abend … Theater jewesen!

Von Bülow: Und, was haben Sie jesehen?

Von Zitzewitz: Seltsame Sache! Stück von Schiller. Zivilist schießt auf Obst.

Ein Offizierskollege zu Graf Zitzewitz: „Heute im Casino jewesen, Beethoven gespielt.“ Darauf Zizewitz: „Und, jewonnen?“

Graf Zitzewitz zum Ober: „Bin heut Abend im Kasino, könnense mir nichen Witz erzählen?“ – „Sehr wohl Herr Graf.“ Der Ober nimmt drei Bohnen, legt sie auf den Tisch, nimmt dann eine Bohne und legt sie etwas zur Seite auf den Tisch. „Was ist das, Herr Graf?“ Zeigt auf die Bohne. – „Na, was solln des sein? Ne Bohne natürlich!“ – „Schauen Sie, Herr Graf …“ Er legt die Bohne zu den zwei anderen und dann wieder zur Seite: „Bohn apart, Bonapart.“ – „Famos, muss ich sofort im Casino erzählen, famos.“

Am Abend im Kasino. „Hören Se ma, Leutnant, hab’ da nen großartigen Witz jehört – Ober, nu bringense ma ne Handvoll Bohnen her.“ Der Ober bringt die Bohnen. Graf Zitzewitz legt den Großteil der Bohnen in die Tischmitte und einige wenige an den Rand. „Na, Leutnant, was is das?“ – „Das ist ein Teil der Bohnen.“ Zitzewitz: „Nee, mein Lieber, das ist Napoleon!“

Version 2

Der Ober bringt Erbsen, weil keine Bohnen vorhanden sind. (…) „Na, Leutnant, was is das?“ – „Ja, Herr Graf, würde sagen Erbsen.“ – „Aber nein, nein, is doch janz einfach: Napoleon!“

Das ist ein Zerlegungswitz, der Name Bonaparte wird zerteilt, wodurch ein annähernder Gleichklang mit „Bohne“ und „apart“ entsteht – Letzteres hier allerdings nicht mit der heute gängigen Hauptbedeutung: von eigenartigem Reiz, besonders reizvoll, geschmackvoll. Gemeint ist im Witz eine alte Bedeutung, die schon verblasst ist: einzeln, gesondert – im Wort Apartheid (= Politik der Rassentrennung) ist sie noch sichtbar.

Nur so nebenbei sei gesagt, dass auch ein Baron-Mikosch-Witz, den Hans Weigel – und nicht nur er – erzählt hat, ähnlich strukturiert ist.

Baron Mikosch ließ sich gerne vom Portier des Hotels Bristol Witze erzählen. Einmal fragte ihn der Portier des Hotels Bristol: „Wer ist das, Herr Baron? Es ist nicht mein Bruder und nicht meine Schwester und ist doch das Kind meiner Eltern?“ – „Weiß ich, bitte, nicht.“ – „Das bin ich.“ – „Großartig, muss ich zuhause gleich erzählen.“

Mikosch kommt nachhause und fragt alsbald die Runde seiner Freunde: „Wer ist das? Ist nicht mein Bruder und nicht meine Schwester und ist doch das Kind meiner Eltern … Wisst ihr nicht? Das ist der Portier vom Hotel Bristol.“ (Ott, S. 17–18, Weigel, S. 11)

Diese Witze waren ursprünglich eine mit Schadenfreude durchwachsene Reaktion der Bildungsbürger auf den Niedergang des Adels. Dieser begann 1848, führte 1907 zur endgültigen Abschaffung des Kurienwahlrechts und Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer über 24 Jahre und endete 1919 mit der Verabschiedung des Adelsaufhebungsgesetzes. Nach dem Ende der Monarchie Österreich-Ungarn stand fest, „dass eine demokratische Republik unmöglich einen neuen Adel schaffen kann“, schrieb die Neue Freie Presse am 4. April 1919. „Denn das ganze Wesen eines solchen Freistaates beruht auf der Gleichberechtigung. Wird von der Demokratie die Gleichberechtigung abgezogen, dann bleibt eine Regierungsform zurück, von der alle Schichten des Volkes bedrückt werden, die nicht zu den herrschenden Klassen gehören.“ Fortan war es verboten, Adelszeichen wie „von“, „Edler“, „Erlauchter“, „Durchlaucht“ oder „Hoheit“ zu verwenden. Abgeschafft wurde auch das Recht zur Führung von Standesbezeichnungen wie Freiherr, Fürst, Graf oder Ritter – ebenso wie das Führen von Familienwappen. Bei Zuwiderhandeln drohten Strafen von bis zu zwanzigtausend Kronen oder Arreststrafen bis zu einem halben Jahr. Adalbert Graf Sternberg, Abkömmling eines böhmischen Adelsgeschlechts, ließ sich auf seine Visitenkarte einen Text drucken, der eigentlich ein Sprachwitz ist:

Adalbert Sternberg

Geadelt von Karl dem Großen, entadelt von Karl dem Renner

Ihre Hochblüte erlebten die Witze rund um den Grafen Bobby und den Baron Mikosch allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg, also eine Generation später. Wer dann noch immer seine (niedrige) adelige Herkunft demonstrativ vor sich hertrug, rückwärtsgewandt und gleichzeitig ungebildet oder begriffsstützig war, verdiente sich den Spott der Lachgemeinschaft.

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