Читать книгу Blutspur in die Vergangenheit - Robert Zirlewagen - Страница 9
6. Erste Fakten
ОглавлениеAm nächsten Morgen war sie, nach Einnahme von zwei Aspirintabletten, schon kurz nach sieben im Büro. Erstaunlicherweise lagen die Kopien der Ermittlungsergebnisse bereits auf ihrem Schreibtisch. Sie las alles gründlich durch und kam schnell zum gleichen Resumé wie Polizeirat Steinhauser, dass hier tatsächlich noch keine Stecknadel in Sicht war. Komisch fand sie die beiden eingeritzten Herzen auf den Backen. Diese wurden bisher bei keinem der anderen Morde erwähnt!
„Möchtest du auch einen Kaffee?“ Katrin fragte nun schon zum dritten Mal und erreichte damit endlich auch wahrgenommen zu werden.
„Guten Morgen! Entschuldige, aber diese Akten haben mich in den Bann gezogen. Äh, und ja bitte, ich hätte gerne einen starken Kaffee. Wenn möglich, etwas mehr schwarz als der See von gestern Abend.“ Katrin grinste und machte sich auf den Weg, während Sam noch einmal die Unterlagen durchpflügte.
Als sie die Morde untereinander auflistete, fiel ihr eine winzige Gemeinsamkeit auf:
Hamburg 02.06.20
München 22.06.20
Düsseldorf 02.07.20
Leipzig 12.07.20
Freiburg Mordversuch-zählt evtl nicht-
Neustadt 02.08.20.
Das Telefon riss sie aus der Recherche.
„Morgen. Haben Sie die Akten schon durchgesehen?“ Steinhauser hatte es wohl nicht nötig, sich mit dem Namen zu melden.
„Guten Morgen, Herr Steinhauser. Ich hoffe, dass auch Sie gut geschlafen haben?!? –Danke der Nachfrage,“ rutschte es ihrem verkaterten Ego raus. „Und ja, ich konnte schon etwas feststellen. Gehe aber davon aus, dass ihr eigentlich selbst schon darüber gestolpert sein dürftet.“
„Sie meinen das Datum?“ Also hatte sie richtig vermutet. Auch Steinhauser waren die vielen Zweier aufgefallen.
„Konnten Sie auch eine Parallele zu sich erkennen?“
„Eine Parallele zu mir?“ fragte Samantha etwas irritiert.
„Ja, verdammt noch mal. Warum legt er die fünfte Leiche in Ihren Bezirk.“
Samantha ließ sich tatsächlich überrumpeln und machte eine Aussage, welche sie überhaupt nicht durchdacht hatte:
„Ich habe am 02.02. Geburtstag. Vielleicht bin ich die Nächste!“ Es blieb kurz ruhig, wobei ihr dieser spontane Kommentar selbst Gänsehaut bescherte.
Dann fuhr sie etwas überlegter fort: „Der Tote wurde am Zweiten gefunden. Deshalb passt auch der Mordversuch davor nicht ins Bild. Außer, er hätte zwei Personen an einem Tag umbringen wollen. Dann hätten wir wieder eine Zwei. Dass die Leiche jedoch bei uns gefunden wurde, hängt sicher nicht mit mir zusammen. Da können Sie ja genau so gut den Ortsvorsteher oder den Vorstand der Waldauer Musik oder was weiß ich wen sonst noch alles, als Verdächtigen befragen.“
Es blieb erneut still, bevor Steinhauser nachlegte:
„Liebe Samantha! Sie werden es kaum glauben?!? Aber ich habe diesbezüglich tatsächlich schon mit dem Ortsvorsteher von Waldau und der Bürgermeisterin von Neustadt gesprochen. Diese beiden konnten sich jedoch einen Zusammenhang mit ihrer eigenen Person kaum vorstellen. Keiner der Beiden hat in der Aussage auch eine Zwei in seinem Geburtsdatum erkennen lassen.“
Jetzt war Sam platt. Hatte er die beiden wirklich auf ihre Geburtsdaten angesprochen? Ja, und wusste er schon vor dem Telefonat, dass sie die Zweien im Geburtsdatum hatte und die anderen beiden nicht? Sicher bluffte er in dem Zusammenhang, was sie auf jeden Fall in Erfahrung bringen musste.
„Okay. Dann werde ich mir heute mal Gedanken machen und Sie zeitnah über meine Verwicklung in den Fall unterrichten. Schönen Tag, Herr Steinhauser.“ Sie legte auf und ihr Blick fiel wieder auf den Bildschirm.
>Sie haben eine neue Nachricht< Erneut war der Absender DKB2@fed.de.
<Nur Du wirst diesen Fall lösen können. Beeile Dich, bevor sich weitere Kandidaten aus unserer Liste qualifizieren.>
Samantha hätte es, wären welche da gewesen, die Nackenhaare bis zur Decke gestellt. Vor allem, dass er bereits schon ein nächstes Opfer in Betracht zog, provozierte ein leichtes Würgen. Ja, und von was für einer Liste, auf welcher man sich darüber hinaus noch qualifizieren konnte, sprach er da überhaupt? Sie notierte sich die IP-Adresse und gab sie sofort an Katrin weiter.
„Danke für den Kaffee. Versuch bitte mal, ob du über die IP-Adresse etwas herausfinden kannst.“ Ihre Hoffnung diesbezüglich war zwar nicht groß, doch durfte sie es nicht unversucht lassen.
Dann antwortete sie ihrem neuen Freund:
<„Habe das letzte Opfer noch nicht ganz verdaut. Nach welchen Kriterien wählst Du, oder ihr, die Qualifikanten auf und für die Liste eigentlich aus? Auf einen Hinweis, was es mit den ganzen Zweiern auf sich hat, brauche ich wohl nicht zu hoffen?>
Natürlich hatte Samantha keine ernsthafte Hoffnung, eine hilfreiche Antwort zu erhalten. Doch vielleicht hatte sie nun den Strohhaufen, nach welchem Steinhauser schon so lange suchte, direkt vor Augen. Aber war der Zeitpunkt überhaupt schon gekommen, das BKA zu informieren? Vielleicht handelte es sich ja nur um einen Spaßvogel oder Trittbrettfahrer? Wie konnte er aber dann im Voraus von der Leiche gewusst haben?
Ja, auch die Zwei in seiner Emailadresse machte ihn auf jeden Fall mehr als verdächtig, in das ganze Geschehen involviert zu sein. Eines stand jedenfalls fest: Sollte es erneut eine Leiche geben und Samantha die Mails bis dahin verschweigen, dann würde sie dieser Spaß mit hundertprozentiger Sicherheit den Job kosten.
„Katrin?“
„Ja?“
„Komm doch bitte mal kurz rüber und schau dir diese Mails an!“
Die Kollegin streckte noch mal kräftig die Arme und bemühte sich dann, leicht am Tisch abstützend, aufzustehen, um dann etwas verschlafen auf die andere Seite zu schlendern. Sie brauchte nicht lange lesen.
„Verdammte Scheiße!!! Wer ist das? Du musst Steinhauser informieren, sonst schießen die dich ab. Ich glaub das nicht! Warum hast du gestern nichts davon erwähnt?“
Samantha spürte natürlich das Unbehagen der Kollegin und dass diese sich darüber hinaus hintergangen fühlte. Vor allem, nachdem sie gestern einen so ausgelassenen Abend gefeiert und sich dabei in kleine private Geheimnisse eingeweiht hatten. Zumindest Katrin hatte sich ein wenig weiter geöffnet.
„Eigentlich ging ich gestern noch davon aus, dass es sich um einen Spaß handeln würde, welcher nicht unbedingt mit dem Fall zu tun hätte. Deshalb schrieb ich ja zurück, um Gewissheit über die Ernsthaftigkeit des Inhalts zu bekommen. Nun bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher, ob es sich wirklich um einen Spaßvogel handelt. Darüber hinaus traute ich mich gestern gar nicht, dich mit weiteren Details zu belasten.“
Katrin versuchte sich wieder etwas einzukriegen.
„Ist schon gut. War vielleicht besser so. Ich weiß nicht, wie ich nach diesem wirren Tag mit solch einer Information überhaupt hätte umgehen können. Jedenfalls hat mir der Abend gutgetan, mal abgesehen vom aktuellen Kopfweh. Mir ist dabei auch klar geworden, dass ich nicht immer gleich so tief in die Materie eintauchen darf. Aber wie willst du jetzt weiter vorgehen?“
Sam überlegte: „Wir warten die nächste Antwort ab und das Ergebnis der IP-Adressenermittlung. Es wäre für uns das Beste, wenn wir es mit einem kleinen brutalen Dummkopf zu tun hätten, der nicht in der Lage war, seine IP zu verschlüsseln. Oder aber, er möchte sogar von mir gefunden werden?“
„Okay. Und wie soll ich mich nun deiner Meinung nach verhalten?“
„Du hast nichts von diesen Mails gesehen, bis ich es an Steinhauser melde. Dir kann also nichts passieren. Ich muss mich im Gegenzug aber zu tausend Prozent darauf verlassen können, dass auch du mit niemandem darüber sprichst. In diesem Fall würden wir nämlich beide abgeschossen und ich könnte dich nicht mehr als unwissend decken.“
Dies musste der Kollegin vorerst reichen, die sich danach mit einem zustimmenden Nicken in die Mittagspause verabschiedete.
Am Auto angekommen blickte sich Katrin um und tippte dann eine Nachricht:
>Wer hat ihr den Mord per Mail angekündigt? Wer schickt ihr diese Mails?>
Samantha verließ das Revier wenig später und fuhr mit dem Dienstwagen ans andere Ende von Neustadt, wo an der Freiburger Straße ein kleiner Einkaufspark lag. Obwohl sich hier die Discounter auf einem großen Platz verteilten, ging sie am liebsten in den großen Supermarkt, ganz am Ende des Parkplatzes. Dort, am Eingang rechts, war eine kleine Bäckerei mit Stehtischen und gemütlichen Sitzplätzen. Der Markt selbst war ebenfalls sehr übersichtlich, zumindest konnte man hier gut die Leute beobachten. Direkt gegenüber vom Stehkaffee war ein Zeitschriftenladen, in welchem sie die Menschen anhand der durchstöberten Hefte zuzuordnen versuchte. Zumindest probierte Sam dieses Profiling immer wieder gerne aus.
Im Anschluss lag die große Einkaufsmeile. Alle mussten ihre Einkäufe beim Verlassen ebenfalls an der Bäckerei vorbeischieben. Es gab für Samantha also keinen besseren Ort um das tägliche Leben zu beobachten.
Sie holte sich eine Tasse Kaffee, dazu ein üppig belegtes Brötchen und platzierte sich damit an einem der drei Stehtische, welche die gemütliche Sitzgruppe optisch vom Eingang trennten.
Eine Mutter zog gerade ihre kleine Tochter wütend hinter sich her, während das zweite Kind, wahrscheinlich ein Junge, gemütlich aus dem Wagen umherschaute. ´Vielleicht möchte ich später doch mal lieber Jungs´, grübelte sie vor sich hin, der tickenden inneren Uhr wieder mal direkt ins Auge blickend. „Wenn wir morgen in den Urlaub ………..“, lohnte sich nicht weiter diesem Trio zuzuhören.
Ein Geschäftsmann, sein Anzug deutete jedenfalls darauf hin, stand vor dem großen Zeitschriftenregal. Sie wettete mit sich, dieses Wochenende auf Alkohol zu verzichten, wenn dieser edle Herr nicht eine Sportzeitschrift kaufen würde. ´Okay und wenn er sich dazu noch die Bildzeitung nimmt, dann darf ich mir dieses Wochenende einen Bubi zum Spielen mit nach Hause nehmen´. Alleine der Gedanke, seit mehr als einem Jahr der Keuschheit verschworen, dieses freiwillige Gelübde aufzuheben, ließ sie innerlich richtiggehend aufleben.
Natürlich hing diese Zeit der Abstinenz mit ihrer Vergangenheit und der daraus folgenden leichten Depression zusammen. Doch könnte hier gerade der Startschuss fallen, langsam wieder aus diesem Loch zu kriechen.
´Yes!´ Den Kicker hatte er bereits in der Hand. Dies bedeutete jedoch nur, sich am Wochenende einen hinter die Binde kippen zu dürfen, was eigentlich nur noch bedingt zu ihrem neuen Lebensmut passte.
„Hast du schon die Schnecke in der aktuellen Bild-Ausgabe gesehen“, flüsterte sie vor sich hin, in der Hoffnung, dem Herrn ein wenig unter die Arme greifen zu können. Er ging an die Kasse und bezahlte.
´So ein Mist´, schoss es ihr durch den Kopf, das war eine krasse Fehleinschätzung.
Der Unmut hielt jedoch nicht lange und das Grinsen kehrte Sekunden später zurück. Der Mann hatte sich nämlich gerade einen Kaffee geholt und sich damit am Stehtisch neben Samantha platziert. Und siehe da! Er zog tatsächlich unter dem rechten Arm die Bild hervor und begann ganz entspannt zu lesen.
Am liebsten hätte sie laut losgeschrien. Natürlich nicht wegen des bevorstehenden Wochenendes. Nein! Es war dieses sichere Gefühl, Menschen richtig einzuschätzen, was wirklich einer langen Übung und eines natürlichen Talents bedurfte. Sie spürte plötzlich auch den Hunger, sich auf den Handymörder einzulassen. Wahrscheinlich war sie momentan die Einzige, welche diesem Dreckskerl das Handwerk legen konnte.
„Mach dich auf was gefasst, mein Lieber!“, sprach sie vor sich hin, während sie, unter dem etwas irritierten Blick des Bildzeitung-Nachbarn das Einkaufszentrum verließ.