Читать книгу Haily - Roberta C. Keil - Страница 10
Kapitel 7
ОглавлениеIch fuhr hoch. Ein Geräusch schreckte mich auf. Wo war ich? Nicht zu Hause. Ich sah mich in dem Zimmer um. Das Schlafzimmer meiner Wohnung. Jetzt fiel es mir wieder ein. Ich war auf dieser Ranch. Und ich hatte die ganze Nacht in einem Auto zugebracht. Da war es wieder, das Geräusch.
Ich erhob mich aus dem Bett, schlang den Bademantel fester um mich und ging in den Wohnraum. Jemand klopfte an die Tür. Ich öffnete. Es war Sandy.
Die Tür einfach offenlassend, ging ich zum Sofa und ließ mich darauf sinken. Gähnte herzhaft.
Sandy blieb unter dem Türrahmen stehen.
„Hi! In einer halben Stunde gibt es Mittagessen. Ich soll dich mitbringen.“ Sie lächelte. Ihre blauen Augen verformten sich fast zu Schlitzen, wenn sie das tat.
Mittagessen. Das klang verlockend. Meine letzte Mahlzeit war heute Morgen um fünf Uhr gewesen. Obwohl ich so viele Bagels gegessen hatte, bis die Übelkeit in mir aufstieg, spürte ich jetzt schon wieder ein leichtes Grummeln in der Magengegend.
„Ich ziehe mich an.“
„Wenn du Lust hast, zeige ich dir vor dem Essen einen Teil der Ranch.“
Ich nickte. Warum nicht? Es klang gut, sich die neue Heimat anzuschauen. Nicht, dass es mich sonderlich interessierte, wie es hier aussah. Aber ich fand es immer besser, zu wissen, wie die örtlichen Gegebenheiten waren.
Sandy wartete vor der Tür. Sehr anständig, wie ich fand. Meine Mutter war ständig in mein Zimmer geplatzt. Dabei war es ihr egal gewesen, wer gerade bei mir war. Als Kevin, mein erster Freund, mich das erste Mal besuchte, war es gleich sein letzter Besuch. Gerade, als ich seine Hose geöffnet hatte, riss meine Mutter die Tür auf und erklärte, das Mittagessen sei fertig. Es war fünf Uhr nachmittags. Als sie die Situation erfasste, lachte sie hämisch und starrte auf Kevins Penis.
„Mann, oh Mann, aus dem will aber erst noch etwas werden, Junge!“, waren ihre Worte und dann rauschte sie wieder ab. Das war das Ende meiner eh sehr kurzen Beziehung mit Kevin. Und ich brachte nie wieder einen Jungen mit nach Hause. Lieber traf ich mich mit ihnen in der alten, leerstehenden Fabrik, etwas außerhalb unseres Wohngebietes. Mit der Zeit richteten wir es uns dort etwas gemütlich ein.
Ich hasste meine Mutter. Gut, dass sie nicht wusste, wie es mir jetzt ging. Falls es sie überhaupt interessieren würde.
Mit einer Jeans und T-Shirt bekleidet, die ich im Kleiderschrank fand, trat ich aus meiner Wohnung und schloss die Tür sorgfältig ab. Jacky hatte vorhin den Schlüssel demonstrativ auf den Küchentisch gelegt. Meine Wohnung sollte niemand betreten, der nicht von mir eingeladen war. Und wie es schien, war es hier üblich, die Privatsphäre des anderen zu achten.
„Komm!“, sagte Sandy einfach und ich folgte ihr, wie ein junger Hund, der nicht wusste, wo er hingehört. Noch nicht. Heute war das okay. Morgen würde ich niemandem hinterherlaufen, nicht mehr.
„Also, wir züchten hier Rinder und Mustangs. Die Cowboys kümmern sich um die Tiere, die Zäune und um das Weizenfeld im Norden. Die Jungs wohnen entweder dort hinten in dem Gebäude“, sie zeigte auf einen langgestreckten Holzbau mit vielen Türen und Fenstern, „oder in Camp Verde. Andy ist der Vorarbeiter. Je nachdem, wo du eingesetzt wirst, ist er dafür zuständig, dass du Anleitung bekommst.“
Zäune reparieren. Ah! Wir gingen jetzt in einen großen Stall.
„Hier stehen die Prachtstücke“, erklärte Sandy unermüdlich. Ich rümpfte die Nase. Der Geruch war schwer und süßlich. Dann sah ich die großen Köpfe der Tiere, die sie neugierig über die Gatter reckten. Prachtstücke! Sie meinte wohl die Pferde.
„Das ist Twin! Ich darf sie reiten.“ Sandy ging zu einem braunen Tier und liebkoste den Kopf. „Kannst du reiten?“
Ich schüttelte den Kopf. Dass ich Tiere nicht mochte, behielt ich für mich. Ich brachte als Kind mal eine Katze mit nach Hause. Meine Mutter packte sie, warf sie aus dem Küchenfenster und drohte mir: „Mach das nie wieder! Diese Viecher bringen nur Dreck und Flöhe in die Wohnung! Das zerstört mein Geschäft!“ Sagte ich schon, dass wir im dritten Stock wohnten? So schnell ich die Treppen auf die Straße hinunterstürzte, das Kätzchen war weg und ich erfuhr nie, ob es den Sturz aus dem Fenster überlebte oder nicht.
„Magst du Pferde nicht?“, fragt Sandy mich und ich musste jetzt etwas sagen.
Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe noch nie eins so aus der Nähe gesehen.“
In unserem Viertel in Las Vegas gab es keine Pferde.
„Oh je!“ Sandy lachte. „Das tut mir wirklich leid. Aber ich denke, du wirst sie mögen.“
So, wie Aiden? Ich streckte vorsichtig meine Hand nach dem Tier aus, dass mir neugierig seine Nase entgegenreckte und berührte sie. Samtweich fühlte es sich an. Ich wich etwas zurück, als das Pferd Luft durch die Nüstern prustete.
„Komm, weiter!“
Ich lernte die Paddocks hinter dem Stall kennen, den Reitplatz, bekam Richtungsangaben über Orte wie Gillyard Trees und Seven Hills. Erfuhr in welcher Richtung das Weizenfeld lag, und dass dort der Zaun häufig ausgebessert werden musste, weil die wilden Mustangs sonst den frischen Weizen fraßen. Im Süden gab es Nachbarn, die waren uns nicht wohlgesonnen und beschwerten sich ständig über Lappalien. Uns? Ich war nicht mit ihnen im Streit.
Das kleine Wohnhaus am Fluss gefiel mir. Es wirkte so heimelig. Dort wohnten Jack und Waleah, erklärte mir Sandy. Er war der Vater von Jacklyn und sie die Mutter von Aiden. Ich nahm das zur Kenntnis.
„Waleah ist eine indianische Schamanin“, erfuhr ich als Nächstes und wusste nun, warum Aiden indianisch aussah. „Außerdem ist sie die beste Köchin, die ich je kennengelernt habe.“
„Ah!“ Ich kannte nicht viele Köchinnen oder Köche. Meine Mutter machte es sich immer einfach. Es gab Fertiggerichte aus dem Supermarkt. Oder Suppen aus Konservendosen. Und in dem Hotel, in dem ich zuletzt residierte… Ich bevorzugte mittlerweile diese Umschreibung für die Zeit, die ich im Gefängnis verbrachte.
„Du wirst sehen! Wenn du zwei Wochen hier das Essen genossen hast, wirst du dich an das Essen in Tent City nicht mehr erinnern.“ Sie sprach ja aus Erfahrung. „So, nun sollten wir aber zusehen, dass wir an den Tisch kommen. Waleah mag es nicht, wenn man sich verspätet.“
Die Menge an Menschen, die mich im Esszimmer erwarteten, schockte mich. Bisher war ich nur drei Personen begegnet, von zwei weiteren hörte ich, und der Rest? Nun, den lernte ich jetzt kennen. Ich lächelte mich durch die Begrüßungsrunde und bemühte mich, mir die Namen zu merken.
Es gab außer Aiden einen weiteren Mann im Haus. Das war Jack. Er war schon alt, in meinen Augen. Er mochte auf die siebzig zugehen, schwer zu schätzen. Sein Gesicht war faltig und von der Sonne gebräunt. Sein Haar schlohweiß und im Nacken länger. Er war also Jacklyns Vater. Wie einfallsreich, Jack, Jacklyn. Und dann gab es die Frau im Rollstuhl, die mich betroffen machte. Ab den Schultern gelähmt zu sein und sein Leben in einem Rollstuhl wie diesem zu verbringen, musste einfach schrecklich sein. Sie hieß Marilyn und glich Jacklyn im Gesicht, wie eine Zwillingsschwester. Ich musste mich sehr bemühen, sie nicht ständig anzustarren. Der Name ihrer Pflegerin konnte ich mir schon nicht mehr merken. Irgendein spanisch klingender Name.
Die nächste Person, die mich beeindruckte, war die Indianerin, Aidens Mutter. Ihre dunklen Augen durchdrangen mich bis in meine Seele und ich bekam das Gefühl, dass sie alles über mich wusste. Es war unheimlich. Ihr Gesicht war die Güte selbst und ihr Name unaussprechbar. Sandy hatte ihn vorhin mehrfach genannt. Aber ich konnte ihn mir einfach nicht merken. Wenn ich das richtig verstand, war sie die Frau von Jack. Aidens Mutter war mit Jacklyns Vater verheiratet. Das klang spannend. Die drei Kinder beachtete ich kaum. Sie gehörten alle zu Jacklyn und Aiden und das Vierte war unterwegs. Der Mann stieg in meiner Achtung.
Wir setzten uns. Mein Platz lag gegenüber von Jacky, dem Kleinen, dessen Namen ich nicht wusste, weil ich nicht mehr zuhören konnte, als er genannt wurde und auf der anderen Seite neben dem Kind saß Aiden. Neben mir saß auf der einen Seite Sandy, und auf der anderen die Pflegerin, die neben Marilyn, der Frau im Rollstuhl saß. Vor Kopf saßen auf der einen Seite Jack und auf der anderen Seite seine Frau, die Indianerin. Die beiden ältesten Kinder saßen neben dem Vater. Sie sahen ebenfalls aus wie Zwillinge. Ein Junge und ein Mädchen. Während sie so blond gelockt wie ihre Mutter waren, hatten sie vom Vater die dunklen Augen geerbt. Es waren die gleichen Augen, wie die der Indianerin. Durchdringende Augen, die mich anstarrten und wortlos ausfragten. Ich hielt einen Moment lang ihren Blicken stand. Es reizte mich, ihnen die Zunge heraus zu strecken. Aber ich wusste, das gehörte sich nicht. Also presste ich die Lippen zusammen. Ich hatte Black Yvi versprochen, mich zu benehmen. Keine Ahnung, warum mir das jetzt wichtig war. Das Mädchen war niedlich, aber der Junge wirkte etwas verloren mit seinen langen Locken.
Bevor das Essen verteilt wurde, sprach Jack ein Tischgebet. Das kannte ich in der Form nicht, fand es jedoch nicht schlimm. Schließlich war ich sehr dankbar für das, was auf dem Tisch stand. Es sah sehr köstlich aus. Ich hoffte nur, dass sonntags nicht ein Gottesdienstbesuch erwartet wurde. Das war in Maricopa üblich gewesen. Zwang. Sonntags war für alle Häftlinge Gottesdienst. Jeder musste dorthin gehen. Das war mir für mein Leben genug. Ich fand Gott nicht gerecht. Ich war sehr wütend auf ihn. Er schien alles Schlechte in mein Leben geschüttet und nur an mich verteilt zu haben. Dieses Gefühl ließ mich nicht los. Das, was ich zu spüren bekam, konnte nicht die allseits gepriesene Gottesliebe sein. Ich wollte nichts mit ihm zu tun haben, dann konnte ich mich mit allem, was ich erlebte, besser abfinden.
Wie sagte Jacky heute Morgen zu mir? Ich solle nicht vergessen, ich sei ein freier Mensch. Niemand konnte mich dazu zwingen, eine Kirche zu besuchen. Mein Blick fiel auf Marilyn. War ich undankbar?
Ich bekam jetzt Essen auf den Teller geladen. Sandy und die Indianerin meinten es gut mit mir. Es roch so gut und sah lecker aus. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
„Lass es dir schmecken!“, forderte Jacky mich lächelnd auf. Ich lächelte zurück. Die Menschen hier schienen sehr glücklich zu sein. Jeder lächelte, es flogen Scherze hin und her, die Kinder lachten. Nur Marilyn war still. Und ich sagte nichts. Was hätte ich beitragen können? Es ging um die Ranch um Erlebnisse und Alltägliches, von dem ich keinen Plan hatte. Hoffentlich wurde ich nicht nach meiner Vergangenheit gefragt. Aber wenn Sandy auch im Gefängnis gewesen war, konnten die Menschen hier damit umgehen.
Ich beobachtete Sandy heimlich. Sie verhielt sich, als würde sie zu der Großfamilie gehören. Ihre Worte und Gesten waren natürlich und wirkten nicht aufgesetzt.
Vom Aussehen her konnte sie als Schwester von Jacklyn durchgehen. Sie waren beide blond gelockt und die blauen Augen ähnelten sich sehr. Nur ich unterschied mich stark von ihnen. Meine rote Haarfarbe passte nicht und meine Augenfarbe ebenfalls nicht. Ich war durch die Zeit in Maricopa abgemagert. Sandy war schlank, aber trotzdem mit genügend Kurven ausgestattet.
„Wir könnten heute Nachmittag zum Einkaufen gehen, wenn du magst, Emma!“ Ich schrak zusammen. Jacky sah mich direkt an und alle Augen richteten sich auf mich. Ich blickte auf meinen Teller.
„Wie es am besten passt“, antwortete ich. Ich wusste nicht, wie es mit mir weiterging, was von mir erwartet wurde. Ich hatte versprochen, mich benehmen zu können und niemand würde sich über mich beschweren müssen.
„Wenn du erst etwas ausruhen möchtest, ist das okay. Aber vielleicht möchtest du möglichst schnell eigene Sachen bekommen!“ Sie lächelte. „Außerdem müsste ich kurz zur Bank, etwas erledigen. Du kannst mich gerne begleiten.“
Ich nickte. Und schob mir eine Gabel Kartoffeln mit Gemüse in den Mund. Damit war ich aller Worte entschuldigt. Die Gespräche wurden fortgesetzt.
Nach dem Essen räumten die beiden älteren Kinder zusammen mit der Indianerin und Sandy den Tisch ab. Ich wollte mich beteiligen, wurde aber von Sandy zurückgehalten.
„Lass nur“, sagte sie und – lächelte. Ich war so viel Lächeln nicht gewohnt. Mein Leben war bisher sehr ernst gewesen.
„Wir fahren nachher nach Prescott. Dort gibt es einige nette Boutiquen. Ist zwar keine Großstadt, aber für den Anfang reicht es vielleicht.“ Jacky sprach wieder mit mir. „Wir werden Michael mitnehmen, damit Devon und Dylan ihre Hausaufgaben machen können.“
Michael war der Kleine. Devon und Dylan. Klang irisch. Irgendwie. Fast wie Jacklyn und Marilyn. Jack und Jacky. Und die Indianerin hieß Waleah. Der Name fiel jetzt so oft, ich konnte ihn mir endlich merken. Ich war gespannt, wie das vierte Kind heißen würde. Ob es eine Michaela wurde? Oder Michelle? Jack Junior, vielleicht? Viele Möglichkeiten blieben ja nicht.
Sandy brachte jetzt Tassen und Waleah trug eine große Kanne herein. Es gab Kaffee nach dem Essen und das fröhliche Geplauder setzte wieder ein. Kaffee hatte ich seit Monaten nicht mehr bekommen. Abgesehen von dem Automatenkaffee, den es heute Morgen in dem Diner gab. Der Duft des frisch gebrühten Getränkes stieg mir jetzt verlockend in die Nase.
War das wirklich erst heute Morgen gewesen? Es war alles so neu, aber dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, schon eine Ewigkeit hier zu sein.
Marilyn war die Erste, die den Mittagstisch verlassen wollte. Esma, wie alle die Pflegerin nannten, erhob sich und brachte die Frau im Rollstuhl hinaus. Niemand ging näher darauf ein und niemand fühlte sich verpflichtet, mir etwas zu erklären. Das gab mir einerseits das Gefühl, dazu zu gehören, andererseits fühlte ich mich als Außenseiter, weil ich vermutlich als Einzige nicht wusste, wo Esma mit Marilyn hinging.
Dann verließ Aiden die Runde. Die Arbeit rief. Waleah ging in die Küche und Sandy folgte ihr. Die beiden älteren Kinder gaben ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und verabschiedeten sich zum Unterricht.
Ich blieb mit Jacklyn und dem Kleinen zurück.
„Du bist sehr schweigsam. Wenn du uns etwas mitteilen möchtest, bitte ich dich, mit uns zu sprechen.“ Sie sah mich ernst an.
„Es ist schon okay.“
„Ich möchte, dass du das weißt. Wir sind jetzt ein stückweit deine Familie und du darfst dazugehören. – Aber ich weiß, dass es etwas dauert, bis du uns Vertrauen schenkst. Das ist in Ordnung.“
Ich nickte.
„Du musst nicht über deine Zeit in Maricopa sprechen. Jeder hier weiß, was dort passiert. Du weißt sicher, dass Sandy genauso zu uns kam, wie du jetzt. Sie war in Maricopa. Ich selbst war dort und Marilyn hatte das Glück, dort nur drei Wochen verbringen zu müssen.“
„Du? Auch? Und Marilyn?“ Ich musste das fragen. Die glückliche Jacklyn, die mit dem attraktivsten Mann verheiratet war, dem ich je begegnet war, war im Knast gewesen!
„Ja, auch wir! – Wenn du magst, kann ich dir bei Gelegenheit die Geschichte erzählen. Ich möchte damit nur sagen, dass wir wissen, was du erlebt hast. Und wir verstehen sehr gut, wenn du darüber nicht sprechen möchtest. Aber du darfst es gerne.“
Ich nickte wieder.
„Komm, ich schaue schnell nach Devon und Dylan und dann fahren wir los. Würdest du bitte mit Michael ins Bad gehen und ihm helfen, die Hände zu waschen?“
Sie zeigte mir das Bad und sagte Michael, dass er auf Emma zu hören hätte. Die dunklen Augen des Jungen durchdrangen mich. Dann nickte er, saugte die Lippen nach innen und drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf. Das Wasser spritzte nach allen Seiten. Ich griff sofort ein und drehte es zurück, bis ein kleiner Strahl in das Becken lief.
In meinem ganzen Leben musste ich nie einem Kind helfen, die Hände zu waschen. Seine Ärmelbündchen wurden nass. Ich schob sie schnell zurück. Er ließ sich das gefallen, plapperte etwas vom großen Donner. Ein Pferd. Wie er mir anschließend erklärte. Gute Güte. Die Kinder wuchsen auf einer Ranch auf. Da war der „große Donner“ ein Pferd. Was sonst!
Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war sein Haar dunkel. Wenn er es länger tragen würde, sähe man ihm seine indianische Abstammung an. Genau wie seinem Vater.
Anfangs wunderte ich mich über Aidens langes Haar. Aber nun war mir klar, es war sicher wegen der Tradition.
„Nun gehen wir Schule machen!“, bestimmte Michael.
„Oh, ich weiß aber nicht, wo deine Geschwister in die Schule gehen.“
„Mike weißt du!“ Ich starrte das Kind an. Wer war Mike? Es dauerte einen kleinen Moment, bis ich begriff, dass er sich selbst wohl so nannte. Mike. Okay. Er rannte durch den Flur und bog um eine Ecke und war aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich hetzte hinterher, weil ich doch auf ihn aufpassen sollte. Aber ich kannte mich mit Kindern nicht aus.
Im Flur gab es mehrere Türen. Am Ende lag ein Fenster, das bis zum Boden reichte. Ich sah Michael nicht.
Verdammt, ich versaute meinen ersten Auftrag. Ich war nicht einmal in der Lage auf einen Zweijährigen aufzupassen.
Plötzlich lugte er aus einem Türrahmen hervor und winkte mir mit einem spitzbübischen Lachen.
„Emma kommt mit!“, rief er und ich legte meinen Zeigefinger auf den Mund, um ihm zu bedeuten, dass er leise sein sollte. Die anderen Kinder sollten lernen. Sicher stand ihnen ein Hauslehrer zur Verfügung.
Er verschwand durch die Tür und ich stürzte hinterher, um ihn aufzuhalten, und stand mitten in einem Raum, in dem Devon und Dylan jeder vor einem Computer saßen mit Kopfhörern auf den Ohren. Auf dem Bildschirm war eine Person zu sehen, die sprach. Wir hörten nichts, aber die Kinder schienen uns nicht wahrzunehmen.
„Sieh mal, Emma, Dylan lernt Schule!“
„Komm, wir lassen deine Geschwister in Ruhe lernen“, flüsterte ich und fasste Michael bei der Hand und versuchte ihn aus dem Zimmer zu lotsen.
„Mike bald auch Schule lernt er!“
Er drückte sich so witzig aus, dass ich grinsen musste.
„Ja, sicher bald. Aber bis dahin lassen wir Devon und Dylan in Ruhe. Komm jetzt! Deine Mutter wartet sicher schon auf uns.“
Jacky hatte nach ihren Schülern sehen wollen. Aber sie war nicht hier. Vermutlich vertrödelte ich die Zeit, als ich mit Michael im Bad war? Vielleicht saß sie schon im Auto, mit laufendem Motor, und wartete nur darauf, dass ich den Jungen lieferte und abfahrbereit war. Mein Herz pochte. Ich wollte, nein ich musste alles richtig machen.
„Komm jetzt Michael!“
„Sollst du Mike sagen!“, forderte er von mir.
„Na gut, komm jetzt bitte, Mike!“
„Michael, ich hatte dich gebeten, Emma zu gehorchen und nicht deine Spielchen mit ihr zu treiben. Du bringst sie in Verlegenheit!“
Ich fuhr herum, als ich Jackys Stimme hinter mir hörte. Aber sie schimpfte nicht mit mir, sondern mit dem Kind. Und sie schimpfte nicht einmal. Sie sprach liebevoll mit ihm.
„Sorry, liebe Emma!“, sagte der Kleine mit niedergeschlagenem Blick. Und dann sah er mich wieder an, mit seinen großen, braunen Kulleraugen und diesen seidigen Wimpern. Es war um mich geschehen! Ich liebte dieses Kind. Ich hockte mich vor ihm nieder.
„Schon gut. Jetzt können wir ja gehen, okay?“ Er sah mir in die Augen. Sein Blick war genauso durchdringend, wie der seiner Großmutter, nur dass er mir keine Angst machte. Er schenkte mir ein Lächeln. Und ich lächelte ihn an und reichte ihm die Hand.
„Freunde? Mike?“
Nun strahlte er über das ganze Gesicht und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Yehaa! Freunde mit Emma!“ Dann stürmte er los durch den Flur und durch irgendeine Tür nach draußen. Ich bemühte mich, mir zu merken, wo er hingelaufen war.
Jacky lachte. „Er ist ein Wirbelwind. Ich dachte vor seiner Geburt, quirliger als Devon und Dylan zusammen könnte niemand sein. Und dann wurde Michael geboren. Es ist eine Ehre für dich, wenn er dich bittet, ihn Mike zu nennen, das dürfen nur ganz ausgewählte Menschen.“ Sie legte ihre Hand auf meinen Oberarm. „Herzlichen Glückwunsch, Emma! Liebe Emma!“ Sie ging hinter Mike her. Die letzten beiden Worte betonte sie bewusst so, wie er.
Was ging hier vor? Ich bekam einen Auftrag, erledigte ihn nicht zufriedenstellend und mein Boss lachte mit mir? Ich kannte nur das System mit Sanktionen. War man gut, bekam man Lob und Vergünstigung, war man schlecht, bekam man Tadel und Strafe. Ich hatte meinen Auftrag in meinen Augen schlecht erledigt, bekam aber weder Lob, noch Tadel, als wäre es kein Auftrag gewesen.
Etwas irritiert folgte ich meiner Chefin durch die Tür und fand den Ausgang aus dem Haus.