Читать книгу Haily - Roberta C. Keil - Страница 12
Kapitel 9
ОглавлениеIch wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Also bot ich an, für Jacky ein Glas Wasser zu holen. Waleah nickte mir zu.
„Sie trinkt immer so wenig. Aber dieses Kind fordert viel von ihr.“
Ich wusste, wo der Speiseraum war, vermutete dahinter die Küche, fand sie und durchsuchte die Schränke, bis ich ein Glas fand. Ich füllte es mit Leitungswasser, nachdem ich vergeblich nach einer PET-Flasche mit Mineralwasser gesucht hatte.
„Ich habe nur Leitungswasser!“, rechtfertigte ich mich, als ich das Glas Waleah reichte, die es Jacky einflößte. Schluck für Schluck trank sie das Glas leer.
„Wir haben nur das Wasser. Es kommt aus unserer eigenen Quelle und ist reiner als jedes Mineralwasser“, erklärte Waleah mit leiser Stimme. Sie wirkte so sanft. Warum machte sie mir trotzdem solche Angst. „Und PET-Flaschen sind umweltschädlich. – Ich kann dir bei Gelegenheit zeigen, wie wir das hier mit dem Wasser handhaben.“
Umweltschutz! Natürlich. Sie waren Native People, sie achteten die Natur. Es war ihre Religion. Dachte ich.
„Soll ich noch etwas machen?“, fragte ich unsicher. Ich wusste nicht, ob es erwünscht war, dass ich da bliebe. Oder ob ich gehen sollte?
Waleah schüttelte den Kopf. „Du hast schon sehr geholfen. Ich danke dir.“
Sie dankte mir? Es war nur ein wenig gewesen, was ich tun konnte. War es schon genug, um ein Lob zu bekommen? Eine Belohnung? Das Wort „Danke“ kannte ich nur aus dem Servicebereich. Man bedankte sich bei einem Kellner, wenn er das Essen brachte. Oder man bedankte sich bei einer Verkäuferin für das Wechselgeld. Von meiner Mutter hatte ich nie das Wort Danke gehört. Und nun dankte diese Frau mir, weil ich ein Glas Wasser gebracht hatte? Vielleicht betrachtete sie mich als Servicekraft? Ich runzelte die Stirn.
„Ich ziehe mich zurück. Wenn ihr mich braucht, findet ihr mich vermutlich in meiner Wohnung.“
Waleah nickte und wandte sich wieder Jacky zu.
Ich verließ das Wohnhaus. Du bist ein freier Mensch! Jackys Worte hallten in mir nach. Ich konnte gehen, wohin ich wollte. Und dennoch fühlte ich mich hier gefangen.
Ich sah zwei Männer über den Hof gehen. Sie grüßten mich freundlich und griffen dabei an die Krempe ihrer Cowboyhüte, die hier zum Schutz vor der Sonne unerlässlich waren. In meinem Schrank lag solch ein Hut. Aber ich hatte ihn ignoriert, weil ich nicht zum Cowgirl mutieren wollte. Jetzt, wo die Sonne hoch am Zenit stand, wurde mir bewusst, wie sinnvoll es war, einen solchen zu tragen.
Viel mehr Aufmerksamkeit erregte jedoch ihr Gesprächsinhalt bei mir.
„Er reitet heute den Schwarzen zu.“
„Wow! Das will ich sehen!“
„Aiden hat bisher jedes Pferd bezwungen. Irgendwie macht er das mit dieser indianischen Magie. Ganz ohne Gewalt.“
Ich vergaß den Hut und tat so, als hätte ich zufällig den gleichen Weg, wie die Männer und folgte ihnen. Sie gingen durch den Pferdestall und verließen ihn auf der hinteren Seite wieder.
Als ich das Ende des Stalls erreichte, bot sich mir ein faszinierendes Schauspiel. Jack und einige Cowboys lehnten am Zaun eines Korrals. In dem eingezäunten Bereich stand Aiden wie eine Säule. Ein schwarzes Pferd, später erfuhr ich, dass es ein Mustang war, rannte unruhig und wiehernd um ihn herum. Es wechselte ständig die Richtung.
In Aidens Hand lag ein Seil. Langsam legte er das Lasso in große Schlaufen. Er wendete dem Tier immer das Gesicht zu. Also drehte er sich ständig in die Richtung, in die es lief.
Mir wurde schon beim Zusehen schwindelig. Ich trat an den Zaun heran, zuckte aber zurück, als das Pferd unmittelbar an mir vorbeiraste. Es hätte mich fast berührt, obwohl ich auf der anderen Seite des Zauns stand.
Über eine Stunde verfolgten wir das Schauspiel, das Aiden uns bot. Das Pferd wurde in der Zeit immer ruhiger. Irgendwann blieb es stehen. Aiden schien uns Zuschauer nicht wahrzunehmen. Sein Blick galt ausschließlich dem Tier.
Als es stand, machte er einen Schritt auf es zu. Und es rannte wieder im Kreis herum. Er verlor jedoch nicht die Geduld. Blieb wieder stehen, drehte sich mit, bis es wieder stand. Als er jetzt einen Schritt auf das Pferd zuging, blieb es stehen. Er wagte einen weiteren Schritt und sprach mit dem Tier.
„Was ist das für eine Sprache?“, fragte ich Jack, der in meiner Nähe stand.
„Er benutzt seine Muttersprache.“
„Ah, Navajo!“
Jack lachte. „Nein, das liegt zwar nahe, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Pferde besser auf Gälisch ansprechen.“
„Gälisch?“ War das nicht eine längst vergessene Sprache aus Europa?
„Irland. Michael, Aidens Vater, war ein Ire. Er hat es damals schon herausgefunden, dass die Pferde besser auf Gälisch reagieren, als auf Navajo.“ Er lachte leise vor sich hin. „Amerikanische Pferde…“, murmelte er und schüttelte den Kopf. „Männer! Zeit zum Zugucken haben nur die Neuen. Ihr nicht! Die Arbeit wartet.“
Er zwinkerte mir zu. Sollte wohl heißen, ich durfte bleiben und die anderen mussten gehen. Ich spürte, wie mir heiß wurde. Das hieß, dass ich allein mit Aiden hierblieb. Ich durfte ihm bei der Arbeit zuschauen.
Mein Blick folgte für einen Moment Jacks hünenhafter Statur. Trotz des fortgeschrittenen Alters ging er aufrecht und kraftvoll in den Stall, den Eindruck hinterlassend, es mit all den jungen Cowboys, die ihm zur Verfügung standen, aufnehmen zu können. Ich riss mich los.
Aiden schaffte es jetzt, dem Tier die Lassoschlinge um den Hals zu legen. Mit dem Seil führte er es im Kreis. Das Tier ging mit. Es hob und senkte den Kopf, als wolle es das Seil abschütteln, doch es half nicht. Es folgt seinem Herrn.
Nach – ich zählte mit – zwanzig Runden durch den Korral mit Richtungswechseln, mehreren Achten und einer Runde im Rückwärtsgang nahm Aiden dem Tier das Seil ab und kam zu mir an den Zaun. Behände kletterte er hinauf und setzte sich auf das oberste Brett.
„Er ist schön, nicht wahr?“
„Ich verstehe nichts von Pferden“, gab ich offen zu. Ich bekam das Gefühl, alles Leugnen wäre sinnlos. Aiden würde ich nicht täuschen können.
Sein Blick traf mich kurz, aber nicht geringschätzig. Eher offen und warm.
„Bist du schon mal geritten?“
Ich schüttelte den Kopf und legte mein Kinn auf meine verschränkten Arme, die ebenfalls auf dem obersten Brett lagen. Direkt neben ihm. Ich konnte fast seinen erhitzten Körper spüren.
„Magst du Pferde denn?“
Ich hob die Schultern. Ich konnte nichts mögen, was ich nicht kannte.
„Sie sehen so – so anmutig aus, wenn sie sich bewegen.“
Er nickte und blickte zu dem Tier hinüber.
„Und genauso fühlt man sich auf ihrem Rücken. Der hier hat für heute genug ausgehalten. Mit ihm kann ich erst morgen weiter machen. Komm, ich zeige dir etwas Anderes.“
Er schwang seine Beine auf die andere Seite des Zauns und sprang hinunter, berührte mich leicht an der Schulter, damit ich seinen Worten Folge leistete. Es war wie ein Stromschlag, der durch den Kontakt ausgelöst wurde.
Er ging in den Stall und ich folgte ihm, mein Blick nicht von seinen Hüften wendend. Sie waren so schmal und seine Schultern so breit. Sein Haar, das er offen trug, wehte durch den Schwung seiner Schritte. Es war wie in einem Traum. Und seine Aufmerksamkeit galt mir.
Er öffnete die Tür einer Box und rief etwas. Ein Pferd steckte den Kopf hinaus und trat auf sein Zeichen hin in den Gang. Er beherrschte die Pferde mit Handzeichen.
„Das ist Shania. Mein Reitpferd. Aber sie ist mehr ein Gefährte. Ich arbeite mit ihr seit mehr als zehn Jahren. Sie kennt mich, und ich kenne sie. Und wir vertrauen uns. Absolut. Das ist das Wichtigste, dass der Reiter dem Pferd vertraut und das Pferd dem Reiter.“
Er stand neben dem Pferd und legte seinen linken Arm von unten um seinen Hals. Mit der rechten Hand streichelte er die Stirn. Das Pferd stand still. Die Zeit stand still.
Ich trat einen Schritt näher. Ich wollte Teil dessen sein, was gerade passierte.
„Reiche deine Hand her“, sagte Aiden leise. Und vorsichtig hielt ich meine Hand unter das Maul des Tieres. Prompt reagierte es und senkte den Kopf. Die weiche Schnauze berührte meine Hand. Und wieder spürte ich dieses samtene Gefühl, dass ich heute Mittag schon kennengelernt hatte, als ich mit Sandy im Pferdestall war.
„Shania, das ist Emma. Sie gehört jetzt zu uns.“ Das Pferd hob den Kopf, als würde es seine Worte erst verarbeiten müssen.
„Komm her“, Aiden fasste meine ausgestreckte Hand und zog mich zu sich heran, drehte mich kurz um die eigene Achse. Das war nicht schwer, er war fast einen Kopf größer als ich. Ich stand jetzt auf seiner Position. Und er stand so dicht hinter mir, dass ich ihn riechen konnte. Der Geruch von Pferd und Arbeit hing an ihm, nicht unangenehm.
„Nimm sie so, wie ich“, forderte er jetzt. Ich legte ebenfalls meinen rechten Arm um den Hals des Tieres. Es schlug plötzlich etwas heftiger mit dem Kopf auf und ab und ich erschreckte mich, wich automatisch einen Schritt zurück, aber sein Körper bremste mich. Ohne es provoziert zu haben, lehnte ich an ihm und er legte seinen rechten Arm um meine Schultern. Vermutlich aus Sorge, dass ich stürzen könnte. Ich knickte leicht mit dem rechten Bein ein. Sein kräftiger Arm hielt mich. Wenn auch nur für eine Sekunde. Seine Wärme durchflutete mich und mein Herz pochte, dass ich glaubte, er müsse es hören können. Er hielt mich.
„Okay“, sagte er leise und dicht an meinem Ohr. „Das reicht für heute.“ Damit schob er mich sanft in die Realität zurück und etwas von sich weg. Ich gab das Pferd frei und den Mann, wenn auch widerwillig.
Mein Herz pochte wild und ich wusste nicht, wie ich es unter Kontrolle bekommen sollte. In seiner Nähe würde das nicht gelingen. Sein Blick ruhte auf mir.
„Du hast dich erschreckt.“ Ich nickte, dankbar für die Ausrede. „Du hast dich eben erschreckt als dir Black zu nahe kam, draußen am Korral.“
Er hatte mich gesehen? Dabei wirkte er so konzentriert auf das Pferd.
„Du wirst reiten lernen müssen. Die Pferde sind hier draußen für alles notwendig. Normalerweise kümmert sich Jacky um den Reitunterricht. Aber durch die Schwangerschaft geht das im Moment nicht.“ Er überlegte einen Moment. „Vielleicht kann ich Jack bitten, oder meine Mutter, dass sie dir das Reiten beibringen.“
„Du hast sicher keine Zeit dafür.“ Ich senkte den Blick, um ihn sofort im Anschluss wieder zu heben und ihm direkt in die Augen zu sehen. Ich wusste, was meine langen Wimpern bewirken konnten.
Er lächelte tiefgründig.
„Aufgrund deiner Situation halte ich das nicht für sinnvoll. Genauso wenig, als wenn einer der Cowboys dich das Reiten lehrt. Aber Jack könnte dein Großvater sein.“
Ich begriff.
„Ich vertraue dir. Nicht Jack. Ihn kenne ich nicht.“
Seine dunklen Augen ruhten auf mir.
„Ich werde das mit Jacky besprechen. Sie soll entscheiden, was sie für sinnvoll hält.“
Verdammt, was war das für ein Mann, der sich die Erlaubnis seiner Frau holte, um einem Mädchen wie mir, Reitunterricht zu erteilen? Zugegebenermaßen, in dem Milieu, in dem ich aufgewachsen war, klang das mehr als anzüglich. Meine Mutter sprach oft von einer Runde Reitunterricht, wenn der nächste Freier, den sie erwartete, recht jung war. Aber hier ging es um ein Pferd. Ich sollte lernen, es zu reiten.
Er brachte das Pferd zurück in die Box.
„Für den Anfang war das doch nicht schlecht“, erklärte er dann. „Du warst mit Jacky in der Stadt? Konntet ihr dort alles erledigen?“
Ich nickte und schluckte. So wie er vor mir stand, nach Arbeit duftend, mit einem Muscleshirt bekleidet, lässige Jeans und die Füße in leichten Mokassins, kamen seine Schultern und muskulösen Oberarme perfekt zur Geltung. Nur mit Gewalt konnte ich meine Hand zurückhalten, die es drängte, über diese Schultern zu streichen. Wir könnten jetzt zusammen duschen gehen, dachte ich… Aiden.
„Alles in Ordnung, Emma?“
„Weißt du eigentlich, wie ich richtig heiße?“
Er lachte.
„Nein, und ehrlich gesagt möchte ich es nicht wissen. Stell dir vor, die Mafia findet und foltert mich, damit ich sage, ob du bei uns wohnst. Ich könnte es ihnen nicht sagen, wenn sie nach deinem richtigen Namen fragen. – Du solltest ihn ad acta legen, solange die Sache nicht geklärt ist.“
„Haily! Ich heiße Haily.“
Er schluckte und sah mich ernst an.
„Du solltest es wirklich für dich behalten, Emma. Du spielst mit deinem Leben.“
Ich lächelte, hintergründig.
„Ich vertraue dir.“
„Das ehrt mich, aber du unterschätzt die Gefahr, denke ich.“
Ja, ja, natürlich unterschätzte ich die Gefahr. Als ob die Mafia mich hier finden würde!
Sandy betrat den Stall.
„Ich muss weiter. – Aber du schaffst das schon, mit dem Reiten. Das war heute ein guter Ansatz.“
Die Nähe, die ich eben zwischen uns spürte, war wie weggeblasen. Zerplatzt wie eine Seifenblase. Innerlich verfluchte ich Sandy. Was wollte sie ausgerechnet jetzt hier?
Aiden ging.
„Hast du deinen Kontakt zu Pferden ausgebaut?“, fragte sie. Ich nickte, winkte ihr kurz und verließ den Stall ebenfalls.
Da ich keinen anderen Ort wusste, suchte ich meine Wohnung auf. Ich beschloss, meine Einkäufe zu sichten und zu bearbeiten. Die Kleider mussten gewaschen werden. Doch wo konnte man hier Wäsche waschen? Ich hätte Sandy danach fragen können. Ich besaß eine Dusche und Seife. Alles Weitere würde ich vor der nächsten Wäsche klären.
Nachdem Waschvorgang unter fließendem Wasser wrang ich die Wäsche aus und hing sie auf der Terrasse hinter meinem Schlafzimmer über die Holzbrüstung zum Trocknen.
Eine Herde Mustangs galoppierte vorbei und ich blickte ihnen fasziniert nach. Wie eine Woge schienen die weichen Leiber dahin zu fließen. Doch der Boden vibrierte unter ihren Hufen. Es war ein Paradies. Für Tiere und Menschen. So kam es mir jetzt vor. Die Pferde kamen zurück, gefolgt von zwei Reitern, die Lassos schwangen und laut riefen. Die Reiter störten das Bild, fand ich. Jetzt kamen andere Reiter zwischen den Ranchgebäuden hervor und galoppierten auf die Herde zu. Die Reiter, die ich zuerst sah, drehten ab und verschwanden in einer Senke. Ich erkannte Aiden in einem der Reiter der Ranch.
Die Männer verfolgten die anderen Reiter und ich fragte mich, was sich da gerade abspielte. Eine Verfolgungsjagd auf dem Grundstück der Springfields?
Die Herde war zurückgeblieben und graste inzwischen friedlich vor meinen Augen. Ich würde mich mit diesen Tieren auseinandersetzen müssen.
Sandy holte mich später zum Abendessen ab. Es war dieses Mal eine kleinere Runde. Ich erfuhr, dass Marilyn es körperlich nicht schaffte, am Abendessen teilzunehmen. Sie lag bereits im Bett und Esmeralda brachte ihr das Essen ins Zimmer. Waleah und Jack hielten sich abends in ihrem Häuschen am Fluss auf und so aßen wir gemeinsam mit den Kindern und Aiden und Jacky. Dylan hielt gerade einen Vortrag über das Sonnensystem. Was er sagte, klang sehr klug und ich fragte mich, wie alt er und seine Schwester waren. Ich schätzte sie auf höchstens sechs Jahre. Aber seine Ausführungen hörten sich an, wie die eines älteren Kindes. Mickey hatte mir, als wir Kinder waren, oft davon berichtet. Immer dann, wenn wir auf dem Dach der alten Fabrik saßen und bei Vollmond auf die Vampire und Werwölfe warteten, erklärte mir Mickey das Sonnensystem.
Mike plapperte ständig dazwischen und erzählte munter, was er und „Emma“ in der Stadt erlebt hatten. Er sorgte für ein paar Lacher.
Aiden brachte die Kinder nach dem Essen zu Bett und Jacky lud Sandy und mich ins Wohnzimmer ein. Es gab Tee und Gebäck. Fast fühlte ich mich in ein älteres Jahrhundert versetzt.
Jacky erzählte nun, dass ein paar Jungen aus Camp Verde heute wieder völlig überflüssigerweise die Pferde gejagt hatten. Aiden und Andy war es gelungen, sie zu vertreiben. Eine solche Unruhe schadete den Pferden. Und es befanden sich mehrere trächtige Stuten in der Herde. Jedes verlorene Fohlen war ein Verlust für die Ranch.
„Die Nachbarn hetzen schon mal einige Jugendliche gegen uns auf, um uns Ärger zu machen.“ Jacky erklärte mir den Hintergrund der Angelegenheit. Ich schüttelte den Kopf.
„Sie mögen euch nicht?“
Jacky lachte. „So könnte man das sagen. – Fred Sander, er lebt seit zehn Jahren nicht mehr, hat es nie verkraftet, dass mein Großvater Jack Springfield, den größeren Anteil des Tales erwerben konnte. Er hat es uns immer spüren lassen, wie sehr er uns den Erfolg missgönnt. Sein Sohn John ging mit meinem Vater zur Schule. Er war ein Großmaul und verkam zum Spieler. Sein jüngerer Bruder Kyle übernahm die Ranch. Aber sie haben kein gutes Stück Land erwischt. Er steckt immer in finanziellen Schwierigkeiten.“
Sie nippte an ihrer Teetasse. Erwartete sie, dass ich die Geschichte kommentierte oder interessant fand? Sandy ging auf das Gespräch ein. Ich wartete, bis Aiden wieder hinzukam, in der Hoffnung, dass der Abend dann interessanter würde. Aber ich wurde enttäuscht. Es ging um die Tiere, um die Nachbarn, um die Ranch. Ich entschuldigte mich damit, dass ich müde sei und verließ das Wohnzimmer.
Draußen stand ich etwas unschlüssig vor der Tür. Es war schon dunkel und ich war es nicht gewohnt, außerhalb der Stadt draußen zu sein. Der mit funkelnden Sternen übersäte Himmel faszinierte mich. Den Blick nach oben gerichtet ging ich die Auffahrt hinunter, weg von den Ranchgebäuden.
Ich wanderte darauf los, ohne Ziel, einfach um genießen zu wollen, allein zu sein.
Der geschotterte Weg endete nach einer Weile an der Landstraße, von der wir heute Morgen im Morgengrauen abgebogen waren. War das wirklich erst heute gewesen? Es war ein scheinbar endlos langer Tag. Erst gestern war ich freigesprochen worden. Nein, die Anklage wurde fallen gelassen. Das war etwas Anderes. Ich galt als nicht angeklagt. Somit war ich auch nicht vorbestraft. Warum also war ich hier in einer Resozialisierungsmaßnahme? Ich war keine gestrauchelte Person, der dringend Anstand beigebracht werden musste.
Ich drehte mich um die eigene Achse, sah die Lichter eines Wagens herankommen. Der rote Ford-Mustang Oldtimer hielt neben mir. Er war mir heute Nachmittag bereits aufgefallen, als ich mit Jacky in die Stadt fuhr.
„Hey, Lady, wohin des Wegs? Können wir dich mitnehmen?“
Ich starrte den Jungen an, der kaum älter als Zwanzig sein mochte.
„Also, bei uns in Nevada stellt man sich einer Lady erst einmal anständig vor, bevor man versucht sie ins Auto zu locken!“
Er lachte.
„Freddy, die hat Haare auf den Zähnen, wir sollten sie stehen lassen.“
Der Motor erstarb und der Fahrer stieg aus. Er musste Freddy sein. Sie waren also zu zweit.
„Hier wird niemand stehen gelassen. Und erst recht nicht eine junge Dame aus Nevada, die hier so verloren herumsteht! – Könnte ja was passieren!“
Ich ging einen Schritt zurück. Wäre ich in Las Vegas, würde ich keine Angst haben. Auch hatte ich mich schon gegen zwei Männer gewehrt, aber dazu fehlte mir jetzt die Lust.
„Ich stehe nicht verloren herum! Ich weiß genau, wo ich bin.“
„Und was machst du hier draußen, Schönheit?“
Er war um den Wagen herumgekommen und stand jetzt vor mir. Ein Feuerzeug flammte auf, als er seine Zigarette anzündete und ich konnte mir einen kurzen Eindruck von seinem Gesicht verschaffen. Er trug das blonde Haar etwas länger und eine Strähne löste sich aus der Welle über der Stirn und hing ihm in die Augen. Deren Farbe konnte ich nicht erkennen, aber sie waren hell, nicht so dunkel. Er war sicher einen Kopf größer als ich, lehnte sich jetzt lässig ans Auto und blies den Rauch des ersten Zuges aus.
„Auch eine?“ Er hielt mir das Päckchen hin. Ich griff nach der angebotenen Zigarette, steckte sie in den Mund und ließ mir Feuer geben, genau wie er, atmete ich den Rauch langsam aus. Ich hatte lange nicht mehr geraucht. Und würde es sicher nur selten tun. Können. Dass Cowboys rauchten, schien ein von Zigarettenherstellern geschaffenes Klischee zu sein. Aidens Cowboys jedenfalls rauchten nicht. Zumindest nicht während der Arbeit.
„Und? Verrätst du mir jetzt, wer du bist und was du hier machst?“
„Du zuerst, Gentleman!“
Er grinste leicht, soweit ich das beim Schein des Mondes erkennen konnte. Dann schüttelte er den Kopf.
„Na gut, ich bin Frederic Sander. Ich wohne hier in Camp Verde. Meine Freunde nennen mich Freddy.“
„Und dein Freund?“
Ich reckte mein Kinn kurz in Richtung Beifahrertür.
„Das ist Leo. – Leo, sag‘ der Lady hallo!“
„Hi!“ Der andere winkte mir durch das offene Fenster.
Freddy sah mich jetzt erwartungsvoll an. Ich zog in Ruhe an der Zigarette und ließ mich nicht nervös machen.
„Ich sollte jetzt wieder gehen“, sagte ich und wollte mich herumdrehen, als Sander mich am Arm fasste.
„Hey, Baby, nicht so eilig. Ist es in Nevada üblich, dass die Ladies solch ein Geheimnis aus ihrer Identität machen?“
Ich schüttelte seinen Arm ab und lächelte. „Sorry, ich vergaß völlig meinen Anstand. – Ich bin Emma aus Nevada. Und dass mit dem Geheimnis und der Identität – ich hatte nicht damit gerechnet, dass ihr hier so schwierige Worte kennt.“
Er lachte.
„Ist sie nicht süß, Leo? – Die kleine Emma aus Nevada! Was tust du hier, Emma aus Nevada?“
„Spazieren gehen.“
„Jeden Tag? Oder kommst du geradewegs aus Nevada hier her? Möglicherweise zu Fuß über die Route 66?“
Ich seufzte. Er gab einfach nicht auf.
„Also gut, Freddy, wie war noch mal dein Nachname? – Ich arbeite hier, bei den Springfields.“
„Ah!“, sagte er gedehnt. „Dann bist du eine neue Mitarbeiterin?“
„So in der Art.“
„Und was arbeitest du? Hilfst du der Rothaut die Pferde einzureiten?“ Er lachte laut. Darauf war ich nicht vorbereitet. Aiden war nicht beliebt in Camp Verde wegen seiner Herkunft?
„Nein, ich arbeite für den Iren und seine Frau. Ich betreue die Kinder und die Schwester.“
Er sah mich wieder an, während er genüsslich an der Zigarette zog.
„Nicht schlecht gekontert, Kleines. – Aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass er eine Rothaut ist.“
„Danke für die Kippe! Man sieht sich.“ Ich wandte mich ab und ging zügig die Auffahrt hinauf zur Ranch, ohne mich umzudrehen. Offensichtlich hatte ich soeben Bekanntschaft mit der Coolness von Camp Verde gemacht.
Ich erreichte das Ranchgelände und beschloss, ohne Umwege in meine Wohnung zu gehen. Ich freute mich auf das Bett. Es war so angenehm weich gewesen und würde mir eine gute Nacht bescheren.
„Sie sollten sich mit denen nicht abgeben, Miss!“ Ich schrak zusammen, als ich die mir unbekannte Stimme neben mir vernahm. Ein älterer der Cowboys stand neben mir.
„Ich denke, das kann ich selbst entscheiden. Ich bin schon groß.“
„Nichts für ungut! Gute Nacht, Miss Emma!“
Der typische Griff an die Hutkrempe und er verschwand, wie er aufgetaucht war. Aber er musste unten an der Einfahrt gewesen sein, woher sonst wollte er wissen, mit wem ich mich „abgab“.
Das bedeutete, dass ich entweder beobachtet, oder die Ranch bewacht wurde. Möglicherweise wegen mir. Ich schüttelte den Kopf. Ob Big Chain wirklich nach mir suchen würde?
„Andy meint es nur gut. Und auf seine Worte kannst du dich verlassen. Du solltest seine Warnung ernst nehmen.“
Ich starrte ins Dunkle, suchte, wo Sandy sich versteckt hielt. Verdammt, gab es hier keine Hofbeleuchtung? Endlich entdeckte ich sie, sie saß auf der Treppe zu ihrer Wohnung. Ich steckte den Schlüssel in das Schloss meiner Tür. Beobachtete mich hier eigentlich jeder?
„Danke für den Hinweis. Ich werde es mir merken…“, ich bemühte mich um einen freundlichen Tonfall.
„Wen hast du denn getroffen?“
„Nur ein paar Dorfjugendliche. Hielten sich für cool.“
„Ah!“
„Ich bin müde. Gute Nacht, Sandy, wir quatschen morgen weiter.“
„Soll ich dich wecken? Ich meine, wegen dem Frühstück.“
Ach ja, Familytime! Shit, konnte ich nicht allein frühstücken dürfen? Ich war kaum hier und schon nervte mich dieses Familiending. Aber da musste ich wohl durch. Aiden würde mein Highlight werden. Alles andere interessierte mich nicht.
„Ich werde schon rechtzeitig da sein.“
Sie lachte leise. „Alles klar, gute Nacht, Emma.“
Endlich war ich allein. Mit der Wasserflasche bewaffnet, nahm ich einen der Stühle mit auf die kleine Terrasse hinter meinem Schlafzimmer und setzte mich dort einen Moment hin. Zeit zum Nachdenken. Zum Beispiel über Aiden. Ich stellte meine Füße auf die Holzbrüstung. Konnte ich überhaupt bei ihm landen? Er war so tough, Familienvater und Boss. Und Ehemann, nicht zu vergessen! So, wie ich ihn einschätzte, würde er sich niemals mit jemandem wie mir einlassen. Aber von ihm zu träumen, konnte mir niemand verbieten.