Читать книгу Haily - Roberta C. Keil - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеWir befanden uns also noch in Arizona. Und nur um Big Chain irrezuführen, waren wir mehrere hundert Meilen gefahren, um in die Nähe des Ortes zurückzukehren, der mir zum Verhängnis geworden war. Und nun musste ich mich diesen Fremden stellen, die mir ein neues Zuhause geben wollten. Oder sollten? Möglicherweise bezahlte sie der Staat dafür. Meine Nerven waren angespannt wie die Sehne eines Bogens. Mein Blick hing an dem Mann, der ebenfalls sehr indianisch aussah, wie die Männer heute morgen. Und unverschämt gut. War das Aiden?
Die Frau kam auf mich zu. Ich starrte auf ihren Bauch, der sich in ihrer Latzjeans wölbte. Sie war schwanger. Gute Güte, hoffentlich musste ich hier nicht dauernd Babysitten. Ich verstand mich nicht sehr gut auf Kinder. Die Straßenkinder in Vegas hassten mich. Allzu gern band ich ihnen einen Bären auf, und weidete mich daran, wie sie ängstlich glaubten, was ich sagte. Jacky reichte mir die Hand. Dafür war ich dankbar. Ich mochte es nicht, wenn ich von Fremden umarmt wurde.
„Hallo Emma, ich bin Jacklyn Springfield McLeod. Herzlich willkommen im Diamond Valley, auf unserer Ranch. Ich hoffe und wünsche, dass du dich wohlfühlen wirst.“
Was sollte ich dazu sagen? Ich schwieg, drückte nur ihre Hand, ebenso fest, wie sie die meine.
Dann musste ich Aiden begegnen. Es war eine Vermutung. Da er aber jetzt ebenfalls auf mich zukam und mir die Hand reichte, erfuhr ich, dass ich Recht behielt.
„Hi, ich bin Aiden McLeod. Ich sage dir ebenfalls ein herzliches Willkommen mit der Hoffnung, dass du dich hier wohl fühlst.“
Jetzt, wo er leibhaftig vor mir stand, blieb mir fast die Luft weg. Hatte er mir doch in der vergangenen Nacht schon durch seine Verbindungen imponiert. Er war so attraktiv! Atemberaubend! Sein langes, schwarzes Haar glänzte in der Morgensonne und seine Augen funkelten warm, als sich unsere Blicke das erste Mal begegneten. Seine Hand übertrug seine Wärme auf mich, mein Herz. Er nahm mich wahr, bemerkte mich und ich seine schwarzen Augen, sein ebenmäßiges Gesicht, seine Größe. Sandy untertrieb maßlos, als sie prophezeite, ich würde ihn mögen. Nein, ich würde ihn lieben! Dessen war ich mir sicher. Wenn es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gab, war sie mir gerade begegnet.
Etwas unsicher zog ich meine Hand zurück. Hatte er vielleicht bemerkt, was in mir vorging? Das durfte nicht passieren. Zumindest nicht heute schon. Ich ließ meinen Blick zu Jacky wandern. Sie durfte vor allem nicht bemerken, was in mir vorging.
„Möchtest du den Rest der Familie direkt kennen lernen, oder möchtest du zuerst deine Wohnung beziehen und dich etwas ausruhen?“
Jackys klare Stimme riss mich von meiner Wolke auf den Boden zurück.
„Wenn ich erst in die Wohnung dürfte?“
Ich wollte jetzt allein sein. Das musste ich erst verarbeiten. Mir war es noch nie passiert, dass ich so sehr fasziniert von einem Mann gewesen war. Mickey! Aber er war mein bester Freund und alles andere entwickelte sich eben daraus. Er hatte mich nicht so beeindruckt. Das hier war etwas anderes.
„Ich zeige dir alles!“ Jacky lächelte. Sie war nett und sah hübsch aus. Sie und Aiden waren ein sehr schönes Paar. Leider! Ihre blonden Locken, am Hinterkopf locker zusammengesteckt, fielen weit auf den Rücken hinab. Und ihre Freundlichkeit ging mir nahe. Sie musste sich verdammt glücklich schätzen, von diesem Mann ein Kind zu erwarten. Bilder entstanden in meinem Kopf.
„Ich gehe frühstücken“, erwähnte Sandy. Ich starrte sie an. Vielleicht wollte sie sich bei mir entschuldigen, dass ihre Begleitung hier endete. Aber ich war schließlich kein Baby mehr, das nicht mit anderen Menschen auskam.
„Ich gehe davon aus, dass du nicht viel Gepäck hast?“ Jacky riss mich aus meinen Gedanken um Sandys Bemerkung.
Ich nickte.
„Das ist okay. Wir haben dir einige Kleidungsstücke besorgt, die du – wenn du magst – anziehen kannst. Für später habe ich eine Shoppingtour in Prescott vorgesehen. Dann werden wir dich nach deinem Geschmack einkleiden. Was sagst du dazu?“
„Ich musste alles zurücklassen.“ Ob ich ihr sagen sollte, dass ich im Besitz von nur zehn Dollar war? Vielleicht würde sie mir einen Vorschuss geben.
Jacky nickte verständnisvoll. Ja, ich musste alles zurücklassen, als die Polizei morgens um drei Uhr unsere Wohnung stürmte, Mickey und mich festnahm. Ich sah die Wohnung nie wieder. Aber es gab nicht wirklich etwas, was ich daraus vermisste. Ich besaß keine Wertstücke und es gab nichts, was mir als Erinnerungsstück wichtig gewesen wäre. An was hätte ich mich erinnern sollen? An meine Kindheit, in der ich meine Mutter entweder betrunken oder Männer beglückend erlebte? Die Kindheit, die ich überwiegend auf den Straßen in Las Vegas spielend verbrachte, weil ich nur dort vor den pädophilen Neigungen mancher Freier meiner Mutter sicher war. Gäste, ich vergaß! Die Männer, die in unsere Wohnung kamen, waren Gäste meiner Mutter. Sie verkaufte nur Unterhaltung, Bettgeflüster.
Nicht auf den Glamourmeilen spielte ich als Kind. Es waren die Randgebiete mit den Mietshochhäusern, in denen die Menschen wohnten, die nachts die Reichen und Schönen in den Casinos und Hotels bedienten. Die Menschen, die mit Niedriglöhnen abgespeist wurden. An das alles wollte ich mich nicht erinnern. Also gab es nichts, was ich aus meiner Vergangenheit vermisste.
Jacky brachte mich zu einem Gebäude hinter dem Ranchhaus. Dort gab es mehrere Wohneinheiten, die im Blockhausstil aneinandergesetzt waren.
„Früher brachten wir hier die Saisonarbeiter unter. Mittlerweile haben wir genügend festangestellte Mitarbeiter. Dadurch brauchen wir nur wenige zusätzliche Arbeitskräfte. Wir haben also Wohnungen genug. – Diese hier haben wir für dich hergerichtet.“ Sie schloss eine der Haustüren auf. „In der dort wohnt Sandy.“ Sie deutete auf die Eingangstür des nächsten Blockhauses. „Aber komm erst mal herein.“
Ich betrat den Raum. Es war eine große Wohnküche, die im Countrystil eingerichtet war. Ein gemütlich wirkendes Sofa und ein Fernseher bildeten das Wohnzimmer. Es gab einen Esstisch und eine vollständig ausgestattete Küche. Dahinter lag ein Schlafraum mit einem Bett und Kleiderschrank. Daneben war ein Bad untergebracht.
„Du kannst dir die Wohnung gerne nach deinem Geschmack umgestalten. Es wäre nur schön, wenn du das vorher mit mir absprichst.“
Ich nickte. Da ich keinen Cent Geld besaß, blieb mir keine große Wahl und ich musste mich mit der Einrichtung arrangieren. Aber das war nicht schwer.
„Scheint ganz gemütlich“, versicherte ich.
„Okay, also, die Küche darfst du gerne benutzen. Allerdings halten wir es so, dass ihr das Frühstück und das Mittagessen mit uns gemeinsam im Haus einnehmt. Dann lernen wir Euch besser kennen und ihr könnt euch schneller bei uns einfinden. Es hebt euch ein wenig vom Angestelltenverhältnis ab. Das ist unser Wunsch. Sandy wird dir sicher bestätigen, dass das eine gute Gepflogenheit ist. Das Abendessen regelt jeder für sich.“ Sie lächelte mich an. Hintergründig. Natürlich wollte sie irgendwann ihren Ehemann für sich allein haben. Das konnte ich verstehen und lächelte zurück. „Du kannst aber heute gerne bei uns zu Gast sein, bis du dir dann selbst ein paar Lebensmittel besorgen kannst.“
Ich bemerkte jetzt die Glastür im Schlafzimmer, die auf eine befestigte Terrasse nach draußen führte und öffnete sie. Der Ausblick war berauschend. Mein Blick ging nach Osten auf ein Bergmassiv, das dieses Tal einschloss. Vor diesem Bergmassiv lag nur Weideland. Sicher mehrere Quadratmeilen Weideland. Kein Haus, keine Ortschaft, keine Stadt. Keine Nachbarn. Und Stille. Stille gab es hier im Überfluss. Ich war beeindruckt und gleichzeitig gelangweilt. Ich würde mich hier sehr viel langeweilen. Ich war die Stadt gewöhnt. Eine Stadt, die niemals zur Ruhe kam, selbst nicht in den frühen Morgenstunden, wenn der Rest der Welt in dieser Stille versank, die hier offenbar selbst am helllichten Tag herrschte.
„Um ein Uhr gibt es Mittagessen im Haus. Soll ich Sandy sagen, dass sie dich abholen soll? Vielleicht kann sie dich ein wenig herumführen, wenn du magst.“
Ich nickte. Natürlich wollte ich die Langeweile ausführlich kennenlernen.
„Schön. – Ich freue mich, dass du hier bist, Emma. Und ich hoffe sehr, dass du dich hier zu Hause fühlen kannst.“
Warum waren diese Menschen so sehr an meinem Wohlbefinden interessiert? Ich war das nicht gewohnt. Niemand machte sich Gedanken um mich.
„Ich lass dich jetzt allein. Denke daran, du bist ein freier Mensch.“
Warum sagte sie mir das? Ihre Worte stimmten mich nachdenklich. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ ich mich auf das Sofa sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
Welche Ansprüche würden diese Leute an mich stellen? Bestimmt ließen sie mich das bald wissen. Meine Mutter sagte immer, nichts sei umsonst, außer der Tod. Das war hier in Arizona nicht anders, als in Nevada.
Ich erhob mich wieder und untersuchte die Wohnung, schaute in jeden Schrank, zählte das Geschirr und die Kleidungsstücke. Im Kühlschrank fand ich eine Flasche Mineralwasser, etwas Brot und Butter und verschiedene Brotaufstriche. Warum hatte sie mich zum Abendessen eingeladen? Es war doch alles hier!
Ich sah mich im Raum um. Im Vergleich mit Wohnung in Phoenix, die Mickey uns besorgte, war dieses Blockhaus ein wahrer Luxusbungalow. In Phoenix hausten wir in einem kleinen Apartment, das in einer heruntergekommenen Wohngegend lag. Das kam seinen Geschäften entgegen.
Für einen Moment blieb ich an dem Bücherregal hängen. Ein Lächeln breitete sich in mir aus, als ich einige Werke von Schriftstellern entdeckte, die ich liebte. Ich hatte viel Zeit zum Lesen gehabt und mich für gehobene Literatur interessiert. Meine Lehrerin versorgte mich mit Büchern, weil sie genau wusste, dass bei uns das Geld knapp war. Ich liebte die Ausdrucksweise dieser Schriftsteller und Miss Webber betonte immer, dass man meiner Sprache anmerken würde, dass ich viel las. Den Straßenjargon der anderen Kinder beherrschte ich auch, aber den wendete ich nur dann an, wenn er mir von Nutzen war. Etwa, um nicht aufzufallen.
Aber, ob ich hier zum Lesen kam? Was sonst, sollte ich an den Abenden machen?
Im Bad stieß ich auf frische Handtücher, Duschgel und Haarshampoo in verschiedenen Duftnoten. Ich starrte die Dusche an. Eine Dusche für mich ganz allein. Niemals hätte ich vor einem halben Jahr gedacht, dass ich mich darüber einmal freuen würde. Da war es für mich eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und heute? Mir trieb der Anblick meiner Dusche die Tränen in die Augen. Ich versuchte die Erinnerungen an die Umstände, unter denen ich in den letzten Monaten duschen musste, zu verdrängen. Es gelang nicht. Nie war ich allein gewesen. Nur in Gruppen wurde geduscht. Und manchmal gönnten zwei bestimmte Wärterinnen uns etwas Spaß, wie sie meinten. Sie trafen mit ihren männlichen Kollegen des Männergefängnisses eine Vereinbarung und einige von den männlichen Insassen wurden in unsere Duschen geschleust. Zweimal musste ich die Tortur miterleben, mit diesen sexhungrigen Sträflingen zu duschen. Die üblichen Duschzeiten von drei Minuten waren auf zehn Minuten verlängert worden. Und die Männer waren darauf aus, in dieser kurzen Zeit möglichst viele der Damen zu beglücken, ob diese das wollten oder nicht. Ich wollte das nicht. Aber niemand hörte mein „Nein“. Und niemand warnte oder beschützte mich davor. Niemals würde ich diese übergroßen, behaarten und tätowierten Leiber vergessen können, die mich genommen hatten, obwohl ich deutlich „Nein“ sagte. Und trotzdem ich um mich schlug, benutzten sie mich einfach. Ich schrie und weinte, aber niemand hörte mich. Nichts hörte auf.
Eine Mitgefangene sagte nach dem ersten Mal zu mir: „Wenn du dich etwas weniger anstellst, kann es ganz angenehm sein.“ Angenehm? Eine Vergewaltigung? Meine Faust bahnte sich den Weg in ihr Gesicht, unmittelbar, nachdem sie ihre Empfehlung aussprach. Ich konnte diese Bewegung nicht kontrollieren und eine Wärterin verprügelte mich dafür mit dem Schlagstock. Es war mir egal. Danach war mir alles egal gewesen. Nur die Angst vor dem Duschen, die blieb.
Und jetzt? Nun saß ich hier in einem Badezimmer auf dem Boden und heulte wie ein Baby, weil ich eine eigene Dusche benutzen konnte.
Ich riss mir die Kleidung vom Leib und stürzte regelrecht in die Dusche, schob die Glastür zu und nahm den Brausekopf in die Hand, regulierte die Wassertemperatur. Ich duschte heiß. So heiß, wie es soeben zu ertragen war. Ich weiß nicht, wie lange.
In den flauschigen Bademantel gewickelt, der an einem Haken hing, legte ich mich dann aufs Bett, zog die Beine an und schob meinen Daumen zwischen die Backenzähne, kaute auf ihm herum. Das beruhigte mich schon in meiner Kindheit. Ich schloss die Augen. Dachte an etwas Schönes. Aiden… träumte mich weg.