Читать книгу Was auch immer wir hatten - Robin Lang - Страница 6

- Dana -

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War es Abend oder Morgen? Das war nicht so leicht zu erkennen, denn im November konnte man das nie so genau sagen. Ich blinzelte durch die offene Schlafzimmertür in Richtung Küchenzeile, denn da brannte ein kleines Licht und erhellte eine altmodische Küchenuhr, die da hing. Sie zeigte halb acht – ja, aber hatte ich nun fünf Stunden geschlafen und es war halb acht abends oder war ich fast 17 Stunden weggetreten gewesen und es war schon Donnerstag? Hatte ich meinen Abgang in Hamburg vor zwei oder drei Tagen zelebriert?

Ein Blick aufs Handy zeigte, dass es tatsächlich morgens war! Wann hatte ich das letzte Mal so lange geschlafen?

Michael hatte mich gestern in das Apartment gebracht, ich hatte geduscht, einen Schluck Wasser getrunken und war sofort ins Bett gefallen. Ich stand auf und schlurfte zum Tisch, wo ich gestern die Flasche hatte stehen lassen.

Michael oder David mussten nochmal hier gewesen sein, denn auf dem Tisch stand ein Korb mit Obst und ein Zettel lag daneben. Ich faltete ihn auseinander, um ihn zu lesen:

„Hallo, Dornröschen, es ist 22 Uhr, ich fahr jetzt heim, du schläfst und bist nicht wach zu bekommen. Ich hab dir ein paar Sachen von unten in den Kühlschrank gepackt. Wenn du raus willst – nutz die Vordertür, denn aus dem Studio kommst du nicht raus. Ab zehn morgen ist wieder jemand unten! M.“

Also Michael.

Jetzt inspizierte ich erstmal die kleine Wohnung, denn außer dem Bad und dem sehr bequemen Bett hatte ich gestern nichts mehr wahrgenommen. Das Bad war klein, aber funktional, den Blick in den Spiegel hatte ich mir gespart und auch heute wollte ich mich erstmal nicht sehen!

Im ersten Küchenschrank stieß ich auf eine etwas ältere Kaffeemaschine und die dazugehörenden Pads – ich vermisste mein Turbogerät aus Hamburg, aber das hätte wirklich nicht in den Koffer gepasst. Also musste es so gehen. Ein Blick in den Kühlschrank zeigte ein paar Scheiben Brot, Käse, Milch, genug für mich!

Normalerweise frühstückte ich gar nichts, aber Michael hatte recht, in letzter Zeit war mein Leben tatsächlich noch stressiger als sonst gewesen und da mir das immer auf den Magen schlug, hatte ich noch ein paar Kilo mehr verloren.

Aber ich musste auch zugeben, dass es in meiner Hamburger Clique schon sehr um Äußerlichkeiten ging. Und genau hiermit würde ich ein Problem bekommen, denn mein Kleiderschrank bestand seit Jahren nur noch aus Desingerkleidung, Jeans und T-Shirt waren nur dann erlaubt, wenn die richtige Marke darauf zu lesen war. Aber das meiste war hier eher untragbar, wenn ich nicht auffallen wollte wie ein bunter Hund. Mit diesen Gedanken durchwühlte ich meinen Koffer. Am Ende fand ich ein altes Shirt, das ich ab und zu zum Sport anzog (ja, ich hatte einen Stepper und ein Laufband in meiner Wohnung) und dazu eine Jeans, auch die älteren Datums. In meinem alten Leben (oh Gott, Dana, du bist da gerade mal 48 Stunden weg!) hätte ich sie auch kaum noch zum Brötchen holen angezogen. Ich schnappte mir noch frische Unterwäsche und ein paar Kosmetikartikel und stellte mich nochmal unter die Dusche – auch wenn das das letzte gewesen war, was ich gestern getan hatte. Ich musste mich wieder wie ein Mensch fühlen und dazu gehörte für mich eine warme Dusche, ein dekadentes Vollbad wäre besser, aber die Wahl hatte ich hier nicht!

Zuerst kümmerte ich mich um mein Gesicht. Ich hatte mich gestern Abend nicht mehr abgeschminkt und das wollte ich jetzt nachholen, am besten ohne einen genaueren Blick in den Spiegel.

Erst nach der Dusche, die ich natürlich auch nutzte, um die Beine, die Achseln und alles andere zu rasieren, wischte ich den Spiegel sauber und begann die Inspektion meines Spiegelbilds. Meine dunkelroten Naturlocken hingen mir über die Schulter – in Hamburg trug ich sie immer fest im Dutt oder streng zurückgeklemmt und glattgeföhnt. Meine grünen Augen lagen etwas zu tief in den Augenhöhlen und standen zu nah beieinander, zumindest hatte mir das eine Kosmetikerin gesagt und mir Tipps gegeben, wie ich das mit der richtigen Schminke korrigieren konnte, von meinen Sommersprossen ganz zu schweigen. Aber ich wollte heute ein neues Leben beginnen und wieder ein bisschen zurück zu der Frau finden, die ich hier zurückgelassen hatte. Also schminkte ich nur meine Augen ganz dezent und fasste die Haare in einem locker geflochtenen Zopf zusammen. Meine Angeberhandtasche passte nun so gar nicht mehr zu meinem Outfit, also verzichtete ich darauf und stopfte mir mein Handy, ein paar Euroscheine und die Schlüssel in die Jackentaschen. Ein letzter Blick in den Spiegel ließ mich laut auflachen. Mein klassischer schwarzer Mantel passte so gar nicht zu Jeans und Shirt, aber das konnte ich jetzt nicht ändern. Ich beschloss, die nächsten Tage einfach mal in den Tag hineinzuleben!

Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, dass ich ungefähr eine Stunde für alles gebraucht hatte, inklusive eines halbwegs genießbaren Kaffees – ja, ich war auch ein Kaffeesnob, aber das würde ich auf gar keinen Fall abstellen können.

Ich verließ die Wohnung und tat etwas, was ich schon ewig nicht getan hatte – ich wanderte plan- und ziellos durch die Straßen meiner alten Heimatstadt, ließ mich treiben. Wobei treiben relativ war, denn außer ein paar Menschen auf dem Weg zur Arbeit und Lieferwagen war noch nicht viel los. Die meisten Geschäfte hatten noch geschlossen. Ab und zu kam mir eine mehr oder weniger gestresste Mutter mit Kinderwagen und ein bis zwei weiteren Kindern entgegen, wohl auf dem Weg zum Kindergarten oder irgendeiner Spielgruppe. Wie gesagt, zum Einkaufen war es zu früh, außer vielleicht Lebensmittel, denn die Supermärkte öffneten mittlerweile auch in unserem beschaulichen Städtchen um acht oder sogar um sieben Uhr. Wann war das Leben eigentlich so schnell und hektisch geworden? In einer bereits geöffneten Bäckerei besorgte ich mir einen doppelten Cappuccino – nachdem ich vorher durch einen Blick ins Schaufenster sichergestellt hatte, dass sie eine gute Maschine hatten. Dann setzte ich meinen Bummel fort, ab und zu verfiel ich in den typischen „Business – Stechschritt“, rief mich aber immer relativ schnell wieder zur Ruhe. Um mich selber zu disziplinieren, fing ich an, mir Schaufenster von Läden anzusehen, um die ich in den letzten Jahren einen großen Bogen gemacht hatte. In Gedanken begann ich mich neu einzukleiden, denn wenn ich einen Neuanfang starten würde, dann auch einen richtigen. Ob der Neustart hier stattfinden würde, das wusste ich noch nicht, nach Hamburg zurück würde mich mein Weg nicht führen und die Sache mit der Karriere konnte ich wohl auch abhaken. Wobei ich mir ernsthaft auch nicht mehr sicher war, ob ich das überhaupt noch wollte. Ich war seit ganzen 48 Stunden aus der Tretmühle heraus und ich vermisste … nichts! Im Gegenteil, ich fühlte mich so frei, wie schon lange nicht mehr.

Wo auch immer ich in den nächsten Jahren arbeiten würde, im Moment konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, nochmal die Sachen zu tragen, die sich in den letzten Jahren in meinem Kleiderschrank angesammelt hatten.

Auf dem Rückweg zum „Mr.Van T.“ sah ich ein interessantes Geschäft – es war keine dieser Markenboutiquen und auch kein Billigladen. Es wirkte eher wie ein stylischer Laden mit ausgewählten Stücken verschiedenster Labels, darunter viel Jeans. Die Sachen sahen chic, aber bequem, lässig und auch ein bisschen edel aus. Das würde ich mir nachher mal genauer ansehen. Vielleicht konnte ich hier ja einen Grundstein für mein neues äußeres Ich legen?

Als ich wieder vor dem „Mr. Van T.“ stand, war ich erstaunt, dass ich fast zwei Stunden ziel- und planlos durch die Straßen der Innenstadt gelaufen war. Ob das an den 17 Stunden Schlaf oder meiner neu gefundenen inneren Ruhe lag, das mochte ich nicht entscheiden. Michael hatte in seinem kurzen Brief geschrieben, dass ab zehn Uhr wieder jemand im Studio wäre, nicht, wer von ihnen. Ich musste mir selber eingestehen, dass ich hoffte, dass es nicht David alleine wäre, denn ich hatte ihm gegenüber immer noch ein schlechtes Gewissen. Außerdem hatte ich sowas wie Flashbacks, nicht, dass ich jemals harte Drogen oder so genommen hätte, aber es gab so Situationen, die brannten sich einem ins Gedächtnis. Meist waren das Ereignisse, bei denen man sich bis auf die Knochen blamiert hatte. Das konnte Jahre her sein, aber dann passierte irgendetwas und man fand sich in Gedanken genau wieder in dieser Situation und bei meinem Glück wurde ich dann immer auch direkt rot. Und immer, wenn ich an David und unser erstes Aufeinandertreffen dachte, dann war ich wieder zurück. Oh Gott, ich hatte mich an Michael rangeschmissen wie eine rollige Katze und das unter Davids spöttischem Blick. Er hatte Michael keine zehn Minuten vorher zum ersten Mal gesehen und trotzdem schien er damals schon gewusst zu haben, was sonst keiner auch nur geahnt hatte – dass nämlich auf lange Sicht er der Mann an Michaels Seite sein würde. Und auch, wenn Michael mich selten mit Aufmerksamkeit bedacht hatte, ich hatte mich wieder und wieder an ihn rangemacht. Auch das hatte David fast jedes Mal mitbekommen. Allein der Gedanke an diese Zeit ließ mich aufstöhnen. Wenn ich mal genug Mut hatte, dann würde ich dieses Gespräch mit David führen und mich wirklich und aus tiefstem Herzen bei ihm entschuldigen und dann hoffen, dass ich mir auch irgendwann selber verzeihen konnte.

Also richtete ich mein Krönchen und öffnete die Tür … und mich empfing das totale Chaos! Überall standen Kisten und Körbe rum, das Telefon klingelte, zwei Kunden standen am Tresen, eine Frau saß auf dem Sofa an der Wand und blätterte in einem Magazin. David redete scheinbar mit dem Lieferanten, Michael führte ein Gespräch am Handy, von Sascha keine Spur. Also krempelte ich innerlich meine Ärmel hoch, zog den Mantel aus und ging ans Telefon.

„Studio Mr. Van T., Dana hier, was kann ich für dich tun?“

Ich bekam ein dankbares Lächeln von David und einen erhobenen Daumen von Michael, also machte ich weiter.

Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, wendete ich mich den beiden Männern am Tresen zu, legte für die beiden Vorgesprächstermine fest und kümmerte mich dann um die junge Frau, die auf der Suche nach einem Piercing war. Als ich auch damit fertig war, wendete ich mich David zu, der gerade seinen Gesprächspartner verabschiedet hatte und sich genervt durch die Haare fuhr.

„Kann ich dir helfen?“

Er schien mich erst jetzt wieder richtig wahrzunehmen.

„Was? Ja, wenn du magst, schon. Diese Lieferung sollte eigentlich heute Abend ankommen, Micha und ich hatten uns extra keine Termine dahin gelegt, denn das ist immer viel Arbeit! Die Lieferscheine müssen überprüft, abgehakt und ins System eingegeben werden. Und anschließend muss alles ins Lager sortiert werden. Außerdem sind in den Körben neue Piercingstecker, die müssen auch noch in die Vitrinen und Schubladen sortiert werden …, ein abendfüllendes Programm, kann ich dir sagen! Allerdings haben wir alle heute volle Terminpläne und Sascha hat sich einen Tag freigenommen und …“

„Stop, hol erstmal Luft, David! Du bist ja völlig unentspannt, so kenn ich dich ja gar nicht! Zeig mir kurz das Programm, den Rest werd ich schaffen und wenn ich Hilfe brauche, dann melde ich mich, okay?“

„Echt?“ David strahlte übers ganze Gesicht und drückte mich kurz an sich. „Wenn du das tust, dann hast du echt was gut bei mir!“

Mir würde es echt reichen, wenn du mir die Scheiße vergibst, die ich angestellt habe, dachte ich im Stillen bei mir, wagte aber nicht, es wirklich laut zu sagen.

Der Vormittag ging in den Mittag über und der in den Nachmittag. Wir arbeiteten Seite an Seite, immer, wenn einer der beiden keinen Kunden hatte, half er mir oder wies mich in den Umgang mit dem Computer- und Ablagesystem ein. Unterbrochen wurde meine Arbeit nur durch den einen oder anderen Gang zu der Kaffeemaschine (die Jungs hatten fast so ein Turboteil wie ich, super, nun wusste ich, wo ich morgens mein Koffein herbekommen würde). Auf diesem Weg griff ich ein ums andere Mal in die Keksdose, die in der Küche rumstand.

Ich räumte gerade die Schmuckstücke in die Vitrine ein – Micha hatte mir grünes Licht gegeben, ich dürfte ganz nach meinen Vorlieben sortieren und ausstellen, was mir gefiel – als mich ein lauter Schrei aus dem vorderen Bereich aufschreckte. Ich legte noch schnell das Stück, das ich gerade in der Hand hielt und bestaunte, an eine leere Stelle (schade, ich hätte noch viel länger stöbern können) und ging, um nach der Quelle des Lärms zu sehen.

Doch außer Micha sah ich niemanden und vor allem keinen Grund für einen Schrei. Er stand einfach nur da, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf in den Nacken gelegt und brüllte schon wieder. David kam breit grinsend aus seinem Tätowierraum, tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und rollte gespielt-genervt mit den Augen: „Urschrei-Therapie, Süßer?“

„Goooott, ich hasse und ich liebe solche Tage! Dana, brauchst du 'nen Job? Du bist eingestellt!“ Mit diesen Worten riss Micha mich an sich und drückte mir einen dicken Kuss mitten auf die Lippen, ich versteifte mich sofort und starrte zu David hinüber. Was mochte der jetzt denken? Nicht nur wegen des Jobangebots, sondern vor allem wegen des Kusses? Doch der grinste nur noch breiter als eben und nickte mir zustimmend zu.

„Mein Schatz, du hast eine komische Art, Bewerbungsgespräche zu führen, aber ich muss dir zustimmen, dass diese Frau heute bewiesen hat, dass sie flexibel, intelligent, schnell im Denken, zuverlässig und belastbar ist. Nur vergisst du drei Dinge bei deinen Überlegungen : Erstens ist diese Dame vollkommen überqualifiziert, zweitens können wir ihr Gehalt mit Sicherheit nicht zahlen und drittens …“ Er machte eine dramatische Pause und ich erwartete, dass er zum finalen Stoß gegen mich ausholte. Er hatte zwar mit allem recht, was er gesagt hatte, aber für einen Moment hatte ich tatsächlich die Hoffnung gehabt, dass ich einen Platz gefunden hatte. Und der Tag hier hatte mir definitiv Spaß gemacht. Ich schloss die Augen und seufzte, was würde er wohl als letztes Argument bringen, warum sie mich nicht einstellen sollten?

„… und drittens hast du die Sache vollkommen falsch angestellt!“

Er kam zu uns herübergeschlendert und legte nun seinerseits seinen Arm um mich. „Dana, du hast heute hier wundervolle Arbeit geleistet und wir wissen, dass du mit Leichtigkeit überall einen Job haben kannst, aber wir würden uns glücklich schätzen, wenn du uns hier den Arsch retten würdest in den nächsten Wochen, bis du weißt, wie es weitergehen soll! Was sagst du? Sagte ich, dass der Job mit Kost und Logis ist? Du bekommst das Apartment und wir bestellen jetzt Pizza.“

Mit diesen Worten gab er seinem Freund ein „high five“ und beide küssten mich gleichzeitig, jeder auf eine Wange.

„Jungs, ich … was soll ich sagen? Meint ihr das ernst, ich meine, ihr kennt mich doch gar nicht, ich meine, ich war ewig weg und ich habe mich echt Scheiße verhalten damals, wieso solltet ihr mir so eine Chance geben, ich … natürlich nehm ich euer Angebot gerne an, das ist einfach irre von euch, aber warum …?“

„Hey Micha, sie stottert, wir haben sie verwirrt, dabei wollte ich doch nur wissen, wie sie ihre Pizza am liebsten hat.“

Und so kam es, dass wir eine gute halbe Stunde später bei einer Flasche Rotwein und drei Pizzen in der Küche saßen und auf meinen neuen Job anstießen. Wie hatte sich mein Leben innerhalb von wenigen Tagen so komplett ändern können? Vor drei Tagen war ich eine der Topfrauen in einem weltweit agierenden Unternehmen, dann war ich die Lachnummer des Unternehmens (wenn auch keiner der anderen Mitarbeiter etwas davon wusste), dann war ich auf der Flucht und verzweifelt und nun Mitarbeiterin in einem Tattoostudio? Und irgendwo saß das Schicksal und lachte sich schlapp, oder?

Anschließend machten die beiden mich mit den Feinheiten ihres Ablagesystems vertraut, das meiste hatte ich ja schon selber herausgefunden im Laufe des Tages, aber natürlich war ich nicht bis in die Tiefe vorgedrungen.

Außerdem klärten sie mich über ihren Terminkalender auf, ich hatte heute kreuz und quer Termine eingetragen, vorausschauend nur mit Bleistift und tatsächlich fanden sie noch den einen oder anderen Termin, der morgen ein bisschen verschoben werden musste, weil sie einige private Blockungen noch nicht eingetragen hatten.

„Da fällt mir ein, Micha, Chris … tian hat sich gestern Abend bei mir gemeldet, er hätte gerne ein neues Tattoo, irgendwann, wenn hier nicht so viel los ist. Meinst du Anfang nächster Woche, mal morgens? So um acht?“ David sah seinen Freund vielsagend an, als gäbe es etwas, was ich nicht wusste oder nicht wissen sollte.

„Um acht? Du weißt, ich bin kein Morgenmensch, aber was tut man nicht alles für alte Freunde? Lass sehen – Dienstag? Okay, dann block ich das so. Dann kann Max nebenan in Ruhe arbeiten, von dem haben wir nichts zu befürchten. Und du, Dana, vergibst den nächsten Termin an dem Tag nicht vor zehn, okay? Ach, und wie gesagt, ab nächster Woche kommt Max, ein Freund und Möbelbauer, er wird Saschas Raum anpassen und hier und da einiges renovieren. Aber wir geben ihm einen Schlüssel, ihr werdet euch also kaum ins Gehege kommen, außer, du schnorrst dir deinen Morgenkaffee hier unten. Und nun geht’s nach Hause, mein Schatz, ich muss ins Bett und Dana sieht aus, als würde sie gleich mit dem Kopf auf die Tischplatte fallen vor lauter Müdigkeit. Und wir wollen morgen doch eine ausgeruhte Mitarbeiterin haben!“

Mit diesen Worten gab er mir einen Klaps und schob mich in Richtung Treppe. Ich erklomm die ersten beiden Stufen und drehte mich nochmal zu ihnen um: „David, Micha, ich weiß gar nicht, wie ich euch beiden danken soll. Ich tauche hier völlig fertig und unangekündigt auf und ihr seid für mich da, ohne Fragen zu stellen und kümmert euch um mich. Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll, ehrlich!“

„Kleines, dank uns nicht zu früh, du weißt nicht, worauf du dich eingelassen hast. Micha hier hat manchmal echt miese Laune und schlägt verbal um sich und die stressige Phase geht jetzt erst los. Zum einen beginnen hier bald Schreinerarbeiten und viele Leute kommen gerade in dieser Zeit auf die Idee, sich noch ein Tattoo stechen zu lassen, quasi, weil sie es sich Silvester für's neue Jahr vorgenommen haben, es aber noch nicht haben machen lassen. Und außerdem wird es mit zu deinen Aufgaben gehören, die Leute ein bisschen zu beraten, also nach zu ihnen passenden Tattoos zu suchen und ihnen Dinge wie ein Arschgeweih auszureden! Das ist nicht immer ganz leicht. Und nun ab ins Bett mit dir!“

David schlug mir gespielt auf den Hintern und schob mich die Treppe rauf.

Oben angekommen, hüpfte ich noch einmal schnell unter die Dusche, aß eine Banane, stellte mir den Wecker und sah mir die Mails und Nachrichten der letzten Tage an.

Von meinen Freunden nichts außer der Frage, wann ich Zeit zum Laufen hätte. Meine Sekretärin teilte mir mit, dass sie meine Termine in dieser Woche verlegt hätte und sie wünschte mir gute Besserung – das erklärte, warum sich sonst keiner aus meiner Abteilung gemeldet hatte. Mein Ex-Liebhaber und Ex-Vorgesetzter hatte wohl erzählt, dass ich krank sei, um meine Abwesenheit zu erklären. In ein paar Tagen musste ich mich mit ihm auseinandersetzen, musste meine Wohnung leer räumen und neu vermieten, verkaufen wollte ich sie nicht. Ich musste meine Angelegenheiten regeln, wie man so schön sagte, damit ich mir selber wieder mit gutem Gewissen in die Augen sehen konnte. Wieso hatte ich ihm nur geglaubt, Scheiße, ich war so naiv gewesen. Er hatte mich monatelang hingehalten und mir was vorgelogen, warum keiner von uns wissen durfte. Stop, ich durfte dieses Fass jetzt nicht aufmachen, ich durfte nicht anfangen, darüber nachzudenken, denn dann würde ich heute Nacht nicht mehr schlafen können, sondern nur noch grübeln. Beendeten wir das Gedankenkarussell für heute mit der gültigen Wahrheit: Männer waren verlogene Schweine, man durfte ihnen nie trauen!

Was auch immer wir hatten

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